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2. Pragmatismus statt Eschatologie?
ОглавлениеDie eschatologische Weltsicht vieler reformierter Theologen trug sicherlich dazu bei, die politisch-konfessionellen Konflikte des frühen 17. Jahrhunderts zu verschärfen, zumal es eben, wenn auch mit anderer Akzentuierung, auch auf katholischer Seite Tendenzen gab, die Gegenwart als Zeit einer Krise zu deuten, in der durch das unmittelbare Eingreifen der göttlichen Vorsehung ein entscheidender Sieg über die Gegner der Kirche denkbar war.51 Diese Sicht der Dinge beeinflusste jedenfalls unter Clemens VIII. das Handeln der Kurie.
Aber die politisch relevante Deutung der Gegenwart wurde eben keineswegs nur durch solche heilsgeschichtlichen Interpretationen bestimmt, sondern auch durch sehr viel pragmatischere Zeitanalysen. Ein Beispiel dafür bietet ein englischer Autor, Edwin Sandys (1561–1629). Sandys war der Sohn eines Erzbischofs von York und vertrat ab 1589 mehrmals unterschiedliche Wahlkreise im Unterhaus. Im Jahr 1599, ein Jahr nach dem Ende der französischen Religionskriege und wenige Jahre, bevor der Krieg zwischen England und Spanien beendet wurde, schloss er ein Manuskript ab, dem er den Titel Europae Speculum, or A View or Survey of the State of Religion in the Western Parts of the World. Wherein the Romane Religion, and the Pregnant Policies of the Church of Rome to support the same, are notably displayed with some other memorable discoveries and memorations gab. Die Abhandlung erschien erst einige Jahre später, 1605, im Druck und zwar unter dem Titel A Relation of the State of Religion […] in the Severall States of these Westerne Partes of the World.52 Sandys’ Abhandlung beruhte in wesentlichen Teilen auf den Reisen, die der Autor in den 1590er Jahren auf dem Kontinent unternommen und bei denen er vor allem Frankreich und Italien kennengelernt hatte.
Sandys war während eines Aufenthaltes in Italien auch Paolo Sarpi begegnet, jenem venezianischen Kleriker, der seinen großen Gegner im Papsttum sah und während des venezianischen Interdiktes von 1606/07 (siehe unten, S. 132) die Position der Serenissima gegen Rom verteidigte. Sandys‘ konfessionelle Selbstverortung war sowohl von Sarpi beeinflusst als auch von seinem Lehrer in Oxford, dem Theologen Richard Hooker, der in seinen Werken die Kontinuität zwischen der Church of England und der mittelalterlichen Kirche betont hatte und die römische Kirche sehr viel milder beurteilte als die militanten Calvinisten, die bislang die Haltung der englischen Kirche überwiegend bestimmt hatten.53
Sandys zeigte in seiner Schrift ein erstaunliches Verständnis für die unterschiedlichen Formen des Katholizismus; der eigentliche Gegner für ihn war das Papsttum mit seinem weltlichen Machtanspruch, nicht der Katholizismus an sich, namentlich in seiner gallikanischen, französischen Form.54 Sandys’ distanzierter, zum Teil auch von Verständnis und Sympathie geprägter Blick auf die verschiedenen Konfessionen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in Europa macht deutlich, dass für ihn der konfessionelle Pluralismus ein Phänomen von dauerhafter Wirkung geworden war. Ein vollständiger Sieg des Protestantismus über seine Gegner war nicht mehr zu erwarten, aber unter normalen Umständen auch kein Sieg Roms über das Gegenlager. Was hingegen denkbar blieb, war eine Kooperation der moderaten Kräfte aus allen Lagern und eben dafür traten Sandys und diejenigen, die ihm in England nachfolgten, ein und ihre Anzahl sollte im frühen 17. Jahrhundert wachsen.
Sicherlich kann man die Haltung von Sandys nicht verallgemeinern, denn die Verfestigung der konfessionellen Fronten und der Umstand, dass man sich bis auf Weiteres auf die Konkurrenz rivalisierender religiöser Weltdeutungen einzustellen hatte, veranlasste andere Zeitgenossen eher dazu, mehr Sicherheit in der möglichst vorbehaltlosen Identifikation mit einer ganz spezifischen Konfession zu suchen. Diese vorbehaltlose Identifikation wurde von weltlichen und geistlichen Obrigkeiten auch nachdrücklich eingefordert und mit zum Teil brutalen Mitteln erzwungen; schon deshalb, weil Risse in der Front des eigenen Lagers gefährlich waren und zu politischen, wenn nicht sogar zu militärischen Niederlagen im Kampf mit dem Gegner führen konnten.
Dennoch gab es auch Gegenströmungen, die ab den späten 1590er Jahren an Gewicht gewannen, ohne dass man deshalb dem Gedanken verfallen müsste, dass jede Form konfessioneller Identifikation immer schon ambivalent oder dass die Haltung der meisten Gläubigen durch weitgehende Indifferenz gekennzeichnet war.55 Auch ein Mann wie Sandys war ja nicht konfessionell indifferent, sondern plädierte für einen moderaten, weniger militanten Protestantismus, der aber durchaus sein eigenes konfessionelles Profil besaß oder mit der Zeit entwickelte, wie gerade in England in den folgenden Jahrzehnten deutlich werden sollte.
Ähnliches galt für den ebenfalls in England wirkenden Juristen Alberico Gentili, der zwar den intellektuellen Hegemonieanspruch der Theologen zurückwies, aber selbst spezifisch protestantische Positionen vertrat. Seine Ablehnung der Idee des Religionskrieges (siehe unten, S. 84) darf daher nicht per se als Zeichen für eine durchgehende Säkularisierung des politischen Denkens gesehen werden, sondern besaß selbst religiöse Wurzeln. Auch sonst wäre es falsch, etwa die Beendigung der Religionskriege in Frankreich 1598, wie es die ältere Forschung zum Teil getan hat, als Sieg des säkularen souveränen Staates über die streitenden konfessionellen Parteien zu interpretieren.56 Politik und Kultur blieben auch nach Ende der – wenn man so will – „heißesten“ Phase der Religionskriege in Europa zwischen ca. 1560 und 1600 zutiefst von konfessionellen Gegensätzen geprägt.57
Bei aller Betonung der scharfen konfessionellen Konfrontation im späten 16. Jahrhundert sollte man aber nicht übersehen, dass die streitenden Parteien miteinander verbunden blieben; das Gespräch riss nie ganz ab, denn es gab durchaus politische und intellektuelle Sprachen, die der Verständigung über die Konfessionsgrenzen hinaus dienen konnten. Wichtig waren hier nicht zuletzt die gemeinsame späthumanistische Kultur und Bildung, die nicht nur die akademische Welt prägten, sondern die Mentalität und den Habitus der Eliten insgesamt, auch die des Adels, soweit er denn ein Minimum an Bildung besaß oder in dieser Zeit erwarb, was zunehmend der Fall war.58