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DIE PRÜFUNG

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(Berret)

Ich, Berret Gardot, hegte bald eine besondere Zuneigung zu dem Mädchen Xavelia. Aber ich beschäftigte mich nicht sonderlich mit dem Gefühl. Ich stürzte mich heftig in die Arbeit. Davon hatte ich genug. Ich stürzte mich auch in eine kurze Affäre mit einer hübschen, jungen Mitarbeiterin. Ich wusste, ich hatte Chancen bei den Frauen. Wirklich einlassen wollte ich mich jedoch nicht. Niemand berührte wirklich mein Herz. Xavelia ist die Einzige geblieben, an die ich mich band und deren Anwesenheit mich dauerhaft hätte glücklich machen können.

Als wir uns nahe kamen, begann ich den Altersunterschied zwischen uns nach und nach zu vergessen. Ich vergaß auch, dass ich als angehender Lehrer ihr gegenüber besondere Distanz hätte wahren müssen. Sie begegnete mir jedoch auf gleicher Augenhöhe, wie ich verwundert feststellte. Ich hatte ein wirkliches Gegenüber, wie mir schien. Sie war gradlinig. Sie ließ sich nicht belügen. Sie war aufmerksam und hatte feine Antennen. Sie merkte sofort, wenn etwas Unausgesprochenes die Atmosphäre störte und sie hatte den Mut, es anzusprechen. Dafür nötigte sie mir Bewunderung ab. Sie konnte aber bei anderen wild und unberechenbar sein.

Sie prüfte lange, ob die Menschen vertrauenswürdig waren, und wenige bestanden die Prüfung. Ihre Schroffheit anderen gegenüber war im Haus bekannt und manche fürchteten sich vor ihr. Man hielt sie für schwierig. Man hielt sie für hart, kalt und berechnend. Doch es war Selbstschutz. Sie hatte ein verwundetes Herz. Wenn sie sich bei mir aufhielt, zeigte sie ihre ganz andere Seite. Sie näherte sich mir vorsichtig und aufmerksam, wie sie sich den Tieren näherte. Sie legte die raue und harte Schale ab, sie öffnete sich und ließ mich in ihr Inneres blicken. Dort sah ich ein Wesen, das beides war, zornig und traurig zugleich, das unter der Trennung ihrer Eltern gelitten hatte, das sich Sorgen um die Mutter und die Geschwister machte, das den fremden Partner in der Familie nicht akzeptieren konnte, das immer noch litt, weil es durch Gehörverlust und die fehlende Sprache von der Welt ausgeschlossen war. Ich erlebte eine einsame Xavelia, die sich schon mal an meiner Schulter ausweinte, aber auch eine starke und liebesfähige Xavelia, die all ihre Gefühle tief in ihrem Inneren verbarg. Vor allem aber konnte sie eine unbändige Lebensfreude entwickeln.

Ich sah auch mich neben ihr. Ich war ihr voraus an Erfahrung, nicht aber an Stärke. Ich war ihr voraus an Lebensjahren, nicht aber an Mut. Merkwürdig, diese Einsamkeit, die sie empfand, war auch meine Einsamkeit.

Ich, Berret, war mit meinen Eltern in einer Heimschule groß geworden. Ich konnte als kleines Kind sehr bald sprechen. Die Sprache wurde mein Element. Dies verleitete meine Umgebung dazu, mich zu bewundern und mir sehr viel zuzutrauen. Doch auch ich vermisste die Liebe meiner Eltern schmerzlich Ich musste sie von Geburt an mit einer Schar fremder Kinder teilen. Das wurde mir bewusst. Fremde Kinder im Haus meiner Eltern, die ihre gesamte Zeit und Zuwendung fraßen wie ein Heuschreckenschwarm. Ich war ihrer oft überdrüssig gewesen. Wie vereinsamt ich war, wurde mir durch Xavelia, klar, als ich sie einmal weinen sah. Auch ich vertraute mich ihr dann an und seit diesem Zeitpunkt waren wir unzertrennlich. Xavelia begann mir immer mehr ihren weichen Kern zu zeigen: ihre Sanftheit, ihre Treue, ihre Fähigkeit zu trösten, wie sie es schon lange bei den Tieren tat.

Meine eigene Zuneigung war plötzlich in gefährliches Fahrwasser geraten. Ich begann ihr immer mehr Platz in meinem Leben einzuräumen. Auch sah ich, wie Xavelia mir mit ihren Blicken eindringlich zu folgen begann. Ich roch den Wind ihrer Nähe, der aus den Tropen zu kommen schien und alle Gerüche üppiger Vegetation und den Geschmack von kostbaren Gewürzen mitbrachte. Doch ich klammerte mich an meinen Verstand und verwarf mit aller Kraft den Wunsch, mich ihr noch mehr zu nähern. Trotzdem konnte ich mir selbst nicht verbergen, dass ein Sog entstanden war. Wir begannen, uns Briefe zu schreiben. Sie offenbarte ihre kleinen Geheimnisse und ich antwortete ihr, indem ich ihre Rechtschreibung verbesserte und Zeichen der Zuneigung hinzufügte, die sie zu deuten wusste. – Wir erfanden einen Geheimcode. Für mich war es noch ein Spiel. Wie oft hatte ich mich in meiner Jugendzeit, die noch nicht so lange zurück lag, auf solche Spiele mit den Mädchen im Hause eingelassen.

Die Grenzen verwischten sich. Ich stürzte mich weiter in so viel Arbeit, wie möglich und redete mir ein, der Zustand ginge bald wieder vorüber, wie es immer war. Ich reparierte Autos von Freunden, wozu ich eine große Begabung hatte. Ich gab Reitkurse. Ich machte die Buchhaltung des Hauses bis tief in die Nacht. Meine Arbeit in Schule und Wohnbereich musste ich zu eingeteilten Zeiten erfüllen.

Zu den Aufgaben im Wohnheim, in dem ich ab dem Nachmittag tätig war, gehörte auch das Zeremoniell am Abend. Die Kinder und Jugendlichen wurden mit besonderer, persönlicher Zuwendung in die Nacht verabschiedet. Man sprach mit jedem ein nettes Wort. Manche erhielten medizinische Anwendungen oder Medikamente. Xavelia erhielt abends ein Fußbad und man massierte anschließend ihre Füße mit einer Salbe ein, um die Schwielen zu behandeln, die sie von der Arbeit in Hof und Stall davongetragen hatte. Sie mutete sich viel zu. Ich durfte diese Zeremonie einmal übernehmen. Es war ein Abend, bei dem wir eine Intimität erlebten, die den Abstand noch mehr verringerte. Wir sahen uns schüchtern und verschämt in die Augen, in denen wir unsere Gefühle lesen konnten, wenn wir wollten. Aber ich wollte sie nicht wahrhaben. Ich ging schnell davon.

Es geschah an einem Abend, als meine Eltern im Theater waren und ich die Aufgabe übernommen hatte, sie zu vertreten. Ich schaltete gegen 23.00 Uhr den Computer aus und machte noch handschriftliche Aktennotizen. Das Haus war still. Alles schlief. So schien es. Ich wollte bald das Licht löschen. Da sah ich Xavelia über den dunklen Gang auf mich zukommen Sie kam wie eine Elfe zu mir geschwebt und setzte sich auf meinen Schoß. Sie umschlang mich und weinte still und untröstlich an meiner Schulter.

Sie gestand mir, dass sie verzweifelt sei wegen unseres Altersunterschiedes, dass sie sich innig wünschte, älter zu sein, weil es ihr dann erlaubt sein würde, immer mit mir zusammen zu sein. Dann gab sie mir einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder im dunklen Gang. Ich hörte, wie die Treppe nach oben leicht knarrte. In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Die Dämme waren gebrochen. Hatten wir uns vorher nicht immer wieder ohne Absicht liebevoll berührt, aber so getan, als wäre die Berührung zufällig? Waren wir nicht längst schon eine heimliche Einheit geworden?

Es war geschehen und nicht mehr ungeschehen zu machen. Ich habe ihr Geständnis unwidersprochen angenommen. Jeder weitere Schritt war strafbar. Ich wollte die Grenzen zwischen uns nicht überschreiten, aber gleichzeitig wollte ich sie lieben mit meinem ganzen Herzen, mit aller Kraft, aber ich würde mit ihr zusammen ins Unglück stürzen, wenn ich nichts dagegen unternahm. So sollte es auch kommen, obwohl ich zunächst das Verhängnis abwehren konnte. Aber ich tat wohl nicht das Richtige: mich meinen Eltern anzuvertrauen. Warum tat ich das nicht?

Nadelherz

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