Читать книгу Entferntes Glück - Ronja Riedel - Страница 9
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ОглавлениеAls ich mich unserem Haus nähere, höre ich das Klingeln meines Handys, das ich im Eingangsbereich habe liegen lassen, bevor ich zu meinem Spaziergang aufgebrochen bin. Ich gehe davon aus, dass es Boris ist, der sich inzwischen wahrscheinlich darüber wundert, dass ich so lange nicht erreichbar bin. Eigentlich hatte ich nach meinem Besuch bei Frau Kursawe nur eine kleine Runde durch den Wald drehen wollen. Jetzt aber kündigt sich bereits die Dämmerung an und mir wird erst durch die tief stehende Sonne bewusst, wie sehr ich mich draußen verloren habe. Aber die Stunden im Wald haben mir gut getan und ich sehe nicht ein, mich auf die letzten Meter zu hetzen. Ich lasse das Klingeln verstreichen und bleibe noch für einen Moment auf den Stufen vor dem Haus sitzen. So kann ich die allerletzten Sonnenstrahlen einfangen.
Ich schiebe die Haustür auf und mein Blick fällt sofort auf das Display meines Smartphones, das neben meinen Hausschuhen auf dem Fußabtreter liegt. Zwei Anrufe in Abwesenheit – so verzweifelt kann die Suche nach mir also noch nicht gewesen sein. Beim Gedanken an einen Rückruf zögere ich. Ich telefoniere einfach nicht gerne mit ihm – seit Beginn unserer Beziehung ist das so und ich habe über die Jahre aufgehört, diese Tatsache einer Wertung zu unterziehen. Aber im Augenblick spüre ich ein tiefes Unbehagen statt einer oberflächlichen Unlust. Das irritiert mich. Da ich keine Antworten habe, fürchte ich jede Art von Frage. Und im Smalltalk waren wir noch nie gut. Ich lege das Telefon also erst mal wieder weg. Nachdem ich ein paar Schritte in Richtung Badezimmer gelaufen bin, entscheide ich mich anders und nehme es doch an mich. Ich schlüpfe erneut in Jacke und Schuhe und setze mich auf die Treppenstufen des Hinterausganges. Während das Handy die von mir aufgerufene Nummer anwählt, sammle ich in Gedanken Aufgaben, die in den kommenden Tagen dringend noch erledigt werden wollen.
„Hi“, reißt mich Boris‘ müde wirkende Stimme aus meinen Überlegungen.
„Hallo“ Schweigen. Er fragt nicht, wo ich gewesen bin, was ich getan habe. Dafür bin ich ihm in diesem Moment sehr dankbar. Ich höre nichts im Hintergrund und schaue instinktiv auf die Uhr des Handys. Es ist kurz vor acht.
„Sind die Kinder schon im Bett? Es ist so ruhig bei euch.“
„Anna liest und die Jungs schlafen beide. Die waren echt durch heute. War ein anstrengender Tag.“ Boris‘ Stimme verrät mir, dass auch er durch ist. Ein Gefühl von schlechtem Gewissen flammt in mir auf. Mit drei Kindern alleine – schon der Gedanke daran lässt in mir eine tiefe Erschöpfung aufkommen. Ich widerstehe der Versuchung, ihn nach Emil zu fragen. Es ist ein fester Teil unserer Verabredung, mehr über uns und weniger über ihn zu sprechen. Aber die Frage nicht zu stellen zwingt mich meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken.
„Ich habe heute wieder den Fischadler gesehen. Er war ziemlich dicht über mir. Wahnsinnig hübsch.“
„Warst du auf dem Wasser? Habt ihr gutes Wetter?“
„Wir hatten den ganzen Tag Sonne. Ihr nicht?“
„Ne.“ Ich sehe ihn spöttisch abwinken. „Bei uns hat es geregnet. Und es war so richtig schön grau.“
„Dann schick ich dir´n bisschen was rüber von uns hier, O.K.?“ Wie gerne würde ich das tatsächlich tun. Auch von der friedlichen Stille, auf die ich im Wald gestoßen bin. Ich hoffe, er weiß das. Denn ich spüre schon wieder diese Unruhe, die ich am liebsten mit dem Abbruch des Telefonates zum Verschwinden bringen würde.
„Lina?“
„Ja.“
„Hast du nachgedacht?“
Ich schließe meine Augen und lasse einen Moment verstreichen. „Ist noch zu früh, Boris. Lass uns jetzt bitte noch nicht drüber sprechen.“
„Alles klar.“ Er zögert kurz, dann wird seine Stimme warm. „Schlaf gut.“
„Du auch.“
Aufgelegt. Wie schön es sich anfühlt, wenn die eigene Grenze respektiert wird. Eine ganze Weile sitze ich noch im Garten und beobachte die blinkenden roten Lichter der Windräder, von denen mittlerweile das halbe Dorf umstellt ist. In Kombination mit dem grandiosen Sternenhimmel erschaffen sie eine Stimmung, in die ich mich schon an unserem ersten Abend hier verliebt habe.
Irgendwann treibt mich die Kälte nach drinnen und ich gehe sofort ins Bett.