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- Chris -

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'Treffen wir uns gegen Mittag im Studio? Muss jetzt schlafen!'

Wenn Moritz, mein Bassist der Meinung war, dass er mich mit einer Nachricht um sieben Uhr aus dem Bett werfen konnte, dann bewies das nur, dass er keine Ahnung von kleinen Kindern hatte. Ben war schon kurz vor fünf zu mir ins Bett gekrabbelt und hatte sich an mich gekuschelt. „Papa, du bist ja wirklich da, kann ich bei dir weiterschlafen?“ und war wirklich wieder eingeschlafen. Allerdings nicht, ohne mir die Knie in den Magen zu drücken und sich beim Rumdrehen in meine Decke zu wickeln. Doch wenn ich ehrlich war, war es mir egal. Ich genoss es, meinen Sohn im Arm halten zu können. Ich hatte im letzten Jahr wirklich viel zu wenig Zeit mit ihm verbracht und es hatte mir vorhin fast das Herz gebrochen, als er im Halbschlaf zugegeben hatte, daran zu zweifeln, dass ich wirklich da war. In solchen Situationen war ich drauf und dran, meine Musikerkarriere an den Nagel zu hängen. Ich hatte nicht gelogen, als ich meiner Mutter gestern gesagt hatte, dass Ben das Wichtigste in meinem Leben war.

Bens Mutter Nadine war ein Groupie der ersten Stunde gewesen. Wir hatten viel Spaß miteinander gehabt, keine Verpflichtungen, denn wir waren jung und hatten das Leben vor uns – zumindest in der Theorie. Vor sechs Jahren war sie dann schwanger geworden, da lief das mit uns schon ein paar Jahre. Wir hatten nicht aufgepasst oder besser gesagt, wir waren beide so betrunken gewesen, dass wir das Kondom einfach vergessen hatten. Für Nadine war sofort klar gewesen, dass sie das Kind nicht wollte. Für mich war das anfangs auch keine Frage gewesen, aber dann war ich mit ihr zu einer dieser Untersuchungen gegangen und als ich das „wosch-wosch-wosch“ aus dem Lautsprecher hörte, als ich sah, wie dieses kleine Herz arbeitete und darum kämpfte, zu leben und Blut durch diesen winzigen Körper zu pumpen, da war mir klar, dass dieses unschuldige Wesen mir gehörte und Nadine nicht das Recht hatte, es zu töten. Wir stritten und schrien uns an, sie behauptete, dass ich ihr Leben absichtlich zerstören wollte. Sie beschimpfte mich, machte meinen Traum, Musiker zu werden schlecht, versuchte, unsere Band auseinander zu bringen und als Tüpfelchen auf dem „i“ meinte sie sogar, dass das Baby gar nicht von mir wäre. Aber ich blieb hart und wir einigten uns darauf, dass sie mit der Geburt auf alle Ansprüche bezüglich Ben verzichten würde. Ich wollte mich nicht auf ihr Wort verlassen und suchte mir einen Rechtsbeistand. Zum Glück musste ich nicht lange suchen, denn mein älterer Bruder hatte mehr Durchhaltevermögen bewiesen in seinem Studium und Jura studiert. Allerdings hatte er mir direkt davon abgeraten, ihn selbst als Rechtsbeistand zu nehmen, das machte nicht immer den besten Eindruck. Aber er hatte mir eine sehr kompetente Familienanwältin vorgestellt, die mir damals sehr geholfen hatte und, wie es der Zufall so wollte, mittlerweile meine Schwägerin war.

Gott, wie war ich denn nun wieder auf diese Gedanken gekommen? Stimmt ja, ich hatte überlegt, die Karriere an den Nagel zu hängen. Aber es war tatsächlich meine Mutter gewesen, die mich von diesem Gedanken abgebracht hatte und das mehr als einmal. Denn so anstrengend und schwierig es für mich war, wenn ich wochenlang unterwegs war und Ben nur am Wochenende sehen konnte, es gab auch Phasen wie jetzt, wo ich mir meine Zeit einteilen und Wochen am Stück zu Hause sein konnte. Es hatte alles seine Vor- und Nachteile, man musste nur die Zeit, die man hatte, sinnvoll verbringen. Nächstes Jahr würde Ben in die Schule kommen, wir mussten abwarten, wie die Sache sich dann entwickelte, aber bis dahin wollte ich das Beste aus beiden Bereichen meines Lebens machen!

So langsam wurde nun auch mein Sohn wieder wach, wobei „so langsam“ die falsche Bezeichnung war. Bei Ben gab es nur zwei Zustände: er war wach oder er schlief und wenn er wach war, dann gab es kein Halten für ihn. Er redete und redete und redete, bis er wieder schlief. Ich hatte einen binären Sohn – es gab nur an oder aus, dazwischen existierte nichts! Und ehrlich gesagt wollte ich ihn auch gar nicht anders haben.

Und so stand er jetzt neben mir im Badezimmer und erzählte mir alles Neue aus dem Kindergarten, während ich mir den Bart abrasierte. Je mehr Haare fielen, desto mehr wurde aus Chris dem Rocker wieder Christian der Banker, als nächstes brauchte ich einen Frisörtermin, denn ein Teil der Mähne musste auch noch runter.

„Papa, wann darf ich mir auch ein Tattoo stechen lassen? Du hast gesagt, ich darf eins haben, wenn ich groß bin. Und heute Morgen hast du zu mir gesagt, dass ich jetzt schon ganz schön groß bin, weil ich ja jetzt schon ein Vorschulkind bin. Also bin ich schon groß, oder?“

Kinderlogik - manchmal wünschte ich mir, dass ich auch nochmal so naiv-logisch denken könnte!

„Kumpel, du musst erwachsen sein, in frühestens elf Jahren kannst du dich tätowieren lassen, aber wenn du es dann noch willst, nehm ich dich mit zu David und Michael und du bekommst dein erstes Tattoo von den Besten, versprochen! Und nun lass mal schauen, was Oma so zum Frühstücken im Haus hat und dann rufen wir im Kindergarten an und sagen Bescheid, dass du heute einen Urlaubstag hast und wir unternehmen etwas zusammen. Bald ist der erste Advent, vielleicht finden wir einen schönen Weihnachtsmarkt mit Karussell und außerdem muss Oma ihre Frisörin anrufen, damit sie zu uns kommt. Sie muss mir die Haare schneiden, damit mich nicht jeder sofort erkennt.“

„Papa, du bist lustig, wieso soll dich denn keiner erkennen? Du bist doch mein Vater, das weiß doch jeder!“

Jupp – Kinderlogik, sag ich doch!

Als wir in die Küche kamen, hatte meine Mutter schon den Tisch für uns gedeckt. Sie hatte auch Kaffee gekocht, aber was das angeht, konnte sie mich mit ihrer Plörre echt jagen. Sie hatte eine dieser alten Kaffeemaschinen mit Glaskanne. Der Kaffee wurde morgens für meinen Vater frisch gekocht und dann stand er den lieben langen Tag auf der Wärmeplatte und atmete. Wenn es ein guter Rotwein wäre, dann würde ihm das ja vielleicht gut tun, aber der Kaffee wurde bitter und nicht selten auch mal kalt. Das war mit ein Grund, warum ich so gerne Tee trank, wenn ich meine Eltern besuchte. Wenn ich nun wirklich ein paar Wochen hier bleiben würde, dann musste ich heute dringend eine Kaffeemaschine kaufen gehen!

Nach dem Frühstück, dem Anruf beim Kindergarten und der prompten Zusage unserer Haus- und Hoffrisörin, schickte ich eine Nachricht an Moritz, dass wir heute mit Sicherheit nicht proben würden. Dieser Tag sollte ganz Ben gehören.

So verließen er und ich gegen Mittag das Haus. Meine Haare waren ungewohnt kurz, im Grunde wie zu Zeiten meiner Banklehre. Meinen Schmuck ließ ich zu Hause, alles bis auf mein breites Lederarmband am rechten Handgelenk und meine Uhr am anderen. Die Uhr war eine Spezialanfertigung für mich, quasi mein erstes Designerstück, ein Unikat. Aber das erkannte man nur, wenn man ein sehr gutes Auge für Details hatte und zusätzlich die Handschrift des Designerteams erkannte. Und wie wahrscheinlich war das schon?

Die Ringe zog ich nicht an und meinen sonst so auffälligen Ohrring ersetzte ich durch einen kleinen Stecker. Die Klamotten wählte ich ebenso unauffällig, Jeans und Karohemd, auf meine Bikerstiefel verzichtete ich nicht, dazu eine Daunenjacke. Das sollte reichen, damit man in mir nicht den Musiker erkannte. Das Schneiden der Haare hatte den positiven Nebeneffekt, dass die Locken verschwunden waren und meine hellbraunen Haare fast glatt wirkten. Gegen meine dunkelblauen Augen konnte ich nichts tun, denn ich würde nicht soweit gehen, gefärbte Kontaktlinsen zu tragen. Wenn mich einer an meiner Augenfarbe erkennen sollte, dann konnte ich das jetzt nicht ändern.

Wir kamen erst spät abends wieder nach Hause, durchgefroren, vollbepackt (nein, ich hatte meinem Sohn keine unnötigen Spielsachen gekauft, dafür eine Kaffeemaschine, ein paar neutrale Klamotten und zwei Bücher für Ben) und unerkannt. Nachdem ich über mehrere Stunden hinweg nicht angesprochen worden war, hatte ich den ultimativen Test gemacht: Ich war mit Ben in einem großen Einkaufszentrum in die Musikabteilung gegangen und hatte ein paar Minuten neben den „Top Ten“ CDs gestanden und das Angebot studiert. In dieser Zeit hatten sogar drei Leute sich für meine CD entschieden, aber keiner hatte mich auch nur eines Blickes gewürdigt. Das war ein gutes Zeichen, zum einen hielt meine „Verkleidung“, zum anderen hatten die Medien wohl noch keinen Wind davon bekommen, dass wir wieder zu Hause waren. Ich war meinen Fans dankbar für ihre Unterstützung, das darf man bitte nicht falsch verstehen, aber ich wollte auch Privatmensch sein können und meinen Sohn aus allem raushalten dürfen.

Was auch immer wir hatten

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