Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 44
2.
ОглавлениеEin handiger Südost pfiff über die düsteren Klippen von Pentire Point. Blauschwarze Wolkenbänke wurden von dem ablandigen Wind in immer dichteren Formationen über die Küste Cornwalls weg auf die See getrieben. Zusehends länger wurden die Zeitabstände, in denen die Wolkendecke aufriß und es dem abnehmenden Mond erlaubte, sein fahles Licht auf die rauhe Landschaft auszugießen.
Es war der Abend des 23. Februar 1580.
Leise klirrten die Hufeisen des Pferdes auf dem steinigen Boden. Der Atem des erschöpften Tieres stand für Augenblicke in milchigen Schwaden vor seinen Nüstern, bis er vom Wind wieder zerfasert wurde.
Das blonde Haar des schlanken jungen Mannes schimmerte matt in der Dunkelheit. Er führte sein Pferd an den Zügeln hinter sich her. Trotz der mörderischen Strapazen, die er ertragen hatte, waren seine Bewegungen von federnder Elastizität. Zügig näherte er sich der Felsenküste, von deren Fuß das Donnern der heranrollenden Wogen zu hören war.
Dan O’Flynn war tagelang unterwegs gewesen, bis er Pentire Point, die Halbinsel an der Westseite der Port Isaac Bay, erreicht hatte. Hinter ihm lag das tückische Bodmin Moor, das zu durchqueren selbst für Ortskundige nicht ungefährlich war. Und hinter ihm lagen endlose Umwege, die er hatte reiten müssen. Er war jeder menschlichen Siedlung ausgewichen, um seinen Auftrag nicht durch einen unverhofften Zwischenfall zu gefährden. Denn davon hatte er genug erlebt, nachdem er das Haus von Sir Anthony Abraham Freemont in Plymouth verlassen hatte. Wie sich gezeigt hatte, war das Anwesen Sir Anthonys bewacht worden, und sofort nach Verlassen des Hauses war Dan von einem Mann abgefangen worden, der ihn zu Friedensrichter Samuel Taylor Burton schleppen wollte. Dan hatte keine andere Wahl gehabt, als Burtons Schergen zu töten. Nicht besser war es den Strauchdieben ergangen, die ihn kurz darauf außerhalb von Plymouth hatten ausplündern und umbringen wollen.
Hasard, der inzwischen über den Berg war, wurde im Haus Sir Anthonys gesundgepflegt. Bei ihm waren Gwen, Dans Schwester und jungvermählte Ehefrau des Seewolfs, sowie der Kutscher. Nachdem er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, hatte Hasard erfahren, was seit seiner Verwundung geschehen war. Und er war zu dem einzig möglichen Schluß gelangt, daß Ben Brighton sich mit der Galeone und der Schaluppe in einer der Buchten an der einsamen Nordküste Cornwalls verstecken würde – so lange, bis der Seewolf wieder zur Stelle war.
Aber Hasard hatte es nicht ertragen, isoliert zu sein und sich nicht um das Schicksal seiner Crew kümmern zu können. Deshalb hatte er Dan O’Flynn losgeschickt, dessen Aufgabe darin bestand, die „Isabella“ zu finden und Hasards Verbindung zu seinen Männern wieder herzustellen.
Hier, auf Pentire Point, wollte Dan mit der Suche nach der Galeone beginnen.
Durch das Gewirr der bizarren Felsformationen fand Dan seinen Weg zur Steilküste. Eine Gasse, die einem Hohlweg ähnelte, öffnete sich vor ihm. Der Klippenrand zeichnete sich als scharfe Linie vor den weißen Schaumkronen der in der Tiefe rollenden Wellenberge ab.
Dan schlang die Zügel um eine Felsnase und ließ das Pferd zurück. Nachdem er vier oder fünf weitere Schritte hinter sich gebracht hatte, stockte er plötzlich.
Schwacher Lichtschein schimmerte zum Klippenrand herauf.
Dan prischte sich lautlos näher heran, obwohl er nichts zu befürchten hatte. Das Tosen der Brandung schluckte alle Geräusche auf größere Entfernung. Er ging in die Knie, streckte sich und kroch auf den Rand des Abgrunds zu.
Die schwache Hoffnung, die ungewollt in ihm aufgekeimt war, zerschlug sich. Unsinn, dachte Dan, so ein unverschämtes Glück, die „Isabella“ gleich beim ersten Versuch zu finden, kann es doch gar nicht geben!
In etwa vierzig Fuß Tiefe erstreckte sich unter ihm das Halbrund einer Felsenbucht. Zwei Schiffe lagen in der Bucht vor Anker, eine Dreimastkaravelle und eine Schaluppe.
Dan kniff die Augen zusammen. Im Laternenschein erkannte er, daß an Bord rege Betriebsamkeit herrschte. Aber von den Worten, die zweifellos gewechselt wurden, konnte er wegen der Entfernung nichts hören.
Dan O’Flynns Neugier war schlagartig wachgekitzelt. Was für Schiffe waren das, die ausgerechnet hier, an der Nordküste Cornwalls ankerten? War es ein Zufall, daß sie ebenso versteckt lagen, wie es zweifellos auch bei der „Isabella“ und der Schaluppe der Fall sein würde?
Dan beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen, ohne weitere Zeit zu verlieren.
Er richtete sich auf und pirschte vorsichtig nach rechts auf der Klippe entlang, bis er einen schmalen Grat fand, der für einen einigermaßen sicheren Abstieg geeignet war.
Am Fuß der Steilküste gab es eine Reihe von schroffen Felsvorsprüngen, die ihm hinreichenden Sichtschutz boten. Dan kauerte sich hinter einen der Gesteinsbrocken und spähte zu den beiden Schiffen hinüber. Die Entfernung betrug jetzt nur noch etwa vierzig Yards, und sobald er sich genügend konzentriert hatte, war er auch imstande, die an Deck geführten Gespräche zu verstehen.
Im nächsten Moment, als seine ungewöhnlich scharfen Augen die Einzelheiten erfaßten, traf es ihn mit der Wucht eines Hammerschlags.
Der Mann am Backbordschanzkleid der Kuhl war unverkennbar Sir John Killigrew.
Grimmig preßte Dan O’Flynn die Lippen aufeinander. Der Anblick dieses Schlitzohrs brachte sein Blut zum Kochen.
„Verdammte Schlafmütze!“ brüllte Sir John mit vornübergebeugtem Oberkörper. „Kann man so was nicht rechtzeitig feststellen? Wozu hast du deinen Strohkopf, zum Teufel! Wenn der nicht angewachsen wäre, bringst du es glatt fertig und vergißt ihn in deiner Miefbude!“
Dan mußte grinsen, und sein Zorn verrauchte ein wenig. Sein Blick wechselte hinüber zur Schaluppe, und er erkannte den Mann auf dem Achterdeck sofort.
Simon Llewellyn Killigrew, der Bruder des toten Malcolm. Simon war einen halben Kopf kleiner als Malcolm, doch er hatte das gleiche widerwärtige Ferkelgesicht und die gleichen roten Haare.
„So lasse ich nicht mit mir umspringen!“ schrie der Sohn des alten Killigrew zurück, und seine Stimme kippte dabei über. „Als wir in Falmouth abgelegt haben, war der Mistkahn noch in Ordnung!“
Ruckartig streckte Sir John den rechten Arm aus und deutete auf die Backbordseite der Schaluppe.
„Ha! Willst du mir weismachen, daß die Planke in den letzten paar Tagen morsch geworden ist? Glaubst du, ich ziehe meine Hosen mit der Kneifzange an, he?“
„Du kannst mich mal!“ antwortete Simon giftig. Trotz der Entfernung sah Dan, daß sein Ferkelgesicht krebsrot war. „Schrei ’rum, soviel du willst. Das ändert nichts daran, daß wir reparieren müssen. Die Planke zieht Wasser, und damit basta. Es ist mir scheißegal, sei wann das so ist. Jedenfalls können wir so nicht weiter.“
„Was für einen Ton erlaubst du dir!“ brüllte Sir John schnaubend. „Wie redest du mit deinem Vater!“
„Anders kapierst du es ja nicht!“ schrie Simon, außer sich vor Wut. „Ich will jetzt sofort den Schiffszimmermann haben!“
„Ach nein!“ Sir John lachte schallend und höhnisch. „Du willst ihn haben? Einfach so? Und wenn ich dir sage, daß du ihn nicht kriegst?“
„Dann hau doch ab!“
„Ja, das werde ich auch tun! Ich kann mir diese elende Zeitverschwendung nicht leisten. Wenn wir nämlich so weitermachen, finden wir die ‚Isabella‘ nie. Geht das in deinen Strohkopf hinein?“
„Das und noch mehr!“ rief Simon fauchend zurück. „Daß du nämlich mit deinem lächerlichen Waschzuber allein gegen die ‚Isabella‘ und die Schaluppe verdammt wenig ausrichten kannst. Denk mal drüber nach, Alter!“
Sir John Killigrew rastete sichtlich ein, war verwirrt und fand nicht sofort die passenden Worte.
Das Grinsen hatte sich in Dan O’Flynns Mundwinkeln festgesetzt. Die Brüllerei zwischen Vater und Sohn war geradezu aufheiternd. Und auch einige der Männer an Deck der Karavelle konnten sich ein verstohlenes Grinsen nicht verkneifen.
„Also gut“, sagte Sir John.
„Du kriegst den Schiffszimmermann. Aber ich komme ’rüber und reiße dir eigenhändig den Hintern auf, wenn du die Sache nicht ruckzuck erledigst!“
„Mit deinem Gefasel haben wir schon genug Zeit verplempert!“ schrie Simon bissig zurück. „Wir hätten längst fertig sein können, wenn du dich nicht wie eine hirnrissige alte Jungfer angestellt hättest!“
Sir John schluckte es, ohne eine Antwort zu geben.
„Canter!“
„Sir?“ Der bärtige Schiffszimmermann trat an das Schanzkleid.
„Setzen Sie über und fangen Sie an. Nehmen Sie die Männer mit, die Sie brauchen.“
„Aye, aye, Sir.“ Canter wandte sich halb um und nickte zwei Männern aus der Stammcrew der „War Song“ zu. „Hornblow, Rufus – bewegt euch.“
Die beiden traten bereitwillig vor. Hornblow war groß, strohblond und breitschultrig. Unter seinem derben Segeltuchhemd zeichneten sich imposante Muskelpakete ab. Rufus war drahtig und einen halben Kopf kleiner als der Blonde, seine Bewegungen hatten etwas von der Gewandtheit einer Raubkatze.
Sir John erinnerte sich, daß ihm dieses Gespann bereits einmal aufgefallen war. Es mußten brauchbare Burschen sein, wenn der Schiffszimmermann sich für sie entschied.
„Beiboot abfieren!“ befahl der alte Killigrew dröhnend.
Dann ruckte sein Kopf in Richtung Schaluppe, und seine Stimme schwoll an. „Muß ich euch erst auf Trab bringen? Seht gefälligst zu, daß ihr euren morschen Kahn krängt! Oder soll Canter Daumen drehen, bis ihr soweit seid?“
Simon Llewellyn gab keine Antwort. Statt dessen schrie er seine Mannschaft zusammen, wobei er auf den Zehenspitzen wippte, die Arme gestreckt herabhängen ließ und die Hände ballte.
„Los, los, auf was wartet ihr noch, ihr faulen Hunde! Für’s Herumstehen werdet ihr nicht bezahlt! Bewegt euch endlich! Beiboot abfieren! Trossen und Taljen klarieren! Anker ausbringen!“
Die Männer an Deck hasteten los, und immer noch auf den Zehenspitzen wippend, beobachtete Simon Llewellyn mit selbstgefälligem Lächeln, welche hektische Betriebsamkeit seine Befehle hervorriefen.
Thomas Canter, Hornblow und Rufus hatten währenddessen auf der „War Song“ ihre Werkzeugkisten in das Beiboot gepackt und ließen sich abfieren.
Sir John Killigrew wandte sich mit gönnerhafter Miene der restlichen Crew zu.
„Herhören, Männer! Es läßt sich leider nicht vermeiden, daß wir diesen unvorhergesehenen Aufenthalt in Kauf nehmen müssen. Aber ich sehe nicht ein, daß wir deshalb herumhocken und Trübsal blasen. Seit ich das Kommando wieder übernommen habe, habt ihr gezeigt, daß ihr bereit seid, zu arbeiten. Und ich bin verdammt kein Unmensch. Ich weiß, wann man eine Leistung anerkennen muß. Deshalb gibt es jetzt eine Sonderration von unserem guten Schottischen. Hat einer was dagegen einzuwenden?“
Begeistertes Gebrüll war die Antwort. In ihrer Zustimmung waren sich Killigrews Meute und die Männer der Stammcrew hundertprozentig einig.
Sir John lächelte zufrieden, während sie losrannten, um das Whiskyfaß anzuzapfen. Dann stapfte er zu seiner Kammer im Achterkastell, wo er sich selbst mit einem Trinkbecher versorgte.
Dan O’Flynn harrte regungslos in seinem Versteck aus. Immerhin wußte er jetzt, daß die Suche des alten Killigrew bislang erfolglos geblieben war. Die Reparatur der Schaluppe würde Ben Brighton und den anderen einen weiteren Zeitvorteil verschaffen. Vor seinem Aufbruch in Plymouth hatte Dan vom Kutscher erfahren, daß sich Sir John die Karavelle unter den Nagel gerissen hatte und hinter der „Isabella“ her ausgelaufen war. Deshalb bestand über die Absicht des alten Halunken jetzt nicht mehr der geringste Zweifel.
Während Dan die beiden Schiffe beobachtete, dachte er angestrengt nach. Er war allein und lediglich mit Messer und Pistole bewaffnet. Hatte es da überhaupt einen Sinn, zu überlegen, ob er gegen den alten Killigrew etwas ausrichten konnte? Seine Gedanken kreisten in vagen Bahnen, und er wußte, daß er von einem Entschluß noch weit entfernt war.
Der Schiffszimmermann und seine beiden Helfer pullten zu der Schaluppe hinüber. Sie hatten sich zusätzlich mit zwei Laternen ausgerüstet, die ihnen bei der Reparatur die nötige Helligkeit liefern sollten. Inzwischen war die Arbeit auf der Schaluppe bereits fortgeschritten. Einer der Anker war nach Steuerbord ausgebracht und dessen Trosse durch eine Talje im oberen Drittel des Mastes geschoren worden. An Deck standen sechs Männer am Handläufer der Trosse bereit und warteten auf das Kommando ihres ferkelgesichtigen Kapitäns. Kurz darauf hatte auch der zweite Anker an Backbord gefaßt. Die Trosse wurde mittschiffs in Höhe des Schanzkleides belegt.
Das Beiboot mit Thomas Canter und seinen Helfern erreichte die Schaluppe.
„Hool weg!“ schrie Simon Llewellyn. „Hool weg! Hool weg ...“ Er wippte im Takt seiner Kommandos.
Die Männer am Handläufer packten zu. Rasch straffte sich die Trosse, und das Mastholz begann protestierend zu knarren. Kurz darauf neigte sich die Schaluppe zügig nach Steuerbord.
„Langsamer, ihr Hornochsen!“ brüllte Simon Llewellyn. „Wollt ihr den Kahn zum Kentern bringen?“
Die Männer duckten sich unwillkürlich und verringerten ihr Arbeitstempo sofort.
„Genug!“ rief Thomas Canter aus dem Beiboot. Mit fachmännischem Blick hatte er die morsche Planke gesichtet, die sich nun etwa drei Fuß hoch über der Wasserlinie befand.
Heiseres Gegröhl setzte an Bord der „War Song“ ein.
Dan O’Flynn blickte zu der Karavelle hinüber und sah, daß die Männer im Halbkreis auf dem Deck der Kuhl hockten und die Whiskybecher kreisen ließen.
Dans Überlegungen nahmen festere Formen an.
Dumpfe Hammerschläge erklangen bei der Schaluppe. Thomas Canter war ein Mann, der sein Handwerk verstand. Das erkannte Dan O’Flynn an der schnellen und geschickten Art, mit der der bärtige Riese sein Werkzeug handhabte.
Während sie bei der Schaluppe noch arbeiteten, wurde das Grölen auf der Karavelle zunehmend ausgelassener.
Dan beobachtete das Geschehen mit wachsendem Interesse. Er spürte die Kälte nicht. Seine Sinne waren darauf konzentriert, wie sich die Lage entwickelte und welchen Nutzen er möglicherweise daraus ziehen konnte.
Die Zeit verstrich.
Etwa gegen Mitternacht hatten Thomas Canter und seine Helfer ihre Arbeit beendet. Die Trossen wurden gelöst, und der Mast der Schaluppe schwang in die Senkrechte zurück. Nachdem sie die Anker eingeholt hatten, gab es auch für Simon Llewellyns Mannschaft eine Sonderration Whisky.
„Ihr sollt nicht leben wie die Hunde!“ brüllte der alte Killigrew vom Schanzkleid der Karavelle herüber. Seine Zunge war bereits schwer geworden. „Sauft euch voll! Dafür zeigt ihr mir morgen, daß ihr brauchbare Kerle seid! Jedem, der nicht pünktlich auf den Beinen ist, ziehe ich eigenhändig die Neunschwänzige über! Wenn es sein muß, auch meinem eigenen Sohn!“
Brüllendes Gelächter brach an Bord der Karavelle aus. Die Männer auf der Schaluppe schrien sich ihre Begeisterung aus dem Leib. Simon Llewellyns Protest ging im Lärm unter.
Mit dem Beiboot ließ Sir John ein Whiskyfaß zur Schaluppe transportieren. Anschließend kreisten auch dort die Becher, und Simon Llewellyn langte nach anfänglichem Zögern mit zu. Sein Ferkelgesicht rötete sich mit jedem Schluck, den er hinunterkippte, mehr.