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Mainz
ОглавлениеDie älteste, damals auch wichtigste solche Stadt im Rheinland ist Mainz, heute die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz. Sie nennt 12 v. Chr. als Datum ihrer Stadtgründung. Hier, am Übergang des Oberrheins in den Mittelrhein, lebten schon vor 20 000 Jahren Menschen. Dann, einige Jahrhunderte vor der Zeitrechnung, siedelten sich Kelten an. Diese hatten einen Gott namens Mogon. Dann kamen die Römer und bauten 52 v. Chr. ein Legionslager auf. Sie nannten es „Mogontiacum“ – „Gebiet des Mogon“. Der Name hielt sich in ähnlicher Form bis ins 12. Jahrhundert als „Moguntie“ oder „Magonta“. Dann wandelte er sich zu „Meginze“, „Menze“ und „Meintz“.
Die Römer fühlten sich zu jener Zeit im Rheinland schon ganz wie zu Hause. Von 58 bis 50 v. Chr. unterwarfen sie unter ihrem Feldherrn Gaius Julius Caesar im Gallischen Krieg das ganze gallische Gebiet; dazu gehörte auch die Gegend links des Rheins. In den Jahren 55 und 53 v. Chr. hatten sie bereits Brücken über den Rhein gebaut, in der Nähe von Koblenz. Nun wollten sie um die Jahre 13 und 12 v. Chr. beim heutigen Mainz ihren dortigen Stützpunkt viel größer ausbauen. Er sollte die Mündung des Main in den Rhein kontrollieren. Das verfügte der römische Heerführer Nero Claudius Drusus, der ab dem Jahre 13 v. Chr. Statthalter in Gallien war. Die Römer suchten für das neue Lager einen idealen Platz aus: links des Rheins, an der römischen Rheintalstraße, fast gegenüber der Mündung des Main. Da hat die Natur ein Hochplateau geschaffen, das ideale Aussicht über das unbebaute Land bot. Eine Straße dort heißt heute noch „Kästrich“, was sich von „castra“ ableitet, dem „Lager“. Und es gibt, parallel zur Kästrich, eine Straße „Am Römerlager“. Das neue Lager war groß: 1000 Meter lang, 750 Meter breit. Es bestand zunächst wohl nur aus Zelten und wurde sehr schlicht mit einer Umwallung aus Holz und Erde gesichert. Roms Kaiser Vespasian (96 bis 79), ein praktischer und vorausschauender Herr, ließ stattdessen Steinhäuser und eine steinerne Umwallung bauen. Das war weit sicherer und bewährte sich. Drei Kilometer südöstlich, beim heutigen Mainzer Stadtteil Weisenau, entstand, ebenfalls auf einem Hügel, ein zweites Militärlager. Denn zuweilen brauchte man für die Kriegszüge, die von hier ausgingen, auch drei und zuweilen sogar fünf Legionen in Bereitschaft. Vor allem aber lagen dort die Auxiliar-Truppen, also die Hilfsmannschaften, wie sie zu jeder Legion gehörten. Man muss sich vorstellen, dass in den Jahren 9 bis 17 ständig vier Infanterie-Legionen mit ihren Reitern und ihren Hilfstruppen in den beiden Lagern kampierten. Das waren immerhin rund 50 000 Mann – eine halbe Großstadt. Zunächst waren dort planmäßig allerdings nur zwei Legionen untergebracht, etwa 12 000 Mann. Nach dem Jahr 89 war dann nur eine Legion ständig dort. Ab dem 4. Jahrhundert waren es noch weit weniger Soldaten, eher eine Art von Stadtmiliz. Die quartierte man besser in der inzwischen ummauerten Stadt zu Füßen des Hochplateaus ein; die Legionsbauten und auch das zweite Lager wurden abgebrochen. Oberhalb der Mainmündung wurde eine Brücke installiert, die aus aneinandergebundenen Schiffen bestand. Und südlich der Mainmündung entstand eine kleine rechtsrheinische Befestigung auf dem Gebiet des heutigen Wiesbadener Stadtteils Kastel. Dessen Name kommt von jenem römischen „Castellum“ her. Im Jahr 27 wurde zwischen Mogontiacum und Castellum eine feste Holzbrücke gebaut. Um das Jahr 70, als die Legionslager aus massiven Steinen neu gebaut wurden, bekam die Brücke zum Castellum solide Steinpfeiler. Es gab auch schon einen hölzernen Aquädukt, der Trinkwasser von Quellen in den westlichen, höher gelegenen Stadtteilen Finthen und Drais über neun Kilometer bis zum Hauptlager brachte. Der wurde nun auch durch ein steinernes Bauwerk ersetzt.
Vieles, das den Römern privat wichtig war, entstand in Mogontiacum auch – so ein großes Bühnen-Theater und ein Thermalbad. Von denen sind noch heute Reste zu sehen, ebenso wie von dem Aquädukt, über den das Legionslager sein Trinkwasser bekam. Im Römisch-Germanischen Zentralmuseum, aber auch im Landesmuseum Mainz und dem Museum für Antike Schifffahrt sieht man interessante Funde aus der Römerzeit. In der alten Kurmainzer Zitadelle kann man den Drusus-Stein sehen, einen Gedenkstein für den Feldherrn Drusus, der das Lager Mogontiacum gegründet hatte und im Jahre 9 v. Chr. beim Rückritt von einer militärischen Expedition zur Elbe starb. Er war bei seinen Soldaten außerordentlich beliebt. Fünf Jahrzehnte nach seinem Tod setzte man ihm den Gedenkstein. Gleich nach dem Bau der Legionslager wurden auch mehrere Rheinhäfen angelegt. Ein großer Teil der römischen Rheinflotte wurde hier stationiert. Es gab einen Handels- und einen Kriegshafen. So wurde Mogontiacum alsbald die nach Köln interessanteste Hafenstadt im Rheinland – sowohl für Militärtransporte als auch, was im Lauf der Jahre immer wichtiger wurde, für die zivile Schifffahrt.
Bevor die Römer kamen, war das Gebiet schon sehr lebhaft besiedelt. Kelten hausten hier. Sie gehörten zum Stamm der gallischen Treverer. Schnell entstanden ab 12 v. Chr. am Rand der Legionslager weitere zivile Siedlungen, in denen vor allem Handwerker und Gewerbetreibende wohnten. Daraus wurde die Stadt Mainz. Deshalb gilt 12 v. Chr. als ihr Gründungsjahr. Aber das tut sie noch nicht lange. Vor 50 Jahren glaubte man noch, die Römer hätten unter dem Feldherrn Marcus Vipsanius Aggripa schon 38 v. Chr. dort ein Militärlager gehabt. Zwar musste sich auch Agrippa auf dem linken Rheinufer viel herumschlagen, aber mit Mainz hatte er nichts zu tun – nur mit der Gründung von Köln. Mainz feierte dennoch 1962 sein 2000-jähriges Bestehen – 24 Jahre zu früh. Ab etwa dem Jahr 90 wurde das militärische Gebiet, dessen wichtigster Stützpunkt Mogontiacum war, zu einer großen Verwaltungsprovinz mit vielen zivilen Teilen: „Germania Superior“. Mogontiacum blieb die Hauptstadt. Auch der römische Statthalter für das ganze Gebiet hatte dort seinen Sitz. Doch so viele Legionen brauchte man dort nun nicht mehr; eine einzige genügte. Das war drei Jahrhunderte lang unverändert die „Legio XXII Primigenia“. Sie musste die Rheingrenze und dann auch den Limes überwachen. Berühmte Männer waren die Statthalter in Mogontiacum und Chef dieser Mainzer Legion XXII, so der spätere Kaiser Trajan und auch sein Nachfolger Hadrian. Für die „Germania Superior“ begann im 2. Jahrhundert eine sehr friedliche, fruchtbare Zeit und für Mogontiacum ein ungeahnter Aufschwung. Viele ausgediente Legionäre ließen sich als gute Bürger nieder und gründeten Familien, Handel und Handwerk blühten. Ausgrabungen zeigten, dass in der Stadt eine große Säulenhalle stand, ein Versammlungsraum, sowie ein weiterer, mächtiger, achteckiger Bau. Am heutigen Südbahnhof stand ein großes, rundes Theater mit einem Durchmesser von 400 Fuß und einer 40 Meter breiten Bühne. Eine Wasserleitung führte aus den Bergen im Südwesten in die Stadt. Der Aquädukt musste in 35 Metern Höhe das Zahlbacher Tal überqueren. Dort, im Stadtteil Zahlbach, kann man noch heute längs eines Spazierweges etliche Pfeilerreste dieser Anlage sehen. Und im Mainzer Altertums-Museum findet man die Trümmer einer einst neun Meter hohen Jupitersäule, die auch zahlreiche Abbildungen anderer Götter zeigt. Die Säule stammt aus dem 1. Jahrhundert; sie sollte den Kaiser Nero ehren. Und sie wurde wohl im 4. Jahrhundert mutwillig oder aus christlich-religiösem Eifer zerstört. 2000 Bruchstücke fand man vor Jahren in einer Baustelle. Was ging, wurde mühsam zusammengesetzt und aneinandergefügt.
Das uralte Mainz war eine zivile, lebhafte Bürgerstadt, die sich südlich des heutigen Stadtkerns an die fünf Kilometer breitmachte. Sie war nicht nur das militärische, sondern auch das privatwirtschaftliche Zentrum des ganzen Rheinlands. Der Handel – auch mit Privatbooten auf dem Rhein – brachte viel ein. Die Mainzer wurden reich. Das belegen zahlreiche kostbar behauene und geschmückte Grabsteine, die man fand und die oft originelle Bildmotive oder Sprüche zeigen. Man verstand es, kostbare Geschirre und Gläser herzustellen, aus Metall, Keramik und Glas. Keltische Künstler waren berühmt für ihre kostbaren bemalten Vasen. Natürlich verbrachten in der Stadt viele Legionäre ihre Freizeit. Was sollten sie mit ihrem Sold auch tun, als ihn für guten Wein und hübsche Frauen anzulegen? Dass sie nicht allzu viel dienstlich gebraucht wurden, besorgte der weit vorgeschobene rechtsrheinische Limes. Der schützte die Stadt vor germanischen Überfällen. Im 3. Jahrhundert bekam die zivile Ansiedlung – die frühe Stadt Mainz – eine erste feste Stadtmauer. Mogontiacum wurde nun Teil eines neuen Verwaltungsgebiets, das „Imperium Gallicum“ hieß, das „Gallische Sonderreich“. Ein gallisch-römischer General namens Marcus Cassianius Latinius Postumus hatte das bis zum Jahre 260 kunstvoll aufgebaut. Er wurde dort sogar zum Kaiser ausgerufen, machte aber nicht Mainz, sondern das heutige Köln zu seiner Residenz. Doch er hatte einen Rivalen, den Legaten Laelianus. Der war einer der höchsten Offiziere in Mogontiacum und wollte selbst Imperator im „Imperium Gallicum“ werden; seine Soldaten in Mogontiacum riefen ihn 269 zum Kaiser aus. Aber Postumus zog eilends nach Mogontiacum und schlug den Aufstand nieder. Nun wollten seine Truppen die Stadt plündern, wie das damals so üblich war. Aber Postumus verbot ihnen das. Da wurden sie so wütend, dass sie ihn umbrachten. Im gleichen Jahrhundert wurde Mogontiacum zur Grenzstadt, als die Römer den rechtsrheinischen Limes aufgaben und die Grenze nun direkt längs des Rheins verlief. Damit wurde Mainz vielem Unbill ausgesetzt. Um diese Zeit – gegen 300 – entstand die erste bildliche Darstellung der Stadt, die erhalten blieb. Auf einem Blei-Medaillon sieht man das von der Stadtmauer umgebene Mogontiacum, die Rheinbrücke und das rechtsrheinische Castellum. Um 350 bekam Mogontiacum eine neue, weit kürzere Stadtmauer. Die war leichter zu verteidigen. Das Legionslager und auch das Theater lagen außerhalb des neuen Verteidigungsrings. Aber auch die neue Mauer genügte nicht. Es war 368, als Alamannen die Stadt überfielen und plünderten. Die feierte an jenen Tagen allerdings ein großes christliches Fest. Vermutlich war man dadurch nicht wachsam genug. Um das Jahr 400 brauchte man alle verfügbaren römischen Truppen, um Italien gegen Einfälle der Westgoten zu verteidigen. So wurden auch viele Truppen, die im Rheinland stationiert waren, dorthin geschickt. Das bekam der Sicherheit in diesem Gebiet gar nicht. In der Silvesternacht 406 fielen germanischen Valanen, Alanen und Sueben über Mogontiacum her und plünderten die Stadt. Dazu benutzten sie ganz einfach die stabile römische Rheinbrücke. Das führte dazu, dass in jener Gegend das ganze römische Verteidigungssystem für einige Zeit zusammenbrach. Militärisch gaben die Römer Mogontiacum um das Jahr 460 auf. Aber die Stadt – wenn auch bei einem Hunneneinfall teilweise zerstört – existierte weiter. Vermutlich nahmen nun christliche Fachleute die Verwaltung in die Hand und Mogontiacum kam zum Reich der Franken. Interessant ist dabei, dass es in Mainz schon ab dem 4. Jahrhundert eine christliche Gemeinde gab und auch einen Bischof. Diese frühen Christen taten viel für die Entwicklung der Stadt, die nun, nach der Römerzeit, als Handelsplatz immer bekannter wurde. Ab dem 8. Jahrhundert wurde die christliche Gemeinde auch lokalpolitisch sehr aktiv. Das führte später dazu, dass die Mainzer Geistlichen in vielen weltlichen Angelegenheiten maßgebend mitredeten.
Der in den Sprachwissenschaften sehr gelehrte Engländer Wynfreth (673 bis 754), den man später als Bischof Bonifatius den „Apostel der Deutschen“ nannte, kam 746 nach Mainz. Als Missionar arbeitete er von hier aus sehr aktiv in mehreren germanischen Gebieten. Bei einer solchen Missionsreise erschlugen ihn 754 die Friesen. Seine geistliche Heimatstadt Mainz wurde 782 zum Erzbistum erhoben. Sie und ihr Umfeld wurden damit zur größten Kirchenprovinz nördlich der Alpen. Und die Mainzer Erzbischöfe wurden zu mächtigen weltlichen Herren, auch zu Kurfürsten und zu Reichserzkanzlern. Erzbischof Willigis war eine Zeit lang sogar Reichsverweser; er ließ 975 als Zeichen seiner Macht den imposanten Mainzer Dom bauen, einen der wichtigsten romanischen Bauten im Rheinland. Allerdings wurde der Dom erst 1236 fertig. Mainz wurde ein Zentrum der Reichspolitik. Kaiser Barbarossa lud 1184 die Elite des Reiches nach Mainz zu einem Hoftag ein, den man „das größte Fest des Mittelalters“ nannte. 1212 wurde Friedrich II., der Sohn Kaiser Heinrichs IV., im Mainzer Dom zum König gekrönt. Im Jahre 1244 räumte Erzbischof Siegfried III. von Eppstein der Stadt große Privilegien ein. Zwar blieb er selbst Oberhaupt der Stadt, aber die Mainzer Bürger bekamen einen 24-köpfigen Stadtrat, der vieles selbstständig entscheiden konnte – bis zu Steuern und Gerichtsproblemen. Und die Mainzer mussten niemandem mehr Kriegsdienst leisten. Mainz war einen „Freie Stadt“. Das war sie aber nur bis 1462. In dieser Zeit blühte Mainz auf. Handel und Gewerbe gediehen, der Mainzer Landfrieden von 1236 und der 1254 gegründete Rheinische Städtebund wirkten sich sehr positiv aus. Mainz wurde auch wirtschaftlich eine Macht. Aber ab 1328 gab es Konflikte mit dem erzbischöflichen System. Die steigerten sich bis ins 15. Jahrhundert. 1461 kam es dann zum Badisch-Pfälzischen Krieg, den man auch als „Mainzer Erzstifts-Fehde“ kennt. Denn 1459 war der Domkustos Diether von Isenburg zum neuen Erzbischof von Mainz gewählt worden – gegen den ebenfalls kandidierenden Adolf II. von Nassau. Das gefiel dem Papst Pius II. gar nicht, denn Isenburg war für die damalige Zeit viel zu modern; er opponierte gegen den Heiligen Stuhl und den Kaiser. Deshalb setzte der Papst den Herrn von Isenburg schlichtweg ab und ernannte Nassau zum Mainzer Erzbischof. Doch Isenburg dachte nicht daran, das zu akzeptieren. Und die Mainzer waren ganz auf seiner Seite. Aber Adolf von Nassau griff zur Gewalt, und es kam zu der sehr wüsten und blutigen „Erzstifts-Fehde“, die ein Jahr dauerte. Dann war Mainz überwältigt, Diether von Isenburg trat zurück, bekam aber, wie das damals schon üblich war, eine solide Abfindung.
Der neue Erzbischof Adolf von Nassau nahm 1462 den Mainzern erst mal alle bürgerlichen Privilegien weg. Die „Freie Stadt“ Mainz wurde eine schlichte kurfürstliche Residenzstadt und verlor alle politische wie wirtschaftliche Bedeutung. 1474 starb Adolf. Und wer wurde sein Nachfolger? Es war Diether von Isenburg. Der war außerhalb von Mainz, in einem eigenen kleinen Fürstentum, immer bedeutsamer geworden. Jetzt kam er zurück. 1477 gründete er die Mainzer Universität. Um 1450 hatte Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck modernisiert, mit beweglichen Lettern. Am Domplatz steht das Gutenberg-Museum, das „Weltmuseum der Druckkunst“ mit vielen historischen Drucken, auch der berühmten Gutenberg-Bibel. Gutenbergs Erfindung kam ab 1517 der Reformation zugute; deren Schriften waren in Mainz bald weit verbreitet. Der damalige Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg war durchaus kein Reformationsgegner. Aber seine Nachfolger waren erzkatholisch. Abgesehen von einigen Garnisonen gab es in Mainz bis 1802 keine evangelische Gemeinde. Die alten römischen Militäranlagen nützten der wachsenden Stadt wenig. Während des Mittelalters baute man eine der Zeit entsprechende Befestigung. Die wurde im 16. Jahrhundert durch eine neue Anlage ersetzt, die sich sehr eindrucksvoll mit etlichen strategisch sehr gut erdachten Vorwerken rings um die ganze Stadt zog. Dennoch wurde Mainz im Dreißigjährigen Krieg der anrückenden schwedischen Armee kampflos übergeben – wohl nicht aus Feigheit, sondern um Zerstörungen zu vermeiden. Das wurde auch belohnt: Mainz litt nicht viel. Und unter Johann Philipp von Schönborn, der dort seit 1645 Bischof und seit 1647 Erzbischof war, wurden die Schäden schnell repariert. Dieser Herr von Schönborn war einer der bedeutendsten Erzbischöfe, die in Mainz jemals residierten. Durch weise Voraussicht und kluge Verhandlungen trug er auch generell dazu bei, den Dreißigjährigen Krieg zu beenden. Die Barockzeit begann. In Mainz entstanden prächtige Bauten, von denen einige noch heute stehen. Doch dann brach 1789 die Französische Revolution aus. Der Mainzer Kurfürst – und Erzbischof – Friedrich Karl Joseph von Erthal war ganz dagegen. Doch die Franzosen eroberten 1792 das Rheinland und auch Mainz. Der Erzbischof setzte sich per Flucht ab. Die französische Besatzung führte im März 1793 freie Wahlen ein. Die so entstehende „Mainzer Republik“ war das erste demokratische System in Deutschland. Doch diese Republik lebte nur ein Vierteljahr: Im Juli verjagten Preußen die Franzosen aus Mainz. Vier Jahre später kamen die Franzosen wieder. Das bedeutete nun das Ende der kurfürstlich-erzbischöflichen Zeit. Der herrschende Adel verließ die Stadt, Mainz wurde von einem Tag zum anderen eine Bürgerstadt und mit dem Namen „Mayence“ die Hauptstadt des französischen Départements „du Mont Tonnerre“ (Donnersberg). Das Département umfasste etwa die heutige Pfalz und Rheinhessen. Mayence wurde von einem französischen Präfekten verwaltet.
Auf dem Wiener Kongress (1814/15) wurde verfügt, dass der Mainzer Teil des Départements künftig „Rheinhessen“ heißen und 1816 zum Großherzogtum Hessen kommen sollte. Dort entwickelte Mainz einen sehr provinziellen Charakter – allerdings nebenher auch die inzwischen berühmte Mainzer Fastnacht, die „Meenzer Fassenacht“. Die war schon im 15. Jahrhundert bekannt, als Volksfest-Trubel mit Masken, Tänzen und viel Spaß. Auch am Hof der Kurfürsten wurde verkleidet gefeiert; wer welche Rolle zu spielen hatte, wurde ausgelost. Man nannte dies das „Mainzer Königreich“. Auch nach dem Ende der kurfürstlichen Zeit gab es alljährlich viele Maskenbälle. Im 19. Jahrhundert importierte man dann aus Köln den Brauch der Karnevals-Sitzungen und den großen Umzug am Rosenmontag. 1838 wurde der Mainzer Carneval-Verein (MCV) gegründet, der noch heute das alljährliche Faschingstreiben organisiert. Mainz wurde immer größer; 1908 war es mit über 100 000 Einwohnern eine Großstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914–18) wurde es erneut von den Franzosen besetzt. Die blieben bis 1930. Und dann kam der Zweite Weltkrieg. Er hinterließ eine zu 80 Prozent zerstörte Stadt mit nur noch 76 000 Einwohnern. Und führte wiederum zu einer Besetzung durch die Franzosen. Die Besatzungspraxis nach jenem Krieg führte zu einer etwas absurden Entwicklung. Links des Rheins (im späteren Bundesland Rheinland-Pfalz) saßen die Franzosen, rechts des Rheins (im heutigen Hessen) die Amerikaner. Deshalb musste Mainz seine rechtsrheinischen Vorstädte abtreten. Die Stadtteile nördlich des Mains kamen zu Wiesbaden: Amöneburg, Kastel und Kostheim. Die Vorstädte südlich des Mains – Bischofsheim, Ginsheim und Gustavsburg – wurden selbstständig und gehören seitdem zum Landkreis Groß-Gerau.
Aber die provinzielle Rolle von Mainz fand nun ein Ende. Die Universität, 1798 geschlossen, wurde 1946 wieder installiert. Und 1949 wurde Mainz die Hauptstadt von Rheinland-Pfalz. 1976 entstand auf dem Lerchenberg das ZDF, das Zweite Deutsche Fernsehen. Und jetzt hat Mainz 196 000 Einwohner.