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Der Mangel an Wahrhaftigkeit: Lügen und Bullshit
ОглавлениеSind Fake News also bloß falsche oder irreführende Nachrichten? Ganz so einfach ist es leider nicht. Wir müssen darüber hinaus die Einstellung berücksichtigen, mit der Fake News in die Welt gesetzt werden. Fake News zeichnen sich nämlich auch dadurch aus, dass ihre Verbreiter ein problematisches Verhältnis zur Wahrheit haben.
In aller Regel wollen sie ihr Publikum täuschen. Wenn Donald Trump behauptet, dass er nichts über die Zahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels durch seinen Anwalt Michael Cohen wusste, dann ist das nicht nur falsch, man muss auch davon ausgehen, dass Trump mit seiner Behauptung eine Täuschungsabsicht verfolgte.1 Trump wusste über die Zahlung Bescheid, er wusste, dass Cohen sie getätigt hatte, um ihn und die Wahlkampagne vor negativen Schlagzeilen zu schützen, und er wusste, dass die Trump Organization Cohen die Zahlung zurückerstattet hatte. Häufig sind Fake News also schlichtweg Lügen.
Doch nicht immer. Manchmal ist den Verbreitern von Fake News die Wahrheit ihrer Aussagen auch einfach gleichgültig. Mit ihren Behauptungen verfolgen sie weder das Ziel zu informieren, noch das Ziel zu täuschen. Der Philosoph Harry Frankfurt spricht in solchen Fällen von »Bullshit«.2 Absichtliche Täuschungen, so Frankfurt, erfordern eine Orientierung an der Wahrheit; schließlich will man ja bewusst etwas behaupten, das von der Wahrheit abweicht. Bullshit hingegen erfordere nichts dergleichen. Der Bullshitter interessiert sich nämlich gar nicht dafür, ob er die Realität korrekt wiedergibt oder nicht. Er stellt Behauptungen auf, um seine Ziele zu erreichen, und zwar unabhängig davon, ob diese Behauptungen wahr oder falsch sind.
Menschen bullshitten aus den unterschiedlichsten Gründen: um andere zu beeindrucken, um ihre Zuhörer zu unterhalten, um eine Gesprächspause zu vermeiden. Und auch auf der politischen Bühne ist Bullshit ein gängiges Phänomen – insbesondere in der Ära Trump. In Frankfurts Augen ist Donald Trump ein Paradebeispiel für einen Bullshitter. Trumps Behauptung, er habe das beste Gedächtnis der Welt, bezeichnet Frankfurt sogar als geradezu »possenhaft unverstellten Bullshit«.3
Warum bullshittet Trump? Darüber kann man nur mutmaßen. Will er seine Anhängerschaft unterhalten und ihm wohlgesonnen stimmen? Will er sich als starker Mann präsentieren? Will er schauen, wie weit er mit seinen haltlosen Aussagen gehen kann? Will er durch Provokationen den Diskurs in eine für ihn günstige Richtung verschieben? Oder vielleicht alles zusammen? In Kapitel 4 werden wir versuchen, diese Fragen zu beantworten.
In anderen Fällen ist hingegen schon auf den ersten Blick klar, warum gebullshittet wird. Manchmal ist es nämlich lediglich die Aussicht darauf, Geld zu verdienen, die Menschen dazu antreibt, Bullshit in die Welt zu setzen. Auch im Bereich von Fake News ist das gar nicht so selten der Fall. Die Rechnung ist einfach: Reißerische und emotional aufgeladene Meldungen bringen mehr Aufmerksamkeit. Mehr Aufmerksamkeit bringt mehr Klicks. Mehr Klicks bringen mehr Werbeeinnahmen. Also bringen viele reißerische und emotional aufgeladene Meldungen viele Einnahmen. Ob die Meldungen dabei wahr oder falsch sind, ist in dieser Kalkulation keine relevante Größe.
Erinnern wir uns an das kleine Dorf Veles in Mazedonien. Dort und in anderen osteuropäischen Ländern bildete sich während des US-Wahlkampfs 2016 eine regelrechte Fake-News-Industrie, bei der viele Fake-News-Produzenten Zehntausende Dollar umsetzten. Die Erzeugnisse dieser Industrie sind in aller Regel Bullshit.
Nachdem ihr Geschäftsmodell durch die Presse gegangen war, gaben einige der Mazedonier freimütig Interviews.4 Ein besonders erfolgreicher Fake-News-Produzent namens Dimitri legte den Reportern Monatsabrechnungen über Werbeeinnahmen von 8000 Euro vor. Das Geld kam von Google und anderen Seiten, auf denen sich Klicks direkt in Werbeeinnahmen umsetzen lassen. Dass echte Nachrichtenseiten mit ihren Berichten weniger Klicks erzielen, wunderte Dimitri nicht: »Die dürfen eben nicht lügen«.
Aus diesen Interviews wissen wir auch, dass das primäre Ziel der Mazedonier nicht darin bestand, Menschen zu täuschen. Ganz im Gegenteil: Die Wahrheit oder Falschheit ihrer Meldungen war ihnen vollkommen egal. Ihnen ging es einzig und allein darum, einen größtmöglichen Gewinn einzufahren.