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LIEBESERWACHEN

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(Xavelia)

In der neuen Privatschule habe ich mich nun doch sehr gut eingelebt. Ich wusste nicht, ob ich bleiben würde. Ich bin immer noch scheu und schnell zu vertreiben. Ich bin wild und ungestüm. Ich kann meine Gefühle immer noch nicht vollkommen beherrschen: die Angst, die auftritt und mich überflutet, wenn man mir zu nahe tritt. Die Panik, in der ich Unheil abzuwenden versuche. Die Scham, wieder unterlegen zu sein und nicht Siegerin der Situation.

Auch, wenn ich es mir nicht anmerken lasse, was es mich kostet, wenn ich mich gehen lasse, ich fühle mich jedes Mal wie nach einem verlorenen Kampf. Aber die Hoffnung war da, dass ich es schaffen würde, mich einzuleben und meine Abschlüsse nachzuholen.

Bei Berret spürte ich, dass ich nicht zu kämpfen brauchte. Er hatte genau das richtige Maß, mir entgegen zu kommen oder auf mich zu warten. Er drängte mich nicht. Er war vorsichtig und empfindsam. Es war, als hätte er viele Antennen ausgefahren, um meine geheime Sprache zu verstehen. Er war auf „Empfang“ eingestellt. Das beruhigte mich. In seiner Nähe konnte ich entspannen. Und er sah so schön aus. Er hatte so weiche, braune Augen. Hatte ich mich schon bald in ihn verliebt? Schwärmte ich schon bald für ihn, wie alle jungen Mädchen es hier taten?

Ich kann es nicht sagen. Ich war zunächst mit dem Einleben beschäftigt. Ich bezog mein Zimmer unter dem Dach und richtete es mit vielen bunten Tüchern ein, um eine romantische Stimmung zu schaffen und so oft als möglich meinen Träumen nachhängen zu können. Ich stellte eine Kerze ans Fenster, die später noch eine besondere Bedeutung erhalten sollte. Ich verstaute meine Kleidung, zumeist nur Jeans und Pullover, und einige Erinnerungsstücke im Schrank. Ich schnupperte an meinen Reitsachen, die noch nach meinem Pferd rochen, welches ich lange ausreiten und pflegen durfte und weinte Abschiedstränen.

Aber die Zeit auf dem Steidelhof war vorbei. Ich musste neue Schritte gehen, um meine Ziele zu erreichen, und meine Ziele waren mir wichtig. Ich wollte und wollte meinen Schulabschluss, um später mit Tieren und vor allem mit Pferden zu arbeiten. Mein erster Weg am nächsten Morgen war deshalb der zum Kleingehege, um nach meinem Kaninchen zu schauen, und dann an der Koppel vorbei in den Pferdestall. Nicht die anderen Schülerinnen oder Schüler, die mich neugierig umwarben, interessierten mich, sondern wie immer die Tiere. Dort wollte ich viel freie Zeit verbringen und dort traf ich auch wieder auf Berret. Er beachtete mich kaum. Er grüßte knapp und arbeitete weiter, striegelte ein Pferd, bürstete den Schweif, kontrollierte die Hufe, ordnete das Sattelzeug und bereitete es für die Weide vor. Es war Ende April, die Sonne hatte schon an Kraft gewonnen und versprach einen schönen Tag.

Ich stand und schwieg, aber nicht lange. Ich nahm Kontakt auf mit den Pferden im Stall, merkte mir ihre Namen und verschwand wieder. Ich bin nicht eingeladen worden, mitzuarbeiten, obwohl ich es gut gekonnt hätte. In der Pferdepflege war ich perfekt. Irgendwann würde ich einsteigen. Es würde nicht zu lange dauern, dann würde man meine Kenntnisse hier schätzen.

Ich trieb mich im Haus umher. Noch waren Osterferien und die Tage ungeregelt. Noch waren nicht alle Mitbewohner eingetroffen. Das erfolgte im Laufe des Tages.

Im Haupthaus, einem großes Fachwerkgebäude, befand sich im oberen Stock die Wohnung der Familie Gardot. Dort wohnten auch Berrets Schwestern, die ich jedoch erst später kennenlernte. Im Erdgeschoss befanden sich fast über die gesamte Etage der Speise- und Aufenthaltsraum und ein Sekretariat. An einem wuchtigen Holztisch konnten alle, auch wir Schüler, Platz nehmen. Einen Bauernschrank mit schönem Keramikgeschirr sah ich, eine wohnliche Ecke mit flauschigen Decken, einen Korb mit bunter Wolle und Stricknadeln, einen Notenständer vor einem alten Klavier. Ich fühlte mich wohl. Alles war natürlich. Alles atmete. Das war die rechte Luft für mich, das Naturkind, das alles Künstliche verabscheute.

Ich schlenderte durch den Raum, ließ meine Hände über die Einrichtungsgegenstände gleiten und schlüpfte aus der quietschenden alten Tür auf den Flur, um mich nebenan im Büro umzuschauen. Dort traf ich Regine, unsere Sekretärin, mit der ich bis heute noch Kontakt pflege. Sie winkte mir durch ein Glasfenster zu, und ich verschwand grinsend durch eine Verbindungstür in der Scheune. Hier fand ich Berrets Eltern, die das Haus leiteten, die Chefs sozusagen. Sie bereiteten sich in den Werkstätten auf das neue Schulsemester vor. Markus, der Vater von Berret, arbeitete in der Holzwerkstatt, Elisabeth, seine Mutter, in der Töpferei Sie überprüfte das ungebrannte Tongeschirr auf den Regalen. Das kannte ich auch vom Steidelhof. Nebenan stand die Tür zum Webraum mit dem großen Webstuhl offen. Schöne bunte Garne gab es dort.

Alles das interessierte mich sehr, ich ließ es mir aber nicht anmerken. Ich wollte nicht als Streberin gelten und nicht vereinnahmt werden und so lange als möglich die eigene Entscheidungsfreiheit behalten, welches Fach ich belegen würde. Es war alles gut. Aber eines irritierte mich: Elisabeth schwieg und sie tat das verbissen und es sah aus, als hätte es einen Streit gegeben. So ähnlich sah meine Mutter aus, wenn sie mit meinem Vater eine Auseinandersetzung hatte. Aber Markus, Berrets Vater, war nichts anzumerken. Er begrüßte mich mit sehr viel Interesse. Er hatte Ähnlichkeit mit Berret. Ein Typ mit weicher Stimme und einem vielsagenden und einschmeichelnden Blick, immer ein Lächeln in den Augenwinkeln, oder so ähnlich. Es war mir sehr ungewohnt, ihn einfach beim Vornamen zu nennen. Noch schwieriger schien es mir, Berrets Mutter mit ihrem Vornamen anzusprechen. Dies machten hier aber alle so. Ich tat es nicht. Ich umging die direkte Ansprache. Ich traute beiden nicht, spürte, dass etwas nicht in ihrem Verhältnis stimmte, und setzte meine abweisende Miene auf. Wenn man solch eine Elterntrennung mitgemacht hat wie ich, dann hat man im Gespür, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Ein Kätzchen kam herangelaufen, es miaute und strich mir um die Beine. Ich hob es auf den Arm, streichelte es und nahm es mit auf meinem Rundgang nach draußen, über das Kleintiergehege, vorbei an den schweren Findlingsblöcken, über die Wiese zum Schulgebäude und wieder zurück zu dem Wohn- und Schlafhaus der Internatsschüler. Das stand quer zum Haupthaus, war ein langgestrecktes, niedriges Gebäude, in dem sich die Zimmer jeweils im Erdgeschoss und Dachgeschoß aneinanderreihten. Es begrenzte mit dem Haupthaus den gepflasterten Hof.

Ich wohnte zuerst unten und später auf Nummer 18 im Dachgeschoß. Das Dach war so flach, dass man beinahe darauf spazieren gehen konnte. Das habe ich ja dann auch ausprobiert – und es hat gut geklappt, wenn nachts alles schlief, mein Zimmer zu verlassen und sozusagen „mondsüchtig“ über das Dach zu turnen.

Ich hatte mich bald in Berret verliebt. Er war meine erste Liebe und ich war Feuer und Flamme für ihn, so dass vor allem die Mitschülerinnen bald begannen, mich aufzuziehen. Aber ich verstellte mich, so gut es ging. Ich war es gewohnt, mein Herz nicht zu zeigen und ich legte meine kühle und starre Miene auf, wenn ich ihnen begegnete und das Gespräch auf Berret kam. „Ich doch nicht“ sagte ich. „Ich habe andere Interessen Ich will Pferdepflegerin werden und interessiere mich hauptsächlich für die Tiere“. Trotzdem ging es soweit, dass sie mir eine meiner geheimen Liebesbotschaften entwendeten, die ich in den Nächten schrieb und sie unter Berrets Haustüre schoben. Denn Berret hatte seine eigene Wohnung am Ende des Schülertraktes mit einer eigenen, sehr schweren Eingangstüre aus Eichenholz. Ich wusste das, weil er es einmal erwähnt hatte, dass bei ihm so schnell niemand einbrechen könne.

Es war mir nicht unrecht, dass er meine Botschaft erhielt. Er sollte den Absender erraten, deshalb hatte ich meinen Namen darin nicht erwähnt. Wir waren zu dieser Zeit schon über längere Zeit miteinander vertraut. Denn sehr bald hielt ich mich nachmittags, wenn die Schule beendet war, in seiner Nähe auf und half ihm bei der Pflege der Pferde. Ja, ich hatte diese Aufgabe offiziell von seinen Eltern übertragen bekommen und es sprach nichts dagegen, wenn ich mich im Pferdestall und auf der Koppel betätigte oder mit ihm ausritt.

Dann war ich versorgt und stellte kein Unheil an. Dann musste man sich nicht mit mir auseinandersetzen. Ich hatte den Eindruck, dass manche mich fürchteten. Ich konnte kalt und abweisend sein und so finstere Blicke werfen, dass die meisten zusammenzuckten. Das war meine Macht. Damit konnte ich mir alle vom Leib halten und bald wagte niemand von meinen Mitbewohnern, mich noch einmal auf Berret oder auf meinen Liebesbrief anzusprechen. Es ging sie nichts an. Das vermittelte ich ihnen deutlich und ich achtete streng darauf, dass niemand mir etwas vorwerfen konnte. Ich hütete meine Briefe jetzt besser und fand ein sicheres Versteck, ich hütete auch meine Zunge und meine Blicke, ich hütete jedes Wort. Ich wurde unnahbar. Je mehr ich meine Gefühle für Berret entdeckte und je mehr ich mich ihm nähern durfte, umso unnahbarer wurde ich für die Anderen. Ich befand mich im Ausnahmezustand. Es bedeutete für mich das größte Glück und das Schönste und Tiefste, was ich bisher erlebt hatte, und ich muss gestehen, dass meine Verliebtheit und das neue Gefühl für einen Menschen die Zuneigung zu den Tieren noch übertraf.

Aber nie hätte ich wegen einem Menschen die Tiere vernachlässigt. Wenn Berret das von mir verlangt hätte, wäre meine Verehrung für ihn und mein großes und heftiges Gefühl sicher wie eine Seifenblase zerrplatzt. Da ich ihm niemals solch eine Einstellung zutraute, wuchs mein Glück jeden Tag etwas mehr, wenn ich bei ihm sein konnte.

Ich striegelte Abraxis und Akira und sah nach Scheuerstellen, die ich behandelte, ich putzte Balu die Hufe mit dem Hufkratzer und bürstete seinen Schweif, ich führte Abraxis auf die Koppel, um ihn zu reiten. Ich schleppte Mist und ich schleppte neues Heu herbei. Ich teilte Futter aus. Ich versorgte das Kleintiergehege und war überaus fleißig. Ich tat alles, wozu mich Berret aufforderte und wartete auf den Augenblick, an dem wir beide nachmittags am Zaun lehnten und zufrieden und glücklich die Pferde auf der Weide beobachteten, wie sie ihre Freiheit genossen. Der verschwiegenste Glücksmoment aber war, wenn Berret den Arm über meine Schulter legte und er dort kurz verharrte. Dann träumte ich davon, immer mit ihm zusammen zu sein. Das Beste waren jedoch unzweifelhaft unsere gemeinsamen Ausritte, Seite an Seite mit den Pferden. Ich ritt meistens auf Akira. Der Name heißt „Die Strahlende“ und ich strahlte innerlich. Ich fühlte mich aufgewertet, stolz und lebendig. Das Leben konnte gelingen. Alles war gut.

Es ging lange so mit uns. Viele Monate, ich glaube, fast ein Jahr liebte ich Berret mit meiner neu erwachten Mädchenliebe, ohne es ihm direkt zu sagen. Er hatte über die geheime Liebesbotschaft geschwiegen. Wahrscheinlich erhielt er häufig solche Nachrichten. Zu meinem Glück fehlte mir aber nichts. Ich war jung. Ich hatte Zeit. Aber es beunruhigte mich und versetzte mir einen Stich ins Herz, wenn Berret manchmal mit den angestellten Erzieherinnen flirtete. Ich hatte Angst, ihn zu verlieren. Ich begann, für mein Glück zu kämpfen. Zu viel hatte ich schon im Leben verloren. Ich fühlte mich den Erwachsenen bald gleichberechtigt und ebenbürtig. Ich wollte die Kindheit hinter mir lassen.

Nadelherz

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