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Reichspolitik und Freiheitsbriefe

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Über drei Wochen nach dem Aufruf zum Reichskrieg gegen Friedrich und zwei Wochen vor der Unterwerfung des Habsburgers in Konstanz erhielt Glarus vom König am 22. April einen Freiheitsbrief. Es liegt auf der Hand, diese Privilegierung in Zusammenhang mit den Vorgängen in Konstanz und der Eroberung des Aargaus zu setzen. Die schweizerische Historiografie zeichnet hier meist ein zurückhaltendes Bild der eidgenössischen Orte, die sich angeblich nur unwillig und nach längerem Zögern dem Reichskrieg anschlossen. Die Zurückhaltung hing mit dem 1412 geschlossenen 50-jährigen Frieden mit Habsburg zusammen, den die Orte trotz Mahnung des Königs nicht brechen wollten. Erst nach verschiedenen Zusicherungen und Zugeständnissen rückten sie dann in den Aargau ein, so die häufige Erklärung.9 Was sich damals genau hinter den Kulissen abspielte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Es fällt aber auf, dass der Weg der eidgenössischen Orte in den Krieg alles andere als eindeutig war und sich eigenartig lange hinzog. Die Eroberung des Aargaus begann lange nach den ersten Auszügen gegen Habsburg und erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich die Kapitulation Friedrichs abzuzeichnen begann. Sie war mit anderen Worten keine kriegsentscheidende Tat, während die Folgen dann allerdings grosses Gewicht erhielten.

Treibende Kraft war auch hier König Sigismund, der möglicherweise schon im Sommer 1414, sicher aber im Frühjahr 1415 mit Bern und dann auch mit weiteren eidgenössischen Orten Gespräche um eine mögliche Waffenhilfe gegen Habsburg führte. Friedrich war noch gar nicht in Konstanz eingetroffen, als die Eidgenossen am 19. Februar über ein Gesuch des Königs um militärische Unterstützung gegen Habsburg debattierten.10 Bereits zwei Tage nach der Flucht von Papst und Herzog versprach der König Bern eine besondere Behandlung im Krieg und ein vereinheitlichendes Mannschaftsrecht; am gleichen Tag gewährte Sigismund übrigens kaum zufällig Graf Friedrich von Toggenburg neue Zoll- und Gerichtsrechte.11 Als das Reichsheer mit dem Grafen von Toggenburg am 30./31.März auszog und Teile des Thurgaus und des Vorarlbergs besetzte, blieben die eidgenössischen Orte vorläufig aussen vor. Die Meinungen waren offensichtlich noch nicht gemacht. Die Eidgenossen konnten sich weder auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, noch waren sie sich über die Gültigkeit des 50-jährigen Friedens einig.

Im diplomatischen Poker um Hilfe beziehungsweise «Neutralität» nahm aber bald die Aussicht auf Zugeständnisse des Königs überhand. Selten schien die Gelegenheit so günstig, Reichsprivilegien zu erwerben. Wollte Sigismund eidgenössische Hilfe, so musste er nicht nur ihre Bedenken bezüglich des Landfriedens zerstreuen, sondern vielmehr Zugeständnisse machen. Nachdem er noch am 5. April die Orte vergeblich um Unterstützung gebeten hatte, bestätigte er am 15. April die Freiheiten von Uri und Luzern, am 16. April verlieh er dann Zürich das (ursprünglich habsburgische) Freiamt, bevor er am 22. April Glarus, am 28. April Schwyz, Unterwalden und Zug weitere Freiheitsbriefe ausstellte. Sigismund suchte so mit grossem Aufwand die eidgenössischen Orte in seine antihabsburgische Koalition einzubinden. Trotz der katastrophalen Lage Herzog Friedrichs, der schon am 8. April Verhandlungen anbot, am 15. April dann einen Gerichtsentscheid zu akzeptieren bereit war und am 18. April den Gang zum König in Aussicht stellte, wusste vorläufig niemand, in welche Richtung sich der Konflikt entwickeln würde. Sigismund hatte zwar einen triumphalen Erfolg über seinen Rivalen errungen, es lag aber auf der Hand, dass der Gedemütigte alles daran setzen würde, das Blatt wieder zu wenden. Der König nutzte die Gunst der Stunde, um klare Verhältnisse zu schaffen, und dazu gehörte zweifellos auch seine Unterstützung der eidgenössischen Orte und die vergleichsweise späte Eroberung des Aargaus, des habsburgischen Stammlandes.

Bei der Abfolge der Ereignisse fällt auf, dass der Kriegseintritt der eidgenössischen Orte erst nach langen Verhandlungen und zu einem Zeitpunkt erfolgte, als Herzog Friedrich sein Einlenken in Aussicht stellte. War für diese «Verzögerung» tatsächlich das Festhalten am 50-jährigen Frieden ausschlaggebend? Oder profitierten die Orte nicht vielmehr von der besonderen Konstellation, um den Preis ihres militärischen Auszuges in die Höhe zu schrauben? Die auffallende Häufung an Privilegienbriefen im April 1415 weist darauf hin, dass die Orte ihrerseits die Gunst der Stunde nutzten, um ihre rechtlich-legitimatorische Stellung zu festigen.12 Dabei standen vermutlich weniger konkrete habsburgische Machtansprüche als unklare Rechtsverhältnisse im Vordergrund, bildeten doch die eidgenössischen Orte eine heterogene Einheit in der Vielfalt. Insbesondere die beiden Orte Glarus und Zug stützten sich auf eine prekäre Legitimation ab.13

Die genauen Umstände des in Konstanz ausgestellten Freiheitsbriefs vom 22. April 1415 sind unklar. Der Kriegszug in den Aargau hatte bereits begonnen, als eine Glarner Delegation die Urkunde am Bodensee abholte. Der Inhalt weist darauf hin, dass lokale Sonderinteressen in das Pergament einflossen, die dem König sicher nicht bekannt waren. Während die Befreiung von fremden Gerichten und die Verleihung der hohen Gerichtsbarkeit auch anderswo vom König grosszügig gewährt wurde, dürfte die Erwähnung des habsburgischen Lämmerzehnten ein besonderes Anliegen der politischen (auf Alpwirtschaft ausgerichteten?) Oberschicht gewesen sein. Die namentlich erwähnten Inhaber der Familie Kilchmatter waren überdies nicht einfach habsburgische Lehensleute, verwandt mit Zürcher Ratsherren.14

Im Kampf gegen Herzog Friedrich IV. von Österreich gewährte König Sigismund von Luxemburg solche Reichsprivilegien in beinahe inflationärem Ausmass.15 Mit der Erteilung hoheitlicher Rechte sollte die Eigenständigkeit ehemals habsburgischer Orte und Gebiete symbolträchtig gefördert und die habsburgische Herrschaft untergraben werden. Die Umstände mahnen jedoch zu einer zurückhaltenden Einschätzung dieser gelegentlich als Höhepunkt staatlicher Entwicklung bejubelten Privilegierung. Viele dieser neuen Reichskommunen blieben nach Ende des Konzils und nach Abreise des Königs schwach und weitgehend ihrem Schicksal überlassen und kehrten langfristig mehr oder weniger freiwillig wieder unter die habsburgische Herrschaft zurück. Anders Glarus oder auch Zug, waren doch beide Orte als eidgenössische Orte oder gar «Freistaaten» (Gottfried Heer) schon vor 1415 in besondere Bündnisse integriert.16 Die fehlende politische Legitimation der dortigen Führungsgruppe konnte 1415 dank der Reichsunmittelbarkeit endlich behoben werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich diese Aufwertung tatsächlich gegen habsburgische oder klösterliche Ansprüche oder nicht vielmehr gegen eine mindestens so bedrohliche Einflussnahme von Zürich und Schwyz richtete.

Wie man die rechtliche oder symbolische Ebene solcher Urkunden auch immer bewerten will: Das Reichsprivileg war fortan Teil einer spannungsgeladenen Geschichte, die auf die Spaltung der Kirche und den Konflikt zwischen König und Fürst zurückging und das Land Glarus in einem heiklen Umfeld «staatlich» zu legitimieren half. Der von Tschudi so wortreich charakterisierte und verdammte Herzog Friedrich war nur eine Figur in jenem Drama, das die Schweizer und die Glarner Geschichte gleichermassen prägen sollte.

1415 und die Freiheit

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