Читать книгу RAG MEN - Rocky Alexander - Страница 10
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Rooster war weniger als eine halbe Meile gefahren, da steckte er mitten in einem Stau, bei dem es sich wahrlich nicht nur um zähfließenden Verkehr handelte. Mehrere Wagen vor ihm stand auf der rechten Straßenseite eine breite Leuchttafel, die abwechselnd VOLLSPERRUNG und UMLEITUNG AUSGESCHILDERT anzeigte. Sowohl auf diesem Highway als auch der Gegenfahrbahn standen Fahrzeuge in Richtung Süden; jeder wollte die Stadt verlassen, niemand hinein, und ohne Platz zum Wenden blieb Rooster nichts anderes übrig, als den Verkehrsteilnehmern vor ihm langsam kriechend zu folgen. Dabei stellte er den Motor so oft wie möglich ab, um Sprit zu sparen, doch sein Frust nahm immer mehr zu, je weiter die Nadel der Tankanzeige in den roten Bereich absackte.
Seit seiner Freilassung aus dem County-Gefängnis hatte er nur wenig Schlaf gefunden, aber dank mehrerer Züge an der Meth-Pfeife fühlte er sich hellwach, obwohl er sich nicht von seiner trügerischen Geistesschärfe täuschen ließ: So klar er sich auch im Kopf fühlte, wusste er, dass Drogen und Schlafmangel seine Sinne erheblich beeinträchtigten. Gelegentlich ertappte er sich beim Träumen mit offenen Augen. Als er die rot-blauen Warnlichter der Polizei sah, drängte sich langsam Paranoia auf, die ihm so vertraut und doch schwierig unter Kontrolle zu halten war. Alles läuft bestens, das sind bloß Verkehrsbullen, die sichergehen, dass die Umleitung genommen wird, das ist alles. Dennoch nahm er die .357er Magnum unterm Fahrersitz hervor und legte sie rechts neben seinen Oberschenkel – nur für den Fall …
Als er sich der Straßensperre näherte, machte er vier Beamte aus, die den Verkehr kontrollierten. Sie trugen schwarze Schutzausrüstung mit Gasmasken und Helmen, deren Visiere sie hochgeklappt hatten. Zwei waren jeweils mit einem Gewehr bewaffnet, das sie auf den Boden richteten. Hinter den orangefarbenen Leitkegeln und dürftigen Barrieren standen je zwei Streifenwagen und Motorräder. Rooster spielte vorübergehend mit dem Gedanken, sich eine Schießerei mit den Cops zu liefern und eines der Motorräder zu stehlen, hielt seine Chancen bei einem solchen Unterfangen aber für zu gering. Dies war kein Film, in dem kernige Hollywood-Kerle im Alleingang Horden wehrhafter Gegner beseitigten; es handelte sich um die Wirklichkeit, in der man höchstwahrscheinlich binnen Sekunden durchlöchert wurde, wenn man irgendwelche Dummheiten wagte.
Cool bleiben, Rooster. Cool bleiben, Mann.
Als er endlich an der Absperrung ankam, streckte einer der Männer einen Arm aus, um Rooster zu zeigen, er möge den Lichtmarkierungen auf die 132. Straße folgen. Er tat es, und damit war die Sache gegessen, ganz einfach.
Er blieb auf der 132., bis er zur Black River High School im nördlichen Bereich der Straße gelangte. Dort parkte er und betrachtete eine Karte, während er an der Meth-Pfeife saugte. Auf der anderen Seite erstreckte sich eine dichte Baumgruppe, die ihn von der 134. Straße 300 Meter weiter südlich trennte. Ging er durch das Wäldchen, kam er auf der Südseite der Straßensperre und ungefähr eine Meile westlich des Stadtzentrums von Renton heraus, das er durchqueren musste, um sein Ziel zu erreichen. Er ließ den Jeep zwar nur ungern zurück, spekulierte aber darauf, später relativ einfach ein anderes Auto stehlen zu können, zumal der Karre ja der Sprit ausging. Davon abgesehen war er gezwungen, auch die Flinte zurückzulassen, denn er würde unmöglich damit herumlaufen können, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Er machte die hintere Tür des Jeeps auf und zog den Müllsack mit den Sachen heraus, die er aus Timbos Bude entwendet hatte. Um nicht Gefahr zu laufen, dass das Plastik unterwegs riss, entfernte er einige der schweren Nahrungsmittelbehälter und kippte sie auf den Asphalt. Es gab keinen Grund dafür, sie jemand anderem zu überlassen. Danach nahm er die Patronen aus der Flinte und steckte sie zu den anderen in den Kissenbezug. Seiner Einschätzung nach wurde es wohl mit der Zeit einfacher, ein anderes Gewehr zu finden als Munition dafür. Er holte damit weit über seinen Kopf aus und schlug den Schaft aus Birkenholz auf den Boden, bevor er es wieder in den Fußraum des Wagens warf. Zuletzt nahm er die Magnum vom Fahrersitz und steckte sie in seinen Hosenbund. Als er sicher war, alles zu haben, was er benötigte, verriegelte er die Türen von außen, warf den Schlüssel ins Unterholz und durchstach alle vier Reifen mit einem Schraubenzieher. Dann hob er den Kissenbezug auf, schwang den Müllsack über eine Schulter und schlug sich zwischen die Bäume. Sobald er auf der 134. war, ging er auf der schmalen Straße gen Osten, vorbei an großen, mehrstöckigen Häusern, auf deren Vorhöfen inmitten penibel gepflegter Grünflächen Masten mit flatternden US-Flaggen an den Spitzen standen. An einem der Wohngebäude verharrte ein Mann, der vermutlich in seinen Fünfzigern war, neben einem schwarzen Pickup und beobachtete ihn sichtlich beunruhigt. Rooster verspürte den Drang, ihm mit dem .357er ins Gesicht zu schießen und sein Auto zu nehmen, ging aber stattdessen weiter. Er bog rechts in die Langston Road ein, die ihn bergab durch eine Siedlung ins Zentrum von Renton führte.
Am Fuß des Hügels befand sich die normalerweise stark befahrene Kreuzung von Sunset und Hardie, auf der nun trotz morgendlicher Stoßzeit kein Verkehr aufkam – ein gespenstisches Bild. Rechter Hand standen ein Kiosk, geschlossen mit verrammelten Fenstern, und ein Gebrauchtwarenhandel, dessen Scheiben ebenfalls vernagelt waren. Viele der japanischen Kleinwagen auf dem Vorplatz zeigten hässliche Beulen, und Glassplitter sowohl von Scheinwerfern als auch Windschutzscheiben lagen wie zerstoßenes Eis am Boden verstreut. Gegenüber der Kreuzung gab es eine Fred-Meyer-Filiale, eine Bank und ein Einkaufszentrum mit weitläufigem Parkplatz, der leer war. In der Ferne brannten Feuer, und Rooster beobachtete, wie der Qualm aufstieg, um sich mit den tiefhängenden, dunklen Winterwolken zu vereinen.
Während er seinen Weg nach Osten auf dem Bürgersteig fortsetzte, staunte er über verlassene Lebensmittelgeschäfte, Fastfood-Tempel sowie verschiedene andere Läden und Bürogebäude, welche die Einbahnstraße flankierten. Hier und dort lagen Glasscherben, Graffiti zierten die Mauern mehrerer Gebäude – Parolen wie VERTRAUT JESUS oder DAS JÜNGSTE GERICHT NAHT neben diversen Gang-Erkennungssymbolen. Manchmal fuhren auch Autos vorüber, also rang sich Rooster nach einer Weile dazu durch, den Daumen auszustrecken in der Hoffnung, jemand sei so töricht und nehme ihn mit, doch als er an einer Kreuzung einen Polizeiwagen entdeckte, sah er ein, dass Trampen vielleicht doch eher abträglich war, wenn er vermeiden wollte, Gesetzeshüter auf den Plan zu rufen, und ärgerte sich über sich selbst, weil er nicht von vornherein daran gedacht hatte. Zum Glück bemerkte der Cop ihn nicht.
Mitunter begegnete er dem einen oder anderen Passanten. Einige trugen Mundschutz, und die meisten machten einen Bogen im sicheren Abstand um ihn. An der Mauer eines Kaffeehauses saß ein alter Ureinwohner mit langem, grauem Haar in Armeejacke und blauer Jeans. Er hielt sich ein Pappschild vor die Brust, auf dem in fetten, schwarzen Lettern GOTT WIRD EUCH NICHT RETTEN stand. Rooster lachte, zog einen Stoß Scheine aus seiner Hosentasche und warf ihm einen zerknitterten Fünfdollarschein zu. »Für dich, alter Mann. Du bist wahrscheinlich die aufrichtigste Haut, die mir seit langem untergekommen ist.«
Weiter unten auf der Straße stieß er auf drei Schwarze in Baggypants mit übergroßen, schwarzen Mänteln. Einer hielt einen imposanten, blaugrauen Pitbull an einer Leine. Als Rooster näherkam, richteten sie sich alle auf und drückten die Brust heraus. »Yo, Mann. Was hast du in den Säcken?«, fragte der mit dem Hund.
»Nichts, worüber du dir Gedanken machen musst«, entgegnete Rooster.
Die drei gingen auseinander und bauten sich vor ihm auf.
»Ich hab dich was gefragt, Blödmann. Was zum Henker hast du in den Säcken?«
»Und ich hab dir eine Antwort gegeben … Blödmann. Vielleicht solltest du dir das Schmalz aus den Ohren kratzen, damit du besser hörst.«
Die Drei machten so große Augen, dass man glauben mochte, sie fielen ihnen gleich aus dem Kopf. Der Hundehalter bekam den Mund nicht mehr zu und fing an zu zucken beziehungsweise herumzufuchteln, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. »Motherfucker! Alter, ich zähl jetzt bis drei – ach nein, scheiß drauf: Ich zähl bis zwei, dann gibst du mir die Säcke, oder ich hetze dir meine Dreckstöle auf den Hals.« Er klopfte dem Hund auf den Rücken und rief: »Fass, Lotto!«
Lotto machte einen Satz nach vorn, bis ihn die Leine zurückhielt, bleckte die Zähne und bellte laut.
»Eins, Motherfucker«, begann der Mann.
Rooster blieb gelassen. »Wenn du den Hund auf mich loslässt, zücke ich meine Waffe und erschieße euch alle drei, bevor er es schafft, mich zu beißen.«
»Bullshit, Reggie«, sagte einer der anderen und warf die Arme hoch. »Wär der Typ bewaffnet, hätte er seine Knarre schon längst gezogen.«
Rooster suchte Reggies Blick. »Ich weiß, was du denkst, Sportsfreund – dass dieses abgerissene Weißbrot blufft. Aber lass dir mal eines durch den Kopf gehen: Falls ich nicht bluffe, stirbst du gleich hier auf dem Gehsteig in dieser gottverlassenen Geisterstadt einen langsamen, grausamen Tod, weil ich dir die Klöten wegschießen werde. Willst du das wirklich riskieren, um zu erfahren, was in den Säcken steckt? Sie könnten voller Schmutzwäsche sein, wer weiß?«
»Der Wichser hält sich für Clint Eastwood«, höhnte das Großmaul links neben Reggie. »Motherfucking Dirty Harry. Alter, du bist nicht Clint Eastwood, sondern nur ein kleiner Fisch ohne Arsch in der Hose. Hättest du Klamotten in den Säcken, würdest du dich nicht dagegen wehren, sie abzugeben.«
»Also, Einstein«, erwiderte Rooster, »eigentlich habe ich mich noch überhaupt nicht gegen irgendetwas gewehrt, aber wenn ihr euren Hund nicht zurückhaltet und euch alle schleunigst verpisst, werdet ihr erfahren, wie weit ich zu gehen bereit bin.«
Reggie blieb ruhig stehen und sagte nichts, während er die Leine fest in der Rechten hielt. Rooster wusste, dass der Mann hin- und hergerissen war: Stolz gegen Überlebensinstinkt. Der Hund sprang immer wieder nach vorne und knurrte. Der Schwarze rechts neben Reggie schaute hibbelig zwischen Rooster und seinem Komplizen hin und her, dann hob dieser trotzig sein Kinn und bemühte ein schiefes Lächeln. »Zwei, Motherfucker.«
Damit ließ er die Leine los.
Das große Tier preschte vorwärts wie ein Rennpferd aus der Startbox. Rooster ließ seine Säcke fallen, stellte sich breitbeinig auf, um festen Tritt zu haben, und streckte den linken Arm nach vorne aus. Lotto zögerte kurz, bevor er sich auf Geheiß seines Besitzers in dem Arm verbiss. Rooster zuckte zusammen, als sich die Zähne knapp über dem Handgelenk ins Fleisch bohrten. Er schob die Rechte unter seine Jacke und streifte die Magnum gerade mit den Fingerspitzen, als ihn Lotto aus dem Gleichgewicht brachte, sodass er gezwungen war, den linken Arm festzuhalten, um dem heftigen Zerren etwas entgegenzusetzen.
»Richtig so, fass ihn, Lotto!«, schrie Reggie.
Auf einmal fuhr ein roter Honda Civic heran, bremste bis auf Schritttempo ab und beschleunigte wieder. »Oh Shit, Reggie«, warf einer der beiden anderen ein. »Wir müssen abhauen, diese Deppen rufen bestimmt die Bullen.«
Als Rooster hörte, dass irgendetwas zerriss, hoffte er, dass es nicht seine Haut sei. Jedenfalls löste sich ein Stück des dicken Stoffs an seinem Jackenärmel, und er taumelte zur Seite, da Lotto den Halt verlor. Allerdings griff der Hund abermals an und fasste ihn an einer anderen Stelle weiter oben am Unterarm, noch ehe Rooster bemerkte, dass er frei war. Das Tier riss den Kopf herum, als schüttle es einen toten Hasen, und zog ihn zurück, wobei sein Hals federte wie ein Maschinenkolben. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, drückte Rooster den Rücken durch und hob den Hund gerade so weit hoch, dass sich die Vorderpfoten vom Boden lösten. Dann langte er rasch unter seine Jacke – und diesmal gelang es ihm, den Griff seiner Magnum zu packen.
Im Nu war Reggie zur Stelle und versuchte, Lottos Kiefer mit den Händen auseinanderzuziehen, während Einstein an den Hinterläufen zog. Am Rande seines Sichtfeldes nahm Rooster wahr, wie der dritte die Säcke nahm, für die das Trio offensichtlich zu sterben bereit war. Dann brauste ein Motor auf, Druckluftbremsen ächzten und quietschten: Ein Schlepper mit ausklappbarer Winde auf der Ladefläche fuhr am Bordstein vor. Zwei Männer mit weißen Gesichtsmasken sprangen heraus und fragten, ob sie irgendwie behilflich sein könnten, als Rooster Reggie den Lauf des .357er in den Schritt schob und abdrückte.