Читать книгу Vor dem großen Krieg - Ronald G. Asch - Страница 8

Einleitung I

Оглавление

Religiös motivierte oder legitimierte Gewalt ist heute durchaus ein Thema von aktueller Bedeutung. Terroranschläge, bei denen solche Aspekte eine Rolle spielen, häufen sich auch in der westlichen Welt seit dem Herbst 2001 – auch wenn diese Form von Gewalt vielleicht nie wirklich ganz verschwunden war, vor allem, wenn man bedenkt, dass noch in den frühen 1990er Jahren in den Auseinandersetzungen respektive Bürgerkriegen in Nordirland und Jugoslawien religiöse Bekenntnisse zumindest als ethnische Unterscheidungsmerkmale eine erhebliche Relevanz besaßen. Im Übrigen auch dort, wo es heute nicht zu offener Gewaltanwendung kommt, spielen doch in den Einwanderergesellschaften des Westens religiöse Spannungen eine deutlich größere Rolle als zum Beispiel in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sicher mag es sich zum Teil um Kulturkonflikte handeln, die sich nur in religiöser Form artikulieren. Dennoch wird gerade dem Islam in diesem Kontext oft vorgeworfen – auch von liberalen Muslimen selbst –, er habe jene Trennung von Politik und Religion nicht oder noch nicht vollzogen, die dem Westen vor allem im Zuge der Aufklärung gelungen sei – nur sie könne aber ein friedliches Zusammenleben verbürgen.1 Diese Kritik mag in Teilen durchaus berechtigt sein, sie übersieht aber oft, dass der Westen den Weg zu einer Reduktion des Gewaltpotenzials religiöser Konflikte, so mühsam dieser Weg auch war, schon vor dem Sieg der Aufklärung beschritten hatte. Neue, weniger gewaltaffine Formen der Spiritualität und der Frömmigkeit sowie eine andere theologische Beurteilung möglicher „Heiliger Kriege“ leisteten zu dieser Eindämmung von Gewalt ebenso ihren Beitrag wie ein Rationalismus, der sich von der intellektuellen Hegemonie der Theologie in der Tat konsequent zu befreien suchte.2 Es ist diese Gemengelage von Argumenten und Frontstellungen, die die Epoche, um die es in dieser Darstellung geht, so faszinierend erscheinen lässt. Europa begann in dieser Zeit zu lernen, mit konfessioneller Vielfalt zu leben, auch wenn dieser Lernprozess erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und in manchen Ländern und Regionen Europas sogar erst deutlich später zum Abschluss kam.

Eine solche Deutung widerspricht allerdings einer verbreiteten und in Deutschland wohl immer noch dominierenden Lehrmeinung, die für die Jahrzehnte vor 1618 eher die kontinuierliche Eskalation der konfessionellen Gewaltbereitschaft betont. So stellte Heinz Schilling in einem wichtigen, vor gut 25 Jahren publizierten Aufsatz zu den Glaubenskriegen der Frühen Neuzeit fest, durch die Konfessionalisierung hätten die „Gegensätze und Allianzen innerhalb des europäischen Mächtesystems eine spezifische ideologische Deutung“ erhalten, „die auf der Wende des 16. Jahrhunderts auch die letzten Schranken zur unbedingten Gewaltbereitschaft zwischen den europäischen Machtblöcken fallen ließ“.3 Dies ist eine These, die auch Schillings magistrale Darstellung der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa zwischen 1560 und 1660 maßgeblich prägt und bestimmt.4 Schilling geht dabei davon aus, dass aufgrund der konfessionellen Spannungen sich eine Unfähigkeit zur Konfliktlösung herausgebildet habe. Ausschlaggebend sei hier auch gewesen, dass beide Seiten, ganz besonders aber die Protestanten, die Gegensätze zwischen den streitenden Parteien mehr denn je in einer apokalyptischen Perspektive sahen. Schillings Darstellung hat einen stark teleologischen Grundzug; sie ist ausgerichtet auf den Endpunkt 1618/19, den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der als unvermeidliches Resultat der Eskalation der vorherigen Jahrzehnte erscheint. Namentlich im deutschen Sprachraum ist das eine Perspektive, die auch heute noch sehr einflussreich ist,5 auch wenn jüngere wissenschaftliche Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg die Zwangsläufigkeit einer Entwicklung, die schon lange vor 1618 den Keim der Katastrophe in sich trug, tendenziell eher infrage gestellt haben.6 Einflussreich bleibt die These von der alles zerstörenden Wirkung des Konfessionskonfliktes, die vermeintlich erst durch die beginnende Säkularisierung von Kultur und Politik eingedämmt wurde, dennoch.7 In einer eher populärwissenschaftlichen aktuellen Darstellung des Dreißigjährigen Krieges kann man etwa lesen, die Entwicklung Europas seit der Mitte des 17. Jahrhunderts könne auf der Grundlage des „Säkularisierungstheorems“ beschrieben werden: „Religiöse Bindungen spielten für die öffentliche Positionierung der Menschen eine immer geringere Rolle, und der religiöse Glaube wurde schrittweise zu einer privaten und persönlichen Angelegenheit. Religionskriege wurden bald als überwunden angesehen und als maßgebliche Zäsur galt dabei neben der Aufklärung vor allem der Westfälische Frieden.“8

Dies ist in der Tat eine Deutung, die als dominierende Meistererzählung immer noch das Bild des Dreißigjährigen Krieges und seiner Vorgeschichte wesentlich prägt, allerdings ist sie nicht unproblematisch. Zu Recht wurde darauf aufmerksam gemacht, dass nach 1618 kaum ein Akteur die vollständige Vernichtung seiner Gegner anstrebte. Weder setzte Spanien nach der Aufnahme des Krieges gegen die Niederlande darauf, die Republik vollständig zu unterwerfen, wie man das in den 1580er oder 1590er Jahren noch versucht hatte,9 noch war der Kaiser bestrebt im Reich den Protestantismus vollständig zu vernichten, statt ihn lediglich zu schwächen und zurückzudrängen. Sehr wohl ging es aber darum, innerhalb eines gegebenen Rechts- und Machtsystems die Balance zu verschieben und die eigene Position zu stärken und dies unter Umständen mit durchaus dramatischen Auswirkungen. Umgekehrt gilt aber auch, dass der schließlich für Mitteleuropa – nicht für ganz Europa – 1648 erreichte Frieden keineswegs eine durchgehende Säkularisierung des Politischen zur Voraussetzung hatte. Im Gegenteil, das Prinzip der konfessionellen Homogenisierung von Territorien setzte sich in vielen Herrschaftsgebieten erst nach 1648 wirklich durch, man denke an die habsburgischen Erblande unter Einschluss Böhmens und Mährens oder an manche geistliche Fürstentümer wie zum Beispiel das Niederstift Münster.10 In den europäischen Konflikten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts blieb im Übrigen in zahlreichen Fällen die Konfession ein wichtiger verschärfender Faktor. Ein Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen zwischen dem Frankreich Ludwigs XIV. und den Niederlanden ab den 1670er Jahren oder die französisch-englischen Kriege zwischen 1689 und 1713.11 Es wäre umgekehrt auch ein Fehler, anzunehmen, es sei allein oder primär der Bedeutungsverlust des Religiösen, der das Konfliktpotenzial des Konfessionellen in machtpolitischen Auseinandersetzungen auf der europäischen Ebene schrittweise verringert habe. Weder der Katholizismus noch der Protestantismus machten die Legitimität einer bestehenden staatlichen Ordnung grundsätzlich von der Rechtgläubigkeit der jeweiligen Obrigkeit abhängig. Namentlich im Protestantismus, jedenfalls in dessen lutherischer Ausprägung, war von Anfang an eine gewisse Tendenz erkennbar, eine Autonomie weltlicher Herrschaftsordnungen anzuerkennen, oder, wie der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann es ausgedrückt hat: „Eine Deutungsperspektive, die den Anteil der konfessionellen Religion lediglich auf der Seite der kriegsfördernden Momente verbucht, den Frieden hingegen als Emanzipation der politischen Vernunft gegen die Logik des Konfessionellen wertet, simplifiziert die Sachlage, und unterschätzt die insbesondere im Luthertum im Horizont der Fundamentaldistinktion von Gesetz und Evangelium ausgebildete Fähigkeit, zwischen Politik und Religion zu unterscheiden.“12

Gerade im Licht dieser These von Thomas Kaufmann lohnt es sich, die Versuche, zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einer dauerhaften Friedensordnung zu gelangen, näher zu betrachten. Wer nur auf 1648 blickt, ist versucht, die Eindämmung religiöser Spannungen eben doch in eins zu setzen mit einer nach 1650 einsetzenden Säkularisierung der Politik, soviel auch in anderer Hinsicht dagegensprechen mag. Für die Epoche um 1600 gilt das so noch nicht, hier ging es eher um eine Selbstbeschränkung konfessioneller Militanz, die innerhalb eines Wertesystems Plausibilität erlangen musste, das selbst noch weitgehend konfessionell geprägt blieb. Sicherlich galt schon aus Gründen der Staatsräson konfessionelle Homogenität, auch wenn sie auf Zwang beruhte, den meisten Herrschern um 1600 noch als ein zentrales politisches Ziel, auf das man ohne Not nicht verzichten wollte. Zugleich aber hatte sich doch ein intellektuelles Klima entwickelt, das ein Leben mit konfessioneller Pluralität innerhalb des weiten Rahmens der Christenheit erleichterte. Es mehrten sich die Stimmen derjenigen, die bereit waren, die Konfessionsspaltung als politisches Faktum anzuerkennen und sich damit zu arrangieren.13

Man könnte dem entgegensetzen, dass dennoch die Versuche, zu Beginn des 17. Jahrhunderts Fundamente für einen dauerhaften Frieden zu legen, am Ende alle scheiterten. Das ist aber so nicht richtig, jedenfalls nicht für Westeuropa. Der durch das Edikt von Nantes 1598 für Frankreich geschaffene Religionsfriede etwa erwies sich trotz des zeitweiligen Wiederaufflammens der Auseinandersetzungen zwischen den Hugenotten und der Krone in den 1620er Jahren als leidlich dauerhaft. Erst unter ganz anderen Vorzeichen wurde das Edikt dann 1685 von Ludwig XIV. vollständig aufgehoben. Im Chaos versank Frankreich jedenfalls nach 1600 nicht erneut. Und als 1621 der Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien wieder ausbrach, ging es, wie schon angedeutet, beiden Seiten vor allem um machtpolitische und handelspolitische Vorteile – auch um grundsätzliche Rechtsansprüche in Europa und Übersee –, aber nicht mehr um einen Vernichtungskrieg. Die Auseinandersetzung hatte deutlich an ideologischer Schärfe verloren, was sich auch in der Praxis der Kriegführung bemerkbar machte, die sehr viel eher bereit war, eine Schonung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten.14

Auch der englisch-spanische Frieden von 1604 beendete relativ erfolgreich eine lange militärische Auseinandersetzung, die Mitte der 1580er Jahre begonnen hatte. Zwar brachen die Feindseligkeiten 20 Jahre später, 1625, noch einmal aus, aber die englischen Angriffe auf spanische Häfen zeigten nur eine geringe Wirkung und ab 1627 wurde der Krieg nur noch sehr verhalten fortgeführt, auch wenn es erst 1630 zu einem offiziellen Friedensschluss kam. Insgesamt war dieser Krieg doch eine bloße Episode in einer Friedensperiode, die, was Spanien und England betraf, mit der kurzen Unterbrechung der späten 1620er Jahre immerhin 50 Jahre dauerte, von 1604 bis 1654, als Cromwell Spanien den Krieg erklärte. Für das Reich, für Mitteleuropa stellen sich die Dinge natürlich anders dar, aber auch hier waren die Versuche vor 1618, zu einer „Komposition“ der Spannungen zwischen den verfeindeten Lagern zu gelangen, nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt (siehe unten, S. 285–293).

Vor dem großen Krieg

Подняться наверх