Читать книгу Mit Weite im Herzen - Ronja Erb - Страница 5

Kapitel 2

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Ich zog Bilanz. Ich war einunddreißig Jahre alt, schwanger, ohne Mann und Eltern, und lebte in einer Stadt, in der ich mich nicht mehr wohlfühlte. Ich fragte mich, was ich tun sollte, und begriff zum ersten Mal seit dem Unfall, dass eine Zukunft vor mir lag, ein Leben, das erst zum Teil gelebt war, und mich heute mit allem Nachdruck daran erinnerte, dass es gelebt werden wollte. Aber was sollte ich mit den kommenden Jahren anfangen? Im vergangenen Jahr war mir Zeit als eine sich zäh dahinziehende Masse erschienen, die sich so schwer durchschreiten ließ wie ein Sumpf. Nun stellte Zeit jedoch auf einmal wieder etwas Positives dar.

Ich überlegte, was mich in Hamburg hielt.

Nicht viel, war die Antwort. Es schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich eventuell wegen des Vaters meines Kindes hierbleiben sollte. Oder sollte ich ihn lieber nur „Erzeuger“ nennen? Denn ich hatte ihm bisher nichts von der Schwangerschaft erzählt und hatte auch nicht vor, das zu tun.

Was hielt mich sonst noch in Hamburg?

Die Arbeit war es auch nicht. Nachdem im Büro ein neuer Chef die Leitung übernommen hatte, wehte ein rauer Wind durch die Büroräume und unter den Kollegen war die Stimmung angespannt. Das gute Arbeitsklima, das bislang geherrscht hatte, gehörte der Vergangenheit an. Mein neuer Chef hatte auch kein Verständnis für meine mangelnde Konzentration bei der Arbeit und mein Zuspätkommen, wenn ich mal wieder eine Nacht durchgeweint hatte und erst in den frühen Morgenstunden in einen tiefen, bleiernen Schlaf gefallen war und den Wecker überhört hatte.

Wenn ich aber nicht hierbleiben wollte, wo sollte ich dann hin? Ich stand auf und stellte mich vor die Weltkarte, die in Rolfs Arbeitszimmer an der Wand hing. Sein Arbeitszimmer hatte ich seit seinem Tod nur selten betreten. Ein Mal hatte ich den Entschluss gefasst, es auszuräumen, hatte dann aber, nachdem ich die ersten Stapel Bücher aus dem Regal gezogen hatte, alles wieder zurückgestellt. Seit Rolf dabei gewesen war, seine Habilitation zu schreiben, hatte sich sein Arbeitszimmer mehr und mehr mit Büchern gefüllt, und einige lagen noch aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch, so als hätte er gerade erst darin gelesen. Er, der erfolgreiche Architekt, der seine Visionen an die Studenten weitergegeben hat. Ich habe ihn dafür bewundert. Er hatte in allem, was er getan hat, so sicher gewirkt, und ich hatte mich, nicht nur weil ich sehr viel jünger war als er, oft wie ein kleines Mädchen an seiner Seite gefühlt. Er, der nicht mehr altern würde, der für immer zweiundvierzig Jahre alt blieb. Der Gedanke, dass ich eines Tages älter sein würde als er, kam mir komisch vor. Auf einmal fand ich es schade, dass es kein Grab gab, an das ich treten konnte, dann, wenn ich mal älter sein würde als er, und zu ihm sagen könnte: „Schau, was für ein großes Mädchen aus mir geworden ist.“

Rolfs Asche ist im Meer verstreut worden, so hatte er es sich gewünscht. Das hatte er mir auf einem Bootsauflug nach Norderney gesagt. Es war einer der ersten Ausflüge gewesen, die wir machten, nachdem wir nach Hamburg gezogen waren. „Wenn ich mal sterbe, dann möchte ich, dass hier meine Asche verstreut wird“, hatte er fröhlich gesagt. Damals war uns das noch so weit weg vorgekommen, dass wir heiter und ohne Schwere darüber reden konnten.

So hatten wir, Lars und ich, es dann auch gemacht. Besser gesagt, es war Lars gewesen, der alles für die Seebestattung organisiert hatte. Wir und einige Freunde von Rolf sowie eine Tante von ihm waren dabei gewesen. Rolf ist als Adoptivkind aufgewachsen, doch das Verhältnis zu seinen Adoptiveltern ist nach einem Familienstreit äußerst angespannt gewesen. Seine Eltern sind nicht mal zu unserer Hochzeit gekommen.

Lars hatte Rolfs Eltern angeschrieben, um ihnen den Termin der Beerdigung mitzuteilen. Als Antwort hatten sie nur eine Beileidskarte geschickt, auf der sie sich dafür entschuldigten, nicht kommen zu können.

Sicher auch wegen des schlechten Verhältnisses zu seinem Adoptivvater war Rolfs Verhältnis zu meinem Vater besonders eng gewesen. Mein Vater, der vor seiner Pensionierung auch Architekt gewesen war, hatte in Rolf den idealen Gesprächspartner gefunden. Meine Mutter hat dazu die perfekte Ergänzung abgegeben, indem sie die beiden liebevoll mit Kaffee und kleinen Leckereien umsorgte, während sie in ihre stundenlangen Diskussionen vertieft waren. Mein Vater hatte in Rolf den Sohn gefunden, den er sich immer gewünscht hat. Bei aller Liebe zu mir, hätte er immer auch noch einen Sohn haben wollen. Meine Mutter hat nach meiner Geburt ein Kind verloren und anschließend nie wieder den Versuch unternommen, schwanger zu werden. Mein Vater war sich damals sicher, dass es ein Junge war, obwohl das gar nicht untersucht worden war, und hat diesem „Sohn“ immer nachgetrauert.

Während Rolf und mein Vater in ihre Gespräche vertieft waren, habe ich mit meiner Mutter in der Küche gestanden und mich mit ihr unterhalten. Auch wenn ich es zuweilen gehasst habe, dass die beiden nachmittagelang diskutiert und geraucht haben, bis blaue Rauchschwaden durch die Ritzen der verschlossenen Zimmertür drangen, war ich doch dankbar für die Möglichkeit, viel Zeit mit meiner Mutter verbringen zu können. Zwischen uns war dadurch wieder eine große Nähe entstanden, die wir so, nachdem ich als junge Frau von zu Hause ausgezogen war, nicht mehr gehabt hatten.

Als ich jetzt in Rolfs Arbeitszimmer stand, in den aufgeschlagenen Büchern blätterte und sie dann alle zuklappte und der Staub durch den Raum wirbelte, hatte ich plötzlich das Gefühl eines totalen Neubeginns. So als würde man auf einem Brettspiel die Spielfiguren wieder an den Startpunkt stellen und den Würfel für eine neue Partie werfen. Anstatt eines Würfels nahm ich den Dartpfeil, der in der Weltkarte steckte, die an der Wand hing, und warf den Pfeil auf die Karte. Rolf und ich hatten das aus Jux so gemacht, wenn wir eine Reise unternehmen wollten. Nur ein Mal waren wir dann auch tatsächlich dorthin gefahren, wo der Pfeil getroffen hatte. Es war eine Chinareise gewesen, das war in unserem zweiten gemeinsamen Jahr. Damals hatte die Weltkarte noch in Rolfs Wohnung in Offenburg gehangen.

Die Karte hatte bereits viele winzige kleine Löcher, doch wo jetzt der nächste Einstich hinzugekommen war, wusste ich noch nicht, denn ich hielt meine Augen fest geschlossen. So hatten Rolf und ich auch immer vor der Karte gestanden, die Augen fest zusammengekniffen und den Atem anhaltend. Während ich nun wieder so dastand, nahm ich mir fest vor, ja ich schwor mir sogar, dass der Ort, den der Pfeil getroffen hatte, meine Zukunft sein sollte. Voll Enthusiasmus hob ich die rechte Hand zum Schwur und sagte laut: „Dieser Ort wird mein zweites Leben.“ Erschrocken über so viel Überschwang, korrigierte ich mich und sagte schnell: „Dieser Ort wird der Ausgangspunkt für mein neues Leben.“ Ich hielt mir dabei bewusst offen, ob ich damit bloß einen Urlaub meinte oder mehr. Ich traute mich nicht, die Augen zu öffnen, aus Angst davor, dass der Ort, auf den die zufällige Wahl gefallen war, so schrecklich oder uninteressant war, dass meine neu gewonnene Kraft gleich wieder daran zerbrechen würde.

Um Zeit zu gewinnen, ging ich daher in Gedanken meinen Körper ab und spürte zum ersten Mal, wie gespannt sich meine Bauchdecke und meine Brüste anfühlten. Ich schob das auf die Schwangerschaft, war mir aber nicht sicher.

Bislang wusste ich nur das, was alle wissen, dass es neun Monate dauert, einem oft übel ist und man komische Essgelüste hat. An der Übelkeit hatte ich auch gemerkt, dass ich schwanger war. Am ersten Tag, als ich morgens auf die Toilette gerannt war, um mich zu übergeben, hatte ich noch an eine Magenverstimmung gedacht. Doch schon am nächsten Tag, als sich die gleiche Szene wiederholte, war mir der Gedanke gekommen, dass ich schwanger sein könnte. Gleich darauf war ich in die Apotheke gegangen, um einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Nach Hause zurückgekehrt, zögerte ich jedoch, den Test zu machen. Ich hatte das Päckchen in die Hausapotheke gelegt, als würde es auf einen passenden Moment warten, bis man den Test brauchen würde. Zunächst war ich etwas unentschlossen durch die Wohnung gelaufen, es war mir dann aber doch gelungen, mich abzulenken. Erst als ich abends zu Bett gegangen war und mit offenen Augen durch das Fenster eine Weile in die schwarze Nacht gestarrt hatte, war ich plötzlich aufgestanden und hatte im Dunkeln den Weg zum Medizinschrank gesucht. Vorsichtig hatte ich nach der Schachtel getastet, die ich nach ganz hinten gelegt hatte. Nach ein paar Tastversuchen wusste ich, dass ich die richtige Schachtel in den Händen hielt. Ich hatte mich umgedreht, nach dem Toilettendeckel gegriffen und gestaunt, wie zielsicher man sich in seiner Wohnung zurechtfindet, auch wenn man fast nichts sieht. Bevor ich mich jedoch auf die Toilette setzte, lehnte ich mich gegen die Wand. Die Kühle der Fliesen war in meinen Körper geströmt, und ich fand es angenehm, dass ein kalter Schauer über meinen Körper lief. Meine Brustwarzen stellten sich auf, und ich spürte, wie plötzlich Erregung in mir aufstieg. Dieses Gefühl hatte ich schon lange, sehr lange nicht mehr empfunden. Ich genoss den Moment und zögerte es hinaus, den Test zu machen. Mein Kopf wurde durch die Kühle immer klarer und meine Gedanken ruhig und gleichmäßig.

Schließlich schaltete ich das Licht an, setzte mich auf die Toilette und pinkelte über den Teststreifen. Kurze Zeit später waren zwei rote Balken in dem Sichtfensterchen erschienen, und ich hatte die Bestätigung für das, was ich ohnehin schon geahnt hatte.

Nachdem ich den Test gemacht hatte, hat mich die Erkenntnis, schwanger zu sein, weder beunruhigt noch gefreut. Doch jetzt, wo ich hier vor der Weltkarte stand und mich nicht traute, die Augen zu öffnen, um zu wissen, wo der Pfeil getroffen hatte, fühlte ich Freude in mir aufsteigen, über das Leben, das in mir wuchs. Ich war froh, dass ich Veränderungen an mir entdeckte, die die Schwangerschaft anzeigten, und wollte unbedingt noch mehr entdecken. Ich wollte dazu nicht nur im Internet recherchieren, sondern auch in eine Buchhandlung gehen und mir entsprechende Bücher besorgen. Gleich dann, wenn ich meine Augen geöffnet haben würde.

Wir, Rolf und ich, hatten uns Kinder gewünscht. Ich hatte auch bereits die Pille abgesetzt, war aber dennoch nicht schwanger geworden. Es war noch kein großes Thema zwischen uns beiden gewesen, denn gerade ich hatte es noch nicht so eilig gehabt, und so hatten wir uns nicht davon beunruhigen lassen, dass ich auch einige Monate nach Absetzen der Pille noch nicht schwanger war. Ich hatte mich damit getröstet, dass ich so meinem Beruf noch eine Weile uneingeschränkt nachgehen konnte, denn ich hatte die Stelle erst kurze Zeit vorher angenommen, und meine Arbeit machte mir viel Spaß.

Es kam mir komisch vor, dass ich ausgerechnet dann schwanger wurde, als mein Körper völlig ohne Kraft war. Ich fragte mich, warum sich gerade in meinem Körper, der sich in den letzten Monaten nur noch wie eine leere Hülle angefühlt hatte, ein neues Leben eingenistet hatte. Ich empfand es als falsch von der Natur. Oder war es genau deshalb passiert, damit auch meine Lebensgeister wieder geweckt wurden?

Wie auch immer, ich musste mich nun dieser Aufgabe stellen. Mutter würde ich sein, mit Freude und Hingabe für mein Kind. Alleine wollte ich das machen, Lars sollte nie erfahren, dass er der Vater des Kindes war. Es gab keinen Vater, diesen Entschluss hatte ich fest gefasst. Vielleicht würde ich dem Kind später mal erzählen, dass Rolf sein Vater sei, dann müsste ich aber das Datum seines Todestages ändern. Ich bezweifelte, dass eine solche Lüge unentdeckt bliebe, daher verwarf ich den Gedanken wieder. Also, das Kind wird ohne Vater aufwachsen, basta, dachte ich trotzig. Ich könnte immer noch behaupten, dass es ein One-Night-Stand gewesen war, wenn mich mein Sohn oder meine Tochter später mal fragen sollte, und letztendlich war es das ja auch gewesen. Zwar kannte ich Lars schon lange, aber dennoch waren wir nur in dieser einen Nacht intim gewesen. Im Nachhinein betrachtet, ist es verwunderlich, dass es nur dieses eine Mal gegeben hat, denn wir hatten in den letzten Monaten viel Zeit miteinander verbracht, und ich hatte mich oft an seiner Schulter ausgeweint. Lars hatte die Situation aber nie ausgenutzt und die freundschaftliche Ebene nicht verlassen – bis auf diesen einen Abend.

Wenn ich mich richtig daran erinnerte, dann war ich es gewesen, die ihn zuerst geküsst hatte. Wir waren im Kino gewesen und anschließend war er noch mit in meine Wohnung gekommen, um mich auf andere Gedanken zu bringen, denn der Film hatte von einer Frau gehandelt, die ihren Mann und ihren Sohn bei einem Autounfall verloren hatte. Die Ähnlichkeit mit meiner Lebensgeschichte hatte mich so überwältigt, dass ich im Kino in Tränen ausgebrochen war und wir die Vorstellung vorzeitig verlassen hatten. Lars hatte sich hundertmal entschuldigt, denn er war es gewesen, der den Film ausgesucht hatte. Er hatte nicht gewusst, wovon der Film handelte. Lars hatte lediglich gelesen, dass der Film alle Facetten menschlicher Größe und Überlebenskraft widerspiegele. Lars hatte das passend gefunden und wollte mich mit dem Film aufbauen. Dass die Schicksalsgeschichten sich dann aber so sehr ähnelten, hatte er nicht gewusst und sich sehr dafür geschämt. Vielleicht war es diese Scham gewesen, die ihm an diesem Abend die Stärke genommen hatte, sich mir zu widersetzen. Ich hatte es schon das eine oder andere Mal versucht gehabt, mich ihm zu nähern, er hatte aber immer abgeblockt. Meine Annäherungsversuche waren nicht von Lust auf Intimität getragen gewesen, vielmehr war der Wunsch, ihm nah zu sein, nur dann aufgekommen, wenn ich das Gefühl hatte, dass er mir entglitt. Einerseits hat er keinen Hehl daraus gemacht, dass er Interesse an mir hat, andererseits hat er aber auch nicht den Versuch unternommen, mich zu erobern, weder vor Rolfs Tod noch danach. Ich habe mich mehr als ein Mal gefragt, warum er das nie versucht hat. Gerade nach Rolfs Tod hätte er seine Chance als gekommen ansehen müssen. Waren es seine Größe und Reife gewesen, die er zweifelsohne besaß, der bloße Anstand oder die Tatsache, dass ich mit meinem dauernd verheulten Gesicht nicht attraktiv war? Ich hatte mich in den letzten Monaten nicht viel um mein Aussehen gekümmert. Lange war es her, dass ich mir neue Kleidung gekauft hatte. Obwohl das eigentlich nötig gewesen wäre, denn alles, was ich trug, war mir zu groß. Seit dem Unfall hatte ich viel abgenommen, und die Hosen und Pullover hingen wie Säcke an mir. Ich war mal eine schöne Frau. Mit meinen rotbraunen Haaren bin ich überall aufgefallen, und in der Sonne haben sie feuerrot geschimmert. Mittlerweile hingen meine Haare nur noch stumpf herunter. Schwärmte Lars nicht mehr für mich, war er vielleicht gar nie in mich verliebt gewesen, hatte ich mich immer mal wieder gefragt. Immer dann hatte ich einen Beweis für seine Zuneigung haben wollen. Eigentlich war das unnötig, denn Lars hat mir mit all der Unterstützung, die er mir zuteilwerden ließ, tausendfach gezeigt, dass er mich sehr mochte. Keiner meiner Freunde hat sich nach dem Unfall so sehr um mich gekümmert wie er. Nicht mal meine beste Freundin Marlis hat so an meiner Seite gestanden wie Lars.

Nur selten hat Lars von sich aus von anderen Frauen erzählt, und ich habe nicht gewagt zu fragen. Ich habe mich daher immer in der Hoffnung gewiegt, dass es da niemanden gibt. Ich wollte ihn ganz für mich alleine haben. Ich wusste, dass das egoistisch war. Er sollte da sein und mir dadurch guttun, und dass, obwohl ich mir sicher war und bin, dass ich keine Partnerschaft mit ihm möchte. Früher, als Rolf noch gelebt hat, war dieses Gefühl, von Lars begehrt zu werden, ein angenehmes Prickeln gewesen, das ich nach einem Treffen mit ihm mit nach Hause genommen hatte und das sich dann manchmal in einer leidenschaftlichen Nacht mit Rolf entlud. Seit dem Unfall brauchte ich dieses Gefühl aber, um Geborgenheit zu spüren. Lars war zu meinem wichtigsten Menschen geworden und derjenige, der mir am meisten Halt gab.

Als wir an dem Abend nach dem Kinobesuch miteinander schliefen, war das kein tolles, erotisches Erlebnis gewesen, sondern es war einfach passiert. Nachdem ich meine Lippen auf seine gepresst hatte und ihm keine andere Möglichkeit gelassen hatte, als meinen Kuss zu erwidern, hatte er mich zum Sofa geführt, mir das T-Shirt abgestreift und die Hose ausgezogen. Als ich nur noch in BH und Slip dort lag, hatte er sich seine Hose ausgezogen und auch sein T-Shirt und alles neben sich auf den Boden fallen lassen. Die Initiative, die ich zunächst gezeigt hatte, war plötzlich verschwunden gewesen. Ich hatte ihn gemustert, meinen Blick über seinen Körper streifen lassen und hatte versucht, den Körper von Lars mit dem von Rolf zu vergleichen. Dabei stellte ich zu meinem Erschrecken fest, dass ich mich schon nicht mehr genau an Rolfs Körper erinnern konnte. Lars fing an, meinen Körper mit Küssen zu bedecken, und wir schliefen fast geräuschlos miteinander. Hinterher war er schnell aufgestanden, so, als wäre er vor sich selbst erschrocken, und war ins Badezimmer gegangen.

Ich war auf dem Sofa liegen geblieben und hatte gehört, wie er Wasser laufen ließ und sich offenbar wusch. Sofort machte ich mir Vorwürfe, dass die Handtücher nicht frisch waren und das Bad schmutzig aussah. Viele Dinge, die ich früher mit Leichtigkeit erledigt hatte, fielen mir schwer und kosteten mich viel Mühe, dazu gehörte auch das Putzen der Wohnung. Ich hatte kein Interesse mehr daran, die Wohnung gemütlich herzurichten. Lars hatte sich, nachdem er aus dem Bad gekommen war, angezogen und war gegangen. Er hatte nicht viel gesagt, nur dass er sich melden würde.

Doch es hatte lange gedauert, bis der erste Anruf kam. Er, der sonst fast jeden Tag angerufen hatte, ließ sich auf einmal Zeit. Ich war verunsichert und auch gekränkt gewesen, und so war das erste Telefonat dann auch sehr gekünstelt gewesen. Erst hatten wir versucht, uns über Alltägliches zu unterhalten. Ich fragte ihn nach der Arbeit und erfuhr, dass er eine Stelle in Südafrika angeboten bekommen hatte und dass er bald nach Johannesburg fliegen und ein paar Wochen bleiben wolle, um mit dem dortigen Forschungsteam zu arbeiten, dessen Leitung er übernehmen sollte. Nachdem wir noch eine Weile weitergesprochen hatten, entschuldigte Lars sich für unsere gemeinsame Nacht. Ich war daraufhin wütend geworden. Wir hatten miteinander geschlafen. Was gab es sich da zu entschuldigen? Wir waren beide Singles, zumindest ging ich davon aus, dass er es auch war, wir hatten also niemanden betrogen. Ich wurde richtig zornig am Telefon. In seiner stoischen Gelassenheit, ja schon fast Unterwürfigkeit, hatte er das hingenommen, meinen Wutausbruch über sich ergehen lassen und nichts weiter dazu gesagt.

Mit Weite im Herzen

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