Читать книгу Mit Weite im Herzen - Ronja Erb - Страница 8

Kapitel 5

Оглавление

Der Abschied von Nahas und Pendukeni fiel mir schwer, denn ich hatte die beiden bereits sehr ins Herz geschlossen. Sie hatten mir unbeschwerte Tage geschenkt, in denen ich mich erholen konnte. Doch ich wollte ihnen nicht weiter zur Last fallen, auch wenn sie mir nicht das Gefühl gaben, dass ich sie störte. Ganz im Gegenteil, sie hatten mich liebevoll umsorgt und mir für einige Tage ein Zuhause gegeben.

Ich drehte mich im Taxi um und sah durch die Rückscheibe, wie sie winkten. Ich hatte einen Kloß im Hals, doch ich wusste, dass ich zurückkehren würde, um sie wieder zu besuchen. Jetzt wollte ich aber zunächst Namibia kennenlernen, das Land, das meine neue Heimat werden sollte.

Ich hatte mir einen Mietwagen reserviert, doch als ich bei der Autovermietung ankam, um das Auto abzuholen, war ich über dessen Zustand entsetzt. Der Wagen sah aus, als würde er es nicht mal mehr bis zur nächsten Kreuzung schaffen. Als ich versuchte, dem Angestellten des Mitwagenverleihers meine Bedenken verständlich zu machen und nach einem anderen Auto fragte, zuckte dieser nur mit den Achseln und meinte, dass das Auto schon noch eine Rundtour durch Namibia schaffen und kein anderes zur Verfügung stehen würde. Als ich dann in einem zweiten Anlauf, meine Bedenken zu äußern, darauf hinwies, dass die Reifen vollkommen abgefahren seien und bestimmt bald platzen würden und auch kein Ersatzrad im Kofferraum liege, erhielt ich als Antwort wiederum nur ein Achselzucken.

Ich gab auf, setzte mich in das Auto und fuhr mit größter Vorsicht los. Ich schlich mit gerade mal zwanzig Stundenkilometern durch die Straßen Windhoeks und versuchte, jedes Schlagloch zu umfahren, was bei deren großer Anzahl dazu führte, dass ich in Schlangenlinien fuhr. Zunächst wollte ich in Richtung Süden fahren, zu den Diamantenminen bei Lüderitz. Das Diamantensperrgebiet erstreckt sich an der Westküste Namibias über mehrere Hundert Kilometer.

Ich fuhr aus Windhoek hinaus Richtung Süden und fühlte mich in dem Auto trotz seines schlechten Zustandes immer sicherer. Ich dachte, dass ich mich einsam fühlen oder Angst haben würde, doch seltsamerweise spürte ich große Ruhe und Zufriedenheit in mir. Immer mal wieder strich ich über meinen Bauch und lächelte in mich hinein. Ich war ja auch nicht allein, denn schließlich war mein Sohn bei mir. Am zehnten Juli war der errechnete Geburtstermin. Das gab mir noch gut drei Monate Zeit, mir ein neues Zuhause zu suchen. Die Vorstellung, ganz von vorne anzufangen, beflügelte mich. Pfeifend und singend fuhr ich über die sich scheinbar endlos dahinziehenden Straßen, die fast alle nicht asphaltiert, sondern nur Schotterpisten waren, und durchquerte mehrere kleine Ortschaften.

Mitten im Nichts tauchte ein Kiosk auf, der am Straßenrand stand. Es war ein mehr schlecht als recht zusammengenagelter Bretterverschlag, von dem die Farbe schon fast ganz abgeblättert war. Drinnen stand ein Mann, der verschiedene Speisen anbot: gefüllte Teigrollen, gedünstetes Gemüse und einige andere Speisen, die ich aber nicht kannte. Der Generator brummte laut und hämmerte durch die Stille, die ansonsten in dieser endlosen Weite herrschte. Ich hatte Hunger, doch ich wollte nichts von den angebotenen Speisen essen, kleine Insekten saßen auf allem, und ich fürchtete, in wenigen Stunden Magenkrämpfe und Durchfall zu haben, wenn ich etwas davon essen würde. Ich beschloss daher, mit dem Essen bis zum Erreichen der nächsten Ortschaft zu warten.

Ich öffnete die Kühltruhe und holte eine Limonade heraus und stellte sie auf den Tresen. Auf Englisch fragte ich nach dem Preis und legte ein paar namibische Dollar hin.

„Reisen Sie allein?“, fragte mich der Mann hinter dem Tresen.

„Nein“, log ich.

Ungläubig schaute er mich an, reckte sich dann, um das Auto sehen zu können und runzelte die Stirn. Mein Blick fiel auf eine Zeitung, auf der stand, dass der HSV gegen Karlsruhe mit 2:1 Toren gewonnen hatte. Irritiert nahm ich die Zeitung in die Hand, die das Datum vom Vortag trug.

„Sind Sie aus Deutschland?“, richtete der Mann hinter dem Tresen wieder das Wort an mich. Ich nickte. „Das ist die ‚Allgemeine Zeitung‘, die deutsche Tageszeitung in Namibia“, sagte er und deutete auf die Zeitung. „Es stehen auch viele Nachrichten aus Deutschland drin“, fügte er hinzu.

Erstaunt blätterte ich durch die Seiten. „Die hätte ich auch noch gerne“, sagte ich und wedelte mit der Zeitung und legte nochmals Geld auf den Tresen.

„Gute Reise“, wünschte mir der Kioskbesitzer zum Abschied.

Wieder im Auto, blätterte ich noch einen Moment durch die Zeitung und nahm dann meinen Reiseführer zur Hand. Der Kioskbesitzer war vor die Tür getreten, steckte sich eine Zigarette an und schaute zu mir herüber. Ich legte das Buch auf den Beifahrersitz und fuhr hastig an. Das Auto machte einen Satz nach vorne, ich errötete leicht.

Einige Hundert Meter später hielt ich am Straßenrand noch einmal an und nahm den Reiseführer wieder zur Hand, um nachzusehen, wo es eine Übernachtungsmöglichkeit gab. Ich beschloss, in einer in der Nähe gelegenen Lodge zu übernachten, denn meine erste Etappe auf dem Weg zu den Diamantenminen war der Köcherbaumwald, eine der Hauptsehenswürdigkeiten Namibias. Aber er war noch gut zwei Autostunden entfernt. Es war bereits spät geworden, ich wollte nicht noch bis dorthin fahren, auch wollte ich dem Rat von Nahas folgen und mich nicht überanstrengen. Er hatte gesagt, dass ich jederzeit wiederkommen könne. Als ich ihm und Pendukeni erzählt hatte, dass ich vorhatte, für längere Zeit in Namibia zu bleiben, hatten sie angeboten, dass ich meinen Sohn auch bei ihnen zur Welt bringen könnte. Dieses Angebot machte es mir leichter ums Herz, denn ich hatte doch etwas Sorge gehabt, ganz alleine in einem fremden Krankenhaus zu gebären. Wer weiß, wo ich dann zu diesem Zeitpunkt sein würde, ich wollte mich nach meiner Rundreise entscheiden, wo ich mich niederlassen wollte und bis zur Geburt für mich und das Baby eine erste Bleibe eingerichtet haben.

Rolf hatte mir ein bisschen Vermögen hinterlassen, sodass ich die erste Zeit nicht zu arbeiten brauchte und mir auch ein kleines Haus kaufen konnte. Als ich noch in Hamburg war, hatte ich mir ausgerechnet, wie lange ich von dem Geld leben konnte. Ich hatte angenommen, dass es ungefähr zweieinhalb Jahre sein würden. Doch bereits nach den ersten Tagen in Namibia musste ich feststellen, dass die Lebenshaltungskosten hier höher waren, als ich vermutet hatte. Also würde ich mir früher als angenommen, eine Arbeit suchen müssen. Doch daran wollte ich jetzt noch nicht denken, und zunächst einmal langsam in das Leben in Namibia eintauchen.

In der Lodge angekommen, bezog ich eine kleine Hütte. Das gesamte Gelände erstreckte sich über eine Anhöhe, auf der weit verstreut kleine Hütten standen. Die Sonne, die gerade unterging, tauchte alles in ein warmes Licht. Außer der Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte und auf der vereinzelt trockene Sträucher auf rotbraunem, sandigem Boden standen, sah man nichts.

Ich beschloss, Marlis anzurufen. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen, denn ich hatte eigentlich versprochen, mich gleich nach der Ankunft zu melden und bislang hatte ich das noch nicht getan. Von dem Kreislaufzusammenbruch wollte ich ihr aber nichts erzählen, damit sie nicht gleich wieder mit ihren Ratschlägen und Warnungen käme.

„Helen“, rief Marlis erleichtert in den Hörer, „wie geht es dir?“

„Gut“, sagte ich und fügte hinzu: „Ich habe sehr nette Leute kennengelernt, sofort am ersten Tag, als ich in Windhoek angekommen bin. Sie haben mich eingeladen, ein paar Tage bei ihnen zu wohnen, um mich zunächst etwas zu akklimatisieren. Es tut mir leid, dass ich darüber total vergessen habe, dich anzurufen, aber es sind gleich so viele Eindrücke auf mich eingeströmt.“ Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, bereute ich, dass ich so viel erzählt hatte, denn es klang, als wollte ich etwas verbergen.

Doch Marlis hatte offenbar keinen Verdacht geschöpft, denn sie sagte: „Kein Problem, ich habe mir schon gedacht, dass du am Anfang von den Ereignissen überrollt wirst, das ist ja immer so, wenn man unterwegs ist, da denkt man erst einmal nicht mehr an Zuhause.“

Zuhause, dachte ich‚ eigentlich ist das ja jetzt hier.

„Bist du noch dran?“, fragte Marlis und sprach laut und überdeutlich in den Hörer.

„Ja“, sagte ich, „ich habe mich nur für einen Moment in meinen Gedanken verloren“, und fügte hinzu: „Du brauchst nicht so laut zu reden, ich höre dich gut.“

„Stimmt, ich dich auch. Man meint, man müsse laut sprechen, weil du so weit weg bist, aber es hört sich tatsächlich ganz nah an, so als würdest du aus Deutschland anrufen“, sagte Marlis und wechselte dann das Thema. „Lars war traurig, dass er nicht rechtzeitig am Flughafen war und er dich deshalb nur noch kurz durch die Scheibe gesehen hat. Wir waren anschließend noch zusammen zu Mittag essen, aber keine Sorge, ich habe ihm nichts von dem Baby erzählt. Er will einige Wochen in Hamburg bleiben, um dies und das zu regeln, um dann seine neue Stelle in Südafrika anzutreten. Er hat den Job tatsächlich angenommen. Das Projekt wird drei Jahre dauern und eventuell auch noch verlängert werden. Er wird also in den nächsten drei Jahren gar nicht weit weg von dir sein.“

Mein Herz fing an zu klopfen, doch bevor ich etwas antworten konnte, fügte Marlis hinzu: „Er hat mir eine Telefonnummer dagelassen, wo man ihn in Johannesburg erreichen kann, und mich gebeten, sie dir zu geben.“

Etwas nervös kramte ich in meiner Handtasche und bedeutete dann dem Mann, der hinter der Rezeption stand, dass ich etwas zu schreiben bräuchte. Er verstand, was ich wollte, und legte mir einen Block und einen Kugelschreiber hin. Marlis diktierte mir die Telefonnummer, die ich mit leicht zitternden Händen notierte. Ich fragte mich, warum meine Nerven mit mir durchgingen, war ich doch eben noch so zufrieden und entspannt gewesen. Warum brachte mich das jetzt so aus der Fassung? Ich wusste doch, dass Lars vorhatte, nach Südafrika zu gehen.

Ich versuchte, mich wieder zu beruhigen, und erzählte Marlis daher von Nahas und Pendukeni. Ich sagte ihr, dass ich die beiden am Tag meiner Ankunft in Windhoek auf dem Umzug zum Nationalfeiertag kennengelernt hätte und log ja damit auch nicht, sondern sparte lediglich ein paar Details aus.

„Ich werde einen Sohn bekommen“, sagte ich zu Marlis, „Nahas ist Arzt und hat angeboten, mich zu untersuchen, um zu gucken, ob nach dem Flug mit dem Baby alles in Ordnung ist, dabei hat er festgestellt, dass es ein Junge wird.“

„Ein Sohn, toll“, sagte Marlis, „du wirst sehen, alles wird gut.“

„Sagst du das, um mich oder um dich zu beruhigen?“, fragte ich.

„Um uns beide zu beruhigen“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich habe dich sehr lieb.“

„Ich dich auch Marlis, es ist schön, dich als Freundin zu haben. Egal wie weit du weg bist, ich fühle mich dir immer sehr nah.“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile und ich erzählte Marlis von Namibia. Als wir das Gespräch beendet hatten, steckte ich den Zettel mit Lars' Telefonnummer ein und ging zurück zu meiner Hütte. Bis in die späte Nacht hinein kreisten meine Gedanken noch um das Telefonat und um Lars.

Mit Weite im Herzen

Подняться наверх