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Ein machtpolitisches Pokerspiel?
ОглавлениеDer Name König Sigismunds war weit enger mit dem Konzil von Konstanz verbunden als jener der drei Päpste. Das hing mit der schillernden Persönlichkeit des Luxemburgers zusammen, der das Konzil nicht nur als Kirchenversammlung, sondern auch als Plattform für Reichsfragen verstand. Konstanz war für dreieinhalb Jahre ein Treffpunkt der Christenheit; als zeitweilige Residenz des Königs war Konstanz aber auch Ort der Reichspolitik. Die reichsunmittelbare Bodenseestadt lag zwar in einer von Habsburg dominierten Region, im südwestdeutschen Raum, in Schwaben und auch im eidgenössischen Raum lebten aber viele adlige, kirchliche und kommunale Parteigänger des Reichs, sodass Sigismund in Konstanz auf eine breite Gefolgschaft zählen konnte, obwohl die Basis seiner Macht primär im östlichen Europa lag. Das war umso wichtiger, als der König eine keineswegs unumstrittene Rolle im Reich einnahm und eine Stärkung der königlichen Autorität anstrebte. So forderte er Kur- und Reichsfürsten auf, nach Konstanz zu kommen, um sich von ihm die Reichslehen bestätigen zu lassen, was bei den auf Eigenständigkeit bedachten Fürsten kaum Begeisterung auslöste. Dabei zielte der König wohl vor allem auf eine ihm zutiefst verhasste Person: Herzog Friedrich IV. von Habsburg-Österreich.7
Abb.3 Die Krönung des neuen Papstes Martin V. Der Italiener Oddo Colonna war der erste nördlich der Alpen gewählte Papst (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 103r).
Die Luxemburger und Habsburger standen sich verwandtschaftlich nahe, doch Friedrich, Schwiegersohn des verstorbenen Königs Ruprecht von der Pfalz, ging als selbstbewusster und eigenmächtiger Fürst auf Distanz zu Sigismund. Dazu trugen machtpolitische Differenzen an der Adria und im Umgang mit Venedig, aber auch persönliche Animositäten bei. Schon 1412 rief der König zum Krieg gegen den ungeliebten Rivalen auf, allerdings erfolglos. Sigismund scheint dann das Konstanzer Konzil gezielt als ihm wohlgesinnte Bühne für eine Abrechnung mit Friedrich gewählt zu haben. Gut möglich, dass er sich im Vorfeld die Unterstützung verschiedener Gegner Habsburgs zu sichern versuchte, so von Bern, das er Anfang Juli 1414 besuchte und dem er verschiedene Privilegien bestätigte. Einen Monat später forderte er den Habsburger auf, nach Konstanz zu kommen. Tatsächlich sollte Friedrich mit auffallend grosser «Verspätung» und angeblich mit demonstrativ stattlichem Gefolge erst Ende Februar 1415 am Bodensee eintreffen. Ein Affront oder nicht eher ein Zeichen der Unsicherheit?
Bereits einen Monat später floh Herzog Friedrich zusammen mit Papst Johannes XXIII. aus Konstanz. Der Papst hatte auf Druck des Königs wie des Konzils eine Rücktrittserklärung abgegeben; mit der Flucht suchte er dann aber vermutlich die ihm immer ungünstiger gesinnte Kirchenversammlung zu blockieren, wenn nicht zu sprengen. Friedrich stand seinerseits mit dem Rücken zur Wand, nachdem er von Sigismund von Luxemburg wegen Machtmissbrauch vorgeladen worden war. Als durchaus erfolgreicher Landesfürst hatte er gerade in Tirol den Einfluss des rivalisierenden Adels wie auch der bischöflichen Konkurrenten mit Gewalt zurückgedrängt. Mit seiner nicht immer sehr zimperlichen Politik stand er im fürstlichen Umfeld keineswegs alleine, im Gegenteil. Der König machte sich ausgerechnet jetzt aber – nicht ohne Hintergedanken – zum Anwalt der «Verlierer», die ihre Klagen gegen habsburgische «Übergriffe» in Konstanz vortrugen. Es liegt auf der Hand, dass Friedrich keine unparteiische königliche Rechtsprechung erwarten durfte. Ob die spektakuläre Flucht von Papst und Herzog in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1415 aus einer überlegten Abwägung heraus oder aus Verzweiflung erfolgte, bleibt offen. Für beide endete das Abenteuer auf jeden Fall in einer Katastrophe.
Papst und Herzog erhofften sich eine Lähmung und Spaltung des Konzils und rechneten offensichtlich nicht mit einer energischen Reaktion des Königs. Dieser ergriff sofort die Initiative, liess die Stadttore bewachen und isolierte die Parteigänger der beiden Flüchtigen. Während die Kirchenversammlung Johannes XXIII. absetzte, organisierte der König das Vorgehen gegen den Herzog. Dabei stützte er sich auf seine Anhängerschaft in Konstanz selbst wie auch auf Absprachen, die wohl im Vorfeld des Konzils zum Beispiel mit Bern und mit einflussreichen Adligen erfolgt waren. Der Eindruck herrscht vor, dass Sigismund mit einer Eskalation rechnete und seit einiger Zeit Aktionen gegen Herzog Friedrich IV. vorgesehen hatte. Erste Truppen waren bereits im Aufbruch, als Sigismund am 30. März 1415 alle Untertanen und Getreuen des Reichs zum Krieg gegen den Habsburger aufrief. In einem umfangreichen, sorgfältig formulierten Schriftstück argumentierte er mit der Flucht aus Konstanz. Damit habe sich Friedrich einem Rechtsverfahren entzogen und Geistlichen wie Witwen das Recht abgeschlagen. Die Flucht des Papstes fand hier kaum Erwähnung. Entgegen immer wieder geäusserter Argumentation diente die Fluchthilfe nicht als Argument für den Krieg und wurde Friedrich zwar durchaus ausgegrenzt, nicht aber geächtet.8
Der Reichskrieg glich eher einem Spaziergang: Stand für die eidgenössischen Orte die Eroberung des Aargaus im Zentrum, so nahmen Adlige schon zuvor im südwestdeutschen, schwäbischen und vorarlbergischen Raum habsburgische Herrschaften in Besitz. Es ist kein Zufall, dass sich hier mit den Grafen von Sulz, Toggenburg oder Lupfen hauptsächlich solche Hochadlige hervortaten, die in einem Spannungsfeld von Rivalität und Abhängigkeit zu Herzog Friedrich standen und dem königlichen Gefolge angehörten. Vonseiten Habsburgs erfolgte – wohl entgegen den Erwartungen – praktisch kein Widerstand. Abgesehen von einzelnen Burgen oder Städten, die mehr oder weniger erfolgreich die Tore geschlossen hielten und zuwarteten, war von einer habsburgischen «Front» nichts zu sehen. Mit seiner Flucht hatte sich Friedrich vielmehr ins Abseits manövriert, was er rasch, aber zu spät einsah. Seine Rückkehr nach Konstanz und seine Unterwerfung unter den König am 7. Mai 1415 besiegelten den Untergang der habsburgischen Macht in den Vorlanden.
Was in den schweizerischen Geschichtsbüchern als Triumphzug der eidgenössischen Truppen dargestellt wurde, war Teil eines grösseren reichspolitischen Geschehens, das weniger vom Gegensatz Eidgenossen-Habsburg als vom Konflikt zwischen König und Fürst geprägt wurde. So wichtig der Aargau für die Schweizer Geschichte war, zuerst einmal zerschlug Sigismund von Luxemburg im Frühling 1415 erfolgreich beinahe ganz Vorderösterreich. Trotz der späteren Aussöhnung Friedrichs mit dem Luxemburger sollte Habsburg diese Gebiete nie mehr vollständig zurückgewinnen. Der Verlust des Aargaus war nur ein Kapitel dieser weiter ausgreifenden Ereignisse.
Abb.4 Die Eidgenossen zerstören die Burg Baden. Die Boten König Sigismunds, die das Ende des Konflikts verkünden, kommen zu spät (Chronik des Bendicht Tschachtlan um 1470, Zentralbibliothek Zürich, MS A-120, fol 470).