Читать книгу Gefangen im russischen Winter - Roland Kaltenegger - Страница 16

4. Die Grenzschlachten in Galizien

Оглавление

Dzikow hieß das verschlafene Dorf in Ostgalizien, das unweit der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie lag. In dessen Umgebung waren die Männer der Gebirgs-Jäger-Regimenter 98 und 99 sowie die gesamte Artillerie der 1. Gebirgs-Division aufmarschiert, um in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 in die UdSSR einzumarschieren. In seinen Aufzeichnungen aus dem Russlandfeldzug beschreibt der Gefreite Hubert Hegele den spannungsgeladenen Tag vor Angriffsbeginn folgendermaßen:

Mit verschlafenen Augen steige ich aus meinem Nachtquartier, einem alten, schönen Herrschaftsschlitten, der wahrscheinlich schon fürstlichere Zeiten gesehen hat. Ein herrlicher Morgen ist angebrochen. Und so allmählich wird das Gut, das zum Dorfe Grodzisko gehört, in dem unsere Kompanie untergebracht ist, lebendig. Die Feldküche dampft, und das Kochgeschirrgeklapper der Kaffeefasser weckt auch den letzten Schläfer aus seinem Sommernachtstraum.

Dienst ist für heute nicht angesagt, so dass man sich vorkommt wie im höchsten Urlaub. Und doch ist etwas da, das den ganzen Haufen nicht zur Ruhe kommen lässt. Es ist die Nähe von etwas Neuem, Unerforschtem, das in diesen nahen polnischen Wäldern seinen Ursprung haben muss. Viele Gerüchte gingen um in letzter Zeit, angefangen von der Revolution Molotows, der wir im Notfall beistehen sollen, bis zum freien Durchmarsch durch Russland, um dem bedrängten Irak gegen seine englischen Angreifer beizustehen. Ein Angriff auf die Sowjetunion? Na, das glauben wir schon gleich gar nicht. Erstens hat Deutschland einen Freundschaftsund Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion abgeschlossen, und zweitens: Einen Kampf gegen dieses riesige Reich, nein, das gibt es nicht.

Was ist nun Wahrheit – was Gerücht? Was wollen denn wir kleine Rädchen in diesem riesigen Getriebe schon wissen? Nichts, rein gar nichts. Nur die Unruhe ist in unseren Herzen über dieses bevorstehende Neue. Dass es kommt, ja, das wissen wir. Die Fahrzeuginspektionen – das viele Impfen in letzter Zeit – vor einigen Tagen der Feldgottesdienst, alles deutet darauf hin, dass es bald wieder losgeht. Heute Vormittag wird durchgesagt: Man solle sein überflüssiges Geld nach Hause schicken. Ach was, Geld heimschicken – wir brauchen es doch notwendig für unseren zünftigen Schafkopf, den wir gerade aufgezogen haben und den nur das Mittagessen unterbrechen kann.

Auf der nahen Landstraße wird der heiße polnische Sand immer wieder und wieder von den Bergschuhen der Jäger, den Hufen der Mulis und den Rädern der Karren gemahlen. Unser Regiment zieht in den Bereitstellungsraum ein. Wir Motorisierten liegen ja schon eine Woche hier und hatten neben anderem auch einen interessanten Dienst zu tun. Etliche Mann von der Kompanie mussten die »Grenzer«, die seit der Ziehung der Demarkationslinie im Jahre 1939 hier Dienst tun, bei ihren Patrouillen verstärken. Ein Grenzer und zwei Mann von uns, so zogen wir jede Nacht los, fünf Stunden lang, entlang dem rostigen Grenzdraht. Zur Tarnung […] mussten wir unser Mützen-Edelweiß abnehmen und über unseren Waffenrock eine Zeltplane anziehen. Die ersten Nächte waren ein böses Gestolper für uns zwei Geländeunkundige. In wie viele Sumpflöcher sind wir doch getappt – dann erschreckte uns wieder ein Rudel Wildschweine, die urplötzlich vor uns aus ihrem Versteck herausrumpelten – ein glimmender Lichtschein hinter einem Baum lässt uns zu Stein erstarren – es war nur eine alte, halbverfaulte Baumrinde […]. Als Entschädigung für solch »reizvolle« Sommernächte gab es dann des Öfteren einen kleinen Plausch mit dem Kollegen von der anderen Seite, dem russischen Grenzposten.30

Während die Landser in ihren Bereitstellungsräumen auf den Einsatz warteten, erließ Hitler einen Tagesbefehl »An die Soldaten der Ostfront«, dessen entscheidender Passus lautete:

Deutsche Soldaten!

Damit tretet ihr in einen harten und verantwortungsschweren Kampf ein. Denn: Das Schicksal Europas, die Zukunft des Deutschen Reiches, das Dasein unseres Volkes liegen nunmehr allein in eurer Hand. Möge uns allen in diesem Kampf der Herrgott helfen!

Mit ernsten Gesichtern verlasen die Einheitsführer ihren Männern diesen Tagesbefehl ihres Obersten Befehlshabers. An jenem 21. Juni 1941 hatte es den Anschein, als sollte die Sonne nicht versinken; als wollte sie ausharren und das beginnende Inferno der abertausend Waffen und Kanonen mit ihren Strahlen gespenstisch erhellen.

Mit geröteten Augen starrten die deutschen Soldaten in Richtung Osten, als jener Sonntagmorgen des 22. Juni 1941 heraufdämmerte.

Deutscher Zollgrenzschutz war des Nachts wie gewohnt entlang der Demarkationslinie patrouilliert. Da und dort zogen noch Frühnebel über die feuchte Erde und umhüllten Bäume und Sträucher, Menschen und Tiere. Auf Hochsitzen und Beobachtungstürmen saßen sowjetische Posten dermaßen apathisch, als schienen sie das heraufziehende militärische Unwetter gar nicht zu bemerken.

Der Gefreite Hegele notierte am 22. Juni 1941 in seinem Tagebuch:

Sonnenwendnacht ist heute. Um 1 Uhr werden wir zwei Horchposten zurückgeholt. Inzwischen sind auch der Zugführer Lt. Hahn und auch unser Geschützführer Obj. Schäffler, die beide schon tagelang auf Beobachtungsposten waren, wieder zurückgekehrt. Wir sind schon sehr froh darüber, denn beim ersten Einsatz möchte man gerne seine gewohnten Führer um sich haben.

An Schlaf ist nicht zu denken, zu groß ist die Spannung in uns. Allenthalben sieht man die dunklen Schatten der Gruppen und Grüppchen beisammenstehen; der nahe Angriff führt sie so zum Diskutieren zusammen. Es ist 2 Uhr. Soeben gehen die Pioniere unseres Stoßtrupps die Straße entlang. Ganz langsam und sehr leise bewegen sie sich vorwärts. Ein Gespensterzug. Kein Ton darf laut werden, damit der russische Posten ja nichts merkt. Gleich darauf erhält auch unser Geschütz den Auftrag, ebenfalls bis an den Stacheldraht vorzugehen, unter Wahrung der größtmöglichen Ruhe. Das ist nun leichter gesagt als getan, denn unser Geschütz ist ja kein MG, das man auf den Buckel nehmen kann. Die Fahrzeuge bleiben hier im Wald und kommen erst nach, wenn das Gefecht im Gange ist. Also Mannschaftszug. Je ein Kasten Panzer- und Sprenggranaten wird am Panzerschild angehängt, und nun kann die Schieberei und Zieherei losgehen. Nochmals wird jeder überprüft, ob auch alles richtig sitzt, dass nicht die Gasmaske scheppert oder der Spaten an das Seitengewehr schlägt. Der Stahlhelm wird aufgesetzt, die Bergmütze ins Koppel gesteckt. Wir schieben unser Geschütz auf die Straße und ziehen es dann hart am Rand nach vorne. Bald kommen wir ins Schwitzen; es ist eine mühevolle Arbeit, das schwere Geschütz auf dieser Landstraße vorwärtszubringen. So manches Mal will ein anfeuerndes »Ho-ruck« über die Lippen kommen, aber halt, leise, kein Ton. Erst als wir von der Straße auf das Wiesengelände abbiegen können, geht es besser vorwärts. Aber höllisch müssen wir aufpassen, um in den Löchern und Bodenwellen mit unserer Kanone kein Geschepper zu machen. Ganz verschwommen sieht man den Grenzzaun; 200 m mögen noch bis dahin sein. Dunkle Haufen liegen davor; es ist der Pionierzug. Die Jäger der 7. Kompanie, unsere Kameraden vom Stoßtrupp, kommen nun auch. […]

2.55 Uhr. Noch 20 Minuten bis zum Angriffsbeginn. Herrgott, rinnen diese Minuten heute zäh dahin. Kein Laut ist zu hören, nur bei ganz genauem Hinhören vernimmt man leises Flüstern. 20 Meter sind wir vom Grenzdraht entfernt. Vorbildlich ist die Bereitstellung unseres Stoßtrupps gelungen: Nichts hat der Gegner gemerkt. Ahnungslos stehen die russischen Posten auf ihrem B-Stand. Zwei Mann sind es – sie werden die Ersten sein, die fallen.

3.06 Uhr. Wenn man nur eine Zigarette rauchen könnte. Wolkenlos ist nun der Himmel, und mit tröstlicher Herrlichkeit strahlen die Sterne auf uns Menschlein nieder, aber immer stärker mischt sich das Silbergrau des Morgens in ihre funkelnde Pracht. […] Keine klaren Gedanken kann man fassen in den letzten Minuten – brauchte [man] auch nicht. Mit einem kleinen Gebet bitte ich unseren Herrgott, er möge mir beistehen.

3.10 Uhr. Noch 5 Minuten. Maskenhaft grau sind die Gesichter der Kameraden. Stur geradeaus ist der Blick, der Druck um das Herz wird immer stärker. Die Pioniere beginnen nun ganz leise, kaum hörbar, mit großen Scheren ein paar Gassen in den Draht zu schneiden. 2 Minuten haben wir noch; von weit her dringt der Ruf eines Tragtiers.

3.15 Uhr – endlich! Eine Hand hebt sich und gibt das Zeichen. Wie von Magneten angezogen starrt alles auf die Hand des Stoßtruppführers. Und mit dem Hochheben der Hand durchgellen zwei Schüsse unserer Scharfschützen die Nacht. Die beiden russischen Posten sinken in sich zusammen.31

Um 3.20 Uhr trat die 17. Armee mit den XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps zum Angriff an. Geschützdonner zerriss die Stille des jungen Tags. Die Artilleristen feuerten aus allen Rohren. Der Angriff auf die Sowjetunion, der sich von der Ostsee im Norden bis zu den Karpaten im Süden erstreckte, hatte begonnen.

Zunächst lief der deutsche Vormarsch mit der Präzision eines Uhrwerkes. Davon berichtet auch das »Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht« vom 22. Juni 1941:

Zwischen 3.05 Uhr und 3.30 Uhr treten die Heeresgruppen Süd (ohne 11. Armee), Mitte und Nord planmäßig zum überraschenden Angriff gegen Russland an. Im Laufe des Vormittags verstärkt sich der Eindruck, dass die Überraschung in allen Abschnitten gelungen ist. Der Gegner setzt dem Angriff zunächst nur schwachen Widerstand entgegen. An der ganzen Front gelingt es, schon in den Morgenstunden 4–5 km tief vorzustoßen und in die feindl[iche] Grenzverteidigung einzubrechen. Vor der 11. Armee, die ihre Bereitstellung beendet hat, ist der Gegner untätig, eigene Stoßtrupptätigkeit beginnt planmäßig. Bei der 17. Armee gelingt es, alle Brücken im Grenzabschnitt unzerstört in Besitz zu nehmen. Bei 6. und 4. Armee fallen die Solokija- und Bug-Brücken unversehrt in eigene Hand, um die Zitadelle Brest wird hartnäckig gekämpft. […] Die im Lauf des Tages eintreffenden Meldungen ergeben bei[m] OKH den Eindruck, dass die örtliche Überraschung gelungen ist und der Feind erst beginnt, seinen Widerstand zu organisieren. Größere feindl[iche] Truppenbewegungen sind noch nicht festzustellen. Der Meldung über feindl[liche] Marschkolonnen aus dem Raum um Drohobycz gegen die ungarische Grenze kann keine besondere Bedeutung zugemessen werden, da sich etwaige Bewegungen dieser Art für die eigene Operationsabsicht nur günstig auswirken können. Da vor der Gesamtfront rückläufige Bewegungen größeren Ausmaßes noch nicht festzustellen sind, besteht die Möglichkeit, dass der Gegner nach Überwindung der ersten Überraschung sich – besonders vor [der] H[eeresgruppe] Süd – zum Kampf zu stellen beabsichtigt. Ein Urteil hierüber wird sich jedoch frühestens am 23. 6., nach Eintreffen genauerer Aufklärungsergebnisse bilden lassen.32

Als die Deutsche Wehrmacht ihren Angriff auf die UdSSR begann, hatte sie zweifellos das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Noch am Morgen des 22. Juni 1941 erklärte Josef Stalin in seiner Sommerresidenz am Schwarzen Meer, dass dieser Angriff »möglicherweise nur eine provokatorische Handlung einiger deutscher Generale sei«.33

Der sowjetische Marschall A. J. Jeremenko schrieb in seinen Memoiren: »Der Überfall auf unsere Grenzbezirke kam völlig überraschend. Wenn mir, dem damaligen Armeebefehlshaber, fast nichts vom Herannahen des Krieges bekannt war, wie überraschend musste dieser Angriff für die jüngeren und mittleren Kommandostellen, für die Soldaten und das ganze sowjetische Volk gekommen sein. Diese Unterlassungen lagen begründet in der Überschätzung unserer Kraft und in der Annahme unserer obersten Führung, die Deutschen würden es nicht wagen, uns anzugreifen. Bei richtiger Führung hätte den Angreifern sofort und wirksam Widerstand geleistet werden können!«34

Doch zunächst kam alles ganz anders. Lautlos und schemenhaft bewegten sich im Morgengrauen die Angriffs-Bataillone aus ihren Bereitstellungsräumen und drangen gegen den sowjetischen Grenzzaun vor. Das Gebirgs-Jäger-Regiment 99 hatte die Höhe 273 und Oleszyce Stary zum Ziel, das Gebirgs-Jäger-Regiment 98 die Kuppe 242 und den Ostteil des Ortes.

Zunächst hielt nichts den Sturmlauf des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps auf, das Überraschungsmoment kam ihm zugute: »Die Russen wurden zum Teil in ihren Unterkünften aufgescheucht; ihre Führung stand den Angriffen vielfach hilflos gegenüber, aber die Truppe erholte sich bald von dem erlittenen Schock und leistete örtlich zähen Widerstand.«35

Auf dem rechten Flügel der 1. Gebirgs-Division, wo das Gebirgs-Jäger-Regiment 99 auf eine starke sowjetische Stellung am Forsthaus auf der Höhe 273 gestoßen war, zerriss gezieltes Feuer die Stille der Nacht. Der Gefreite Hegele berichtet auch über die ersten Angriffsaktionen:

Gerade als wir uns mit unserem Geschütz durch den Draht zwängen, braust eine Staffel Bomber […] daher, und das Gedröhn ihrer Motoren gibt erst so richtig den Auftakt zum Kampf. Die ersten Granaten unserer Artillerie heulen über uns; sie schießt auf schon längst ausgemachte Ziele. Unser Stoßtrupp kommt sehr zügig vorwärts, Gegenwehr ist überhaupt keine da – es ist ganz unheimlich; irgendetwas stimmt da nicht.

Wir mit unserem 8-Zentimeter-Geschütz haben sehr schwere Arbeit, mit den Jägern Tuchfühlung zu halten, es geht ja alles querfeldein. Und dann ist da noch ein Acker, frisch gepflügt von den Russen, zur besseren Kontrolle der Grenze. Wie die Bären schwitzen wir, und die Zunge hängt bald an die Knie runter, als wir endlich wieder die Straße erreichen. Dort können wir, Gott sei Dank, an eine Zugmaschine unserer 2-Zentimeter Flak anhängen. Von unserem Stoßtrupp sehen wir nichts mehr. Die Brücke unseres Auftrages haben die Jäger heil in ihre Hand gebracht und sind dann gleich weitermarschiert. Inzwischen ist auch das Regiment zum Angriff angetreten. An einer Straßenkreuzung in Uszkowca gehen wir mit unserem Geschütz in Stellung und sichern nach Süden.

Aus Hegeles Aufzeichnungen wird aber auch erschreckend deutlich, wie sehr die nationalsozialistische Herrenmenschen- und Rassenideologie bereits die Wahrnehmung einfacher Soldaten bestimmte und Regungen menschlichen Mitleids gegenüber der russischen Zivilbevölkerung wie gegenüber dem militärischen Gegner im Keim erstickte und der Enthumanisierung Vorschub leistete. Die NS-Stereotypen vom angeblich rassisch minderwertigen »Untermenschen« und von »fremdvölkischen asiatischen Horden« im Osten prägten auch die Wahrnehmung des Gefreiten:

Ein paar Häuser brennen von den Treffern unserer Artillerie. Weinende Frauen und Kinder laufen sinnlos umher, allerlei Haushaltungsgerät unter dem Arm. Was sie nur wollen; für sie ist der Spuk des Krieges doch schon vorbei, ehe er richtig begann. Von vorne kommen etliche Jäger mit den ersten gefangenen Russen. Zutiefst erschrocken ist mein Herz – den anderen Kameraden erging es genauso – beim Anblick dieser fremden Menschen. Sind das überhaupt noch Menschen? Nein, bestimmt nicht, so schauen nur gefährliche Tiere aus. Kleine, gedrungene Gestalten sind in Uniformen gezwängt. Auf den nur tierhaft zu nennenden Köpfen sitzen grüne Schirmmützen. Die Gesichter sind zwei riesige Backenknochen, ein breit gezogener Mund mit wulstigen Lippen. Die Nase ist platt gedrückt und die Augen, mein Gott, diese Augen, es sind nur ein paar Schlitze, aber aus ihnen blitzt uns unversöhnlicher Hass und Todfeindschaft entgegen. Es sind Mongolen, wie wir sie bisher nur von Bildern her kannten.36

Der Krieg hatte in jeder Beziehung begonnen, der theoretisch-ideologischen Radikalisierung des Nationalsozialismus folgte nun zum Teil die kriegerische Praxis.

General Lanz führte seine Division in vorderster Linie. Nun hatten sich die Soldaten in den ersten schweren Grenzkämpfen in Galizien zu bewähren. Von Uskowce brausten die Panzerjäger zur Unterstützung der Gebirgs-Jäger-Bataillone heran.

Der Gefreite Hegele notierte:

Inzwischen sind ja unsere Autos nachgekommen. Schnell noch ein paar Munitionskästen zugeladen, einen Kasten Sprenggranaten lege ich mir gleich auf das Trittbrett, um ihn sofort zur Hand zu haben, und stelle mich darauf. Stellungswechsel – auf – marsch! Und los geht die brausende Fahrt, hinein nach Oleszyce. Schon zischen die ersten Kugeln um die Köpfe; man hört sie kaum im Brummen des Motors. Brennende Häuser, eingestürzte Giebel, herabhängende Drähte und viele tote Jäger und Pioniere; das ist der erste Anblick. Aber man hat wirklich nicht viel Zeit zum Schauen. Die Garbe eines russischen MGs hat uns gefasst, dass der Wagen nur so scheppert. Max, unser Fahrer, gibt Vollgas, und mit Vollgas rasen wir in die Kurve, dass mir die Wucht gleich meinen Munitionskasten unter den Füßen rausreißt, der in hohem Bogen in den Straßengraben fliegt – lass ihn liegen, wir haben jetzt keine Zeit dafür. Jochen, unser Melder, führt uns zu einem großen Gebäudekomplex, der von Bäumen und Sträuchern fast ganz verdeckt ist, dem Schloss mit Park von Oleszyce. Wir kommen in den toten Winkel der Schlossmauer und haben so ein paar Minuten zum Verschnaufen und Orientieren. Und da ist ja auch schon der Zugführer und Zugtrupp mit Zugs-MG. Und plötzlich ist der Krieg hier wie ausgestorben. Kein Geschieße und Krachen mehr, nur nebenan fällt eine brennende riesige Scheune prasselnd zusammen. Das Geschützt geht gleich in Stellung an der Südpforte der Schlossmauer. Neben uns liegen zwei deutsche Sturmgeschütze halb umgekippt. Sie wollten hier bei diesem Eingang in den Schlosspark; der war aber zu schmal, und bei dem folgenden Wendemanöver hatten sie einander gerammt. […] Ganz gemütlich sitzen wir auf den Geschützholmen und kauen unser Butterbrot, da schlägt uns urplötzlich wahnsinniges Feuer entgegen. Es kracht und scheppert an allen Ecken. […] Schnell springen wir wieder in den toten Winkel der Schlossmauer und ducken uns nieder vor dem heiß heranschlagenden Feuer. Hinter jedem Strauch, von jedem der vielen Baumwipfel, aus jeder nur möglichen Lage zischt uns das heiße Blei entgegen. Kaum sind die Verwundeten des ersten Kampfes geborgen, so geht’s schon wieder an. »Sanitäter – Sanitäter!« Ein großes Durcheinander erzeugt dieser plötzliche russische Überfall. Eben geht ein langes Wirtschaftsgebäude in Flammen auf, und das Feuer prasselt wild in den allgemeinen Kampflärm. Mit unserem Geschütz können wir hier in diesem unübersichtlichen Park nichts anfangen, müssen also mit Nahkampfwaffen diesem Widerstandsnest zu Leibe rücken. 50 m weiter oben werfen die Pioniere gerade dutzendweise Handgranaten in den Park. Auch wir schließen uns mit den Handgranaten an. Wie das scheppert und rumst. Aber der Russe gibt nicht nach. Flammenwerfer müsste man haben, um den Park auszuräuchern. Also wieder Handgranaten. Und auf einmal ist Stille im Park. Sind die Roten schon erledigt? »Wir stürmen jetzt den Park!,« befiehlt der Zugführer. […]

Mit »Fertig – los« stürmen wir, zehn Mann stark, zum Tor hinein und schwärmen gleich auseinander. Der Zugtruppführer, Fw. Wegscheider, schreit gleich in den ersten Sekunden auf und fällt dem Wachinger, der gleich hinter ihm läuft, in die Arme, dass es ihn fast umreißt. […] Im Nu ist der Nahkampf in seiner unerbittlichen Härte entbrannt, wobei kurzer Spaten, Handgranaten und Pistolen die Hauptrolle spielen. […] Stille, Grabesstille ist auf einmal – kein lebender erdbrauner Gegner ist mehr zu sehen.37

Aber plötzlich flammte die Kampftätigkeit wieder auf. Generalmajor Lanz wurde während eines Gefechtes durch ein Geschoss an der rechten Schulter verletzt. Das Schloss Oleszyce wurde nach der Eroberung zum Verbandsplatz.

Wer bei der Kampftruppe verwundet wurde, für den war der bittere Kelch jedoch noch lange nicht geleert. Denn aus dem Inferno der Bomben und Granaten kam man meistens genauso wenig heraus wie aus einer eingeschlossenen Stellung. Die Sowjets scherten sich wenig um die wehenden Fahnen des Roten Kreuzes. Sie schleuderten ihre tödlichen Geschosse und Maschinen-Gewehr-Garben auch dorthin.

Nachdem ein Treffer schon in der Sammelstelle der Verwundeten eingeschlagen war, traf kurz darauf ein Treffer den Verbandsplatz. Dort lagen die langen Reihen der Verwundeten. Und immer neue wurden von den unermüdlichen Sanitätern herantransportiert. Schüsse – Granatsplitter – verdreckte Verbände – verkrustetes Blut. Auf dem Hof, auf den Treppen des Schlosses und in den Gängen lagen und hockten Schwerverwundete unter Ächzen und Stöhnen; schwach und apathisch. Draußen krachte es immer wieder. Das Kampfgetümmel umbrandete den Lazarettplatz. Wenn die Sowjets allzu nahe an die Schlossmauern heranrückten, standen die Sanitäter mit Gewehren und Pistolen hinter den Fenstern, um sich den Gegner vom Leib zu halten.

Am Nachmittag […] wurde der Park nochmals zu einem heißen Feuerherd, erinnerte sich Hegele. Es schien, als seien die Roten, die wir schon zweimal ins Jenseits geschickt hatten, alle wieder lebendig geworden. Von Baumwipfeln, aus Sträuchern und Hecken, aus allen Kellerlöchern kommt der Feuerüberfall auf die Verwundeten, Sanitäter und Ärzte. […] Es wird abends, ehe der Kampf hier zu Ende geht; und erst unter Einsatz von Flammenwerfern wurde der letzte Widerstand ausgeräuchert.38

Während in Oleszyce der Kampf den ganzen Tag über immer wieder aufflammte, setzte der Stab des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps am frühen Nachmittag über den San und richtete in Krakowiez einen neuen Gefechtsstand mit Unterkunft ein. Unterdessen stießen die beiden Gebirgs-Jäger-Regimenter der »Ersten« am Ort vorbei weiter nach Osten, in Richtung Lemberg, ihrem ersten großen Angriffsziel, vor. Die nächste Zwischenstation der »Edelweiß«-Division war der Lubaczowka-Flussabschnitt, der rund 13 Kilometer entfernt lag. Zügig griffen die Gebirgsjäger an und erreichten gegen 19 Uhr das befohlene Ziel.

Die Führung hat wieder Oblt. von Hirschfeld, berichtete Hegele. Auftrag des Stoßtrupps ist: die Brücke über die Lubaczowka bei Lizczutho im Handstreich zu nehmen. Wir fahren gleich los, müssen durch den Wald. Alles schaut scharf links und rechts, aber kein Russe ist zu sehen. Am jenseitigen Rand des Gehölzes wird gehalten. Geschütz 1 und 3 werden abgeprotzt, und wir zwei Bedienungen bleiben hier. Nur Geschütz 2 und alle unsere Fahrzeuge mit den beiden Jägergruppen fahren los. […] Unsere Ar[t]i[llerie] und Granatwerfer beschießen inzwischen heftig das Dorf. Bange Minuten vergehen; sie werden zu Ewigkeiten. Endlich die rote Leuchtkugel, das Zeichen für unsere Artillerie und Granatwerfer, das Feuer einzustellen. Der Stoßtrupp ist nahe am Ziel. Wir hören MG- und MP-Feuer und das Rumsen der Handgranaten, dann das erlösende Zeichen der weißen Leuchtkugel: Die Brücke ist genommen.39

Am Abend des ersten Angriffstages fasste Major Steets als 1. Generalstabsoffizier der 1. Gebirgs-Division seine Tagesmeldung an das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps zusammen: »Der Tag war ungewöhnlich schwer. Die Division verlor allein 18 Offiziere. Die Truppe, in 16-stündigem, heißem, wechselvollem Kampf stark angestrengt, stellte sich schnell auf die ungewohnte und hinterhältige Kampfweise des Feindes ein. Gefangene wurden wenig gemacht. Umso größer waren die Verluste des Feindes, Gefangenenaussagen ergaben, dass Teile der Grenztruppen und der 97. russischen Schützendivision vernichtet wurden.«

Und im Kriegstagebuch der 1. Gebirgs-Division lesen wir: »Der erste Gefechtstag im ersten Operationsabschnitt des Ostfeldzuges war der schwerste und blutigste Kampftag der Division.«

Der Russlandfeldzug hatte blutig begonnen. Die Deutschen wussten in jenen Sommertagen des Kriegsjahres 1941 allerdings noch nicht, wie lange er dauern würde. Aber sie ahnten, dass er alles andere als ein »Blitzkrieg« werden würde. Darauf deuteten bereits die ersten Kampfhandlungen hin, die die Landser nachdenklich stimmten. Denn die Siege im Feldzug gegen die Sowjetunion mussten von Anfang an unter weit größeren und blutigeren Opfern erkämpft werden als die in Polen oder Norwegen, in Frankreich oder auf dem Balkan, weil die Sowjets sich verbissen zum Kampf stellten. In ihrem heftigen Abwehrfeuer konnte die Deutsche Wehrmacht nur langsam an Boden gewinnen.

Der erste Kampftag im Russlandfeldzug ist vorbei, notierte Hegele in seinem Tagebuch. Er war hart, mehr als hart. Nun wissen wir mehr als gestern Abend. Wird das hier immer so weitergehen? Viele unserer Kameraden sind nun schon zugedeckt vom heißen polnischen Boden. Vom Regiment hat das II. Bataillon am meisten bluten müssen. […] Lange kann ich nicht einschlafen: Zu stark hängen die Gedanken am heutigen Tag, besonders am Grauen vom Schlosspark Oleszyce. Und nun liegt feierliche Stille über dem Schlachtfeld an der Grenze. Oben am wolkenlosen Nachthimmel die Millionenpracht der Sterne, auf der Erde die weißen Leuchtkugeln der Deutschen und die roten der Russen; sie bilden den »Zauber der Nacht«. Und morgen?40

Die nächsten Tage brachten die große Panzerschlacht bei Jazow Stary, einem unscheinbar wirkenden Ort ohne besondere Sehenswürdigkeiten beiderseits der großen Nord-Süd-Straße von Jaworow nach Niemirow. Vorsorglich hatte der 1. Generalstabsoffizier der 1. Gebirgs-Division Befehle für die erhöhte Panzerabwehrbereitschaft herausgegeben. Die Panzerabwehrwaffen der Stammdivision der deutschen Gebirgstruppe bestanden aus vier 5-cm- und 54 kleinen 3,7-cm-Panzerabwehr-Geschützen. Unser Chronist Hegele war mitten in diesem Kampfgeschehen und beschrieb die Ereignisse des 23. Juni 1941:

Heftig wurde ich an den Beinen gerüttelt. »Was ist?«

»Alles auf, Stellungswechsel!«, weckt uns der Posten.

»Ja, Blumendraht, jetzt mitten in der Nacht? Was ist denn los?« – Befehl vom Zugführer: 3. Zug macht Stellungswechsel 8 km nach links. Werden dort der P 44 (Panzerjäger-Abteilung) zugeteilt, um sie zu verstärken, da für deren Bereich starke russische Panzerkräfte gemeldet sind.

Es ist 1 Uhr nachts. […] Eine Sau-Fahrerei ist dieser Stellungswechsel durch unbekanntes und größtenteils versumpftes Gelände, so dass immer wieder ein Wagen stecken bleibt und seine Räder im nassen Grund durchdrehen. Doch heil und ohne Verirrung bringt uns der Zugführer Lt. Hahn, der für seine Spürnase bekannt ist, an das Ziel. Dort wird uns gleich unser neuer Stellungsbereich zugewiesen, und wir beginnen sofort mit dem Einschanzen und Tarnen des Geschützes. Während dieser Arbeit wird der graue Streifen am östlichen Himmel immer heller, und als wir mit dem Schanzen fertig sind, ist es fast Tag.

Ein Anblick von seltener so deutlicher Dramatik bietet sich bei näherem Umsehen: In dem Wiesengelände, das 2 km breit sein mag und links und rechts von Wald flankiert ist, sind nicht weniger als 27 Pakgeschütze in V-Form in Stellung, 2 Kompanien der P 44 und unser Zug. Da mögen die russischen Panzer nur kommen, hier würde ihnen ein heißer Empfang bereitet werden.41

Am 23. Juni 1941, es war ein Montag, um 6 Uhr morgens, traten die Gebirgssoldaten auf breiter Front erneut zum Angriff an. Äußerst hart waren die Gefechte. Bei den teilweise alles andere als Menschen schonenden Kampfhandlungen des Gebirgs-Jäger-Bataillons Fleischmann auf der Höhe 235, dicht vor dem sowjetischen Stützpunkt Nabaczow, fielen auf deutscher Seite allein vier von fünf Kompaniechefs. Trotz der massiven Gegenwehr und der empfindlichen Verluste erreichten die »Blumenteufel« bis zum Mittag das befohlene Tagesziel.

Es wird heute nochmals angegriffen. Um 18 Uhr kommt der Befehl zum Stellungswechsel, und unser Zug haut gleich ab, protokollierte der Gefreite Hegele. Wir verlieren aber bald den Anschluss, und auf einmal ist unser Zug allein auf weiter Flur. Nacht wird es, und plötzlich endet unsere Fahrt fast buchstäblich im Wasser. Es ist eine Insel mitten im Sumpf von Drchomysl, gerade groß genug, um unseren sieben Autos mit Geschützen und den paar Krädern Platz zu bieten. Keine ideale Gegend für einen Sommernachtstraum, aber immerhin wissen wir, dass hier kein feindlicher Überfall zu befürchten ist, zumal sehr starker Nebel herrscht.42

An jenem 23. Juni 1941, an dem die 99. leichte Infanterie-Division noch als Reserve der Heeresgruppe Süd in ihren Bereitstellungsräumen lag und auf die Feuerprobe wartete, veröffentlichte die »Neue Zürcher Zeitung« den ersten sowjetischen Heeresbericht vom deutschsowjetischen Krieg:

»Moskau, 23. Juni, ag (Reuter). Das erste russische Communique, das vom Oberkommando der sowjetrussischen Armee am Montagmorgen veröffentlicht wurde, lautet: ›In der Frühe des 22. Juni griffen die Truppen der regulären deutschen Wehrmacht unsere Grenzstreitkräfte auf der ganzen Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer an. Sie wurden von uns während des ersten Teils des Tages aufgehalten. Zu Beginn des Nachmittags traten die deutschen Truppen neuerdings mit den Vorhuten der Sowjetarmee in Fühlung, Nach erbittertem Kampf wurde der Feind mit für ihn schweren Verlusten abgewehrt. Nur in den Abschnitten Grodne und Kristanopol, in dem von den Sowjets besetzten Teil Polens, gelang es dem Feind, leichte praktische Erfolge zu erzielen durch die Besetzung der Ortschaften Kalvar, Stoyanow, etwa 15 Kilometer von der Grenze entfernt, und Tschanowit, 10 Kilometer von der Grenze entfernt. Die feindliche Luftwaffe griff mehrere unserer Flugplätze und Ortschaften an. Überall stieß sie auf energischen Widerstand unserer Jäger und der Bodenabwehr, wobei dem Feind schwere Verluste beigebracht wurden. 65 deutsche Flugzeuge wurden abgeschossen.«43

Überall dort, wo sich die sowjetischen Truppen den deutschen Verbänden stellten, schlugen sie sich zäh. Geschickt verteidigten sie sich unter Ausnutzung der hoch stehenden Getreidefelder und der dichten Wälder. Aber auch die Infanteristen und Gebirgsjäger bezogen die Bodenbedeckungen in ihre Kampftaktik geschickt ein. Hegele berichtet darüber:

Die […] Fahrzeuge werden […] in Deckung belassen, das Geschütz selber schieben wir noch gute 50 m weiter vor und bringen es in einem Maisfeld links der Straße in Stellung. Der Panzerschild wird heruntergeklappt, um die Kanone so klein wie nur möglich zu machen. Dann verkriecht sich die gesamte Bedienung außer Meese, dem Richtschützen, der als erster Posten am Geschütz bleibt, in den rechten Straßengraben. Den Stahlhelm als Kissen unter den Kopf, und bald hat uns die heiße Mittagssonne in den Schlaf gedrückt.

Helle Kommandostimmen wecken unseren ganzen Haufen, jeder blinzelt noch ganz benommen in die Gegend. Was denn nur jetzt schon wieder los ist? – »Jawohl, Herr General, zu Befehl, Herr General«, vernehmen wir ganz nahe. Ist am Ende gar unser Divisionler bis da vorne? Neugierig schauen wir durch das Binsengeflecht des Zaunes. Pfeilgerade! Da steht höchstpersönlich unser General Lanz am Scherenfernrohr und lässt sich vom VB unserer 15-cm-Ari erkannte feindliche Ziele zeigen. […] Wenn so hoher Besuch da ist, dürfen wir uns nicht gerade in den Straßengraben legen und schlafen. […]

Tschschssst – flupp, zischt es plötzlich heiß heran. Instinktiv drücken wir uns alle gleich in den Grund des Grabens und warten auf die Explosion der Granate. Da weiter nichts geschieht, erheben wir ganz vorsichtig unsere Häupter und blinzeln in die Gegend. Totenblass sitzt Kaspar, unser Posten, auf dem Geschützholm und kann nur noch auf das Loch deuten, das hinter ihm entstanden ist. Keine 3 m hat diese Granate, die so plötzlich […] dahergekommen war, hinter dem Geschütz eingeschlagen. Und wäre sie kein Blindgänger gewesen, so würden der Kaspar und auch das Geschütz nicht mehr existiert haben.44

Das Gebirgs-Jäger-Regiment 98 erreichte ohne besonders schwere Kämpfe sein Tagesziel. Am Abend des 24. Juni 1941 grub es sich längs der Straße Jazow Stary – Niemirow ein. Als die Gebirgsjäger am Abend müde in ihren Deckungslöchern hockten und endlich eine Verschnaufpause einlegen konnten, erstreckte sich die Front der 1. Gebirgs-Division bereits über etwa 30 Kilometer.

Der Krieg kommt schön langsam zur Ruhe, notierte Hegele. Grillen und Frösche beginnen ihr Konzert, und die Mücken, in unzählbaren Geschwadern anfliegend, machen uns das Leben schwer. Allenthalben sieht man dunkle Gestalten, mit Kochgeschirren scheppernd, nach hinten in die Schlucht wandeln. Dort geben die Feldküchen den Abendfraß aus. Der von Hans Hiernig (Geschütz Artmeier, I. Zug) heute abgeschossene Panzer brennt immer noch. Er glüht und gibt so in dunkler Nacht ein schaurig-schönes Bild; jeder Teil dieses Stahlkolosses ist weithin sichtbar.

Hell und tröstend strahlen die Sterne auf uns herab, Grüße der Heimat. Jetzt, da des Tages Mühen und Gefahren vorbei sind, wandern die Gedanken dorthin zurück, viele hundert Kilometer, und man merkt gar nicht, dass man eigentlich irgendwo im Schützenloch in einem polnischen Getreidefeld liegt und das müde Haupt nur auf einen Stahlhelm gebettet ist.45

Die Nacht vom 24. zum 25. Juni 1941 verlief wieder Erwarten ruhig. Doch bereits während des 25. Juni, es war ein heißer Tag, warf der sowjetische Kommandierende General des III. Panzer-Korps in Lemberg seine Stahlkolosse in den Kampf gegen das vorwärtsdrängende XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps. Zum ersten Mal trafen die Soldaten mit dem Edelweiß auf die gut gepanzerten und aus allen Rohren feuernden T 34, die seinerzeit als die besten Panzer der Welt galten. Sie waren eine gefährliche und von den Deutschen während des ganzen Ostfeldzuges überaus gefürchtete Panzerwaffe. In Pulks zu zehn, zu zwanzig, ja bis zu vierzig Panzern brachen die Sowjets ohne begleitende Infanterie gegen die abwehrbereiten Gebirgsjäger, Infanteristen und Grenadiere auf. Hier und da gelang ihnen tatsächlich ein Einbruch in die deutschen Linien.

»Unsere Panzer sind feuerbereit«, liest man bei Lanz. »Als die mit viel Lärm und Qualm anrumpelnden Stahlkästen auf etwa 600 Meter vor uns sind, eröffnen die Panzerabwehr-Geschütze schlagartig das Feuer. Bündelweise sausen die Leuchtspuren den Panzern entgegen – und spritzen ab. Wir trauen unseren Augen nicht, überall Treffer und jedes Mal Abpraller. Natürlich ist unsere Artillerie feuerbereit und eröffnet nun ihrerseits ein sauberes Punktschießen. Bei der unerwarteten Wirkungslosigkeit unserer 3,7-cm-Pakgranaten rücken etliche 30 Panzer unaufhaltsam vor und brechen, soweit sie nicht in einem großen Sumpfloch unten an der Straße hängen bleiben, in unsere Stellung ein. Nun greifen die Jäger zur Selbsthilfe. Mit Handgranaten und geballten Ladungen springen sie die Panzer an und setzen im Nahkampf eine Anzahl von ihnen außer Gefecht.«46

Das Versagen der viel zu schwachen 3,7-cm-Panzerabwehrkanonen lähmte die Landser für einen Moment. Nur ihrer Fähigkeit zur Improvisation hatten sie es zu verdanken, dass sie nach der ersten großen Panzerschlacht bei Jazow Stary am Abend des 25. Juni 1941 in ihren befohlenen Stellungen standen. Im nervenaufreibendem und gefährlichen Nahkampf war es ihnen gelungen, Panzer durch in die Geschützrohre geschobene Handgranaten außer Gefecht zu setzen. »Die eigenen Verluste in diesen Kämpfen waren vor allem bei 1. Geb. Div. und 68. Inf.Div. besonders hoch«, vermerkte das »Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps aus dem Russlandfeldzug 1941« am 26. Juni 1941.

Zerstörte Panzer, Lastwagen und Versorgungsfahrzeuge übersäten das Schlachtfeld. Zu Hunderten bedeckten die Kadaver erschossener Pferde das Feld. Zerschossen lagen die Panzer im Felde; elendig verbrannt und zerfetzt waren die Leichen der sowjetischen Soldaten. Wer würde die Toten bestatten? Das war mehr als nur ein Akt der Menschenwürde. Denn durch die warme Jahreszeit kam es sehr schnell zur Verwesung, und damit stieg auch die Gefahr von Seuchen.

»Die Säuberung des Schlachtfeldes hat ergeben, dass […] in der Panzerabwehrschlacht am 24. und 25. 6. mindestens 100 Panzerwagen abgeschossen und über 50 Geschütze erbeutet wurden. An den Kämpfen waren in hervorragender Haltung in gleicher Weise beteiligt: 1. Geb.Div., 68. Div., die zuerst im Walde um und ostwärts Krakowiec den feindlichen Angriff auszuhalten hatte, und Teile der 257. Div.«, lautet eine Eintragung vom 26. Juni 1941 im Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps.47

Aber nicht nur die sowjetischen Panzer bereiteten große Probleme. Kaum hatte man sich die Stahlkolosse so gut es ging vom Leib gehalten, schon erschienen am Himmel die sowjetischen »Nähmaschinen«, von den Landsern auch »UvD«, »Nervensäge« oder »Kohlenschipper« genannt. Der antiquierte Bomber Polikarpow PO 2, ein Doppeldecker, den die Sowjets »Kukurusnik« nannten, warf dann im Gleitflug bei abgestelltem Motor seine 25- und 50-Kilogramm-Bomben auf die Stellungen der Deutschen.

Auf der Rollbahn drängten sich Verbände und Fahrzeuge von mehr als sechs Divisionen, die man an ihren taktischen Zeichen erkannte: Edelweiß und Enzian, Tannenbaum und Spielhahnfeder, Wiesel und Ochsenkopf, Pfeil und Bogen. Dazu wurden Divisions-Nummern herumgereicht: 1. und 4. Gebirgs-Division, 97. leichte und 100. Jäger-Division, 125., 257. und 295. Infanterie-Division sowie die 5. SS-Panzer-Division »Wiking«. Welche Nummer zu welchem Zeichen gehörte, wusste niemand vollständig zu sagen. Die »Braune-Bären«-Division war nicht mehr dabei, das hatten die »Feldherren« unter den Obergefreiten sofort erkannt. Und da sie sich zu Hunderten aus allen Verbänden auf eine Zigarettenlänge im Straßengraben trafen, blühte schon sehr schnell die Fantasie.

»Die Berlin-brandenburgische Braune-Bären-Division hat dermaßen schwere Verluste gehabt, so dass die 68. Infanterie-Division nach Frankreich verlegt wird. Im August ist der Krieg aus!«

Jeder wollte es hören, alle wollten es glauben. Nach den Grenzschlachten drängte die Truppe dem Sieg entgegen, mit von der Partie war auch die 68. Infanterie-Division. Denn statt nach Frankreich wurde sie Anfang Juli 1941 als Reserve der Heeresgruppe Süd durch die galizische Hauptstadt in Richtung Osten nachgeführt. Erst in der zweiten Julihälfte konnten die Infanteristen wieder am Nordrand des Kessels bei Uman und Winniza in die Kampfhandlungen eingreifen. Aber schon sehr bald wurde die »Braune-Bären«-Division nach Osten verlegt und griff nun unter dem Kommando des XXXXIV. Armeekorps in Richtung Tscherkassy an.

Die anfängliche Hochstimmung der Truppe verflog bei der drückenden Hitze alsbald, und der seit dem Polen- und Frankreichfeldzug gewohnte Frontalltag kehrte wieder ein. Viele marschierten mit leerem Magen. Die Rollbahn war derart belegt, dass die Trosse höchst selten zu ihren Einheiten durchkamen. Nur allzu oft kochten die Feldküchen daher vergebens. Denn sobald das Essen bei dem schwülen Wetter sauer geworden war, mussten es die Feldköche in den Straßengraben schütten, während die Mägen der Landser vor Heißhunger nur so knurrten.

»Den Fleischverzehr müssen wir inzwischen aus den eroberten Gebieten requirieren, und ich bin der Unglückliche, der mit dem Metzgergehilfen der Küche über Land fahren und das Vieh den Bauern wegnehmen soll«, klagte der Münchner Heinrich Heimkes. »Einmal sollte es ein Schwein sein. Die Dorfkolchose war schon leer geräumt, also sind wir zu den Bauern. Ich kann mich noch gut erinnern: Eine Frau mit mehreren kleinen Kindern fiel vor uns bittend auf die Knie, wir möchten ihr doch das einzige Schwein für ihre zahlreiche Familie lassen. Wir sind weitergezogen, aber das ist dann Haus für Haus so oder ähnlich vor sich gegangen, bis es meinem Kameraden zu dumm geworden ist und wir ein fettes Schwein zur Kompanie gebracht haben, das mir gewissermaßen aus Rache die Brücke meines Fahrzeuges im wahrsten Sinne des Wortes versaut hat.«48

Da die 4. Gebirgs-Division des Generalmajors Karl Eglseer bis zum Beginn des Russlandfeldzuges als Reserve des Oberkommandos des Heeres fungierte, stand sie am ersten Tag des Unternehmens »Barbarossa« nicht gleich im Brennpunkt der heftigen Auseinandersetzungen. Doch dann wurde die »Enzian«-Division ab 25. Juni endgültig für fast zwei Jahre dem Generalkommando des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps unterstellt. Von nun an marschierte die »Vierte« neben ihrer Schwesterdivision, der »Ersten«, über Monate hinweg ostwärts – und zwar von Lemberg durch den Südabschnitt der Ostfront bis zum Kaukasus und von dort in den Kuban-Brückenkopf. Es war am 26. Juni 1941, als die 4. Gebirgs-Division vom XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps den Befehl erhielt, die bereits stark angeschlagene 68. Infanterie-Division in ihrer vorderen Linie im Raum um Jaworow abzulösen. Kübler zog damit die frische »Enzian«-Division in die erste Angriffslinie vor. Sie sollte zusammen mit der 257. Infanterie-Division den Schutz der tiefen Südflanke der 1. Gebirgs-Division übernehmen und dann die Seenenge bei Dobrostany und Kamienobrod durchbrechen. Die Ablösung der beiden Gebirgs-Großverbände verlief reibungslos, die russischen Verbände zogen sich unter dem Schutz von starken Nachhuten ostwärts zurück.

»Dann sahen wir den ersten Russen«, berichtet Werner Schneider von der 4. Gebirgs-Division. »Klein und krumm lag er im Straßengraben, bartlos das Gesicht, in guter Uniform und festen Stiefeln. Es folgten mehr und mehr, lauter junge Kerle, kaum 20 Jahre mochten sie zählen, karmesinrot der Rand ihrer Mützen. Gefallene lagen überall im Getreide. Einzelne waren von unseren Soldaten bereits bestattet, ein in den Boden gestecktes Gewehr und die Mütze darauf zeigten ihre Gräber. Wir marschierten weiter, gleichmäßig trappten die Füße. Jeder war schweigsam geworden und versuchte, mit seinen Gedanken fertig zu werden. Wieder wurde es Abend. Gegen Mitternacht erreichten wir einen Wald. An seinem Ostrand war unser Bereitstellungsraum. Nun waren wir vorn. Wo stand der Feind?«49

Wie die Aufklärung ergeben hatte, stand der Gegner in der Seenenge von Grodek und Kamienobrod. Diese bildete eine Schlüsselstellung der Sowjets, da sie als natürliches Hindernis den Zugang in die alte galizische Hauptstadt Lemberg versperrte, die die 1. Gebirgs-Division unter General Kübler bereits im Polenfeldzug eingenommen hatte und dann den Sowjets auf Grund der deutsch-sowjetischen Vereinbarungen überlassen musste. Jetzt standen die deutschen Gebirgssoldaten abermals vor der leidgeprüften Stadt. Rasch wurde eine Speerspitze der 4. Gebirgs-Division zusammengestellt. Auch jetzt waren wieder fast alle Truppengattungen in der Vorausabteilung vertreten.

Sobald sich die Deutschen Lemberg abermals näherten, zeigte der russische Bär den »Blumenteufeln« wiederum seine starken Tatzen. Nachdem die Vorausabteilung es gerade noch geschafft hatte, bis in die Seenenge von Kamienobrod vorzudringen, lief sich der Angriff fest. Erst als Generalmajor Eglseer am frühen Morgen seine beiden Gebirgs-Jäger-Regimenter 13 und 91 ins Gefecht schickte, konnte der hartnäckige Widerstand der Sowjets gebrochen werden. Aber um welchen Preis!

Das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps verlor in vier Kampftagen bei einem Geländegewinn von 40 bis 50 Kilometern nicht weniger als 45 Offiziere sowie 827 Oberjäger und Jäger; auf die 1. Gebirgs-Division entfielen davon 8 Offiziere und 92 Oberjäger und Jäger. Dennoch nahmen die Gebirgssoldaten die Verfolgung des Feindes rasch wieder auf. Nun galt es, Lemberg von Norden mit dem benachbarten XXXXIV. Armeekorps und von Süden mit dem XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps einzuschließen und zur Übergabe zu zwingen.

»Bereits 5 Tage und Nächte dauerte die erbitterte Schlacht in der grenznahen Zone«, schrieb der Sowjet-Marschall I. Ch. Bagramjan. »Trotz großer Kräfteüberlegenheit und der Vorteile, die der plötzliche Überfall dem Gegner gebracht hatte, konnte er den Widerstand unserer Truppen nicht brechen. Es gelang ihm in der Hauptstoßrichtung nicht, die taktischen Erfolge in operative zu verwandeln; nämlich unsere Front zu durchbrechen und in die Tiefe unseres Territoriums vorzudringen. Doch das faschistische Oberkommando verfügte über mächtige Reserven, der Gegner versuchte alles, um die Schlacht auf ukrainischem Boden zu gewinnen.«50

Am 29. Juni 1941 gab General Kübler einen seiner zahlreichen drakonischen Befehle heraus, die ihm später zum Verhängnis wurden und ihn als Kriegsverbrecher an den Galgen brachten: »Die Meldungen, dass Zivilisten in immer größerem Umfange auf den Schlachtfeldern plündern, häufen sich. Der Kommandierende General gibt daher, um dem zu begegnen, Befehl, dass alle erwachsenen zivilen Plünderer auf dem Schlachtfeld zu erschießen sind«, heißt es im Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps.51

Bedauerlicherweise kam es in sowjetischen Ortschaften und Städten wiederholt zu Plünderungen und Diebstählen durch deutsche Soldaten. Wurden solche Plünderer auf frischer Tat ertappt, dann wurden sie genau wie Deserteure nach dem harten Kriegsrecht von gnadenlosen Militärrichtern mit dem Tode bestraft. An diesen Erschießungen mussten zwecks Abschreckung Abordnungen von allen Einheiten und Stäben teilnehmen.

Gefangen im russischen Winter

Подняться наверх