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5. Auf dem Weg zu einem neuen Recht des Friedens und des Krieges

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Geboten erschien diese Suche vor dem Hintergrund eines Pluralismus der Wahrheiten, der alle herkömmlichen Einsichten infrage zu stellen drohte, die für beide Seiten, Katholiken wie Protestanten, Geltung beanspruchen konnten, namentlich in den Rechtsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Staaten und Herrschern. Im Laufe des 16. Jahrhunderts waren es vor allem spanische Gelehrte wie Francisco de Vitoria (1483–1546) und seine Nachfolger in Salamanca und Coimbra gewesen, die sich bemüht hatten, das thomistische Rechtsdenken des Mittelalters angesichts der Herausforderungen der Gegenwart zu erneuern.103 Den Anstoß zu dieser intensiven Reflexion über die Grundlagen eines allen Völkern gemeinsamen Rechtes, aus dem dann das Völkerrecht im modernen Sinne werden sollte, hatte besonders die spanische Eroberung der Neuen Welt gegeben, die die Frage aufwarf, ob es denn wirklich gerechtfertigt sei, den Indios ihr Eigentum wegzunehmen und sie zu unterwerfen. Die spanischen Juristen und Theologen des 16. Jahrhunderts, namentlich soweit sie in der Tradition des Thomismus standen, hatten das überwiegend eher skeptisch gesehen und versuchten der spanischen Herrschaft in Süd- und Mittelamerika Grenzen zu setzen, um die unterworfenen Indios vor den schlimmsten Missbräuchen zu schützen.104 Ihr Einfluss auf die wirkliche Herrschaftspraxis in Südamerika blieb begrenzt, aber sie hatten durch ihre Schriften doch die Fundamente für ein kritisches Nachdenken über zentrale Fragen des Völkerrechtes, ja sogar über universale Menschenrechte gelegt. Dabei hatte sich die Ansicht durchgesetzt, wie sie etwa der Jesuit Luis de Molina (1535–1600) oder sein Ordensbruder Francisco Suarez (1548–1617) gegen Ende des Jahrhunderts vertraten, dass religiöse Differenzen allein niemals ein Grund für einen gerechten Krieg gegen einen fremden Staat seien.105 Weder Häresie noch Idolatrie rechtfertigten einen solchen Krieg, ja selbst gegen die Osmanen solle man nicht deshalb kämpfen, weil sie keine Christen seien, sondern, weil sie christliche Staaten bedrohten und christliche Länder in der Vergangenheit besetzt hätten.106 Solche Prinzipien mochten auch aus protestantischer Sicht grundsätzlich akzeptabel sein, aber das Rechtsdenken der spanischen Neuscholastik blieb dennoch tief im mittelalterlichen Thomismus verankert und berief sich in einer spezifisch katholischen Perspektive auf die Bibel ebenso wie auf die Kirchenväter. Ja, ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts kann man in der spanischen Neuscholastik, die zuvor durchaus auch unter dem Einfluss des Humanismus gestanden hatte, eine Tendenz zur „Retheologisierung“ beobachten, wie etwa Christoph Strohm hervorgehoben hat. Gerade der bedeutendste spanische Rechtsdenker dieser Epoche, der Jesuit Francisco Suárez (1548–1617), suchte in seinem Werk den Nachweis zu führen, dass letzten Endes die Theologen und nicht die Juristen auch in Rechtsfragen die eigentliche Deutungshoheit besäßen, denn es seien die Gebote Gottes, auf denen jedes Recht beruhe, nicht die bloße Ordnung der Natur.107

Hinzu trat die Tendenz, juristische Argumente einzusetzen, um den Rivalen Spaniens im Kampf um die Herrschaft in Europa, aber auch außerhalb Europas ihre Argumente aus der Hand zu schlagen. Dieser machtpolitische Kontext und die kaum übersehbare konfessionelle Tendenz der spanischen Neuscholastik riefen auf protestantischer Seite eine deutliche Abwehrhaltung hervor, die ihren wohl stärksten Ausdruck im späten 16. Jahrhundert im Werk des emigrierten italienischen Protestanten Alberico Gentili (1552–1608) fand, der unter Elisabeth I. an der Universität Oxford wirkte. Seine beiden Hauptwerke waren De Legationibus libri tres (1582) und De Jure Belli Commentationes Tres (1589).

Gentili sollte seinerseits Hugo Grotius den Weg bereiten, auch wenn dessen Werk sich sowohl methodisch als auch in seiner Zielsetzung erheblich von dem seines Vorgängers unterschied. Allerdings verstärkte sich bei Grotius die Tendenz zu einer Säkularisierung des Rechtsdenkens, dessen christliche Grundlagen im Kontext eines theologischen und moralischen Minimalismus auf wenige Restbestände der christlichen Tradition eingedampft wurden, die kaum von einer natürlichen Religion, die allen Menschen gemeinsam war, zu unterscheiden waren.108

Für diese Säkularisierung des juristischen Denkens hatte ohne Zweifel Gentili wichtige Fundamente gelegt, obwohl er durchaus auch als dezidierter Protestant argumentierte. Gentili war ähnlich wie Lipsius und zahlreiche andere Denker seiner Zeit durch die skeptische Grundstimmung der Epoche geprägt. Die Prinzipien der Staatsräson und eine Interpretation jedweder Machtpolitik im Licht des Tacitismus waren für ihn in vieler Hinsicht wichtiger als die republikanischen Tugenden, die ein älterer Humanismus in den Mittelpunkt seiner Sicht auf die Geschichte gestellt hatte, auch wenn Gentili mit jenen Werken Machiavellis, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Überlebensfähigkeit einer Republik freier Bürger stand, durchaus vertraut war.109

Noch deutlich stärker als die spanischen Neuscholastiker betonte Gentili, dass Glaubensfragen niemals ein legitimer Kriegsgrund seien; im Gegensatz sowohl zu den spanisch-portugiesischen Theologen des späten 16. Jahrhunderts wie auch zu Lipsius, der eine andere Position als Gentili einnahm, trat er dezidiert für religiöse Gewissensfreiheit ein. Wenn andere argumentierten, dass dies den inneren Frieden eines Gemeinwesens gefährde, hielt Gentili dem entgegen, dass es eben gerade dort zu religiösen Bürgerkriegen komme, wo man keine Toleranz gewähre: „Ego prelia et bella audio illic, ubi religioni alicui non datur locus. Illic non audio, ubi diversis est locus religionibus“ [„ich höre dort von Schlachten und Kriegen, wo einer bestimmten Religion keine Freiheit gelassen wird. Dort höre ich nicht davon, wo verschiedene Religionen nebeneinander Platz haben“].110 Als Beispiel für ein gelungenes Zusammenleben unterschiedlicher Konfessionen führte Gentili im Übrigen die habsburgischen Erblande sowie Böhmen und Mähren, aber auch manche deutsche Territorien und Städte an; aber selbst der Papst dulde in Ancona auch griechisch-orthodoxe Christen und Muslime aus wirtschaftlichen Gründen.111 Es sei daher schwer nachzuvollziehen, warum Toleranz nicht auch an anderen Orten möglich sei.

Man könnte von daher in Gentili einen Advokaten des Friedens und der Aussöhnung zwischen den Konfessionen und Religionen sehen, den Anwalt einer genuin transkonfessionellen Friedensordnung. Gar so einfach lagen die Dinge jedoch nicht. So hielt Gentili die englische Intervention zur Unterstützung des niederländischen Aufstandes für mehr als gerechtfertigt. Das an sich mag noch nicht überraschen. Interessant war aber die Begründung. Für Gentili ergab sich das Recht einer Intervention schon daraus, dass England den Niederlanden benachbart war. Ein Sieg der Spanier über die Aufständischen würde die innere Verfassung der Niederlande komplett verändern und schon deshalb eine Bedrohung für England darstellen. Man dürfe mit den eigenen Untertanen nicht so verfahren, dass die Nachbarn ein ähnliches Schicksal zu befürchten hätten („ergo neque licet cum suis facere, quod metuendum aliis est“ – „es ist nicht erlaubt, mit den eigenen Untertanen das anzustellen, was für andere zu fürchten ist“).112 Die englische Intervention trug also den Charakter eines Präventivkrieges, den Gentili, hier sichtlich vom Staatsräsondenken der Epoche beeinflusst, generell für gerechtfertigt hielt. Man könne keinem Akteur auf der Bühne der Mächtepolitik vorschreiben, wen er zu fürchten habe und wen nicht, und Furcht sei allemal ein legitimer Grund für einen präventiv geführten Krieg.113 Diese recht radikale Position Gentilis, die deutlich von der der spanischen Neuscholastik abwich, die Kriege eigentlich nur durch Notwehr als legitimiert ansah, sollte Grotius später revidieren.114 Sie war aber für Gentili von zentraler Bedeutung, da er im Kampf gegen grundsätzlich nicht friedensfähige Mächte, und dazu rechnete er die spanische Monarchie genauso wie das Osmanische Reich, jede Form von Offensivkrieg für gerechtfertigt hielt. Zwar lehnte er die Idee ab, dass in den Beziehungen zu vermeintlich „barbarischen“ Völker von Natur aus ein ständiger Kriegszustand herrsche, aber dennoch gelte „Cum Saracenis [gemeint waren die Türken] … bellum nobis irreconciliabile“ [„Zwischen den Sarazenen – also den Türken – und uns besteht ein unversöhnlicher Krieg“].115 Mit anderen Mächten könne es wirkliche Friedensverträge geben, nicht aber mit den Türken, denn entsprechende Verträge würden niemals eine gegenseitige amicitia, wahrhaft freundschaftliche Beziehungen, herstellen, sondern seien eben nur Waffenstillstände, die zu einem Ende der offenen Feindseligkeiten führten. Wenn die Theologen das anders beurteilten, so würden sie Urteile fällen, die jenseits ihrer Kompetenz lägen: „Silete theologi in munere alieno“ („Schweigt Theologen in fremden Angelegenheiten“).116 Dieser Satz Gentilis, der Berühmtheit erlangen sollte, bezog sich gleichermaßen auf den Anspruch der spanischen Thomisten, verbindliche Regeln des Völkerrechtes zu entwickeln, wie auch – bei anderen Gelegenheiten – auf die Neigung puritanischer Geistlicher in England, sich in politische und moralische Fragen einzumischen. Gentili war selbst in Oxford mit solchen Geistlichen bereits aneinandergeraten, die die Aufführung von Theaterstücken an der Universität verbieten wollten.117

Zurecht ist darauf hingewiesen worden, dass Gentili in seiner eigenen Disziplin, der Jurisprudenz, die hegemoniale Wissenschaft sah, die für begründete Urteile in politischen, aber eben auch in moralischen Fragen die Fundamente zu legen vermochte. Aus seiner Sicht war es Aufgabe der Juristen, nicht der Theologen, die zweite Tafel des Dekalogs – die sich auf die Beziehungen unter den Menschen und nicht zwischen dem Menschen und Gott bezog – auszulegen. Auf der Grundlage eines solchen Ansatzes kam er auch zu einem Kriegsbegriff, der im Kern nicht-diskriminierend war, wie Juristen des 20. Jahrhunderts wie namentlich Carl Schmitt später nachdrücklich betonten.118 Das heißt, ein Krieg konnte von beiden Seiten, wenn es sich denn um souveräne Inhaber von Herrschaftsrechten handelte, in der subjektiv nicht widerlegbaren Überzeugung geführt werden, gerecht zu sein, was eine Bestrafung des Unterlegenen aus moralischen Gründen zumindest zweifelhaft erscheinen ließ, zumal für Gentili die bloße Furcht vor einem Angriff der Gegenseite schon einen auch objektiv legitimen Kriegsgrund darstellte.

Mit solchen Aussagen wandte sich Gentili gegen theologische Argumentationsmuster, die der Tradition der mittelalterlichen Lehre vom gerechten Krieg entstammten. Dennoch wäre es falsch, in ihm primär oder ausschließlich einen humanistisch gebildeten Juristen zu sehen, der in der Tradition der Renaissance und eines Machiavelli die Theologie von ihrem Thron stürzen wollte, wie dies zum Teil geschehen ist. Der Antiklerikalismus, den er vertrat, war vielmehr Teil einer spezifischen Traditionslinie des Protestantismus und hatte ja auch bereits in den Anfängen der Reformation eine wesentliche Rolle gespielt. Es ging um den alten protestantischen Kampf gegen die Vermischung zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt, der sich gegen die theokratischen Machtansprüche des Papsttums genauso richtete wie gegen eine scheinbare Verchristlichung einer eigentlich rein weltlichen Ordnung. Man kann hier also von einer Entsakralisierung des Rechts und einer stärkeren Trennung von ius divinum und ius humanum sprechen, die ihre Ursprünge in durchaus religiösen Motiven hatte und gegen jede Form von Theokratie, besonders aber die päpstliche, gerichtet war.119

Dass Gentili ebenso sehr überzeugter, wenn auch undogmatischer Protestant wie Humanist war, zeigt sich auch in seiner Behandlung der Türkenkriegsfrage. Wenn er jeden echten Ausgleich mit dem Osmanischen Reich für unmöglich erklärte, weil die Osmanen als Nichtchristen niemals das christliche Recht respektieren würden, dann waren dafür letzten Endes eben doch auch religiöse Gründe mit ausschlaggebend. Das Gleiche galt für Gentilis Bekenntnis zu einem kompromisslosen Kampf gegen Spanien; sicher begründete er dies damit, dass Spanien immer nach der Herrschaft über ganz Europa streben werde und daher kein Friede mit einem solchen Gegner möglich sei, aber am Ende stand dahinter doch auch die Überzeugung, dass das Papsttum und die spanische Variante des Katholizismus das schlechterdings Böse verkörperten. Hinzu trat die Überlegung, dass eine stabile zwischenstaatliche Ordnung nur auf der Basis gegenseitigen Vertrauens möglich war. Gentili bemühte sich zwar, den bloßen Unterschied der Konfession als Quelle des Misstrauens zwischen unterschiedlichen Akteuren zu neutralisieren – ein wichtiger Punkt –, blieb aber doch überzeugt, dass es ein Minimum gemeinsamer Wertvorstellungen geben müsse, um zu belastbaren Vereinbarungen mit einem anderen Herrscher oder Staat zu gelangen. Diese gemeinsamen Wertvorstellungen glaubte er in den Beziehungen zum Osmanischen Reich, aber auch im Verhältnis protestantischer Fürsten zu Spanien nicht erkennen zu können.120 Auf einer rein persönlichen Ebene revidierte Gentili seine Position später freilich, denn 1605 wurde er Rechtsberater des spanischen Gesandten am englischen Hof, den er auch in seerechtlichen Streitigkeiten mit den Niederländern vor englischen Gerichten vertrat.121

Bis 1601 – dem Jahr, als der zweite Earl of Essex nach einem Putschversuch hingerichtet wurde – gehörte Gentili allerdings in England zum Umkreis des frondierenden Adligen, der in den späten 1590er Jahren energisch gegen einen Kompromissfrieden mit Spanien eintrat. Essex war sogar Pate eines der Söhne Gentilis und schloss seine „Apologie“, mit der er seine politische Position 1598 zu rechtfertigen suchte, mit einem Zitat aus Gentilis De Iure Belli ab.122 Gentilis Leben und Werk verdeutlichen, wie sich Ende des 16. Jahrhunderts ganz unterschiedliche konfessionelle und politische Positionen miteinander verbinden konnten. Gentili war ein energischer Gegner eines Religionskrieges und ein Befürworter religiöser Toleranz, zugleich lehnte er aber vor 1603 jeden Versuch ab, einen dauerhaften Frieden mit Spanien herbeizuführen, da er diesen ohnehin für unmöglich hielt. Letzten Endes plädierte er ähnlich wie Edwin Sandys für eine Allianz aller moderaten Kräfte gegen die Bedrohung durch die spanische Universalmonarchie und ein weltliche Macht beanspruchendes Papsttum. Gentili hatte selbst in den frühen 1580er Jahren ein Manuskript mit dem Titel De Papatu Romano Antichristo verfasst, er hielt also den Papst für den großen endzeitlichen Widersacher Christi, so wie viele reformierte und lutherische Theologen.123 Namentlich nach dem Übertritt Heinrichs IV. von Frankreich zum Katholizismus 1593 schien aber nur noch eine transkonfessionelle Allianz eine Chance für die Eindämmung spanischer und päpstlicher Ambitionen in Europa zu bieten.124

Gentilis Haltung zeigt, dass eine Ablehnung religiöser Intoleranz sich keineswegs notwendigerweise mit dem Ziel verbinden musste, durch umfassende Zugeständnisse von beiden Seiten in Europa zu einem allgemeinen Frieden zu gelangen, zumal er in seiner Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich ein zentrales Problem von Friedensverträgen aufgegriffen hatte: Konnte man mit einen Gegner Frieden schließen, dem man in keiner Weise trauen konnte, weil er jene Rechtsprinzipien, auf denen jeder Vertrag zwischen christlichen Mächten beruhte, eigentlich ablehnte? Gentili stellte diese Frage mit Blick auf die Osmanen und verneinte sie, sah aber das Verhältnis zu Spanien lange Zeit in einer ähnlichen Perspektive, wie schon betont wurde.125 Man darf nicht vergessen, dass er die Fundamente für sein Werk über das Recht des Krieges in Reaktion auf den Angriff der Armada auf England im Jahr 1588 legte, auch wenn das Werk erst später vollendet wurde.126 In der Tat war der Mangel an gegenseitigem Vertrauen ein Grundproblem aller Versuche, zwischen 1598 und 1618 Fundamente für einen europäischen Frieden zu legen respektive den zwischen 1598 und 1609 erreichten Frieden zu bewahren.127

Gentilis energisches Eintreten für einen Präventivkrieg gegen Staaten, die durch ihre Übermacht an sich schon jeden Frieden gefährdeten, wurde von späteren Völkerrechtlern kritisch gesehen. Sein Versuch, zu einer Desakralisierung des Rechts und damit auch der Politik zu gelangen, hatte jedoch weitreichende Wirkungen, er fand seinen Widerhall nicht nur bei Hobbes, dessen akademischer Lehrer er in Oxford vermutlich war, sondern auch bei Hugo Grotius.128

Es fehlt hier der Raum, um ausführlich auf den niederländischen Philosophen und Juristen, dessen Hauptwerk De iure belli et pacis 1625 erschien, als Grotius sich bereits im Exil befand, einzugehen. Was Grotius von Gentili unterschied, war zum einen die systematische, philosophische Methode, die sein Werk prägte (die Methode Gentilis war eher eine kasuistische gewesen), zum anderen aber der Versuch, ein Kriegs- und Völkerrecht zu entwickeln, das rechtliche Beziehungen zu nichtchristlichen Herrschern ebenso berücksichtigte wie zu christlichen. Grotius war auch als juristischer Berater für die VOC, die Vereinigte Ostindische Kompanie der Niederlande, tätig und in Asien, wo die Gesellschaft Handel trieb und Stützpunkte anlegte, konnte man schlecht primär mit der europäischen Rechtstradition argumentieren. Gerade deshalb war es notwendig, ein Recht zu entwickeln, das seine Fundamente jenseits dieser Tradition fand.129 Das galt umso mehr, weil sich die Niederländer in ihrem Kampf gegen die Portugiesen in Südostasien oft genug mit einheimischen, namentlich muslimischen Herrschern verbündeten.

Mit den Fragen, die sich aus dieser kolonialen Expansion ergaben, hatte Grotius sich schon in einem Frühwerk De iure praedae, das auch unter dem Titel De Indis bekannt wurde, auseinandergesetzt, auch wenn diese Schrift, die 1606 abgeschlossen war, erst im 19. Jahrhundert vollständig publiziert wurde. Gentili hatte echte Friedensverträge mit dem Osmanischen Reich für unmöglich erklärt, Grotius hingegen legte seiner Rechtskonstruktion die Annahme zugrunde, dass es eine humanis generis societas, eine Gemeinschaft aller Menschen, gebe, die auf der natürlichen Neigung des Menschen zur Soziabilität beruhe.130 Soweit Regeln, die das Zusammenleben in dieser societas beträfen, eine religiöse Grundlage besäßen, bestünde sie in einer natürlichen Religion, die sich auf den abstrakten Glauben an eine allmächtige Gottheit beschränkte.131

Grotius verwarf ausdrücklich eine Perspektive staatlichen Handelns, die durch Machiavelli und die Idee der Staatsräson geprägt war – hier unterschied er sich von Gentili –, und glaubte, in seinem moralischen Minimalismus ein belastbares Fundament für die rechtlichen Beziehungen zwischen Staaten gefunden zu haben.132 Seine Argumente konnten allerdings sehr wohl auch genutzt werden, um den Krieg der Niederlande gegen Spanien und die Unterwerfung außereuropäischer Völker durch die niederländischen Kolonialgesellschaften zu rechtfertigen. Hier vertrat er radikalere Positionen als die spanischen Neuscholastiker.133 So erklärte er auch die Sklaverei unter bestimmten Umständen für legitim und sah selbst private oder halbprivate Akteure wie die VOC als berechtigt an, einheimische Fürsten zu bestrafen, wenn diese gegen allgemeine Rechtsprinzipien verstießen, etwa durch Unterdrückung der eigenen Untertanen oder Piraterie, selbst dann, wenn diese Akteure nicht selbst Opfer solcher Rechtsverletzungen waren.134 Aufgrund seines moralischen Minimalismus, der gewährleisten sollte, dass die von ihm entwickelten Regeln unabhängig von einem konkreten kulturellen Kontext galten, erklärte Grotius im Übrigen auch noch die barbarischsten Kriegspraktiken für grundsätzlich zulässig, auch wenn er die Überwindung solcher Grausamkeiten durch freiwillige Übereinkünfte als wünschenswert hinstellte.135

Der Gegner, den Grotius in seinen Schriften entschieden bekämpfte, war der Skeptizismus, der, wie wir gesehen haben, im späten 16. Jahrhundert eine so einflussreiche intellektuelle Strömung darstellte. In der Einleitung zu seinem völkerrechtlichen Hauptwerk De iure belli et pacis wandte sich Grotius ausdrücklich gegen den antiken Philosophen Karneades.136 Von Karneades, einem Vertreter der jüngeren, skeptischen Akademie, war bekannt, dass er in zwei großen Reden vor dem römischen Senat den schockierten Senatoren dargelegt hatte, dass es in der Beziehung zwischen Staaten so etwas wie ein in der Natur des Menschen selbst begründetes Recht überhaupt nicht gebe. Alles Recht sei von Menschen gemacht und eigentlich nur ein Instrument ihres Strebens nach Macht, daher unterschieden sich die Rechtsnormen auch von Land zu Land. Diesem alles zersetzenden Skeptizismus setzte Grotius seine Überzeugung gegenüber, dass es möglich sei, mit mathematischer Gewissheit ein Rechtssystem zu konstruieren, das für alle Menschen verbindlich sei, allerdings nur, wenn man von allen kulturellen und religiösen Besonderheiten, die das positive Recht prägten, Abstand nehme. Grotius’ Werk war somit eine weitere Antwort auf jene Welle des Skeptizismus, die Europa als Folge der konfessionellen Auseinandersetzungen erfasst hatte, und sollte bewusst die konfessionellen Differenzen in Europa, aber letzten Endes auch die Grenze zwischen Christen und Nichtchristen transzendieren.

Mit seinem Versuch, auf rein rationaler Grundlage in quasi mathematischer Weise eine Philosophie des Rechts zu entwickeln, bereitete Grotius das Denken späterer Autoren wie Thomas Hobbes vor, die schon zu einer europäischen Aufklärung gehörten, die in einer Säkularisierung des Denkens die einzig mögliche Antwort auf die Konfessionskonflikte des 16. und 17. Jahrhunderts sah. Grotius selbst blieb noch verwurzelt in der Welt des frühen 17. Jahrhunderts, als eine Verständigung zwischen den feindlichen Lagern für einen Moment möglich schien; sein Ziel blieb ein überkonfessionelles ökumenisches Christentum, das auf einer undogmatischen Frömmigkeit beruhte.137 Er führte damit Ansätze fort, wie sie in der kurzen Epoche der Pax Hispanica auch von anderen Autoren und Publizisten wie etwa Edwin Sandys vertreten worden waren, die aber nach 1618/21 zunächst wieder in Vergessenheit gerieten oder doch keine Wirkung entfalten konnten.

Es liegt nahe, die Jahre vor 1618 als eine Epoche zu sehen, die geprägt war durch den Gegensatz zwischen konfessionellen „Scharfmachern“, die die Konflikte ihrer Gegenwart in einer eschatologischen Perspektive deuteten, und jenen Politici und Juristen, die die Deutungshoheit der Theologen zurückwiesen und auf der Basis einer Autonomie der Politik nach einem Ausgleich zwischen den verfeindeten Lagern strebten. Dieses Bild ist keineswegs in jeder Hinsicht falsch, allerdings gilt es zu bedenken, dass es aufseiten der Apokalyptiker auch durchaus politische Quietisten gab, die eher auf eine defensive, abwartende Politik setzten und alles andere Gott überlassen wollten – viele Lutheraner tendierten in diese Richtung. Umgekehrt gab es genug Gegner der intellektuellen Hegemonie der Theologen, die ihrerseits einen Präventivkrieg als einzig mögliche Option in einer Zeit sich verschärfender Machtkonflikte sahen und im Übrigen dem Prinzip „keine Toleranz für die Intoleranten“ folgten. Alberico Gentili ist dafür ein Beispiel.

Was das Klima der Zeit insgesamt kennzeichnete, war die immerwährende Suche nach subjektiven Gewissheiten in einer Zeit, in der der Pluralismus exklusiver Wahrheitsansprüche jede Gewissheit in Glaubensdingen – aber auch darüber hinaus – infrage zu stellen schien. Die einen fanden diese Sicherheit gerade deshalb im unbedingten Beharren auf der Autorität einer spezifischen theologischen Tradition und auf den Dogmen ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft. Für andere boten hingegen gerade die Skepsis und die Unerschütterlichkeit, die die antike Stoa gelehrt hatte, die Möglichkeit, auf Distanz zu den intellektuellen und realen Konflikten ihrer Zeit zu gehen, und die Chance, sich einen Freiraum subjektiver Autonomie zu sichern, der gegebenenfalls auch durch die dissimulierende Anpassung an den obrigkeitlich verordneten Konformismus geschützt werden konnte.

Vor dem großen Krieg

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