Читать книгу Seewölfe Paket 18 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 45

5.

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Der Seewolf war sich darüber im klaren: Neben der Dunkelheit und dem heraufziehenden Sturm war es vor allem eine gehörige Portion Glück, die sie an diesem Abend vor einem Gefecht bewahrte.

Denn jetzt, da sie sich bereits der Einfahrt zum Lake Pontchartrain näherten, brauchten sie mit den Verfolgern nicht mehr zu rechnen. Auf der „Isabella“ und auch auf der „San Donato“ wurden alle Hände gebraucht, um zu verhindern, daß die Schiffe auf Legerwall gedrückt wurden. Nicht anders konnte es den Spaniern auf der „Santa Teresa“ ergehen, im Gewirr der Inseln mußten sie vollauf damit beschäftigt sein, ihre eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen.

Der Südwind gebärdete sich mittlerweile wie wild. Die See schien zu kochen, und Gischtschwaden wurden über die Decks gepeitscht. Längst hatten die Männer auf beiden Schiffen die Segelfläche verringert. Hasard und Ben Brighton mußten höllisch aufpassen, die Tuchfühlung mit der „San Donato“ nicht zu verlieren, die Sturmsegel waren in der Dunkelheit nicht mehr als helle Flecken, verblassenden Irrlichtern gleich.

Pete Ballie, der als Gefechtsrudergänger seinen Platz beibehalten hatte, hielt das Steuerruder mit seinen Fäusten, die so groß waren wie Ankerklüsen und durch nichts erschüttert werden konnten.

Durch die Manntaue gesichert, harrten die Arwenacks auf den Decks aus. Auch auf dem Quarterdeck und dem Achterdeck waren inzwischen Taue gespannt worden. Die Gefechtsbereitschaft war aufgehoben, die Kohlebecken, die jetzt nur noch gefährlich werden konnten, waren gelöscht.

Gemeinsam mit dem Kutscher und Mac Pellew befanden sich die Zwillinge bei Tamao und Asiaga in der Krankenkammer. Auch dort wurde jede Hand gebraucht. Es galt, die Fieberkranken durch Stricke auf ihren Lagern zu sichern und ihnen Mut zu machen. Denn keiner von ihnen hatte jemals die Hölle eines Sturmes auf See erlebt.

Nur für Augenblicke riß die Wolkendecke von Zeit zu Zeit auf. Dann waren die düsteren Küstenabschnitte zu sehen, denen die „Isabella“ und die „San Donato“ bedrohlich nahe waren. Was Marcos und die Indianer leisteten, verdiente Anerkennung. Der Spanier erwies sich als ein hervorragender Lotse, und gemeinsam mit seinen Freunden schafften es die Timucua, die Galeone auf Kurs zu halten.

Nach Hasards Schätzungen befanden sie sich bereits zwischen Ship Island und der Isle au Pitre, also in der Einfahrt zum Lake Pontchartrain.

„Das wird zu riskant!“ brüllte Ben Brighton gegen das Heulen des Südwinds an.

Bens Sorge war mehr als berechtigt, soviel stand fest.

„Hast du einen besseren Vorschlag?“ antwortete Hasard in der gleichen Lautstärke.

„Wir stehen doch direkt vor dem Lake Borgne, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe. Nur eine halbe Seemeile, und wir hätten einen sicheren Ankerplatz. Vielleicht ist dieser Marcos zu sehr von sich überzeugt.“

„Wie willst du ihn anpreien?“ rief Hasard. Es war in der Tat unmöglich. Das Heulen des Winds erschwerte die Verständigung schon auf wenige Yards. Überdies erschien es mehr als gefährlich, den Indianern jetzt noch einen Kurswechsel abzuverlangen.

Ben Brighton winkte ab. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte. Sie konnten nur beten, daß sie es schafften, bevor der Sturm mit aller Gewalt losbrach.

Auch Hasard hätte dazu geneigt, im Lake Borgne einen Ankerplatz zu suchen. Dieser See war dem Lake Pontchartrain östlich vorgelagert, grenzte also unmittelbar an den Chandeleur Sound. Aber Marcos verfügte über die besseren Ortskenntnisse. Er mußte wissen, was er tat. Durchaus möglich, daß der Lake Pontchartrain den besseren Schutz vor einem Sturm bot.

Während der nächsten Viertelstunde schwoll das Tosen der Naturgewalten deutlich an. Auf beiden Schiffen wurde weiteres Tuch geborgen, und Hasard sah, daß Marcos mit äußerster Vorsicht auf nördlichem Kurs lavierte.

Abermals riß die Wolkendecke auf, nur für die Länge eines Atemzugs.

Die endlose, sturmgepeitschte Weite einer Wasserfläche wurde erkennbar. Doch an Steuerbord erstreckte sich schützendes Ufer. Der beginnende Sturm zerrte an hohen Baumkronen und wühlte sich durch das Unterholz.

Rechtzeitig, bevor es wieder fast stockfinster wurde, sahen Hasard und Ben, wie die „San Donato“ auf Kurs Ostnordost ging. Hart krängte die Galeone nach Backbord, und der „Isabella“ erging es nicht anders, als der Seewolf den neuen Kurs anlegen ließ.

Doch wenige Minuten später war es geschafft.

Marcos steuerte das Halbrund einer Bucht an, in der beide Schiffe in ausreichendem Abstand ankern konnten. Sofort nachdem der Anker geworfen worden war, gab Hasard Befehl, die Geschütze zu entladen. Überkommende Seen würden die Ladungen verderben und man würde zuviel Zeit verlieren, wenn eine erneute Gefechtsbereitschaft notwendig wurde.

Während Al Conroys Männer noch an der Arbeit waren, bargen die übrigen Arwenacks das restliche Tuch. Dann beeilten sie sich höllisch, in den Wanten abzuentern. Denn was da an ihrer Kleidung zerrte und an ihnen rüttelte, war beileibe kein laues Lüftchen mehr.

Auch auf der „San Donato“ waren mittlerweile sämtliche Segel aufgetucht.

Der Südwind schwoll an. Rasend schnell entfesselte er sich zum Sturm, der mit urwelthaftem Gebrüll über Land und See fegte. Auf den beiden Schiffen begaben sich die Männer in Sicherheit. Abgebrochene Zweige wirbelten vom Ufer her über die Decks. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Sturm dort drüben die ersten Bäume entwurzelte.

Im untersten Stauraum der „Santa Teresa“ war nichts zu spüren von jenem kalten Atem, mit dem der Sturmwind über die oberen Decks der Galeone fegte. Stickige Hitze umgab die Männer und legte sich wie mit zentnerschweren Lasten auf ihren Brustkorb. Die Ölfunzeln verstreuten trübe Helligkeit, und ihr beißender Rauch verursachte Hustenreiz.

Schon bis zu den Knien standen sie im Wasser.

Aber schlimmer noch als das alles belasteten die ständigen Geräusche. Jedes einzelne traf sie bis ins Mark und zerrte peinigend an ihren Nerven. Da war dieses Gurgeln, verursacht vom hereinströmenden Wasser. Dann das monotone Geräusch der Pumpen, die doch nichts zu bewirken schienen. Mit dem Keuchen und leisen Fluchen der Männer vermischte sich ein Knarren, das von allen Seiten auf sie eindrang und ihnen einen Schauer über die nackten Oberkörper jagte.

Sie fühlten sich abgeschnitten von der Außenwelt, in der der mörderische Sturm tobte. Und sie spürten, wie das Schiff auf jeden Stoß der Naturgewalten reagierte, wie es ächzte und stöhnte und doch den zerstörerischen Kräften hoffnungslos preisgegeben war.

Längst hatten sie den Versuch aufgegeben, das Leck abzudichten. Es befand sich etwa mittschiffs, in unmittelbarer Nähe des Kielschweins. Die scharfen Zähne des Riffs hatten die Planken aufgerissen, als handelte es sich um leicht verwundbare menschliche Haut. Möglicherweise gab es noch mehr Lecks, von denen sie bislang noch nichts wußten.

Mehr als dreißig Männer waren es, die keuchend im Halbdunkel des Stauraums schufteten. Alle hinderlichen Kleidungsstücke hatten sie abgelegt. Sie trugen nur noch ihre Hosen. Der Schweiß rann ihnen in Strömen über die Haut.

Jenes Ächzen und Stöhnen, das den Schiffsrumpf durchlief, wurde von Minute zu Minute stärker. Und dann, plötzlich, dröhnte es zum erstenmal wie ein Donnerschlag durch den Rumpf der Galeone. Alles, selbst die stickige Luft, schien unter der Wucht des Schlages zu vibrieren. Sofort danach verstärkte sich das Ächzen des Schiffskörpers. Es klang wie der Schmerzenslaut eines gequälten Tieres.

„Santa Madre“, flüsterte Seesoldat Felipe Romero, der zur Gruppe des Sargento Pedro Carrillón gehörte. „Was war das, um Gottes willen?“

Auch die anderen hatten mit ihrer Arbeit an der Pumpe innegehalten. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe des Niedergangs, der in die oberen Decksräume führte.

Der Sargento überwand sein Entsetzen als erster. Er hatte mehr Erfahrung als die fünf jüngeren Soldaten, die ihm zugeteilt waren. Wenn er auch kein Seefahrer war, so hatte er doch zahlreiche Einsätze auf See hinter sich, und eine Havarie war nichts Unbekanntes für ihn.

„Jetzt geht es richtig los“, sagte er halblaut, so daß nur seine Gruppe es verstehen konnte. „Das ist der Sturmwind, Männer. Jetzt treibt er die Wellen bald haushoch gegen die Außenbeplankung. Und wir haben das Vergnügen, mitzuerleben, wie sich so etwas unter Deck anhört.“

„Aber …“ Es war Jorge Béjar, der zu sprechen ansetzte.

Ein neuer dumpfer Schlag ließ seine Stimme untergehen. Und abermals verstärkte sich das Ächzen und Knarren des Rumpfes.

„Himmel noch mal!“ schrie Pepe Hurtado, ein weiterer aus der Gruppe des Sargento Carrillón. „Wenn das so weitergeht …“

Pedro Carrillón war mit einem Satz bei ihm und hielt ihm die Faust vor die Nase. Das kniehohe Wasser geriet in heftige Bewegung.

„Willst du wohl still sein, Hurtado? Kein Ton, verstanden?“ Der Sargento senkte die Stimme zum Flüsterton. „Kapiert ihr denn nicht? Wenn ihr euch unauffällig umseht, werdet ihr es begreifen. Auch die anderen Kerle sind zu Tode erschrocken. Noch eine Weile, und hier bricht die schönste Panik aus.“

„Ist es so schlimm?“ hauchte Juan Lloberas, der einen vorsichtigen Blick riskiert hatte. „Ich dachte, wenn wir auf diesem Riff festsitzen, können wir nicht sinken.“

„Einfaltspinsel“, knurrte Domingo Garcia, sein Nebenmann, „soll ich dir sagen, was passiert? Die große, stolze ‚Santa Teresa‘ wird auseinanderbrechen, und dann saufen wir ab. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Habe ich recht, Sargento?“

Carrillón nickte düster.

„Ich fürchte, du hast recht, Garcia. Aber wie auch immer: Wenn das tatsächlich passieren sollte, sind wir die ersten, die dran glauben müssen. Und wer weiß, wie es jetzt oben an Deck aussieht? Vielleicht haben Capitán Isidoro und seine saubere Achterdecksclique längst beschlossen, das Weite zu suchen.“

„Also hauen wir ab!“ zischte Felipe Romero. „Auf was warten wir noch?“

„Es geht nur, wenn wir uns einig sind“, entgegnete der Sargento ernst, „mich würde natürlich die Hauptschuld treffen, weil ich euch als Vorgesetzter dazu angestiftet habe. Aber ihr müßt euch alle darüber im klaren sein, daß es Fahnenflucht ist, was wir begehen. Und ihr wißt, daß darauf die Todesstrafe steht.“

„Die Neue Welt ist riesengroß“, sagte Lloberas mit einem grimmigen Lachen, „da gibt es genügend Ecken und Winkel zum Verkriechen. Und welchen Unterschied macht es“, fügte Lloberas hinzu, „ob wir für die spanische Krone elendiglich ersaufen oder uns heimlich verdrücken?“

„Keinen“, sagte Carrillón, „also sind wir uns einig?“

Die fünf Männer nickten.

„Gut. Dann ziehen wir uns jetzt zurück. Wichtig ist, daß uns keiner folgt. Und auf dem Hauptdeck müssen wir eins der Beiboote in unsere Gewalt bringen.“ Mit verstohlenen Handzeichen bestimmte der Sargento die Reihenfolge.

Domingo Garcia näherte sich dem Niedergang als erster.

Noch waren die übrigen Männer im Stauraum in betroffenes Gemurmel vertieft. Carrillón beobachtete sie unauffällig aus den Augenwinkeln heraus. Er wußte, daß die Panik wie ein Blitz aus heiterem Himmel losbrechen konnte. Auch war es möglich, daß die anderen Kerle zu ähnlichen Überlegungen gelangten wie er selbst.

Garcia war ein schlanker, beweglicher Mann. Nachdem er lautlos den Niedergang erreicht hatte und aufzuentern begann, zog er behutsam die nackten Füße aus dem Wasser, um kein auffälliges Geräusch zu verursachen. Denn ausgerechnet in diesem Moment hatten Sturm und Wellengang eine Atempause eingelegt. Doch Garcia schaffte es, unbemerkt in der Dunkelheit des höherliegenden Vorratsraumes zu verschwinden.

Mit einer knappen Kopfbewegung schickte der Sargento den zweiten Mann auf den Weg, Lloberas. Carrillón gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Garcia war durch den Rest der Gruppe einigermaßen vor unerwünschten Blicken abgeschirmt gewesen. Auch bei Lloberas mochte das noch einigermaßen problemlos ablaufen.

Aber dann mußten die anderen Burschen es spitzkriegen. Es handelte sich ausnahmslos um Decksleute aus der Stammbesatzung der „Santa Teresa“. Carrillón und seine Gruppe waren die einzigen Soldaten, die zur Verstärkung an die Pumpen geschickt worden waren. Ihren Kameraden an Deck hatte man sicherlich angenehmere Aufgaben zugeteilt. Zumindest fühlten sie sich kaum so eingeschlossen und hilflos, wie es hier unten im Stauraum der Fall war. Carrillón wußte, daß er diese Ungerechtigkeit dem Teniente verdankte, der ihn schikanierte, wo er konnte.

Allein das war schon ein Grund, sich heimlich, still und leise abzumelden.

Auch Juan Lloberas schaffte es, ohne bemerkt zu werden.

Dann jedoch, als Jorge Béjar etwas zu tapsig durch das Wasser pflügte, geschah es.

Drüben, bei der Schar der Decksleute, brach das aufgeregte Gemurmel plötzlich ab.

„He, ihr Bilgenratten!“ brüllte einer von ihnen mit rauher Stimme. „So haben wir nicht gewettet!“

Béjar hatte den Niedergang schon erreicht und ließ sich nicht beirren.

Carrillón reagierte geistesgegenwärtig.

„Order vom Teniente!“ rief er energisch. „Wir werden an Deck gebraucht!“

Kaum hatte er ausgesprochen, donnerte erneut eine Woge gegen die Backbordseite der Galeone. Durchdringender und heftiger als zuvor folgte das Ächzen des Rumpfes. Im nächsten Atemzug zerbarst eine Planke mit lautem Knall. Das mußte nahe beim Kielschwein sein, denn mitten zwischen den Decksleuten stieg plötzlich eine weiß schäumende Fontäne auf, die aber wieder zusammenbrach.

Entsetzt wichen die Männer auseinander.

Pedro Carrillón erkannte, daß es einen winzigen Zeitvorsprung gab, solange die Burschen aus der Mannschaft ihr Entsetzen noch nicht überwunden und klare Entschlüsse gefaßt hatten.

Béjar war schon fast oben.

„Schnell jetzt!“ zischte der Sargento. „Tempo, Tempo, bewegt euch! Nichts wie weg hier!“

Romero und Hurtado brauchten keine zweite Aufforderung. Auch ihnen saß die Angst im Nacken, und sie warfen sich buchstäblich dem Niedergang entgegen. Carrillón folgte ihnen mit kurzem Abstand, indem er sich rückwärts bewegte. Die Ölfunzel, die er während der Pumparbeiten gehalten hatte, behielt er in der Hand.

Die Decksleute rissen sich schneller zusammen, als Carrillón erwartet hatte. Er zuckte zusammen, als ihr jähes Gebrüll aufwallte.

„Die Schweine hauen ab!“ schrie einer.

„Was die können, können wir auch!“ fügte ein anderer mit schriller Stimme hinzu.

„Verdammt noch mal, packen wir sie endlich!“ brüllte ein dritter.

Und sie waren schon in Bewegung, walzten in breiter Front durch das kniehohe Wasser und vergaßen die Pumpen und die hereingurgelnden Fluten.

Carrillón erschrak bis ins Mark, doch gleichzeitig beflügelte ihn der Überlebenswille.

Hastig wandte er sich um. Hurtado hatte den Niedergang erst zur Hälfte erklommen.

„Hier, nimm!“ brüllte Carrillón, und er atmete auf, als der Soldat sofort begriff, die Ölfunzel an sich riß und wie von Furien gehetzt weiter aufenterte.

Breitbeinig verharrte Pedro Carrillón, den muskulösen Oberkörper leicht vorgebeugt. In seinem harten Gesicht stand ein Grinsen von wilder Entschlossenheit. Es verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit, den Niedergang hinter seinem Rücken zu wissen.

Einen Atemzug später waren sie heran, mit Wutgebrüll und erhobenen Fäusten. In ihren verzerrten Gesichtern standen Todesangst und Zorn.

„Sargento!“ schrie einer der Soldaten aus der Luke nach unten. „Verdammt noch mal, auf was warten Sie noch?“

Carrillón schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Er hätte nicht entwischen können, das wußte er. Die Meute hätte ihn wie einen reifen Apfel vom Niedergang gepflückt.

Jäh schnellte er vor, ohne erkennbaren Ansatz. Und er griff sich den, der ihm am nächsten war. Seine zupackenden Fäuste waren wie eine große eiserne Klammer. Innerlich triumphierte er schon jetzt. O ja, als Seeleute mochten sie ihm überlegen sein, in ihrem Wissen und in ihrem Können. Aber das Kämpfen war sein Handwerk, zu Lande und zu Wasser hatte er es gelernt wie nichts anderes.

Fast ohne Mühe hob er den Mann hoch und schleuderte ihn gegen die Reihen der Angreifer. Einen winzigen Moment sah er, wie sie ungläubig die Augen aufrissen. Dann wurden sie von ihrem eigenen Gefährten niedergemäht, der ihnen waagerecht entgegensegelte.

Schreie voller Wut und Empörung gellten. Das Wasser spritzte hoch, als sie stürzten und sich ineinander verhedderten.

Pedro Carrillón wirbelte herum. Mit federnden Bewegungen enterte er auf und schaffte es. Oben sah er die erleichterten Mienen seiner Soldaten im blakenden Schein der Ölfunzel.

Er achtete nicht auf sie, packte den Lukenrand, löste die Verankerung und ließ die Luke fallen. Das krachende Geräusch ging im erneuten Heranrollen einer Woge unter.

Carrillón packte eins der Fässer, die mit Pökelfleisch gefüllt waren. Geschickt rollte er es auf die Luke.

„Was gafft ihr!“ herrschte er seine Männer an. „Packt gefälligst zu. Ein Faß allein reicht nicht.“

Entsetzt starrten sie ihn an.

„Heilige Madonna“, stieß Juan Lloberas hervor, „das ist – das ist – Mord!“

Der Sargento zuckte mit keiner Wimper und holte sich bereits das zweite Faß.

„Nennt es, wie ihr wollt“, knurrte er, „jetzt ist sich jeder selbst der Nächste.“

Als er das zweite Faß auf die Luke rollte, war plötzlich heftiges Pochen und Schlagen zu hören. Dann Schreie und Flüche. Die Luke hob sich um zwei Fingerbreit und sank wieder zurück.

Lloberas bekreuzigte sich.

„Dafür werden wir bestraft. Das kann nicht gutgehen. Bis ans Ende unserer Tage werden ihre Seelen uns verfolgen.“

„Hör auf mit dem Gefasel!“ fuhr Carrillón ihn an. „Was glaubst du, was die mit uns anstellen, wenn sie uns erwischen? Die würden uns zu Tode trampeln, totschlagen oder wer weiß noch was – damit sie nur ihre eigene Haut retten.“

Lloberas schüttelte den Kopf und blickte den Sargento ungläubig an, als hätte er auf einmal ein unbekanntes Wesen vor sich.

Romero, Béjar, Hurtado und Garcia hatten sich bereits überwunden, griffen nach den Pökelfleischfässern und rollten drei weitere auf die Luke. Ohne innezuhalten, wuchteten sie zwei zusätzliche Fässer obenauf.

„Das reicht“, sagte Carrillón. Er legte Lloberas die Hand auf die Schulter. „Überleg doch mal, Amigo: Was für einen Unterschied macht es? Die Kerle da unten müssen so oder so schwimmen, wenn der Kahn auseinanderbricht. Ob sie nun im Stauraum warten oder an Deck, ist doch egal.“

„Ich bin Soldat“, sagte Lloberas tonlos, „kein Meuchelmörder.“

„Na gut“, entgegnete Carrillón dröhnend, „dann bleib meinetwegen hier und stirb wie ein Soldat.“

„Nicht doch!“ rief Hurtado höhnisch. „So edelmütig wird er nun auch wieder nicht sein!“

Romero hieb mit der rechten Faust in die linke Handfläche. „Wenn ihr hier eine Weile debattieren wollt, dann sagt es nur!“

Carrillón nickte grimmig.

„Also, los jetzt. Lloberas, du kannst hierbleiben oder mitkommen. Keiner zwingt dich zu irgend etwas.“

Lloberas zögerte noch, doch schließlich schienen ihm die mißbilligenden Blicke seiner Kameraden bewußt zu werden. Er gab sich einen Ruck und zuckte mit den Schultern. Aus dem tiefergelegenen Stauraum waren noch immer Geschrei und Gepolter zu hören.

„Vielleicht bricht das Schiff gar nicht auseinander“, sagte Garcia tröstend, „dann bleiben die Burschen da unten sowieso am Leben.“

Lloberas antwortete nicht darauf, schweigend schloß er sich der Gruppe des Sargento an. Sie waren unbewaffnet, und allein deshalb stand fest, daß es noch eine Menge Hindernisse auf ihrem Weg geben würde.

Unbehelligt erreichten sie das Hauptdeck. Der Sturm traf sie wie eine Riesenfaust. Gischt und überkommende Seen warfen sich wie gierige Raubtiere über sie und hätten sie auf die Planken geschleudert, wenn da nicht die rettenden Manntaue gewesen wären.

Eine Bö riß Hurtado fast von den Füßen, und er verlor die Ölfunzel, als er haltsuchend nach einem der Taue griff. Die kleine Flamme erlosch im ablaufenden Wasser auf den Planken.

„Zusammenbleiben!“ brüllte Carrillón gegen den tobenden Sturm an. „Wir dürfen uns jetzt nicht verlieren, sonst schaffen wir es nicht!“

Die „Santa Teresa“ hatte bereits eine beträchtliche Schlagseite nach Steuerbord. Doch Carrillón betrachtete dies unter den gegebenen Umständen eher als günstig. Ein Beiboot an der Rahnock abzufieren, war im Wüten des Sturms schier unmöglich. Man mußte also eine der beiden Jollen über das Steuerbordschanzkleid wuchten. Und wenn sie das unbemerkt schafften, konnten sie noch von Glück reden.

Capitán Isidoro hatte die Achterdeckslaterne anzünden lassen. Doch keine Menschenseele war zu sehen. Carrillón Vermutete, daß sich die Offiziere in den Achterdecksräumen verkrochen hatten. Er stutzte, als er sich mit seinen Männern zur Kuhlgräting voranarbeitete. Nur noch eins der beiden Beiboote war dort festgezurrt.

Einerlei. Es blieb keine Zeit zum überlegen. Jede Minute war kostbar. Selbst wenn sich Offiziere und auch Decksleute in Sicherheit gebracht hatten, würde doch das Verschwinden der sechs Seesoldaten nicht unbemerkt bleiben.

Sturm und überkommende Seen erschwerten jeden ihrer Handgriffe, als sie das Boot aus den Tauen lösten. Für Carrillón bedeutete dies nur den Trost, daß auch alle anderen an Bord der „Santa Teresa“ gleichermaßen behindert würden, falls sie die Flucht zu vereiteln suchten.

Doch es gelang ihnen, die Jolle über die Manntaue hinweg bis zum Schanzkleid rutschen zu lassen. Und dann genügte ein kraftvoller Ruck, um das Boot in die Fluten zu befördern, die nur wenige Fuß tiefer brodelten. Carrillón hielt die Fangleine der Jolle mit beiden Fäusten und stemmte sich gegen das Schanzkleid.

„Bewegt euch!“ brüllte er.

Romero und Béjar sprangen als erste hinüber, stolperten und klammerten sich an den Duchten der tanzenden Nußschale fest. Hurtado und Lloberas folgten, dann Garcia.

Garcia geriet mit dem Fuß auf das Dollbord. Niemand konnte in der Dunkelheit genau sehen, wie es geschah. Plötzlich gellte sein Schrei. Er ruderte haltsuchend mit den Armen, als er ausglitt. Lloberas warf sich herum und wollte ihn packen, doch seine Hände griffen ins Leere.

Garcias Schrei erstickte schlagartig, als er im weißschäumenden Wasser an der Bordwand der Galeone versank.

Carrillón sprang mit einem mächtigen Satz hinüber in das Beiboot.

„Garcia!“ schrie Lloberas mit sich überschlagender Stimme. „Mein Gott, wir müssen etwas tun, wir können doch nicht zusehen …“

Carrillón versetzte ihm einen Stoß, der ihn auf die vordere Ducht beförderte.

„Pullt, ihr Narren! Da gibt es nichts mehr zu tun. Wir bringen uns nur selbst in Gefahr. Der Mann ist längst in die Tiefe gerissen worden – vielleicht mit dem Kopf gegen die Bordwand geknallt. Nehmt die Riemen und pullt, verdammt noch mal!“

„Das ist ein Gottesurteil!“ heulte Lloberas. „Ein Zeichen, daß auch wir bestraft werden!“

Im nächsten Moment verstummte er, denn an Bord der „Santa Teresa“ wurde Gebrüll laut. Man hatte ihre Flucht bemerkt. Doch zu spät. Mit aller Kraft legten sich Carrillóns Männer in die Riemen und schafften es, Abstand von der Galeone zu gewinnen. Schußwaffen konnten Isidoro und die anderen nicht einsetzen, denn die Nässe verdarb jede Pulverladung.

Carrillón, der auf der Achterducht kauerte und die Ruderpinne mit eiserner Hand hielt, drehte sich nicht um. Er wußte, daß die Dunkelheit sie schützte. Dann, wenig später, übertönte das Heulen des Sturms jeden anderen Laut. Das Gebrüll von der „Santa Teresa“ war nicht mehr zu hören.

Carrillón stieß einen Triumphschrei aus, und die anderen stimmten mit ein. Doch sie wußten auch, daß sie noch lange nicht in Sicherheit waren. Jederzeit konnten sie vom Sturm gepackt und auf eines der Riffe geschleudert werden. Das Boot hob und senkte sich im Wellengang, und sie hatten das Gefühl, daß der Erfolg ihres Pullens gleich Null war. Aber sie waren sich auch darüber klar, daß sie den entfesselten Naturgewalten hoffnungslos ausgeliefert sein würden, sobald ihre Kräfte nachließen.

Sie zuckten zusammen, als es plötzlich einen harten Schlag gegen den Bootsrumpf gab. Einen Moment erstarrten sie vor Schreck, glaubten das Ende nahe und waren versucht, aufzugeben.

„Pullt weiter!“ brüllte Carrillón. „Verdammt noch mal, reißt euch zusammen!“

Sie gehorchten und verdoppelten ihre Anstrengungen. Der Sargento starrte nach außenbords. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und er erkannte, daß es sich nicht um ein Riff handelte, auf das sie gekracht waren. Etwas Helles trieb vorbei und kreiselte gleich hinter dem Spiegel der Jolle in einem Strudel.

Carrillón sah, daß es sich um Bootsplanken handelte, zersplittert und nur noch lose zusammengehalten. Ihm wurde klar, was mit dem ersten Beiboot der „Santa Teresa“ geschehen war. Die Decksleute hatten versucht, es zu Wasser zu bringen. Dabei war es vom Sturm gepackt worden und zerschellt.

Carrillón preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Alles hing davon ab, daß sie durchhielten – und der Teufel mochte wissen, wie lange. Sobald ihre Kräfte erlahmten und sie sich vor Erschöpfung gehenließen, würden sie ein Opfer der tobenden Gewalten werden. Der Sargento duckte sich so tief wie möglich, um den tückischen Böen wenig Angriffsfläche zu bieten. Ob es ihm gelang, die Jolle auf Kurs zu halten, stand in den Sternen. Aber es reichte schon, wenn sie sich nur von der „Santa Teresa“ entfernten. Denn dorthin durften sie niemals und unter keinen Umständen zurückkehren. Es würde ihren sicheren Tod bedeuten – nicht anders, als wenn sie auf die offene See hinausgetrieben wurden.

Immer wieder mußte Carrillón die vier Männer auf den Duchten antreiben. Es war eine höllische Schinderei, das wußte er. Der Sturmwind fauchte und orgelte über sie hinweg, klatschte Gischt wie mit tausend feinen Nadeln in ihre Gesichter und versuchte, mit zunehmend heftigeren Böen das Boot zum Kentern zu bringen.

Der Sargento und seine Männer verloren jegliches Zeitgefühl. In der Dunkelheit und in der Hölle der tosenden Wasser fühlten sie sich so einsam wie nie zuvor in ihrem Leben. Sehr bald beschlich sie ein Gefühl von Mattigkeit und beginnender Gleichgültigkeit, gegen das sie nur noch mühsam ankämpften.

Doch Carrillón war es, der sie mit seinem Gebrüll immer wieder aufschreckte und ihnen das drohende Ende deutlich vor Augen hielt. Jedesmal gelang es ihm, ihre schwindenden Kraftreserven zu mobilisieren. Doch immer kürzer wurden die Abstände, in denen er sie wachrütteln mußte.

Irgendwann in dieser Stunde, die wie eine Ewigkeit war, knirschte der Kiel des Bootes plötzlich auf Grund. Die Männer begriffen nicht sofort und pullten weiter, als säße ihnen nach wie vor der Gehörnte im Nacken. Doch dann, als auch die Riemenblätter den Grund berührten, erwachten sie jäh aus ihrer dumpfen Erschöpfung.

Felipe Romero begriff es als erster und sprang auf.

„Land!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Land, Land! Wir haben es geschafft!“

Eine heranrollende Welle hob das Boot höher ans Ufer, und Romero kippte vornüber zwischen seine Kameraden Lloberas und Hurtado. Vor Freude grölend, lösten sich die Männer aus dem Durcheinander.

Auch Carrillón stimmte jetzt mit ein und ließ sich von dem Freudentaumel gefangennehmen. Dann sprangen sie hastig nach außenbords, tauchten mit ihren nackten Füßen ins seichte Uferwasser und beeilten sich, die Jolle an Land zu ziehen, bis sie vor den gierigen Wogen in Sicherheit war.

Carrillón und die vier Soldaten schafften es noch, den Schutz eines mächtigen Felsvorsprungs zu suchen. Dann sanken sie erschöpft nieder. Keiner von ihnen dachte noch daran, zu ergründen, wo sie sich befanden.

Seewölfe Paket 18

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