Читать книгу Seewölfe Paket 23 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 31
1.
ОглавлениеSalimbene, El Moreno und Rubirosa – so hießen die drei Kerle, die am späten Abend des 29. Dezember 1594 in Potosi als erste wieder ihre Nasen ins Freie steckten. Es war ein in jeder Hinsicht denkwürdiger Tag gewesen. Aber er war noch nicht zu Ende. Das Beste, so fand das Trio, sollte erst noch geschehen.
Wer hätte jemals damit gerechnet, daß diese Stadt, die größte in der Neuen Welt und ein Prunkstück spanischer Baukunst und Macht, in ihren Grundfesten erschüttert werden würde? Niemand. Schon gar nicht die Bewohner. Wurde doch Potosi von Männern wie Don Ramón de Cubillo und seinen Günstlingen regiert, die die Zügel fest in der Hand hielten und jeden unnachgiebig bestraften, der gegen sie vorzugehen wagte.
Männer wie Salimbene, El Moreno und Rubirosa waren stets darauf bedacht gewesen, mit den Oberen der Stadt nicht anzuecken. Sie lebten im Halbdunkel und galten als übles Gelichter, fielen aber nie auf. Sie vegetierten in den Spielhöllen und den Kellern der Stadt dahin, immer am Rand des Existenzminimums.
Sie arbeiteten nicht, tranken viel Wein und bewegten sich auf dem winzigen, scharfen Grat, der das Gaunertum vom Verbrechen und offener Gewalt trennt. Sie schwammen mit auf der Welle von Wohlstand und Laster, ohne richtig daran teilzuhaben. An diesem Abend aber, zwei Tage vor dem Jahresende, schlug ihre große Stunde.
Es war etwas ins Wanken geraten – im ganzen großen spanisch-portugiesischen Königsreich. Wie sonst konnte es geschehen, daß eine Stadt wie Potosi überfallen und ihres Reichtums beraubt wurde? Und wer waren diese Kerle – nur eine Handvoll –, die die einmalige Unverfrorenheit aufgebracht hatten, den Provinzgouverneur Don Ramón de Cubillo gefangenzunehmen und zu verschleppen? Gehörte nicht mehr als Kühnheit dazu, einen solchen Schlag zu landen? Waren sie – Sendboten des Teufels?
Nein. Sie waren ganz normale Menschen, aus Fleisch und Blut. Man mußte schon sehr abergläubisch sein, um an einen derartigen Unsinn und Mummenschanz zu glauben. Nein. Sie waren zwar Teufelskerle, aber sie waren nicht den Schlünden der Hölle und Finsternis entstiegen, sondern kamen von einem Schiff, das irgendwo an der Küste ankerte. Anders konnte es nicht sein. Sie hatten einen langen Marsch auf sich genommen, aber sie hatten einen immensen Erfolg zu verzeichnen. Es hatte sich gelohnt. Jetzt kehrten sie zu ihrem Schiff zurück.
So jedenfalls dachte Salimbene, ein kräftig gebauter Kerl mit grob geschnittenem Gesicht und kurzen grauen Haaren.
El Moreno – so genannt, weil er pechschwarze Haare und einen ebenso pechschwarzen Bart hatte – pflichtete ihm voll bei.
Und auch Rubirosa, ein flinkes, gewandtes Kerlchen, das durch größte Fingerfertigkeit bestach, war nicht geneigt, die Dinge anders zu betrachten.
Ja, in gewisser Weise imponierten die Fremden dem Trio sogar. Hatten sie nicht eine große Tat vollbracht? Potosi war wie gelähmt. Nichts rührte sich. Die Angst ging um. Wer keine Furcht hatte, konnte sich ungestört bewegen und jeden Platz und jedes Haus aufsuchen, ohne befürchten zu müssen, kontrolliert zu werden.
Dieser Umstand kam Männern wie Salimbene, El Moreno und Rubirosa sehr gelegen. Konnte man nicht beispielsweise einen Abstecher zur Münze unternehmen – oder zur Gouverneursresidenz? Warum nicht? Wer hinderte einen daran?
Salimbene stand an der halb geöffneten Tür des verfallenen Hauses, in dem sie Unterschlupf gefunden hatten. Es stand etwas erhöht am südlichen Stadtrand. Man hatte von hier aus einen recht guten Ausblick.
„Ich glaube, sie sind fort“, murmelte er.
„Sicher sind sie fort“, meinte El Moreno, der dicht hinter ihm war. „Und sie haben jede Menge Silber mitgenommen.“
„Und wo sind jene, welche die Stadt umstellt hatten?“ wollte Rubirosa wissen.
„Die haben nie existiert“, erwiderte Salimbene. „Alles nur ein Bluff.“
„Aber alle haben gesagt, daß ein Heer von Feinden Potosi umzingelt hätte“, sagte Rubirosa.
„Hast du sie gesehen?“ zischte El Moreno.
„Nein.“
„Ich glaube nur, was ich sehe“, sagte El Moreno.
„Ich auch“, sagte Salimbene, dann schlüpfte er ins Freie.
Es war totenstill. Ein paar Lichter funkelten und flackerten noch in der Stadt, das war alles. Keine Stimme ertönte. Kein Tier ließ auch nur einen Laut vernehmen. Kein Hund bellte, die Bluthunde des Luis Carrero waren tot, beseitigt von einer kräftigen Pulverladung.
Ein leichter Windhauch strich vom Altiplano ins Tal. Es war kalt. Ein Eispanzer schien sich über Potosi zu senken, Geister streckten ihre kalten Klauen aus. Salimbene hüllte sich in seine lumpige Kleidung und begann mit dem Abstieg. El Moreno und Rubirosa folgten ihm.
Und Rubirosa dachte daran, daß das erste, was er klauen würde, ein Paar Stiefel sein würde. Davon träumte er schon seit langem. Es war nicht sehr angenehm, barfuß über die kahlen Felsen stolpern zu müssen, obwohl die Fußsohlen schon eine beachtliche Hornhaut hatten.
„Da tut sich nichts“, murmelte Salimbene. „Die hocken alle in ihren Häusern und schlottern vor Angst.“
„Auch die Soldaten?“ fragte Rubirosa.
„Auch die Soldaten“, entgegnete El Moreno gedämpft. „So, und jetzt halt’s Maul! Oder willst du, daß sie uns hören?“
Schweigend drangen sie in die Gassen ein. Ihre schemenhaften Gestalten bewegten sich huschend von Haus zu Haus. Aber sie waren nicht die einzigen. Weitere Schatten waren in den Gassen und Gängen und am Rande der Plazas zu beobachten. Salimbene bemerkte sie als erster, und er wußte sofort Bescheid.
„Die anderen sind auch schon unterwegs“, raunte er seinen beiden Kumpanen zu. „Wir müssen uns beeilen.“
„Sonst bleibt für uns nichts übrig“, murmelte El Moreno. „Wir sollten uns als erstes die Münze vornehmen!“
Sie beschleunigten ihre Schritte. Sie dachten nur an das eine: Silber, Reichtum, eine günstige Gelegenheit, sich zu bereichern, eine Chance, die sich in dieser Form nie wieder bieten würde. Potosi gehörte dem lichtscheuen Gesindel, den Dieben, Marodeuren und Galgenstricken.
Die drei Kerle irrten sich nicht: Der Feind hatte Potosi verlassen. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und sein Trupp hatten der Stadt noch an diesem Abend den Rücken gekehrt und zogen westwärts. Sie befanden sich auf der Route – eine Art Straße, wenn man sie so nennen wollte –, die durch das Gebirge von Potosi nach Arica führte.
Hasard musterte nicht ohne Stolz seine Begleiter. Sie hatten sich großartig geschlagen. Jetzt hatte er die Gewißheit, daß er den kleinen Trupp richtig zusammengestellt hatte. Bei ihm waren Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater David, Pater Aloysius – als Bergführer und „Lotse“ –, Dan O’Flynn, Carberry, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark und Mel Ferrow.
Fred Finley hatte den Marsch unterbrechen müssen, weil er sich den Fußknöchel gebrochen hatte. Er befand sich bei einer Indio-Familie, die ihn pflegte. Dort würden sie ihn auch wieder abholen.
Mit von der Partie waren auch drei Indios aus dem Tacna-Tal, die vor Zwei Jahren nach Potosi verschleppt worden waren. Sie hießen Toparca, Chupa und Atitla. Hasard und seine Männer hatten sie wie die anderen Sklaven aus der Gefangenschaft befreit. Endlich konnten sie in ihre Heimat und zu ihren Angehörigen zurückkehren.
Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er zu dem dicken Don Ramón de Cubillo blickte. Der sehr ehrenwerte und hochwohlgeborene Señor Provinzgouverneur von Potosi schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Nur schnaufend bewegte er sich voran. Geschieht dir recht, dachte der Seewolf, und es ist noch die geringste Strafe.
Im übrigen schien der Señor Furcht vor den zwanzig Maultieren zu haben, besonders aber vor Diego, Carberrys besonderem Liebling, der bei den unmöglichsten Anlässen Trompetensignale loszulassen pflegte.
Die Animosität war aber nicht einseitig. Diego beäugte den Dicken hin und wieder, als verspüre er Lust, ihm mit seinen Hinterhufen kräftig gegen den Bauch zu trampeln.
Zehn von den Maultieren waren mit Silberbarrenkisten beladen. Auf die zehn anderen Maultiere – darunter auch Diego – hatten die Männer ihr Gepäck verladen. Zum Beispiel die Waffen: In Potosi hatten sie sich endlich auch wieder Musketen und Blunderbusses besorgt, auf die sie während des langen Marsches zu ihrem Ziel aus praktischen Gründen verzichtet hatten. Sie hatten sie sich aus dem Zeughaus von Potosi geholt. Ebenso hatten sie sich reichlich Pulver in handlichen kleinen Fässern beschafft, die sie aus dem danach gesprengten Pulverturm hatten „mitgehen“ lassen.
Auch ihren Proviant hatten sie in Potosi entsprechend ergänzt, damit kein Mangel an Nahrung bestand. Trinkwasser und Wein waren auch ausreichend vorhanden – und Kleidung. Zelte und Decken gehörten mit zu der Ausrüstung. Pater Aloysius hatte sie nicht oft genug darauf hingewiesen, wie wichtig gerade sie für die Expedition waren.
Bewußt hatte der Seewolf die Aricaroute gewählt.
„Wir bleiben zunächst auf dieser Strecke“, sagte er zu Ribault und den anderen, als sie eine erste kurze Rast einlegten.
„Du bist dir also nach wie vor sicher, daß man uns folgen wird?“ fragte Karl von Hutten.
„Ganz sicher sogar“, entgegnete Hasard. „Sobald die Leute in Potosi den Schock der plötzlichen Ereignisse überwunden haben, wird sich dort einiges ändern.“
„Früher oder später begreifen sie, daß sie vor ganzen elf Männern kapituliert haben“, sagte Ribault grinsend. „Ich schätze, dann verspüren sie große Lust, sich selbst in den Hintern zu beißen.“
Hasard lachte leise. „Eins steht jedenfalls fest: Die Dons werden Monate brauchen, um wieder Silber abbauen zu können.“
„Ganz abgesehen davon, daß die Silbermühlen und sämtliche Gerätschaften zur Silbergewinnung einschließlich der Vorrichtungen zum Schmelzen, Gießen und Prägen zerstört sind“, sagte Dan. „Das braucht schon seine Zeit. Vielleicht ein ganzes Jahr.“
„Von mir aus auch mehr, verdammt noch mal“, sagte der Profos. „Und wenn sie alles wieder in Ordnung haben, besuchen wir sie noch mal. Was?“
Er blickte drohend zu Don Ramón, und dieser verschluckte sich und begann zu husten. Als er registrierte, daß auch die drei Indios ihn mit unverhohlener Mordlust musterten, brach ihm der Schweiß aus.
„Das nennt man Tabula rasa“, sagte Pater David. „Reiner Tisch ist gemacht worden – was die gesamte Silberausbeute betrifft, vom Abbau bis zur Münze oder zum Barren.“
„Ein feines Stück Arbeit“, sagte Pater Aloysius grimmig. „So ganz nach meinem Geschmack. Freunde, ich werde ewig den Tag loben, an dem ihr nach Tacna gekommen seid. Das allerschönste aber ist, daß sich im Cerro Rico kein einziger Sklave mehr befindet.“
„Gut finde ich auch, daß wir die Silbermünzen, die eigentlich für den König von Spanien bestimmt waren, an die befreiten Indios verteilt haben“, sagte Matt Davies. „Das muß den Dons ganz hübsch in die Knochen gefahren sein.“
„Das denke ich auch“, sagte der Seewolf. „Aber es könnte einige Konsequenzen nach sich ziehen, habt ihr darüber schon nachgedacht?“
„Sie verlassen alle Mann Potosi?“ fragte Carberry. „Meinst du das?“
„Nicht ganz.“
„Laß mich mal raten“, sagte Ribault. Er grinste wieder. „Ich könnte mir ganz gut vorstellen, daß die Señores jetzt keine Rücksicht mehr auf das wertvolle Leben ihres Provinzgouverneurs nehmen, der als Geisel von uns Banditen mitgeschleppt worden ist. Liege ich richtig?“
„Goldrichtig“, erwiderte Hasard. „Was du sagst und was auch ich mir überlegt habe, gilt insbesondere für die Soldaten und Offiziere der Garnison in Potosi, die mit dem Stadtkommandanten auf Befehl des Gouverneurs nach Sucre in Marsch gesetzt worden sind.“
„Das war ein Befehl“, sagte Mel Ferrow. „Ha, so habe ich mich selten amüsiert!“
Don Ramón de Cubillo verstand kein Wort von dem, was sie sprachen, aber natürlich begriff er, daß sie auch über ihn redeten und sogar lachten. Zu der Schmach und Niederlage kam also auch noch diese Schande. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken. Er hörte nicht auf zu schwitzen. Es wurde immer schlimmer. Er war klitschnaß, am’ ganzen Leib.
„Also, diese feinen Soldaten mit ihrem Rübenschwein von Kommandanten kriegen allmählich spitz, daß wir sie geleimt haben, meint ihr?“ Carberry grinste noch ein bißchen mehr als Ribault und die anderen.
Don Ramón stöhnte auf, als er diese Fratze im Mondlicht sah. Nie zuvor in seinem durchlauchten Leben war er einem ähnlich gräßlichen Ungeheuer begegnet, dessen war er sicher.
„So ist es“, erwiderte Dan. „Du hast es mal wieder erfaßt, Ed. Denen muß inzwischen aufgegangen sein, daß es keine fremden Truppen gibt, die angeblich Potosi umstellt haben, wie wir es ihnen vorgegaukelt haben.“
„Wir haben sie bald am Hals“, sagte der Seewolf. „Deshalb sollten wir zusehen, daß wir weiterkommen.“
Sie nahmen ihren Marsch wieder auf, und Hasard trieb den Trupp entsprechend an. Silvester wollte er einen strategisch richtigen Platz erreicht haben. Dort konnten sie sich besser schlagen, falls es erforderlich wurde. Wie sich die Dinge zweifellos entwickelten, war es besser, Vorsorge zu treffen.
Der „Platz“ war die Cordillera de los Frailes – ein wildes, zerklüftetes Berggebiet, in dem man sich gut vor einem Verfolger verbergen konnte und wo dieser es entsprechend schwer hatte, seinen Gegner zu finden.
Don Ramón de Cubillo jedoch schien jeden Augenblick seinen Geist aufgeben zu wollen. Er erhob sich nicht, er blieb auf dem Felsen sitzen, auf den er sich hatte sinken lassen.
„Ich kann nicht mehr“, jammerte er, als Carberry auf ihn zutrat.
Carberry packte den Dicken an dessen verschmutztem Hemd und zog ihn mühelos hoch.
„Du kannst“, sagte er. „Und wie du kannst! Soll ich dir mal beweisen, wie sehr du laufen kannst, du Schmalzfaß?“
Ganz von allein setzte sich Don Ramón wieder in Bewegung. Aber seine Ausdauer war nicht groß. Bald stolperte er wieder, keuchte und ächzte. Er fiel hin, rappelte sich wieder auf und stöhnte. Immer wieder mußte ihm der Profos auf die Sprünge helfen. Der Dicke, so stellte sich heraus, war eher eine Last für sie, und ob sie ihn als eine Art Faustpfand würden einsetzen können, war alles andere als sicher.
Salimbene, El Moreno und Rubirosa drangen in die jetzt offene und unbewachte Casa de la Moneda an der Nordseite der Calle Ayacucho ein. Aufmerksam und lauernd zugleich blickten sie sich nach allen Seiten um.
„Hier ist noch keiner“, raunte Salimbene. „Wir sind die ersten. Los, schnell!“
Sie durchsuchten den ersten Raum, und Rubirosa stolperte fast über einen Silberbarren, der auf dem Boden lag. Dann bückte er sich danach und kicherte. Dafür, dachte er, kann ich mir mehr als nur ein Paar schöner Stiefel kaufen.
„Achtung!“ zischte Rubirosa plötzlich. „Da ist jemand!“
„Ja, ich höre auch Schritte“, brummte Salimbene. „He, wie wär’s, wenn du mal nachsiehst?“
„Immer ich?“ Rubirosas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wollten die beiden anderen ihn etwa hereinlegen? Nein, sie konnten es nicht tun. Noch waren sie auf ihn angewiesen. Zu dritt waren sie gut aufeinander eingespielt und fühlten sich stark. Wenn einer von ihnen ausfiel, sah das schon anders aus.
Rubirosa huschte zurück zur halboffenen Tür und lauerte. Die Schritte näherten sich – kaum wahrnehmbar. Sie knirschten auf Kies und tappten über Steinplatten, dann waren sie ganz heran. Eine Gestalt schob sich ins Innere des Gebäudes. Ein Kerl, viel größer als Rubirosa, aber wohl nicht ganz so gewitzt.
„He!“ sagte Rubirosa. „Bist du’s, Palmiro?“
„Ja“, brummte Palmiro überrascht. Er war nicht der schnellste Denker und konnte absolut nicht begreifen, wieso ein Bürschchen wie Rubirosa vor ihm hier war.
„Hau bloß wieder ab“, sagte Rubirosa. „Hier gibt’s für dich nichts zu holen.“
„Das mußt du mir gerade sagen“, Palmiro drehte sich halb um und versuchte, den kleinen Mann zu packen. Aber Rubirosa war flink wie ein Wiesel. „Verschwinde du doch“, sagte Palmiro. „Und laß mich in Ruhe, verstanden?“
Rubirosa hatte blitzschnell sein Messer gezückt, sprang auf den großen, wuchtig gebauten Kerl zu und beförderte ihn auf die Tür zu. Bevor Palmiro reagieren konnte, hatte er ihn ins Freie gestoßen und rammte die Tür zu.
Palmiro krümmte sich und griff sich entsetzt mit beiden Händen an den Leib. Brennende Schmerzen durchzuckten ihn. Er hob die eine Hand vor die Augen und sah, daß sie blutig war.
„Santa Madre“, stammelte er. „Er – er hat mich gestochen.“
Gestalten huschten aus dem Dunkel heran und steuerten auf die Casa de la Moneda zu. Ein Kerl mit einem wilden Bartgestrüpp erreichte als erster Palmiro.
„Was ist los mit dir?“ fragte er.
„Er hat mich gestochen“, sagte Palmiro betroffen und erschrocken zugleich.
„Wer?“
„Rubirosa – das Schwein! Sieh mal – hier!“
Der Bärtige untersuchte die Wunde und richtete sich wieder auf.
„Das sitzt nicht sehr tief“, brummte er. „Ist nur ein Kratzer. Hört bald auf zu bluten. Los, komm mit, wir heben den Schuppen aus. Nachher kannst du dich immer noch verbinden.“
Zu fünft rückten sie auf die Tür zu. Sie mußten sie aufbrechen – Rubirosa hatte inzwischen von innen den Riegel vorgeschoben. Die Zeit, die sie für dieses Werk brauchten, genügte Salimbene, El Moreno und Rubirosa, die Silberbarren, die sie hier und dort fanden, nach hinten zu schaffen und auf dem Hof der Casa in einen zweirädrigen Karren zu verfrachten. Sie deckten einen Fetzen Stoff darüber. Dann griffen sie – in Ermangelung von Maultieren – nach der Deichsel und zogen den Karren vom Hof.
Die andere Gruppe von Plünderern hatte unterdessen die Tür aufgebrochen und durchsuchte die Räume. Sie waren gähnend leer. Alle Silberbarren, die hier noch gestapelt gewesen waren und von den Fremden nicht mitgenommen worden waren, befanden sich auf dem Karren des Trios.
Die fünf Kerle fluchten erbittert. Dann forschten sie aber doch weiter und stießen in Schränken auf Münzen, die das Trio nicht gefunden hatte. Lachend und kichernd warfen sie die Münzen, auf einen Tisch und verteilten sie untereinander. Palmiro vergaß vor lauter Entzücken sogar die Messerwunde und die Schmerzen.
Salimbene, El Moreno und Rubirosa zogen mit ihrem Karren durch die Stadt, die wie verlassen vor ihnen lag. Ihr zweites Ziel war die Residenz des Gouverneurs. Immer wieder schauten sie sich nach allen Seiten um. Manchmal erblickten sie Gestalten, die durch die Gassen huschten und darauf bedacht waren, sich nicht zu zeigen.
Die drei grinsten sich zu. Soldaten waren noch nicht zu entdecken, und so gab es immer noch die Möglichkeit, etwas zu erbeuten. Sie hatten die Plaza, an der sich der Palast des Gouverneurs befand, fast erreicht. Plötzlich aber sahen sie zwei Männer, die aus einer Toreinfahrt auf die Straße traten. Daß die nicht zu den Plünderern und Beutelschneidern gehörten, erkannten sie auf Anhieb.
„Verdammt“, zischte El Moreno. „Soldaten!“
„Es sind keine Soldaten“, flüsterte Rubirosa. „Siehst du nicht, daß sie keine Helme tragen?“
„Sie könnten sie abgenommen haben“, sagte Salimbene. „Nein, sie tragen normale Kleidung. Es sind Bürger.“
Er täuschte sich nicht. Die beiden Bürger – es waren die ersten, die sich wieder auf die Straße wagten – hießen Romano Casablanca und Lopez Garcia Marquez. Die Furcht steckte ihnen noch in den Knochen, aber Casablanca gab sich einen innerlichen Ruck, als sie den Karren und die drei Männer erblickten, trat mitten auf die Straße und hob die Hände, um sie zum Anhalten zu bewegen.
Salimbene, El Moreno und Rubirosa stoppten. Dieses Mal hatte nicht nur der Kleine die Hand am Heft des Messers. Auch die beiden anderen griffen nach ihren Waffen. Wenn es erforderlich wurde, würden sie sich den Weg freikämpfen.