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HELLYAN 1. Kapitel

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Noch einmal lese ich das leuchtende Schild vor mir:

Gattung: Mensch, weiblich

Herkunft: Erde

Alter: etwa zwölf Jahre

Dieses brandneue Exponat wird in die Ausstellung Erd-zone überführt, sobald eine emotionale Stabilität erreicht wurde.

Beim Anblick des verwahrlosten Wesens möchte ich am liebsten durch die unsichtbare Barriere fassen und seine Hand halten. (Was weder erlaubt noch möglich ist, denn die Barriere würde mir sofort einen schmerzhaften Schock versetzen.)

Sein Haar …

Okay. Ich darf nicht die ganze Zeit »es« und »sein« sagen. Auf dem Schild steht, dass es weiblich ist, also »sie« und »ihr«.

Ihr Haar ist lockig. Wie es wohl gewaschen aussieht? Ihre blasse, haarlose Haut ist mit winzigen dunklen Flecken überzogen (Sommersprossen nennt man das in ihrer Sprache). Ihre Kleidung gleicht der der anderen Bewohner aus der Erdzone: eine Hose aus derbem Stoff, oben herum ein dick wattiertes Kleidungsstück in einem helleren Ton und an den Füßen große Schuhe, die mit verschlungenen Schnüren zugebunden sind.

Ihr Gesicht ist schmutzig und tränenüberströmt, ihre Augen sind feucht und gerötet. Sie hat geweint (das ist normal, das tun Menschen andauernd), obwohl die atomare Auto-Medikamentierung ihre kognitiven Funktionen zum Großteil lahmgelegt hat …

(Moment mal. Klingt das zu kompliziert? Philip meint, ich soll lieber schreiben: »Ihr Gehirn funktioniert nur noch langsam, weil sie Medikamente bekommen hat.« Und das trifft es auch, so gut wie. Entscheidet selbst.)

Dennoch funkeln ihre Augen voller Leben. Vielleicht ist die Dosis nicht richtig berechnet worden oder ihr Körper ist in der Lage, die Wirkung der Medikamente abzuschwächen.

Jedenfalls sieht sie mich an. Und ich bin erstaunt, wie ausdrucksstark so ein menschliches Gesicht sein kann.

Als sie die Hand auf die Brust legt, glaube ich für einen Moment, dass sie die Geste der Herzler macht, aber natürlich tut sie das nicht.

Sie blickt mich eindringlich an und sagt: »Ta-mii.«

Mehr nicht, bloß diese beiden Silben.

Und wieder: »Ta-mii.«

Rasch vergewissere ich mich, dass mich niemand beobachtet, halte meinen PM hoch und filme. Mit den Exponaten zu kommunizieren, ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber man wird auch nicht dazu ermuntert.

Ta-mii. Ist das ihr Name?

Ich wiederhole die Silben, obwohl ich mich mit den Lauten schwertue.

»Ta-mii«, sage ich.

Sie nickt und verzieht das Gesicht, als wollte sie lachen und gleichzeitig weinen. Ich begreife nicht, warum. Menschen sind seltsame Wesen.

Wie sie lege auch ich eine Hand aufs Herz und sage meinen Namen. Das Menschenmädchen versucht, ihn zu wiederholen, aber es klingt kein bisschen nach meinem Namen. Beim nächsten Versuch geht es schon etwas besser. Ich probiere ein wenig hin und her und spreche meinen Namen dann so aus, dass sie ihn vielleicht wiederholen kann.

»Helly-ann«, sage ich und ihr Mund verformt sich ganz langsam zu einem Lächeln.

Sie blinzelt ein paarmal und spricht mir nach. Unwillkürlich muss auch ich lächeln.

Dann blickt sie wieder ernst und sie sagt zwei weitere Silben: »Ii-sen.«

Plötzlich ertönt aus dem Lautsprecher über mir eine Stimme: »Ihre Zeit ist um. Gehen Sie weiter. Hinter Ihnen hat sich eine Schlange gebildet, auch andere wollen das neue Exponat besichtigen. Beanspruchen Sie nicht mehr als die Ihnen zustehende Zeit. Der Nächste.«

Das Menschenmädchen sieht mir nach, dann zieht es sich in die hinterste Ecke seines Geheges zurück und setzt sich auf den Boden. Da rücken auch schon zwei neue Besucher an.

»Ta-mii«, sage ich vor mich hin, während ich an dem HM vorbeigehe, der am Rand des Ausstellungsraums steht.

»Das ist Ihr drittes Mal hier, wenn ich mich recht erinnere«, sagt der HM. »Und dann kommunizieren Sie auch noch mit den Exponaten? Ich behalte Sie im Auge.«

Natürlich sagt er das nicht laut. Das braucht er auch gar nicht, sein scharfer Blick genügt.

So läuft das bei uns. Alle halten sich an die Regeln. Keiner tanzt aus der Reihe.

Auf dem Weg zu meinem Podhaus muss ich mich zusammenreißen, um nicht weinend zusammenzubrechen. Die Leute hier weinen nicht, und lachen tun sie übrigens auch nicht.

Stattdessen wiederhole ich in Gedanken immer wieder ihren Namen: Ta-mii. Ta-mii. Ta-mii.

Zu Hause spiele ich den Teil der Aufnahme ab, die ich von dem Menschenmädchen gemacht habe, als es seinen Namen und diese anderen Laute von sich gegeben hat.

Was ist denn Ii-sen? Das hat sie doch gesagt: Ii-sen.

Vielleicht finde ich es irgendwann heraus.

Denn ich werde Ta-mii zur Erde zurückbringen.

Das wird gefährlich. Wenn ich scheitere, werde ich für den Rest meines Lebens in Tiefschlaf versetzt.

Und wenn es mir gelingt? Dann werde ich es wahrscheinlich fürs nächste Exponat wieder tun müssen.

Das ist der Fluch, wenn man Gefühle hat.

Das Kind vom anderen Stern

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