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6. Gefechtslärm in der Ukraine

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Unterdessen zog das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps an Lemberg vorbei in Richtung Südosten. Die 4. Gebirgs-Division war dazu ausersehen, mit der 97. leichten Infanterie-Division die Verfolgung von etwa zwei zurückweichenden russischen Rest-Divisionen aufzunehmen.

Häufig sahen die Landser bei ihrem Vormarsch, dass die ukrainische Bevölkerung, die sich von einem ungeheuren Druck befreit fühlte, Triumphpforten für die deutschen Truppen errichtet hatte. Auf ihnen waren sogar Hakenkreuzfahnen und Inschriften wie »Heil dem Führer« oder »Wir begrüßen die Befreier« angebracht worden. Das war kein Wunder, denn das bolschewistische Terrorregime hatte innerhalb von 15 Jahren »über 60 Millionen Menschen vom Leben zum Tode befördert«.65 Daher war es nicht allzu überraschend, dass die Zivilbevölkerung die Deutschen zum Teil begrüßte: »Vielfach bestand eine Bereitschaft, Deutschland nicht unbedingt als Feind anzusehen, was nach der langen Herrschaft der bolschewistischen Partei kaum für möglich gehalten worden war. Die erst kürzlich angeschlossenen Gebiete, die baltischen Staaten, Ostpolen, vor allem Ostgalizien und Bessarabien, waren noch in keiner Weise assimiliert. Aber auch in den ursprünglichen Gebieten der Union, so in der Ukraine, der Krim, bei den Völkern des Kaukasus, der Wolga und Turkestans, war ein Wiederaufleben antirussischer oder antibolschewistischer Tendenzen zu konstatieren«, bemerkte der deutsche Diplomat Erich Kordt.66


»Leider«, bemerkte der bekannte Panzergeneral Heinz Guderian später in seinen Memoiren, »hielt diese günstige Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Deutschen nur so lange an, wie die wohlwollende Militärverwaltung regierte. Die sogenannten Reichskommissare haben dann in kurzer Zeit verstanden, jede Sympathie für die Deutschen abzutöten und damit dem Partisanenunwesen den Boden zu bereiten.«67 Damit war die große Chance leichtfertig verspielt worden, »durch schnelle und weit reichende politische Entschlüsse die russischen Völker zu unterstützen […] Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wäre für beide Teile von größtem Nutzen gewesen.«68 Dass der Ostfeldzug 1941 anders hätte verlaufen können und die UdSSR schon ein halbes Jahrhundert früher hätte auseinanderbrechen können, wenn die Deutschen als Befreier und nicht als Unterdrücker einmarschiert wären, das bewies 50 Jahre später der plötzliche Zusammenbruch von Stalins Imperium, das auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung mehr als einhundert Völker in zwölf Zeitzonen umfasste. Doch es kam 1941 anders. Das lag unter anderem auch an der antibolschewistischen Ideologie der Nationalsozialisten, die die Sowjetrussen als »Untermenschen« betrachteten. Schlimmer noch: Hitler beschloss nach dem Konzept eines »Weltblitzkrieges«69 einen »Ausrottungskrieg«, denn er »erklärte alle Einwohner der UdSSR zu Untermenschen«70. Nicht umsonst brandmarkten mutige Männer wie Bruno Brehm im Jahre 1942 öffentlich die verfehlte Politik der Nationalsozialisten in der Ukraine:

»Die Untermenschen-Theorie gegenüber den Ostvölkern, vor allem gegenüber den Russen, ist durch die Praxis widerlegt«, schrieb Frau Wiedemann am 25. Mai 1943 an Himmler. »Sie schlagen sich gut, sie opfern alles für ihr Vaterland, sie bauen z. T. Waffen, die mindestens so gut sind wie unsere […] Für den Einsatz von Millionenmassen von Ostarbeitern im Reich und morgen von Millionenheeren von Osttruppen an den Fronten ist also das Verschwinden der Untermenschentheorie aus unserer Propaganda absolut erforderlich.« Am 5. Oktober 1943 heißt es dann: »Unsere Untermenschen-Parole hat Stalin zum nationalen Krieg verholfen. Der Hass gegen uns ist furchtbar […] Demgegenüber steht absolut fest, dass die ganze russische Bauernschaft, der größte Teil der Intelligenz und das gesamte mittlere, höhere und höchste Führerkorps der Roten Armee Feinde des Bolschewismus und speziell Stalins sind. Aber diese Menschen haben wir durch unsere Politik in die tragische Entscheidung hineingezwungen: entweder für Stalin zu kämpfen oder ihr eigenes Volk und damit sich selbst dem Schicksal eines auszurottenden, auszuplündernden Kolonialbereichs auszuliefern, dessen Einwohner, in Wahrheit eines der begabtesten Völker der weißen Rasse, zu Untermenschen proklamiert und zu Generationen langer Sklavenarbeit deklassiert werden sollen.«71

Doch damit nicht genug: Hinzu kam »die Kaste der arroganten ›Herrenmenschen‹ – Angehörige von Stäben und Spezialeinheiten aller Art, Heeresverwaltungsbeamte, Kommissare, Sonderführer – neun von ihnen kamen auf einen kämpfenden Soldaten, denn kämpfen war nicht ihre Sache. Sie waren zuständig für Befehle, die Hunderttausende tapfere Soldaten in den Tod schickten, zuständig für die Tiraden von Eroberungen für das ›Volk ohne Raum‹ – gemeint war die maßlose Gier nach Beute an Land, Menschen und deren Besitz. Ihr Krieg spielte sich nicht da ab, wo gelitten, gehungert, gefroren und gestorben wurde, sondern in der behaglichen Etappe, wo es warm war, wo der wohl organisierte Nachschub an Cognac und Champagner floss und wo man sich die Mädchen aussuchen konnte, die mit leeren Mägen oder unter der Drohung der Deportation in ein Arbeitslager billig zur Verfügung standen.«72

In Brzeczany – einer unscheinbaren Ortschaft an der Zlota Lipa – war es der 4. Gebirgs-Division, die zu diesem Zeitpunkt der 1. Gebirgs-Division 50 Kilometer vorausgeeilt war, gelungen, die zurückflutenden sowjetischen Truppenteile zu stellen. Ludwig Kainz weiß hierüber zu berichten:

Am späten Nachmittag des 3. Juli 1941 marschierten Teile des Geb.Jäg.Rgt. 13 durch den Ort Brzeczany, um ihre Biwakräume zu beziehen. Seit den Kämpfen um Lemberg war das Regiment nicht mehr zur Ruhe gekommen. Immer wieder hieß es, den kämpfend ausweichenden Feind zu stellen und ihm den Rückweg zu verlegen. Auch heute war es dem Regiment gelungen, eine Feindkolonne in der nördlichen Flanke einzuholen und ihr die Rückzugsstraße zu sperren. Auf einer mit Obstbäumen bestandenen Wiese wurden Nachrichten- und Radfahrzeuge und die dem Regiment unterstellten Teile der Geb.Nachr.Abt. 94 unter Leutnant Ott eingewiesen. Tragtiere, Fahrzeuge, Karetten und Lasten fanden unter den Bäumen gute Deckung gegen Fliegersicht. Dazwischen wurden die Zelte gebaut – ein fast friedensmäßiges Bild wie aus guten Manöverzeiten. Ringsum herrschte weit und breit Ruhe. Ungefähr einen Kilometer weiter südlich hatten Heerespioniere und Pak die Sicherung übernommen, rechts, an einen Bahndamm angelehnt, lag der Radfahrzug. In ein bis zwei Kilometer Entfernung nach Westen hatte das I. Bataillon seinen Gefechtsstand auf der die Stadt überragenden Höhe. Während ich noch mit der Einteilung der Wachen beschäftigt war, kam der Befehl zur Herstellung einer Nachrichtenverbindung zum I. Bataillon. Da die Möglichkeit dafür geradezu ideal war, wurde eine Blinkverbindung eingerichtet. Nachdem die Station mit guter Sichtverbindung zur hoch gelegenen Kirche funktionierte, gingen wir zwei Offiziere in unser gemeinsames Quartier, das bei den Fernsprech- und Funktrupps in der erhöht liegenden Häuserzeile entlang der Straße lag. […]

Gefangen im russischen Winter

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