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Ein alter Hut?

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Seit Menschen sprechen können, lügen sie sich gegenseitig an. Wir täuschen einander, gehen anderen auf den Leim und geben vor zu sein, was wir nicht sind. Menschen haben seit eh und je Gerüchte gestreut, Intrigen gesponnen und einander in die Irre geleitet. Schon berittene Boten überbrachten Falschmeldungen. Die antiken Athener versuchten die ionischen Städte Kleinasiens zu dominieren, indem sie die Lüge verbreiteten, jene seien athenische Gründungen. Viele Fürstenhöfe unterhielten während der italienischen Renaissance spezielle Kanzleien, die Falschnachrichten erfanden und sie im Volk verbreiteten.1 Für den Philosophen Niccolò Machiavelli (1469–1527) beruhte erfolgreiche Politik sogar auf der Kunst des Betrugs und der Fälschung.2

Als Paradebeispiel für diese Art von Politik wird häufig der Nationalsozialismus angeführt, in dem politische Lügen und Propaganda an der Tagesordnung waren. Man denke nur an die Geschichte vom Überfall auf den Sender Gleiwitz, der 1939 den Zweiten Weltkrieg auslöste. Der Völkische Beobachter schrieb damals, die Polen hätten sich dazu »hinreißen lassen, die Reichsgrenze zu überschreiten, einen deutschen Sender zu überfallen, und die Kriegsfackel an ein Pulverfaß zu legen«. Dabei war den meisten Zeitgenossen völlig klar, dass es keine »polnische Meute« war, die den Überfall verübt hatte, sondern eine SS-Abteilung.3

Doch nicht nur totalitäre Regime nutzen Lügen, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Die US-Regierung unter George W. Bush behauptete 2003 ohne jeden Anhaltspunkt die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak und rechtfertigte damit einen Krieg.4 Auch die externe Einflussnahme auf Wahlen durch gezielte Desinformation ist eine altbekannte Praxis.5 Sowohl die USA als auch die Sowjetunion versuchten während des Kalten Krieges unter dem Stichwort »hybride Kriegsführung« immer wieder Wahlen in anderen Ländern zu beeinflussen.6

Sogar das für uns so selbstverständlich erscheinende Ideal der journalistischen Objektivität ist sehr viel jünger, als man meinen würde. Vor dem 19. Jahrhundert war die Berichterstattung durchweg stark meinungsgefärbt. Dies änderte sich erst, als 1835 die Zeitung New York Herald und zeitgleich die erste Presseagentur Havas gegründet wurden. Es sollte dennoch bis zur Jahrhundertwende dauern, bis sich Nachrichtenmedien allgemein zum Ziel setzten, möglichst objektiv und wahrheitsgemäß aktuelle Informationen zu vermitteln: Erst Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich allgemein so etwas wie ein journalistisches Ideal der Wahrhaftigkeit durch, an dem Nachrichtenmedien gemessen wurden.7

Natürlich berichtet kein Journalist vollkommen objektiv. Wie alle Menschen nehmen Journalisten die Welt vor dem Hintergrund ihrer eigenen Weltsicht, Erfahrungen und Einstellungen wahr. Im Normalfall stellt das kein allzu großes Problem dar und lässt sich durch gutes journalistisches Handwerk in den Griff bekommen. Lassen sich Journalisten jedoch allzu sehr von ihrer Weltsicht leiten, kommt es zu einem Phänomen, das in der Psychologie als Medienbias bezeichnet wird.8 Unter einem Bias versteht man eine systematische Neigung zu Wahrnehmungs-, Erinnerungs-, Denk- und Urteilsfehlern. Im Deutschen bezeichnet man Biases auch häufig als »kognitive Verzerrungen«. Durch einen Medienbias kommt es zu Berichterstattungen, die durch die Weltsicht der berichtenden Journalisten stark eingefärbt oder verzerrt sind.

Darüber hinaus kommt es im journalistischen Geschäft auch immer wieder zu bewussten oder irrtümlichen Falschmeldungen – sogenannten »Enten«. Im Jahr 1964 ist das der Deutschen Presseagentur (dpa) unterlaufen. Per Eilmeldung gab sie bekannt: »Der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow ist am Montag 20.19 MEZ, vier Tage vor seinem 70. Geburtstag, an den Folgen einer akuten Hephocapalytirosises plötzlich gestorben (nach Tass).«9 15 Minuten später folgte die nächste Eilmeldung, die den Bericht zurücknahm. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Nachricht bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Hier zeigt sich also schon ein Phänomen, vor das uns auch die heutigen Fake News stellen: Ist die aufregende Falschheit einmal in der Welt, haben Richtigstellungen kaum noch eine Chance.

Lug und Trug, Irreführungen, Propaganda und Desinformation, Auslassungen, Verzerrungen und Irrtümer – all das hat es seit jeher gegeben. Waren das auch schon alles Fake News? Sind Fake News in Wirklichkeit ein alter Hut? Warum reden jetzt alle darüber? Wie schafft man es, Fake News zu erkennen und von anderen Arten problematischer Berichterstattung zu unterscheiden? Oder gibt es gar nichts zu erkennen und der Ausdruck »Fake News« ist nichts weiter als ein politischer Kampfbegriff?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir einen genaueren Blick darauf werfen, was Fake News sind. Nicht alles, was in den Medien oder in den sozialen Netzwerken schiefgeht, ist ein Fall von Fake News. Und Fake News sind auch nicht einfach Falschmeldungen, Lügen oder Propaganda. Stattdessen sind Fake News Nachrichten, die ganz bestimmte Mängel aufweisen. Nachdem man sich klargemacht hat, welche Mängel das sind, ergeben sich die Antworten auf unsere Fragen von ganz allein.

Die Wahrheit schafft sich ab

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