Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 48
6.
ОглавлениеSullivan setzte das Spektiv ans rechte Auge und justierte sorgfältig die Scharfeinstellung. Das Bild wurde klarer, wie eine exakte Federzeichnung, nur zeitweise von vorüberziehenden Dunstschleiern getrübt.
Der Bootsmann brauchte sein Sehvermögen nicht sonderlich anzustrengen. Auf Anhieb stellte er fest, daß es sich um die Schaluppe Simon Llewellyn Killigrews handelte, die dort auf ein Riff gelaufen war. Und deutlich waren die schroffen Gesteinsformationen zu erkennen, die rings um die Schaluppe nur wenige Fuß hoch aufragten und von gischtenden Wogen umspült wurden.
Die Entfernung mochte etwa fünfhundert bis sechshundert Yards betragen. Noch befand sich die „War Song“ nicht im Gefahrenbereich des Riffs, und ausnahmsweise traf Sullivan diesmal keine Blitzentscheidung. Er überlegte angestrengt, während er durch den Kieker der Wuhling an Bord der Schaluppe beobachtete.
Simon Llewellyn Killigrew war nicht zu sehen. Konnte es angehen, daß die Mannschaft die Nase voll gehabt und sich den Burschen kurzerhand vom Hals geschafft hatte? Immerhin hatte Sullivan mitgekriegt, wie unbeliebt der Sproß des alten Schlitzohrs bei seiner Crew war.
Möglich aber auch, daß Simon Llewellyn sich aufs Ohr gehauen hatte, seinen restlichen Rausch ausschlief und den Männern die Arbeit überließ. Zuzutrauen war es ihm.
Sullivan zögerte. Wenn er sich um die Schaluppe kümmerte und der Crew Hilfe leistete, konnte es Verdruß mit dem jungen Killigrew geben. Andererseits aber – sofern sie das ferkelgesichtige Söhnchen tatsächlich abserviert hatten – konnten die Männer mit ihrer Schaluppe eine wertvolle Unterstützung für die „War Song“ bedeuten. Ein zusätzlicher Begleitschutz gewissermaßen, wenn sie erst einmal die „Isabella“ aufgespürt hatten.
Dieser letzte Gedanke war ausschlaggebend für den Entschluß des Bootsmanns.
„Mahoney!“ rief er. „Geh höher an den Wind!“
„Aye, aye, Sir, höher an den Wind gehen“, wiederholte Mahoney und legte Ruder.
Die „War Song“ luvte an, verlor ihre Schräglage und lief jetzt mit Direktkurs auf das Riff zu.
Sullivan ging kein unnötiges Risiko ein. Immerhin hatten sie Glück gehabt, daß es ihnen mit der Karavelle nicht ähnlich ergangen war wie der Schaluppe.
„Rufus!“ brüllte er.
„Sir?“ Der Drahtige wirbelte auf dem Deck der Kuhl herum und blickte zum Achterdeck hoch.
„Schnapp dir die Lotleine und häng dich über den Vorsteven! Ich will ständig deine Meldungen hören.“
„Aye, aye, Sir.“ Rufus lief los.
„Was steht ihr herum!“ herrschte Sullivan die anderen an. „An die Geitaue! Tempo, Tempo!“
Die Männer gerieten in Bewegung. Auch die Killigrew-Meute packte mit an. Sie hatten es aufgegeben, zu murren, und Sullivan stellte zufrieden fest, daß er in dieser Hinsicht offenbar keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten hatte.
Der Bug der Karavelle hob und senkte sich im mäßigen Wellengang.
„Dreizehn Faden!“ schrie Rufus vom Vordeck herüber. „Dreizehn Faden – zehn Faden …“
Die Entfernung zum Riff hatte sich auf vierhundert Yards verringert.
„Sieben Faden!“ meldete Rufus mit durchdringender Stimme.
„Geit auf die Segel!“ befahl Sullivan dröhnend.
Die Männer packten zu, und augenblicklich verlor die Karavelle an Fahrt.
„Fünf Faden!“ ertönte Rufus’ nächste Meldung.
Die Entfernung zu der havarierten Schaluppe betrug noch knapp dreihundert Yards. Sullivan ließ den Anker werfen und das Beiboot zum Abfieren klarieren. Kurz darauf lag die Karavelle auf ruhigem Kiel.
Sullivan stieg zum Deck der Kuhl hinunter und winkte Hornblow heran. Der strohblonde Mann mit dem muskelbepackten Oberkörper folgte der Aufforderung mit federnden Schritten, die unbändige Energie ausstrahlten.
Sullivan deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Schaluppe.
„Ich brauche Canter dort drüben. Du übernimmst die Wache vor der Kapitänskammer und bist mir dafür verantwortlich, daß dieser Hurenbock Killigrew keine Scherereien macht.“
Ein breites Grinsen huschte über Hornblows Gesicht.
„Aye, aye, Sir“, antwortete er nur. Doch seiner Miene und dem Klang seiner Worte war zu entnehmen, daß er sich durch nichts in der Welt davon abbringen lassen würde, den ehrenwerten Sir John Killigrew auf Nummer Sicher zu bewahren.
„Canter!“ rief Sullivan, indem er den Kopf zur Seite wandte. „Komm her, es gibt Arbeit für uns!“
Der riesenhafte Schiffszimmermann eilte herbei, nachdem Hornblow seinen Platz vor der verriegelten Kapitänskammer übernommen hatte. Canter warf einen Blick zu der Schaluppe und nickte verstehend. Wortlos schleppte er sein Werkzeug heran und verstaute es im Beiboot.
Sullivan scheuchte sechs Mann an die Taue.
„Klar zum Abfieren!“ Er wandte sich um. „Rufus!“
Der Drahtige ließ die eben aufgeschossene Lotleine fallen und wandte sich dem Bootsmann zu.
„Sir?“
„Du übernimmst hier an Bord das Kommando, solange ich drüben auf der Schaluppe bin. Falls wir eure Hilfe brauchen, um den Kahn freizukriegen, verständigen wir uns durch Handzeichen. Klar?“
„Aye, aye, Sir.“ Rufus strahlte.
Sullivan drückte ihm das Spektiv in die Hand. Ohne weitere Worte zu verschwenden, stieg er gemeinsam mit Canter in das Beiboot. Nachdem sie sich hatten abfieren lassen, pullten die beiden Männer mit kraftvollen Riemenschlägen auf die Schaluppe zu. Schon von weitem sahen sie, daß die Crew des Einmasters einen Anker nach Backbord ausgebracht hatte. Doch die Männer an Deck verharrten untätig. Die Hilfe, die sie von der Karavelle zu erwarten hatten, war ihnen offenbar mehr als willkommen.
Mit Fingerspitzengefühl manövrierten Sullivan und Canter das Beiboot durch die schroffen Gesteinsformationen des Riffs. Beide gehörten sie zu jenen altgedienten Seefahrern, die mit dem Bug einer solchen Nußschale ihren Namen ins Wasser schreiben konnten, wenn man es von ihnen verlangte.
Ab Backbordschanzkleid der Schaluppe gingen sie längsseits und legten die Riemen auf die Duchten. Canter packte ein Tau, das die Männer vom Schiff herunterwarfen, und machte das Boot fest. Da die Schaluppe ohnehin leichte Schlagseite nach Backbord hatte, bereitete es den beiden Männern von der „War Song“ keine Mühe, über das Schanzkleid zu klettern. Hilfreiche Hände streckten sich ihnen entgegen.
Ein bulliger Mann trat aus dem Halbkreis der Crew vor und schüttelte Sullivan die Hand.
„Mein Name ist Stopforth. Ich habe hier an Bord das Kommando übernommen.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den jungen Killigrew, der noch immer zusammengesunken am Schanzkleid lag. „Der Hundesohn hat uns lange genug auf der Nase herumgetanzt. Und wie ich die Sache sehe, haben Sie es seinem Alten ungefähr so ähnlich besorgt.“
„Das ist richtig“, sagte Sullivan und nickte, „die ‚War Song‘ wird wieder ihren Auftrag im Dienst Ihrer Majestät erfüllen, wie es sich für ein Kriegsschiff der britischen Krone gehört. Wir werden versuchen, die „Isabella‘ zu finden und ihr dann unseren Begleitschutz anbieten. Sind Sie bereit, uns dabei zu unterstützen, Stopforth?“
„Selbstverständlich, Sir.“ Der Bullige drehte sich zu seiner Crew um. „Oder hat einer was dagegen?“
Es gab keine Widerworte. Die Männer schüttelten lediglich schweigend den Kopf.
„In Ordnung“, sagte Sullivan, „Mr. Canter, mein Schiffszimmermann, wird die Schäden beheben, die an der Schaluppe entstanden sind. Wie sieht es damit aus, Stopforth?“
„Wir haben keine Lecks, Sir. Lediglich Dehnungsfugen in der Bodenwegerung, und zwar an Steuerbord. Vier Mann sind bereits an den Pumpen. Mit dem Anker wollen wir versuchen …“
Stopforth wurde unterbrochen.
„Schluß mit dem Gewäsch!“ Simon Llewellyn Killigrews schrille Stimme übertönte die Worte des bulligen Mannes. „Ich habe jetzt endgültig genug davon! Ihr verdammten Bastarde werdet mich kennenlernen!“
Die Köpfe der Männer ruckten herum. Verblüfft sahen sie, wie sich der ferkelgesichtige Killigrew-Sproß mit überraschender Schnelligkeit aufrappelte. Mit kurzen schnellen Schritten stelzte er auf die Männer zu und stieß Stopforth beiseite, der zu verdattert war, um sofort zu ragieren.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, baute sich Simon Llewellyn in drohender Pose vor dem Bootsmann der „War Song“ auf.
Sullivan wußte im ersten Moment nicht, ob er grinsen oder die Geduld verlieren sollte.
„Welche Funktion haben Sie an Bord der ‚War Song‘?“ herrschte Simon Llewellyn ihn an.
„Bootsmann“, antwortete Sullivan und entschloß sich nun doch zu einem Grinsen. Die übrigen Männer sahen es, und ihre Haltung entspannte sich. Sie beobachteten das beginnende Schauspiel mit belustigtem Gesichtsausdruck.
Simon Llewellyns Gesichtshaut hatte wieder die gewohnte Röte angenommen.
„Also unterstehen Sie dem Kommando meines Vaters, Sir John Killigrew“, sagte er schneidend. „Sie werden deshalb auf diesem Schiff einzig und allein das tun, was ich Ihnen befehle. Niemand hat das Recht, sich über meine Anordnungen hinwegzusetzen, und dieser Bastard, der sich erdreistet hat, meine Befehlsgewalt zu mißachten, wird wegen Meuterei verurteilt werden. Soviel zur Klärung der Situation. Wie ist Ihr Name?“
„Sullivan“, erwiderte der Bootsmann der „War Song“, immer noch grinsend, immer noch geduldig. Er wechselte einen kurzen, vielsagenden Blick mit Thomas Canter. Der bärtige Riese schüttelte fassungslos den Kopf.
Simon Llewellyn spürte nichts von dem unterschwelligen Spott. Er weidete sich vorzeitig in seiner vermeintlich wiedergewonnenen Autorität.
„Gut, gut, Sullivan“, sagte er mit einem gönnerhaften Nicken. Er warf einen Blick in das Beiboot, wo Canters Werkzeug bereitlag. „Wie ich sehe, hat mein Vater den Schiffszimmermann gleich mitgeschickt. Gehen Sie also sofort an die Arbeit. Beheben Sie die Schäden an der Bodenwegerung, und dann werden wir die Schaluppe freiziehen.“
Sullivan grinste noch breiter und klopfte ihm mit seiner mächtigen Hand auf die Schulter.
„Denk mal ein bißchen nach, Söhnchen. Meinst du nicht auf, daß es anders herum besser wäre?“
Simon Llewellyn kriegte kreisrunde Augen. Seine Nasenspitze färbte sich weiß. Sekundenlang schnappte er nach Luft.
„Was fällt Ihnen ein?“ schrie er dann. „Was, zum Teufel, nehmen Sie sich heraus, Mann? Wie kommen Sie dazu, einen solchen Ton anzuschlagen? Ich werde Sie …“
Seine Worte gingen in einem Gurgeln unter, denn Sullivan packte ihn blitzschnell am Kragen und zog ihn zu sich heran. Und jetzt grinste der stämmige Bootsmann der „War Song“ nicht mehr.
Simon Llewellyn zappelte und versuchte vergeblich, sich aus dem eisenharten Griff zu befreien.
„Was wirst du?“ sagte Sullivan eisig. „Mich auch wegen Meuterei verurteilen? Schlag dir das aus dem Kopf, Söhnchen. Du scheinst noch nicht kapiert zu haben, was los ist. Dein ehrenwerter Daddy hat sich die Pfoten verbrannt, und jetzt hockt er drüben auf Nummer Sicher und denkt hoffentlich darüber nach, ob es sich lohnt, die königliche Lissy übers Ohr zu hauen.“
Simon Llewellyn rang keuchend nach Luft.
„Dreckige Meuterer!“ stieß er mühevoll hervor.
Dem Bootsmann riß der Geduldsfaden.
„Jetzt ist Schluß!“ brüllte er. Der junge Killigrew zuckte vor Schreck zusammen. Aber Sullivan ließ ihn nicht aus seinem Griff frei. „Ihr elenden Leuteschinder habt lange genug auf uns herumgetrampelt. Mit uns springt ihr nicht mehr so um, verstanden? Und du schon gar nicht, du Witzfigur!“
Simon Llewellyn wurde weiß vor Wut. Aber er schaffte es nicht mehr, diese Wut hinauszuschreien.
Sullivan holte aus, und er traf voll auf den Punkt. Es sah aus, als fliege der Kopf des jungen Killigrew durch den furchtbaren Fausthieb außenbords. Aber es hatte nur den Anschein. Die geballte Kraft des Hiebes schleuderte den Ferkelgesichtigen quer über die Decksplanken. Die Männer wichen mit einem Sprung beiseite. Der Länge nach schlidderte Simon Llewellyn auf das Steuerbordschanzkleid zu und prallte mit dem Kopf gegen das Schanzholz. Es gab einen häßlichen, trockenen Laut. Der junge Killigrew streckte alle viere von sich, erschlaffte und rührte sich nicht mehr.
Angewidert wischte sich Sullivan die Hände an der Lederweste ab.
„Ich denke, der Drecksack hat endgültig genug“, sagte er knurrend. „Stopforth!“
Der Bullige war sofort zur Stelle.
„Über Bord mit ihm?“
Sullivan schüttelte den Kopf.
„Das wäre hirnverbrannt. Sein Alter ist General-Kapitän von Cornwall, auch wenn er ein gottverdammter Bastard ist. Wir würden unnötige Schwierigkeiten kriegen, wenn wir auch nur einen von den beiden zu den Fischen schicken.“
Stopforth nickte widerstrebend.
„Dann verschnüren wir ihn, wie es sich gehört?“
„Einverstanden“, entgegnete Sullivan. „Zwei Mann erledigen das. Alle anderen Leute brauchen wir jetzt für die Arbeit.“
Mit einer Handbewegung schickte Stopforth zwei Männer los, die sich ein aufgeschossenes Tau schnappten und freudestrahlend begannen, den bewußtlosen Simon Llewellyn zu fesseln.
„Und wie soll die Sache ablaufen?“ erkundigte sich der Bullige.
Sullivan hatte seinen Plan bereits entwickelt.
„Wir setzen euren Anker an Backbord ein und arbeiten gleichzeitig mit Trosse und Ankerwinde von der ‚War Song‘. Wir werden die Schaluppe schräg nach achtern von dem Felsklotz herunterziehen. Mit genügend Krängung nach Backbord müßte das funktionieren. Canter, du fängst inzwischen schon mal an, nach dem Rechten zu sehen. Sobald wir den Kahn freihaben, will ich, daß du loslegst.“
„Aye, aye, Sir.“ Der Schiffszimmermann stieg über das Schanzkleid und reichte sein Werkzeug aus dem Boot herauf.
Sullivan gab währenddessen seinem Stellvertreter an Bord der Karavelle die erforderlichen Zeichen.
Rufus bewies, daß er genügend Geschick hatte, den Bootsmann zu vertreten. Die Karavelle „War Song“ ging ankerauf, setzte das Focksegel und lavierte vorsichtig um die Untiefen herum. Kurze Zeit später näherte sich das Kriegsschiff der havarierten Schaluppe von achtern.
In knapp hunder Yards Entfernung ließ Rufus das Segel bergen und nach weiteren zwanzig Yards den Anker werfen.
Sullivan schickte vier Mann von der Schaluppe mit dem Beiboot hinüber, damit sie die Trosse holten. Unter Deck wurde die Arbeit an den Pumpen ohne Unterbrechung fortgesetzt.
Als dann das Beiboot mit der Trosse von der „War Song“ zurückkehrte, hatte Rufus an Bord der Karavelle bereits die Männer eingeteilt, um das Bergungsmanöver nach Sullivans Anweisungen reibungslos über die Bühne zu bringen.
„Dieser kleine Knilch hält sich für mächtig schlau“, sagte Sam Corduroy, der Mann mit dem Narbengesicht, leise. „Aber er macht die Rechnung ohne uns. Genau wie dieser verdammte Sullivan.“
Der überwiegende Teil der Killigrew-Mannschaft lungerte auf dem Deck der Kuhl, in der Nähe des Großmastes, herum. Nur wenige von ihnen hielten sich mit auf dem Vordeck auf, wo Sullivans gesamte Stammcrew unter dem Kommando des drahtigen Rufus bereitstand, um bei der Bergung der Schaluppe zuzupacken.
Es war in der Tat ein Fehler, den Rufus begangen hatte, als er sein Augenmerk weniger auf die Killigrew-Meute als auf die verläßlichen und einsatzerprobten eigenen Männer gerichtet hatte. Doch der Umstand, daß sich die Mannschaft des alten Schlitzohrs in den letzten Stunden absolut loyal verhalten hatte, hatte Rufus arglos werden lassen.
Die Blicke der Männer hefteten sich erwartungsvoll auf den Narbigen, der sich in ihre Mitte schob und seine halblaute Ansprache fortsetzte.
„Paßt auf, daß sie uns nicht beobachten“, sagte Corduroy. „Die Kerle auf dem Vordeck nicht und vor allem nicht dieser Bastard vor der Kapitänskammer.“
Die anderen nickten zustimmend, sahen sich um und gaben dem Narbigen durch Handzeichen zu verstehen, daß man ihnen keine Aufmerksamkeit widmete. Vor den Blicken des Wachtpostens waren sie ohnehin durch das hölzerne Verdeck für den Rudergänger geschützt.
Vom Vordeck erschollen die ersten Kommandos. Ein Knarren zeigte an, daß die Ankerwinde in Gang gesetzt wurde.
Corduroy nickte beruhigt und winkte die Männer dichter zu sich heran.
„Paßt auf, Kumpels. Wir werden denen jetzt was vorzaubern, daß ihnen Hören und Sehen vergeht. Ich sehe nämlich verdammt nicht ein, daß wir das mitspielen sollen, was dieser Hurensohn von einem Bootsmann vorhat. Dabei springst nämlich nichts für uns heraus. Ist euch das klar?“
Zustimmendes Nicken war die Reaktion, begleitet von lauernden, ahnenden Blicken.
„Und eine bessere Gelegenheit als jetzt kriegen wir nicht wieder“, fuhr Corduroy fort. „Wenn wir es schnell genug anstellen, haben wir diesen Kahn im Handumdrehen wieder unter Kontrolle. Und ich denke, ihr wißt, daß Sir John sein Versprechen halten wird. Wenn wir dieses sagenhafte Schatzschiff erstmal erwischt haben, fällt für jeden von uns ein fetter Brocken ab. Das ist sicher. Schließlich kennt ihr Sir John.“
Beifälliges Gemurmel setzte ein.
Corduroy brachte sie mit einer Handbewegung wieder zum Schweigen.
„Außerdem gibt es noch eine kleine Rechnung zu begleichen. Unser Freund Sullivan hat zwei von uns umgebracht und einigen anderen ziemlich hart zugesetzt. Das müssen wir uns nicht gefallen lassen, auch wenn Sir John anderer Meinung gewesen ist.“
Der Mann, dem die Bleikugel aus Sullivans Pistole einen Scheitel gezogen hatte, nickte heftig. Doch er hielt sofort wider inne, verzog das Gesicht vor Schmerzen und tastete nach dem Verband, der seinen Kopf wie ein orientalischer Turban zierte.
„Wie soll die Sache vor sich gehen?“ fragte ein anderer, dessen kantiger Schädel von kurzem, blaßgrauem Stoppelhaar bedeckt war.
„Du bist mit dabei, Hanks“, sagte Corduroy kurzentschlossen. „Außerdem du, Sherrard. Dann Flanagan, Morse und ich selbst. Wir greifen uns den Blonden vor der Kapitänskammer. Ihr anderen steht auf dem Sprung. Sobald ihr unser Zeichen habt, riegelt ihr das Vorderkastell ab und laßt keinen von den Bastarden mehr runter. Alles weitere kann dann Sir John wieder selbst in die Hand nehmen. Noch Fragen?“
Die Männer schüttelten die Köpfe. In ihren Augen brannte die Gier. Die Aussicht auf einen Anteil an dem schon legendenumwobenen Beuteschatz des Seewolfes Philip Hasard Killigrew genügte, um alle Bedenken in ihnen zu zerstreuen.
Sam Corduroy spähte noch einmal sichernd zum Vordeck. Die Crew war ausnahmslos beschäftigt und hatte alle Hände voll damit zu tun, das Bergungsmanöver abzuschließen.
Eile war geboten. Corduroy scharte seine vier Helfer um sich und gab das Zeichen zum Angriff.
Lautlos schlichen sie im Sichtschutz des Rudergänger-Vordecks zum Achterkastell.
Hornblow stand am Fuß des Niedergangs zum Kapitänskammer. Mit dem Rücken lehnte er an der verriegelten Tür, hinter der sich der alte Killigrew stundenlang vergeblich die Wut aus der Kehle gebrüllt hatte. Inzwischen hatte Sir John es aufgegeben und sich schweigsam mit seinem Schicksal abgefunden.
Vom Vordeck schollen Rufus’ Kommandos herüber. Hornblow lächelte. Sein drahtiger Freund, mit dem er seit vielen Jahren auf britischen Kriegsschiffen gefahren war, verstand eine Menge von dem Handwerk, das Sullivan ihm anvertraut hatte.
Unvermittelt bemerkte Hornblow die Schatten, die von der Niedergangskappe herabfielen. Er hatte nicht das leiseste Geräusch gehört. Ruckartig warf er den Kopf in den Nacken. Und im selben Atemzug hatte er das Gefühl, daß sich seine strohblonden Haare sträubten.
Das Gesicht des Narbigen war in blindwütiger Angriffslust verzerrt. Den anderen voran, schnellte er den Niedergang hinunter.
Hornblow spannte seine mächtigen Muskeln. Zum Ausweichen war kein Platz vorhanden. Der enge Raum vor der Kapitänskammer ließ ihm für eine wirksame Verteidigung nicht viel Bewegungsfreiheit.
Wie reißende Raubtiere stürzten sie sich auf ihn. Zwei von ihnen hatten sich mit Belegnägeln bewaffnet. Der Narbige und die beiden anderen begnügten sich mit den bloßen Fäusten.
Es waren nur Sekundenbruchteile, die dem blonden Hünen blieben, um sich auf eine wirksame Abwehr einzustellen. Einzig beruhigend war das massive Türholz in seinem Rücken.
Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, schnellte der Narbige von der vorletzten Stufe auf ihn los. Im Moment behinderten sich die vier anderen noch gegenseitig und waren nicht sofort in der Lage, eine alles vernichtende Angriffsfront aufzubauen.
Mit schmalen Augen taxierte Hornblow den Ansturm des Narbigen. Eine blitzartige Körperdrehung nach rechts genügte, um Corduroy leerlaufen zu lassen. Buchstäblich im letzten Augenblick konnte der Narbige es verhindern, daß er sich den Schädel an der Tür zur Kapitänskammer einrannte. Während er versuchte, herumzuwirbeln und sein Gleichgewicht wiederzufinden, handelte Hornblow mit einer Reaktionsschnelligkeit, die die übrigen Angreifer sekundenlang verblüffte.
Mit geballter Muskelkraft schmetterte er dem Narbigen beide Fäuste gleichzeitig in den Nacken.
Corduroy fiel wie ein vom Blitz getroffener Baum.
Aber Hornblow packte ihn, bevor er zu Boden stürzen konnte und schleuderte ihn den Kerlen entgegen.
Der Anprall brachte sie in heilloses Durcheinander. Fluchend versuchten sie, ihre Arme und Beine zu entflechten und sich von dem schweren Körper des Bewußtlosen zu befreien.
Nur Hanks schaffte es, rechtzeitig auszuweichen. Ein heiserer Knurrlaut entrang sich seiner Kehle, und mit einem Satz hechtete er auf den Blonden zu. Der Belegnagel in Hanks’ rechter Faust zischte nach unten.
Es gelang Hornblow, dem Hieb auszuweichen.
Dumpf schmetterte die gefährliche Schlagwaffe gegen das Türholz – haargenau an der Stelle, wo sich eben noch Hornblows Kopf befunden hatte.
Aber dem Anprall des vierschrötigen Kerls vermochte er nicht mehr zu entgehen. Hanks rammte ihm die geballte Masse seines Körpergewichts vor den Brustkasten. Hornblow sah nicht, daß der Mann ihm den kantigen Schädel auf das Zwerchfell gedonnert hatte.
Er spürte nur den grausamen Schmerz, der durch seinen Oberkörper zuckte, sich rasend schnell ausbreitete und seine Muskeln lähmte. Überdies war seine Atemluft jäh wie abgeschnitten. Hornblow fühlte förmlich, wie sich sein Gesicht verfärbte.
Verzweifelt versuchte er, zur Besinnung zu gelangen, den Schmerz abzuschütteln und wieder Luft zu holen.
Er brauchte zuviel Zeit für diesen Versuch.
Noch während sich Hanks vor ihm aufrichtete, hatten sich Sherrard, Flanagan und Morse aus ihrer mißlichen Lage befreit und kamen dem Stoppelhaarigen zu Hilfe.
Hornblow schaffte es, die Arme hochzureißen. Aber die Körperdekkung war kläglich angesichts der massierten Angriffswut von vier Gegnern.
Einer der Belegnägel knallte auf Hornblows linken Unterarm. Ungewollt schrie er vor Schmerz auf. Der Arm pendelte kraftlos herab.
Der zweite Belegnagel traf Hornblow auf den Kopf, und er mußte es fast wehrlos geschehen lassen. Schwarze Schleier wallten vor seinen Augen auf. Die düstere Woge der Bewußlosigkeit raffte ihn hinweg. Er spürte nicht mehr, wie er hart und schwer auf die Planken stürzte und wie sie ihn mit Fußtritten beiseitestießen, um sich freien Zugang zur Kapitänskammer zu verschaffen.
Auch der Narbige war noch immer bewußtlos, während die anderen den Riegel wegrissen.
„Ihr Himmelhunde!“ tönte es freudig und überrascht aus der Kammer. „Der Teufel soll euch holen, daß endlich mal Verlaß auf euch ist! Wenn es noch länger gedauert hätte, wäre ich leider gezwungen gewesen, euch samt und sonders kielholen zu lassen.“
Sir John Killigrew stieß ein unterdrücktes Lachen aus.