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8.

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Am Morgen des 10. April zeigte sich der Himmel über Kolberg von keiner besseren Seite. Die Wolkendecke war dicht und bleigrau, ein hauchfeiner Nieselregen wehte in Schwaden über den Hafen und die Stadt, von einem handigen auflandigen Wind getrieben.

Hasso von Manteuffel betrat das Hauptdeck der „Santissima Madre“, nachdem er sich bei der Bordwache angemeldet und verlangt hatte, Rodriguez de Coria zu sprechen.

De Coria dachte nicht daran, den Besucher in seinem Salon zu empfangen. Gemeinsam mit Kapitän de Frias erschien er auf der Kuhl und musterte von Manteuffel herablassend von Kopf bis Fuß. Die Ränder unter de Corias Augen waren an diesem Morgen noch dunkler, die Furchen in seinem Gesicht noch tiefer.

Eine Minute später eilte auch Esteban Romero heran, noch eilig damit beschäftigt, sein Wams zuzuknöpfen.

„Sie wünschen?“ fragte Rodriguez de Coria von oben herab.

„Ich habe Ihnen einen Beschluß des Stadtrates von Kolberg zu überbringen“, sagte Hasso von Manteuffel und übergab die Urkunde, die mit dem Siegel des Bürgermeisters und dem Wappen der Stadt versehen war.

De Coria betrachtete das Papier stirnrunzelnd. Dann gab er es dem Dolmetscher mit einer ruckhaften Bewegung.

„Übersetzen!“ befahl er barsch.

Romero beeilte sich, laut vorzulesen und Satz für Satz ins Spanische zu übertragen.

„Beschluß des Rates der Stadt Kolberg: Es wird hierdurch verfügt, daß der spanische Gesandte Rodriguez de Coria, zur selbigen Zeit an Bord des Schiffes ‚Santissima Madre‘ befindlich, innerhalb des Stadtgebietes von Kolberg als ‚persona non grata‘ anzusehen ist. Besagte unerwünschte Person ist des versuchten Betruges für schuldig befunden und wird daher aufgefordert, das Stadtgebiet unverzüglich zu verlassen. Einbegriffen in diese Aufforderung ist das spanische Schiff ‚Santissima Madre‘ mitsamt seiner Besatzung. Im gegebenen Falle kann diese Verfügung zwangsweise angewendet werden. Gegeben zu Kolberg, den 9. April anno 1593. Unterschrift des Bürgermeisters – Siegel – Wappen …“

Rodriguez de Coria riß dem Dolmetscher das Papier mit einem höhnischen Lachen aus der Hand und fetzte es in kleine Stücke.

„Sehen Sie genau her, Señor von Manteuffel! So wird Gleiches mit Gleichem vergolten. Ihr erbärmliches Stück Papier ruft in mir genau das hervor, was der Bastard Killigrew bei der von mir überbrachten Schuldurkunde für richtig hielt.“

Hasso von Manteuffel fand keine Möglichkeit mehr, seinen aufwallenden Zorn zu äußern.

Rodriguez de Coria gab den im Hintergrund ausharrenden Decksleuten einen herrischen Wink.

„Packt ihn! Fesselt ihn! Sperrt ihn in meine Kammer ein!“

Der große weißhaarige Mann versuchte vergeblich, sich zur Wehr zu setzen. Gegen die Übermacht konnte er beim besten Willen nichts ausrichten. Die Männer rissen ihm die Arme auf den Rücken, banden ihn und stießen ihn voran, dem offenen Schott zu den Achterdeckskammern entgegen.

„Eine schnelle Entscheidung“, sagte Kapitän de Frias, und leiser Zweifel klang aus seiner Stimme.

De Corias Augen blitzten ihn an.

„Eine richtige Entscheidung! Sie werden gleich sehen …“ Er wandte sich dem Dolmetscher zu. „Romero, Sie begeben sich auf schnellstem Weg in die Stadt. Holen Sie mir diesen dreimal verfluchten Bürgermeister her. Und sagen Sie ihm, er soll sich gefälligst sputen, wenn er sein Ratsmitglied von Manteuffel gesund und munter wiedersehen will.“

„Si, Señor, ich beeile mich.“ Esteban Romero hastete los. Die Schweißperlen, die schon nach wenigen Schritten auf seine Stirn traten, rührten nicht allein von der körperlichen Anstrengung her.

Mit offenkundigem Entsetzen im Gesicht erschien der Bürgermeister schon eine Viertelstunde später. Ein Einspänner hatte ihn zur Pier gebracht. Das Stadtoberhaupt von Kolberg war ein untersetzter Mann, grauhaarig und mit den Zügen von Offenheit und Ehrlichkeit, wie sie für den Menschenschlag an diesem Küstenstrich von Pommern typisch waren.

Rodriguez de Coria erwartete den Bürgermeister an der Pforte im Schanzkleid und ließ ihn nicht erst zu Wort kommen.

„Ich habe Ihnen folgendes mitzuteilen“, sagte de Coria herrisch und mit hoch erhobenem Kopf. „Señor Hasso von Manteuffel befindet sich in meiner Gewalt. Ihren einstimmigen Stadtratsbeschluß betrachte ich als einen Affront gegen die spanische Krone. Nichtsdestoweniger bin ich bereit, von Manteuffel gegen Kapitän Philip Hasard Killigrew auszutauschen. Der letztere wird von der spanischen Kirche wegen Seeräuberei, mehrfachen Mordes und Beleidigung Seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II. gesucht. Sobald der Austausch vollzogen ist, wird die ‚Santissima Madre‘ unverzüglich den Hafen von Kolberg verlassen.“

„Mein Gott!“ sagte der Bürgermeister fassungslos, nachdem Esteban Romero übersetzt hatte. Er mußte sich mit aller Gewalt zwingen, seinen Abscheu herunterzuschlucken und diesem aufgeblasenen und niederträchtigen Don nicht seine Meinung ins Gesicht zu schleudern. Statt dessen sagte er nur: „Ich werde Kapitän Killigrew sofort benachrichtigen.“

„Das möchte ich Ihnen auch geraten haben“, entgegnete de Coria hohnlächelnd.

Der Bürgermeister eilte zu seinem Einspänner und war wenige Minuten später am Liegeplatz der „Wappen von Kolberg“ und der „Isabella“, wo er zunächst Arne von Manteuffel zu sich rief und sich dann gemeinsam mit ihm auf die englische Galeone begab.

Der Seewolf war wie vom Donner gerührt. Er war versucht, sich selbst zu ohrfeigen.

„Ich hätte das wissen müssen“, murmelte er tonlos, „ich hätte wissen müssen, zu was diese elende de Coria-Sippschaft fähig ist. Ich hatte sowieso ein ungutes Gefühl, als sich mein Onkel bereiterklärte, allein zur ‚Santissima Madre‘ zu gehen. Warum, zum Teufel, habe ich das nicht verhindert?“

„Du hast dir nichts vorzuwerfen“, wandte Arne energisch ein, „wahrscheinlich hätte auch eine Begleitung nichts genutzt. Die spanischen Decksleute wären so oder so in der Überzahl gewesen. Niemand war auf eine derartige Gemeinheit gefaßt. Nein, das Vernünftigste wäre gewesen, diesen de Coria vor den Stadtrat zu zitieren.“

„Es ändert nichts mehr, es ist nun einmal passiert.“ Hasard überlegte nicht lange, als er seine Entscheidung traf: „Ich werde mich in die Gewalt de Corias begeben, um meinen Onkel auszulösen.“

„Bist du verrückt?“ rief Arne entgeistert. „Was glaubst du, was dir passieren wird?“

Hasard schüttelte den Kopf.

„Versuche nicht, mich umzustimmen, Arne. Mein Entschluß steht fest. Oder hast du einen besseren Vorschlag, wie wir deinen Vater befreien könnten?“

Arne senkte den Kopf.

„Nein, leider nicht.“

„Also gut, dann beenden wir die Debatte.“ Der Seewolf lächelte kaum merklich. „Bis nach Spanien ist es ein weiter Weg. Und eins ist mir jetzt schon klar: Mein ehrenwerter Onkel mütterlicherseits ist scharf auf das Kopfgeld, das sein König auf mich ausgesetzt hat. Außerdem wird für den lebenden Killigrew eine höhere Summe gezahlt als für den toten. Ich habe also eine reelle Chance, mich unterwegs zu befreien.“

„Ich danke Ihnen für diese Entscheidung“, sagte der Bürgermeister ergriffen, „ich werde die notwendigen Vorkehrungen treffen lassen, wenn Sie einverstanden sind.“

Hasard nickte nur. Dann, als das Stadtoberhaupt wieder zu seinem Einspänner eilte, rief er die Männer auf dem Hauptdeck zusammen. Wütendes Gemurmel wurde laut, als der Seewolf erklärte, was bevorstand.

„Ich habe einen besseren Vorschlag!“ brüllte Ed Carberry außer sich vor Zorn. „Wir gehen alle Mann rüber und versohlen diesen spanischen Schweinehunden den Hintern. Und dann ziehen wir ihnen die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen!“

Hasard brachte die Männer mit einer Handbewegung zur Ruhe.

„Etwas anderes habe ich von euch nicht erwartet. Aber ihr müßt vernünftig sein. De Coria würde nicht zögern, Hasso von Manteuffels Leben in die Waagschale zu werfen. Also bleibt es dabei, wie ich beschlossen habe.“ Er wandte sich an den Ersten Offizier. „Ben, du übernimmst ab sofort das Kommando.“

„Aye, aye, Sir.“

„Ihr werdet die ‚Santissima Madre‘ beschatten und ständig dranbleiben. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, überraschend zuzuschlagen.“

„Das ist das mindeste, was zu tun ist“, sagte Arne mit entschlossenem Nicken, „und ich werde mit der ‚Wappen von Kolberg‘ und meinen Männern gleichfalls dabeisein. Ich denke nämlich nicht daran, dich im Stich zu lassen.“

Der Seewolf legte seinem Vetter gerührt die Hand auf die Schulter.

„Ich danke dir, Arne. Es ist mehr, als ich von dir verlangen könnte.“

„Doppelt genäht hält besser“, entgegnete Arne. „Außerdem habe ich bereits mit meinem Vater und meinen Brüdern gesprochen. Ich werde dich und deine Crew in die Karibik begleiten, wie du vorgeschlagen hast.“

„Ein Lichtblick“, sagte Hasard erfreut, „jetzt wirst du einen kleinen Umweg bis zur Karibik in Kauf nehmen müssen.“

„Mit Vergnügen“, erwiderte Arne grimmig.

Hasard verlor keine Zeit mehr. Rodriguez de Coria zu lange warten zu lassen, war gleichbedeutend mit der Gefahr, daß er sich weitere unvorhersehbare Teufeleien ausdachte. Kurzentschlossen erteilte Hasard zwei Spezialaufträge an Ferris Tucker und Will Thorne. Ferris brachte eine schmale Eisenfeile, die Hasard links in seinen Langschäfter schob. Will hatte unterdessen Nadel und Faden geholt und nähte ein Stilett in den linken Ärmel der Jacke, die Hasard bereits ausgezogen hatte.

Ben Brighton runzelte besorgt die Stirn.

„Und wenn die Dons das spitzkriegen? Sie werden dich doch mit Sicherheit durchsuchen.“

„Dann habe ich eben Pech gehabt“, entgegnete der Seewolf knapp. „Ich muß das Risiko eingehen. Auf jeden Fall werden sie mich nicht eher durchsuchen, bis Hasso von Manteuffel frei und in Sicherheit ist.“

Die Minute des Abschieds war da.

Hasard blickte in die Runde und riß mit übertriebenem Erstaunen die Augen auf.

„Himmel noch mal! Das Regenwetter, nach dem eure Gesichter aussehen, haben wir doch gar nicht mehr!“

Sie ließen sich trotzdem nicht aufheitern. Edwin Carberry, das polternde Rauhbein, wandte sich kopfschüttelnd ab, und wenn den Seewolf nicht alles täuschte, war da eine Träne, die der Profos im Augenwinkel zerdrückte.

Die Zwillinge hielten sich weniger zurück und heulten los, wie sie es in ihrem Alter noch verantworten konnten. Hasard nahm sie in die Arme, schweigend strich er ihnen übers Haar. Dann streifte er seine Jacke über. Will Thorne hatte seine Näharbeit beendet und schlurfte ebenfalls mit gesenktem Kopf davon.

Die übrigen Männer sahen ebenfalls aus, als sei der Weltuntergang nahe, und selbst Plymmie ließ die Ohren hängen. Die Wolfshündin schien zu spüren, welchen bedrückenden Moment „ihre“ Menschen durchzustehen hatten. Hasard blieb in der Pforte des Schanzkleids noch einmal stehen.

„Ihr seid vielleicht Affenärsche“, sagte er kopfschüttelnd.

Dann marschierten sie los. Allein. Auf die Pier zu, an der die „Santissima Madre“ lag.

Der Bürgermeister hatte Wort gehalten.

Zwölf Stadtgardisten unter der Führung eines Hauptmanns hatten an der Pier längsseits der „Santissima Madre“ Aufstellung genommen. Die Männer in ihren dunkelblauen Uniformen, mit weißem Koppelzeug und topfartigen Hüten, waren in Linie angetreten. Ihre Musketen hielten sie schußbereit in Anschlag, die Mündungen auf das Schanzkleid der spanischen Galeone gerichtet.

Hasard nickte dem Bürgermeister zu, der ein paar Schritte abseits neben seinem Einspänner ausharrte. Die Gesichtszüge des Mannes waren verkrampft vor Anspannung.

Hasard ging an der Front der Stadtgardisten entlang und blieb vor der Stelling stehen. Noch ließ sich oben auf der Kuhl keine Seele blicken.

„De Coria!“ brüllte er und gab sich dabei keine Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken.

Der hochwohlgeborene Gesandte Seiner Allerkatholischsten Majestät dachte nicht daran, sich den Läufen von zwölf Musketen auszusetzen. An seiner Stelle erschien Kapitän de Frias in der Pforte des Schanzkleids.

„Wenn Sie bereit sind, Killigrew, dann sollten Sie keine Zeit mehr verschwenden. Alles ist für Ihren Empfang an Bord der ‚Santissima Madre‘ vorbereitet.“

„Ich bin mir der Ehre bewußt“, antwortete Hasard im gleichen höhnischen Tonfall, „aber ich werde mich nicht einen Schritt weiterbewegen, bevor nicht Hasso von Manteuffel freigegeben wird.“

Das Gesicht des spanischen Kapitäns verzerrte sich. Doch statt einer Erwiderung wandte er sich um und verschwand. Minuten vergingen.

Harte Schritte polterten über die Decksplanken der Galeone. Im nächsten Moment schoben sich die Oberkörper von Männern über die Verschanzung. Mehr als zwanzig Decksleute waren es, und sie richteten ihre Musketen auf den Seewolf.

Abermals tauchte Kapitän de Frias in der Pforte auf. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Decksleute zu beiden Seiten.

„Nur, damit Sie nicht glauben, Sie könnten in einem günstigen Augenblick verschwinden, Killigrew. Die Männer haben Order, Sie als ersten zu töten, falls es zu einem Schußwechsel mit der Stadtgarde kommt.“

„Das wird nicht nötig sein“, entgegnete Hasard mit mühsamer Beherrschung, „geben Sie Hasso von Manteuffel frei, und ich bin gleich darauf bei Ihnen an Bord.“

Kapitän de Frias nickte. Er trat einen Schritt beiseite und winkte mit der linken Hand.

Hasard atmete auf, als er Arnes Vater, seinen Onkel, unversehrt sah. Hasso von Manteuffel war bleich, doch gefaßt. Die Fesseln hatte man ihm abgenommen. Er schritt die Stelling hinunter und wollte vor Hasard stehenbleiben, um ihm etwas zu zeigen.

Der Seewolf schüttelte den Kopf.

„Weitergehen!“ zischte er nur.

Der große weißhaarige Mann begriff und gehorchte.

Unverzüglich setzte sich Hasard in Bewegung. Kaum hatte er die Pferde erreicht, wurde er von zwei Decksleuten gepackt und zum Großmast gezerrt, wo er außerhalb des Blick- und Schußwinkels der Stadtgardisten war.

Rodriguez de Coria und Kapitän de Frias standen vor dem Schott zu den Achterdecksräumen und beobachteten das Geschehen mit wohlgefälligem Grinsen.

Die bewaffneten Decksleute traten vom Schanzkleid zurück und bauten sich beiderseits der verzurrten Jolle auf.

Hasard hob die Arme, um allen zu zeigen, daß er waffenlos sei.

„Durchsucht ihn!“ bellte de Coria dennoch.

Die beiden Decksleute, die den Seewolf zum Großmast gezerrt hatten, befolgten den Befehl. Sorgfältig tasteten sie ihn ab. Hasard hielt den Atem an. Doch dann, als sie beiseite traten, wußte er, daß er Glück gehabt hatte. Die ältesten und einfachsten Tricks waren noch immer die besten.

De Corias Gesicht war zu einer höhnisch grinsenden Fratze geworden.

„Legt ihm Fesseln an, dem verfluchten Piratenhund!“ schrie er. „Ab mit ihm in die Vorpiek!“

Sechs Männer wurden von Kapitän de Frias als Begleitkommando aufgeboten. Zwei, die den Gefangenen auf dem Weg in die unteren Decksräume gepackt hielten. Vier, die mit schußbereiten Pistolen folgten.

Unsanft stießen sie ihn in die düstere Enge der Vorpiek. Eine Laterne wurde hereingehalten, sie fesselten ihn an Hand- und Fußgelenken. Dann zogen sie sich eilig zurück. Krachend fiel das Schott zu. Schritte entfernten sich mit hohlem Klang.

Hasard blieb allein mit seinen Gedanken. Er war überzeugt davon, daß de Coria ihn zunächst einmal schmoren lassen würde. Keiner würde sich um ihn kümmern, vielleicht würden sie ihn sogar hungern lassen. Doch mit der Zermürbungstaktik konnten sie nicht viel bei ihm erreichen. Er hatte schlimmere Qualen überstanden. Gemeinsam mit seiner Crew war er mehr als einmal mitten in die Hölle gesegelt. Und selbst dem Gehörnten war es nicht gelungen, auch nur einen von ihnen kleinzukriegen.

Einem Rodriguez de Coria sollte dies erst recht nicht gelingen.

Da sie ihm die Hände auf den Rücken gebunden hatten, war Hasard gezwungen, sich zur Seite zu lehnen, um es einigermaßen erträglich zu haben. Die Planken in der Vorpiek waren glitschig und strömten einen modrigen Geruch aus. Die „Santissima Madre“ mußte ein altes Schiff sein, vielleicht sogar noch aus der Zeit vor dem Untergang der Armada.

Trotz der völligen Dunkelheit, die ihn umgab, gelang es dem Seewolf, sein Zeitgefühl zu bewahren.

Etwa eine halbe Stunde war vergangen, als die Galeone ablegte. Die vorangegangenen Geräusche waren für einen Mann wie Philip Hasard Killigrew unverkennbar. Hastiges Trappeln von Schritten, barsche Kommandos, die gedämpft zu hören waren, und das Ächzen der Verbände, das sich bis tief in den Rumpf des Schiffes fortpflanzte. Dann das Rauschen der Fluten, die von dem halbrunden Bug geteilt wurden.

Kurz darauf zeigte sich, daß sich Hasard geirrt hatte. Sie ließen ihn nicht allein. Noch nicht.

Schritte näherten sich dem Schott der Vorpiek. Der Riegelbalken bewegte sich knirschend, dann fiel blakendes Laternenlicht herein.

Rodriguez de Corias höhnische Fratze schob sich in den Lichtkreis. Dichtauf folgte Kapitän de Frias. Er hielt die Laterne in der Linken und in der Rechten eine Pistole mit gespanntem Hahn.

Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotz seiner Fesseln hielt ihn der ehrenwerte Gesandte offenbar noch für so gefährlich, daß er sich nicht schutzlos in seine Nähe begeben mochte.

De Coria blickte verächtlich auf ihn hinunter.

„Dir wird das Feixen noch vergehen, Freundchen, darauf kannst du Gift nehmen.“

„Freut mich, daß Sie endlich Ihr wahres Gesicht zeigen, hochverehrtes Onkelchen“, sagte Hasard ungerührt.

De Corias Überheblichkeit schwand, wich blanker Wut.

„Dir werde ich noch das Maul stopfen“, schrie er, „verdammter Bastard! Was nimmst du dir heraus?“ Er hob die rechte Hand und ballte die dürren Spinnenfinger zur Faust.

„Nur zu“, forderte der Seewolf gelassen, „es paßt zu einem de Coria, sich an Wehrlosen das Mütchen zu kühlen. Genauso, wie es zu einem de Coria paßt, Urkunden zu fälschen, anständige Menschen zu betrügen und sich vor einem ehrlichen Duell zu drücken, nachdem man den Hals zu weit aufgerissen hat.“

De Coria schien platzen zu wollen. Er war im Begriff, sich auf den Gefesselten zu stürzen.

„Nehmen Sie sich zusammen, Don Rodriguez“, mahnte de Frias, „merken Sie nicht, daß er Sie nur herausfordern will?“

„Wahrscheinlich haben Sie recht.“ De Coria ließ die Faust sinken. Einen Moment betrachtete er seinen Gefangenen sinnierend. Dann glitt ein erneutes höhnisches Grinsen über seine verlebten Züge. „Nein, ich werde mich nicht an so einem vergreifen. Dazu ist er mir viel zu einfältig. Aber ich weiß jetzt wenigstens, woher er das hat. Von seinen lieben Verwandten! Solche dämlichen Einfaltspinsel wie diese Deutschen habe ich noch nicht erlebt. Der alte von Manteuffel hätte mir die Sache mit der Schuldurkunde glatt abgekauft. Alles hätte hervorragend geklappt, wenn nicht dieser verfluchte Bastard dazwischengekommen wäre.“ Er versetzte dem Seewolf einen Tritt gegen die gefesselten Beine.

Hasard verzog keine Miene und verzichtete auf eine passende Bemerkung. Und eben dieses Schweigen stachelte Rodriguez de Coria nur noch mehr an.

„Dich werden wir in Madrid in einem Käfig ausstellen!“ schrie er schrill. „Ganz Spanien soll den Seewolf ohne Zähne begaffen können. Dann kann jeder sehen, was für ein blöder Bastard dieser angeblich so gefährliche Seewolf ist.“

Hasard gähnte gelangweilt.

De Coria stieß einen Wutschrei aus.

„Dir werde ich noch Respekt beibringen!“ schrie er schrill. „Du wirst vor mir auf den Knien kriechen und um Gnade jammern, das schwöre ich dir. Vor uns liegt eine lange Reise. Die Männer an Deck werden viel Zeit haben und viel Vergnügen daran finden, sich mit einem britischen Bastard befassen zu dürfen. Oder sollte ich sagen, mit einem deutschen Bastard? He, was ist dir lieber, du Mistkerl? Du darfst es dir aussuchen.“

Hasard bequemte sich zu einer Antwort.

„Vielen Dank. Von einem spanischen Stinkstiefel nehme ich nichts an. Nicht mal geschenkt.“

De Coria explodierte, und er reagierte so, wie es seinem niederträchtigen Wesen entsprach. Außer sich vor Wut, spie er den Gefangenen an, traktierte ihn mit Fußtritten und stieß obszöne Verwünschungen aus. Selbst Hasard, der über perfekte spanische Sprachkenntnisse verfügte, hatte solche Worte noch nicht gehört.

„Lassen Sie es gut sein, Don Rodriguez“, sagte Kapitän de Frias, „dieser Kerl legt es nur darauf an, Sie noch mehr zu provozieren.“

„Oh, dieser elende Bastard!“ schrie de Coria zornbebend. „Er wird noch vor mir winseln. Und er wird zerfließen vor Dankbarkeit, wenn ich ihm gestatte, meine Schuhsohlen abzulecken.“

Zitternd vor Wut zog der angebliche Gesandte Seiner Allerkatholischsten Majestät ab.

Nachdem das Schott zugefallen war, hörte Hasard die Stimme des Kapitäns und eines anderen Mannes. Ein Posten zog auf. Das war zu erwarten gewesen.

Seewölfe Paket 17

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