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Kirchliche Missstände
ОглавлениеDrei Päpste, zwei Ketzer und ein geächteter Herzog – so lassen sich die Ereignisse des Konstanzer Konzils stark verkürzt und zugespitzt zusammenfassen. Tatsächlich steht die grosse Kirchenversammlung für eine der schwierigsten Perioden der Kirchengeschichte. Kein Wunder, erinnerten 2014 Konstanz und das Bundesland Baden-Württemberg an ein Krisentreffen und an ein Weltereignis. Der Wunsch nach kirchlicher Einheit und nach Reformen bestimmte die Traktanden des ungewöhnlichen Konzils mit den Leitthemen der Causa Unionis (Überwindung des Schismas), der Causa Fidei (Kampf gegen Häresie) und der Causa Reformationis (Kampf gegen Missstände innerhalb der Kirche).3
Abb.1 Die Konzilssitzung im Münster. Der Papst trägt die Tiara. Links und rechts von ihm sitzen zwei Kardinäle und sechs Bischöfe (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 016).
Abb.2 Die Verbrennung von Johannes Hus als Ketzer. Hus wird am 6. Juli 1415 vor der Stadtmauer von Konstanz verbrannt, seine Asche streut man in den Rhein (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 058).
Die Vorgeschichte des Konzils reicht ins 14. Jahrhundert zurück: Der Aufenthalt der Päpste in Avignon, oft als «Avignonesisches Exil» bezeichnet, hing mit der Situation in Rom sowie mit Machtverschiebungen und Spannungen wie Verflechtungen innerhalb des Kardinalskollegiums zusammen. Als Gregor XI. 1377 nach Rom zurückkehrte und wenig später verstarb, brachen die latenten Konflikte innerhalb der Kirche offen aus und mündeten schliesslich in die Wahl von zwei Päpsten. Urban VI. und seine Nachfolger lebten in Rom und Bologna, Clemens VII. und sein Nachfolger Benedikt XIII. zogen sich wieder nach Avignon zurück. 1409 versuchte ein Konzil in Pisa, das Schisma zu überwinden, setzte beide Päpste ab und bestimmte mit Alexander V. ein neues Oberhaupt, das die kirchliche Einheit gewährleisten sollte; sein Nachfolger wurde 1410 Johannes XXIII. Die Bemühungen von Pisa schlugen jedoch fehl. Aus der «ruchlosen Zweiheit» wurde eine «von allen verfluchte Dreiheit», denn die abgesetzten Päpste Benedikt XIII. und Gregor XII. dachten nicht daran, den Entscheid zu akzeptieren.4 Vielmehr vertiefte die Spaltung die Unsicherheit und förderte die Glaubenskrise. Die Erschütterung der römisch-päpstlichen Autorität ging Hand in Hand mit der Suche nach neuen, bald als ketzerisch verdammten Wegen, die mit den Namen von John Wyclif und Jan Hus verknüpft sind. Das Klagen über den Zustand der Kirche mit Worten wie Weinen, Trümmer oder Sumpf festigte den Wunsch nach Reformen – die mittelalterliche Kirche war dringend auf Erneuerung und Wandel angewiesen.5 Dafür brauchte es aber einen Anstoss von aussen.