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6. Verhör, Folter, Arbeitslager

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Am 2. Juni 1971 wurde ich aufgefordert, mich auf der Polizeiwache der Stadt zu melden. Während ich dort war, wurden mehrere Beamte zu meinem Haus geschickt, um nach meiner Bibel und etwaigen anderen religiösen Schriften zu suchen. Ich wusste, dass sie die Bibel nicht finden würden. Ich lieh sie oft aus und wir sorgten dafür, dass sie nie längere Zeit im selben Haus war, damit die Polizei sie nicht so leicht finden konnte. Wenn ich sie bei mir zu Hause hatte, versteckte ich sie oft irgendwo in den Bergen unter einem Stein, was sich jedoch als problematisch erwies, denn dort wurde sie oft vom Regen nass. Während ich in der Polizeiwache saß, stellte der Fahndungstrupp mein Haus auf den Kopf. Die Polizisten wussten, dass ich eine Bibel hatte, aber ich weigerte mich, ihnen zu sagen, wo sie war, und sie konnten sie nicht finden. Alles, was sie fanden, war ein Gesangbuch, aber ihrem triumphierenden Gehabe nach hätten es genauso gut tausend Bibeln sein können. Sie empfahlen ihren Vorgesetzten sofort, mich wegen Besitzes verbotener Schriften vor Gericht zu stellen. Ich wusste, dass ein Gesangbuch nicht dasselbe war wie eine Bibel, aber in den Augen der Parteifunktionäre war es genauso belastend für mich.

Kurz bevor ich im Taufgottesdienst erwischt worden war, hatte ein älterer Christ Lob- und Danklieder vor sich hin gesungen. Ein Parteifunktionär hatte ihn gehört und gefragt, was er da sang. Als der alte Herr es ihm erklärte, fragte der Funktionär ihn: „Hassen Sie den Sozialismus? Hat die Partei Sie nicht gut behandelt? Versuchen Sie sich als Klassenkämpfer?“ Der alte Mann wurde angezeigt und zu vier Jahren in einem Umerziehungslager verurteilt.

Jetzt musste ich denken: Wenn der vier Jahre gekriegt hat, weil er Lieder sang, beantragen die bei mir vielleicht die Todesstrafe, weil sie ein ganzes Liederbuch gefunden haben.

Als der Hausdurchsuchungstrupp zurückkam, hatte er das Gesangbuch dabei. Die Beamten hielten es hoch und zeigten allen ihren Schatz. Dann sahen sie mich an. „Wo haben Sie das her? Wer hat Ihnen dieses Buch gegeben?“

„Niemand. Die Lieder in dem Buch habe ich selbst geschrieben.“

„Sie − die Lieder geschrieben? Unmöglich! Dafür sind Sie viel zu dumm. Sie haben noch nicht mal die Schule abgeschlossen und können nur mit Mühe und Not lesen, geschweige denn Lieder schreiben!“

Die Fragen wurden immer bohrender und es dämmerte mir: Ich würde nicht mehr zurück nach Hause kommen. Jetzt verhörte ich nicht mehr andere, jetzt wurde ich selbst verhört. Der Spieß war umgedreht. Was ich früher anderen über den Umgang mit „Konterrevolutionären“ beigebracht hatte, fiel jetzt auf mich selbst zurück. Ich verspürte keine Lust herauszufinden, wie gelehrig meine Schüler gewesen waren.

Man steckte mich in eine Einzelzelle, wo das Verhör weiterging. „Wo haben Sie das Buch her? Wer hat es Ihnen gegeben? Wer schmuggelt diese Bücher?“

Ich antwortete nicht. Ich merkte, wie ich immer hungriger wurde. Sie hatten angefangen, mir nichts mehr zu essen zu geben, um meinen Widerstand zu brechen. Erst Essensentzug, dann Schlafentzug. Ich kannte das System, aber diesmal saß ich zum ersten Mal auf der anderen Seite des Verhörtisches. Ich wusste, was kommen würde, und dieses Wissen machte mir meine Lage nicht leichter.

Die kommunistische Ideologie hat furchtbare Auswirkungen auf die Seelen der Menschen. Sie löscht das Individuum als Person aus. Und nicht nur der Kommunismus tut dies, sondern im Grunde jede Lehre und jede gesellschaftliche Institution, die den Glauben an Gott systematisch zerstört. Christen wissen, dass sie alle Brüder und Schwestern in Jesus Christus sind; sie sind eine große Familie. Sie wissen auch, dass selbst die Menschen, die nicht an Christus glauben, nach Gottes Bild erschaffen sind. Und sie kennen die „goldene Regel“: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ (Lukas 6,31) Ein Mensch, der mit Jesus Christus verbunden ist, kann unmöglich foltern, denn er versetzt sich unwillkürlich in die Rolle des Gefolterten. Es ist unmöglich für einen echten Christen, einem Folteropfer ins Gesicht zu blicken, ohne sich mit ihm solidarisch zu fühlen, gerade so, als würde er selbst soeben geschlagen.

Diese Solidarität, diese Mitmenschlichkeit nimmt der Atheismus weg. Der chinesische Kommunismus hat damals die Gesellschaft entmenschlicht. Er sah die Menschen, der Evolutionsideologie folgend, als höher entwickelte Tiere. Der Einzelne war kein Mensch mehr, sondern nur noch ein austauschbares Stück Material. Die Staatsideologie kannte keine Söhne und Töchter, Mütter und Väter, Brüder und Schwestern mehr, sondern nur noch das Kollektiv der Rädchen im Getriebe, die gefälligst mehr zu produzieren hatten, als sie verbrauchten.

Es war nicht leicht für mich, dort in dieser Zelle zu sitzen und darüber nachzudenken, was für eine hohe Position ich in der Partei gehabt und wie ich ihr mit allem, was ich hatte, gedient hatte. Mir dämmerte, wie falsch es gewesen war, mich dem Kommunismus anzuschließen. Das war der Anfang meines Abschieds von all den falschen, naiven Vorstellungen, die ich von der Partei gehabt hatte.

Die Worte Mao Zedongs hörten auf, mich zu begeistern. Die „Mao-Bibel“ sagte mir nichts mehr. Stattdessen fand ich meine Kraft und Freude allein in der Bibel − dem Buch meines Herrn und Heilands, der mich nie im Stich lassen würde (vgl. zum Beispiel Hebräer 13,5).

Ich wurde jeden Tag verhört. Da ich nichts zu essen bekam, wurde ich immer schwächer. Die Wärter schlugen mich zu Boden und traten mich. Jeder Schlag schoss mir durch den ganzen Körper − immer stärker, je schwächer ich vor Hunger wurde. Die Verhörbeamten verloren die Geduld und ich war am Rande der Bewusstlosigkeit.

Am dritten Tag war ich total fertig vom Hunger und den Schlägen. Die Sommerhitze war furchtbar. Es gab kein Bett und der Fußboden war hart. Ich versuchte, zum Schlafen die kühlste Stelle zu finden, damit ich nicht so schwitzte. Denn ich wusste: Je mehr ich schwitzte, umso mehr würde mein Körper austrocknen. Aber irgendwann wurde mir das egal vor lauter Schwäche.

Nachts wurde ich von zwei Wärtern bewacht. Wir kannten uns gut. Sie sagten: „Warum tust du dir das an, Zhang? Warum lässt du nicht einfach diesen Aberglauben sausen und kooperierst mit uns?“

Was sollte ich ihnen antworten? Wie sollte ich ihnen begreiflich machen, dass die Liebe von Jesus größer ist als jede Liebe, die wir in dieser Welt erfahren? Wie konnten sie diese Wahrheit verstehen, wenn alles, was sie sehen konnten, ein sturer Verrückter war, der sich völlig unnötig foltern ließ?

Die Verhörbeamten waren Freunde von mir. Ich sagte ihnen schließlich, dass ich das Gesangbuch von einem gewissen Sun Wendang bekommen hatte. Na, endlich … Als ich ihnen den Namen gegeben hatte, verließen sie den Raum und man erlaubte mir, ein Bad zu nehmen und etwas zu essen.

Doch schon bald waren meine Wärter wieder da, außer sich vor Wut. Der eine schlug mich ins Gesicht und fauchte: „Du hast uns belogen! Sun Wendang lebt gar nicht mehr!“

Ich erwiderte: „Ich habe euch nicht belogen. Er hat diese Lieder geschrieben, aber das war vor drei Jahren. Ihr habt einen Namen gewollt und ich habe ihn euch gegeben.“

„Warum musst du so stur sein, Zhang?“, schrien sie. „Warum sagst du uns nicht, wo du dieses blöde Buch herhast? Du hast nur eine Wahl. Du kannst nicht der Partei dienen und gleichzeitig an Jesus glauben. Aus dir hätte was werden können, und stattdessen bist du Christ geworden! Jetzt musst du die Suppe auslöffeln, die du dir eingebrockt hast.“

Während ich noch auf der Polizeiwache war, schickte die Bezirksregierung einen anderen Trupp Polizisten in meine Heimatstadt, um nach weiteren konterrevolutionären Christen zu fahnden. Sie fanden bald heraus, dass es dort mindestens zehn weitere Personen gab, die an Jesus glaubten. Die Polizei nahm sie fest und bedrohte und schlug sie, um sie zu zwingen, Informationen über andere Gläubige und über Gottesdienste in der Stadt preiszugeben.

Einer der zehn begann tatsächlich zu reden. Er erzählte der Polizei, dass ich in der Tat eine Bibel hatte, aber dass sie gut versteckt war. Genau das hatten die Beamten schon geargwöhnt. Sie wussten, dass in meinem Haus noch mehr sein musste als nur dieses Gesangbuch. Diese Bibel mussten sie haben!

Ich hatte keinerlei Lust, noch länger gefoltert zu werden, aber ich wusste auch: Wenn ich diese Bibel verlor, würde ich vielleicht nie eine neue kriegen. Ich dachte an meinen geliebten Opa Sun, der mir die Bibel geschenkt hatte. Und an seine Worte kurz vor seinem Märtyrertod. Wie hatte er noch gesagt? „Zhang, mit dieser Bibel musst du leben und sterben. Du darfst es nicht zulassen, dass sie sie kriegen!“ Diese Bibel war mein Leben, mein wertvollstes Familienerbstück, das ich um jeden Preis schützen musste.

Gleich draußen vor dem Gefängnis hielt sich ein Bruder aus unserer Gemeinde auf, der sich als Straßenfeger ausgab und fleißig den Hof vor der Polizeiwache fegte. Während er fegte, schaute er verstohlen in Fenster und offene Türen hinein, um zu sehen, wo ich war. Nach einiger Zeit wurde er fündig und wir entdeckten einander.

Als ich ein paar Minuten allein war, ohne die Wärter, huschte er zu mir und ich flüsterte ihm durch das Fenster zu, schnellstens zu meiner Mutter zu gehen. „Du musst unbedingt zu ihr! Sag ihr von mir, sie soll zwei beliebige Bücher nehmen und im Hof verbrennen und anschließend die Asche dort liegen lassen.“

Ich schaute um mich, um sicherzugehen, dass uns auch niemand belauschte. Wir hatten nicht viel Zeit. „Wenn die Polizisten kommen, um weiter nach der Bibel zu suchen, soll sie sagen, dass sie sie bereits verbrannt hat, und ihnen die Asche von den beiden anderen Büchern zeigen.“

Mein Freund nickte kurz und ging. Als die Polizei wieder in mein Haus kam, hatte meine Mutter bereits meine Bitte befolgt und zwei Bücher verbrannt. Sie führte die Beamten nach draußen in den Hof und zeigte ihnen die Asche. Sie inspizierten die Überreste und kamen zu dem Schluss, dass das meine Bibel gewesen war.

Also glaubten sie, dass sie meine Bibel vernichtet hatten, aber sie waren immer noch nicht zufrieden, denn meinen Glauben hatten sie noch nicht zerstört. Ich war jetzt seit 29 Tagen auf dem Polizeirevier und die Tage wurden nicht leichter.

Dann hatte die Polizei eine Idee, wie sie meinen Widerstand endlich brechen könnte. Wenn es nichts brachte, mich in einem Zimmer einzusperren und zu schlagen, würde ich vielleicht zur Vernunft kommen, wenn ich drei Tage lang ein Arbeitslager ausprobiert hatte. Und man verlegte mich in ein Arbeitslager, das gute fünfzehn Kilometer von meiner Stadt entfernt war und wo ich weder von meiner Familie noch von unserer Gemeinde Besuch empfangen durfte.

Aus den drei Tagen Arbeitslager wurde ein Jahr. Ein ganzes Jahr musste ich unter den wachsamen Augen der Lagerwärter schuften. Was ich in dem Lager erlebte, war noch viel schlimmer als die Wochen in der Polizeiwache. Während der gesamten Zeit in dem Lager war es mir verboten, mit anderen Menschen zu sprechen. Es war schier unerträglich.

Eine der schlimmsten Strafen für einen Pastor ist, mit niemandem reden zu dürfen. Mit anderen Menschen zu arbeiten, das Evangelium zu predigen und am Leben anderer teilzunehmen, sind einige der großen Leidenschaften, die Gott mir gegeben hat. Das Redeverbot war die reine Folter.

Eines Tages kam ein junger Mitgefangener namens Li zu mir, aber ich konnte nicht mit ihm sprechen. Es drängte mich so sehr, mich mit ihm auszutauschen, dass ich Angst hatte, die Worte würden mir aus den Poren dringen, wenn ich nicht den Mund aufmachte. Li war ein gebildeter junger Mann, der voller Liebe zu Gott war. Ich bat Gott in meinem Herzen, mir zu zeigen, wie ich trotz allem mit Li reden konnte.

Nicht lange nach diesem Gebet schenkte Gott mir eine Idee: dass wir zusammen in die Toiletten gingen, um miteinander zu reden. Gesagt, getan. Mehr als zwei Minuten am Stück ging nicht, aber diese Minuten waren unglaublich erfüllend. Sie waren genau das, was ich brauchte. Li munterte mich auf und ich ihn. Wir erlebten, dass die Verbundenheit in Christus das stärkste Band der Welt ist.

Schon bald merkten wir, dass die Toiletten wirklich der ideale Treffpunkt für Gespräche waren. Immer wieder einmal gingen wir hinein, tauschten uns aus und machten uns Mut. Bald organisierte ich auch „Toilettengespräche“ mit anderen Mitgefangenen. Dort bei den stinkenden Löchern im Boden (mehr waren die „Toiletten“ nicht) hielten wir unsere Kurzgottesdienste. Die Gerüche, die von unten heraufstiegen, waren alles andere als erbaulich, aber das Zusammensein in Christus war wie ein Wohlgeruch für unsere Seelen. Es ist meine Überzeugung, dass man buchstäblich überall Gottesdienst feiern kann, wenn das Herz auf Christus ausgerichtet ist.

Es ist unerlässlich, dass die verschiedenen Glieder am Leib Christi einander aufbauen und Mut machen. Die innere Öffnung gegenüber dem Bruder oder der Schwester in Not ist ein absolutes Muss, damit beide in ihrer Zerbrochenheit vor Gott treten und seine durchtragende Kraft erfahren können. Während meiner ersten Inhaftierung wurde mir klar, dass ich mit dem Leiden nicht alleine fertigwerden konnte. Ohne die Kraft des Herrn hätte ich nicht überleben können und er gab mir diese Kraft, indem er mir in dieser dunklen Zeit Brüder an die Seite stellte.

Diese Brüder waren lauter Männer, mit denen ich außerhalb der Gefängnismauern nichts gemeinsam gehabt hätte. Sie waren früher hartgesottene Kriminelle gewesen, und anfangs waren viele von ihnen total in sich verschlossen. Doch sobald sie den Herrn Jesus Christus in ihre Herzen aufgenommen hatten, wurden sie mir für den Rest meines Lebens Freunde und Mitstreiter für das Evangelium. Ich danke Gott für jede einzelne dieser kostbaren Seelen.

Bis zum Äußersten

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