Читать книгу Seewölfe Paket 17 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 49

3.

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„Hier entlang bitte“, sagte der dicke Hafenkapitän und deutete auf einen Gang, der vom Hauptflur abzweigte. Er hüstelte. „Wie gut, daß noch eine Zelle frei ist, wir haben nämlich nur zwei. In der anderen sitzen zwei Verrückte.“

Nils Larsen dolmetschte wieder.

Carberry grunzte etwas vor sich hin und marschierte in den Gang. Den Polen hatte er nach wie vor am Wickel und schleifte ihn neben sich her wie einen Lumpensack. Witold Woyda weilte noch im Traumland, wohin ihn Carberrys eisenharte Rechte befördert hatte. So schnell würde er sein Traumland auch nicht wieder verlassen.

Carberry selbst wußte das, und darum wurmte es ihn noch mehr, daß der Kapitän sie begleitete. Völlig unnötig war das, fand er. Aber natürlich, der Kapitän hatte einen Piek auf ihn und wollte ihn ärgern. Das war schon deutlich geworden, als er wegen des Ausbringens der verdammten Stelling herumgemotzt hatte.

Immer nimmt er ausgerechnet mich aufs Korn, dachte Carberry. Was hatte Smoky gesagt? Weil du der Profos bist und ein breites Kreuz hast! Ha! Der hatte gut reden …

„Dort ist es!“ Die Stimme des Hafenkapitäns unterbrach Carberrys Gedankenkette. Der Dicke ging hinter ihm. Dann folgten die anderen.

„Dort ist es!“ sagte Nils Larsen in der englischen Sprache.

„Bin doch nicht blöd“, knurrte Carberry wütend. „Wo ’n Posten vorsteht, müssen ja wohl die Zellen sein, was, wie?“

Der Posten starrte den Profos irritiert an, zumal der ja noch jemanden am Kragen hatte. Dieser Narbenmann war ihm ganz und gar nicht geheuer, aber dann erkannte er dahinter seinen Hafenkapitän und atmete erleichtert auf.

„Sie können öffnen, Nielsen!“ rief der Hafenkapitän. „Wir kriegen noch einen Gefangenen – einen Mörder!“

Der Posten zog die beiden Riegel zurück, öffnete die Tür, die zum Zellentrakt führte, und trat zur Seite, um Carberry vorbeizulassen.

Carberry grunzte wieder vor sich hin und stampfte mit seinem Witold Woyda in den Trakt.

Ein Klotz von Kerl ragte urplötzlich vor ihm auf, und eine Faust raste auf ihn zu. Ein bißchen konnte Carberry reflexartig den Schädel noch zur Seite nehmen, nach rechts. Die Faust krachte ihm nur aufs linke Auge. Mit dem rechten Auge sah er flüchtig fünf, sechs Schritte entfernt ein Zellengitter, dessen Stäbe auseinandergebogen waren.

Das geschah alles in Bruchteilen von Sekunden.

Die Wut schoß wie eine Flamme in Carberry hoch.

Das war ein unheimlicher Schlag gewesen, der ihm da aufs linke Auge gedonnert worden war. Aber Carberry war nicht der Mann, der sich eine Klüse dichtschlagen ließ – und nicht zurückzahlte.

So rasselte der Generalkapitän ein zweites Mal zu Boden, und kaum hatte Carberry ihn entlassen, schoß auch schon seine Rechte aus der Hüfte hoch – wie gesagt: sein Hammer. Und hinter dem Hammer steckten Explosivkräfte. Die Treibladung bestand aus berstender Wut.

Er traf voll.

Der Kerl war auch viel zu vernagelt, um auszuweichen. Er stierte Carberry an, als sei der ein Ochse mit drei Köpfen. Dann war’s auch schon mit dem Stieren aus, weil er sich im gestreckten Flug rückwärts in Richtung der auseinandergebogenen Eisenstäbe befand.

Dafür aber stierte jetzt Carberry – wenn auch nur mit einem Auge.

Teufel, den Kerl kannte er doch?

Der Kerl blieb zwischen den auseinandergebogenen Eisenstäben hängen wie ein Fisch in der Reuse. Er trug Riemensandalen, nach Wikingerart um die Waden geschnürt, und Fellkleidung.

„Uahhh!“ röhrte Carberry und übertönte mühelos den Krach, der hinter ihm herrschte. „Ich werd noch wahnsinnig …“

Aber das nutzte ihm nichts, und er konnte auch nicht mehr erklären, warum er wahnsinnig würde, denn noch ein Schatten tauchte auf, blitzartig und auf seiner linken Seite, die er wegen seines linken Auges nicht mehr so recht wahrnehmen konnte, und genau auf dieses linke Auge krachte noch ein Schlag, und zwar auch so ein Ding, das man getrost mit einer abgefeuerten Culverine vergleichen konnte – was die Wucht betraf.

Carberry taumelte nach rechts. Der Schatten flog an ihm vorbei und prallte wie ein Rammbock in die Männer, die sich in der Tür drängelten. Sie flogen auseinander.

Aber der Schatten wurde von Hasard aufgehalten, der sich ganz hinten befunden hatte. Er sah nur eine Gestalt auf sich zurasen. Wer diese Gestalt war, konnte er nicht erkennen, weil der Gang nicht genügend erhellt war. Er sah nur das Aufblitzen eines goldenen Ohrrings. Dann stand der Kerl auch schon vor ihm.

Hasard empfing ihn mit einer vorschießenden Rechten, punktgenau auf die Kinnspitze gezielt.

Der Kerl ging zu Boden, als habe ihn eine Axt gefällt.

Im Gang und im Zellentrakt herrschte ein unbeschreiblicher Tumult.

Da brach wieder Carberrys Stimme durch das Getöse, laut wie Donner, der einem Blitz unmittelbar folgt. Und er brüllte, daß es das doch gar nicht gäbe, weil dieser Affenarsch in dem Scheiß-Thule zugange wäre, aber nicht hier, und das sei doch alles Wahnsinn, verdammt und zum Teufel, und man müsse ja an seinem eigenen Verstand zweifeln.

Ja, das rasselte der Profos nur so herunter, und es hörte sich ganz so an, als sei Carberry tatsächlich am Überschnappen.

Irritiert beugte sich Hasard über den gefällten Mann, drehte ihn zu sich herum und starrte ihm ins Gesicht. Von hinten näherte sich ein Soldat mit einer Lampe, und der Lichtschein tanzte über das Gesicht des Mannes.

Hasard glaubte, seine Augen spielten ihm einen Streich.

Das war doch der Boston-Mann!

Ja, er mußte es sein! Der goldene Ohrring am linken Ohr und der fehlende rechte Daumen waren die untrüglichen Zeichen, daß es sich um ihn handeln mußte.

Neben Hasard ging Matt Davies in die Hocke und sah dabei aus, als hätte ihm jemand einen Hammer auf den Schädel geschlagen. Mit hervorquellenden Augen stierte er auf den Mann hinunter.

„Der – der Boston-Mann“, sagte er ächzend. „Das – das gibt’s doch gar nicht! Das ist völlig unmöglich …“

„Er ist es aber“, sagte Hasard verbissen. „Bring ihn in die Kommandantur, Matt. Ich muß sehen, was bei den Zellen los ist, da scheint Carberry auch einen erwischt zu haben.“

„Aye, aye, Sir.“ Matt schnappte sich den Boston-Mann und schleppte ihn den Gang zurück.

Zumindest im Zellentrakt hatte Stenmark die Übersicht behalten, wie Hasard flüchtig feststellte, denn der blonde Schwede bugsierte gerade den Generalkapitän in eine Zelle und verschloß dann die Gittertür.

Der dicke Hafenkapitän rang die Hände, war blaurot im Gesicht und schien einem Schlaganfall nahe. Nils Larsen redete beruhigend auf ihn ein.

Carberry kniete über einem in Felle gekleideten Mann, einem ziemlichen Klotz von Kerl, und tätschelte ihm die Wangen mit seiner Pranke, das heißt, er verabfolgte ihm Ohrfeigen, um ihn munter zu kriegen.

Als Hasard neben ihn trat, schaute er zu ihm auf. Hasard verbiß sich ein Grinsen. Das Ding, das da auf Carberrys linkem Auge erblühte, war kein Veilchen mehr, wie man es gewöhnlich nannte, nein, das war eher eine prall gestopfte Blutwurst, allerdings mit der Eigenschaft, sich noch weiter ausdehnen und noch prächtigere Farben produzieren zu können.

Mein Gott, Carberry war nie eine Schönheit gewesen, aber jetzt, mit diesem fürchterlichen Ding auf dem linken Auge entwickelte er sich zum reinsten Kinderschreck. Die Stoppeln, die ihm nach seiner verlorenen Wette mit Luke Morgan und dem Kahlschlag auf seinem Schädel jetzt wieder nachwuchsen, trugen auch nicht gerade dazu bei, ihn als Adonis erscheinen zu lassen. Er glich einem monströsen Ungetüm, der arme Carberry.

Hasard war fast versucht, ihm trostreich auf die mächtige Schulter zu klopfen, aber jetzt fiel sein Blick auf den Fell-Mann, und da wurde ihm klar, warum Carberry an seinem eigenen Verstand gezweifelt und herumgebrüllt hatte, daß er noch wahnsinnig würde.

Eike lag dort, einer von Thorfin Njals vier Wikinger-Mannen.

„Dieser Affenarsch hat mir die Faust auf die Klüse gedonnert“, sagte Carberry grollend. „Dann tauchte noch einer auf und haute noch mal drauf.“

„Der Boston-Mann“, sagte Hasard. „Er und Eike müssen die Verrückten sein, von denen der Hafenkapitän sprach.“

„Hat er recht, das sind ja auch Verrückte“, sagte Carberry empört. Seine Wut war noch längst nicht verraucht. „Toben hier rum und fallen mich an – mich, den Profos der ‚Isabella‘! Beknackt sind die! Übergeschnappt! Was wollen die hier überhaupt?“

„Das frag ich mich schon die ganze Zeit“, sagte Hasard und wandte sich zu Nils Larsen um, der mit dem Hafenkapitän palaverte, aber schon am Grinsen war, denn der Dicke erzählte ihm gerade die Geschichte von den „beiden Verrückten“.

Als der Dicke verschnaufte, sagte Nils: „Eike und der Boston-Mann tauchten vor zehn Tagen vom Kattegat her vor dem Sund auf – mit einer Schaluppe. Wegen des Sundzolls wurden sie angehalten, weigerten sich aber, ihn anzuerkennen, geschweige denn zu bezahlen. Statt dessen foppten sie die Leute von den Wachbooten, und als die entern wollten, muß es eine fürchterliche Keilerei gegeben haben. Schließlich konnte man sie hier in die Zelle schleppen. Seitdem sind sie am Rebellieren und Herumtoben. Der Hafenkapitän konnte noch nicht in Erfahrung bringen, wer sie sind, woher sie kamen und was sie in der Ostsee wollten. Er hat die Schaluppe filzen lassen und festgestellt, daß sie bestens versorgt gewesen seien, sowohl was den Proviant, die Bewaffnung, aber auch die finanziellen Mittel beträfe.“ Nils Larsen grinste wieder. „Die beiden müssen ganz schön unter den Dänen gewütet haben.“

„Hat es etwa Tote gegeben?“ fragte Hasard beunruhigt.

„Nein, nur Blessuren. Eike hat mit den Fäusten gekämpft, der Boston-Mann mit ’ner Pinne.“

Hasard atmete auf. „Sag dem Dicken, daß wir uns für die beiden verbürgen, daß wir sie kennen, ja, daß sie Freunde von uns seien …“

„Schöne Freunde“, brummte der Profos dazwischen. „Ist das vielleicht eine Art, den besten Freund gleich mit den Fäusten zu begrüßen?“

„Sie haben dich nicht erkannt“, sagte Hasard. „Wegen deiner Stoppelhaare. Da siehst du ziemlich verändert aus.“

„Ach, jetzt hab ich wohl noch die Schuld, was, wie?“ fragte der Profos erbost.

„Unsinn, Ed“, sagte Hasard, „davon ist überhaupt nicht die Rede. Du hattest nur das Pech, als erster diesen Raum zu betreten und demzufolge der Prellbock zu sein. Aber solche Schläge haben dich doch noch nie erschüttert.“

„Tun sie auch nicht“, knurrte Carberry, „da nehm ich noch ganz andere Dinge hin. Aber ich hab den verdammten Woyda wieder fallen lassen müssen, um mich meiner Haut wehren zu können. Wenn er jetzt getürmt wäre, hättest du mir wieder einen Anschiß verpaßt. Man weiß bald nicht mehr, was man tun soll, verflucht! Hätte ich diesen Mistbock vielleicht festhalten und mir von diesem irren Eike die Nase platt schlagen lassen sollen?“

„Natürlich nicht, Ed.“ Hasard lächelte versöhnlich. „Hätte Woyda die Flucht ergriffen, wäre er mir in die Arme gelaufen – wie der Boston-Mann, den ich auch mit der Faust begrüßt habe. Wir sind mit den beiden quitt, zumal du ja auch dem guten Eike was aufs Maul gehauen hast. Schau dir mal seinen Mund an.“

„Geschieht ihm recht, diesem verlausten Fellaffen“, brummte Carberry.

Nils Larsen berichtete daraufhin, daß der Dicke froh sei, wenn er die beiden Verrückten loswerde. Die hätten ihm nichts als Ärger eingebracht. Kapitän Killigrew könne sie gern übernehmen. Nur sei jetzt die Zelle demoliert und unbrauchbar.

Weil das der Moment war, in dem Eike ins Bewußtsein zurückkehrte und noch mit etwas glasigen Augen zu Carberry hochschielte, fuhr dieser ihn gleich an, gefälligst die „Gitterstäbchen“ wieder geradezubiegen.

„Wo ihr Wikingerlümmel herumspielt, müßt ihr auch immer gleich was kaputtmachen!“ donnerte er Eike an. „Ist das vielleicht die feine Art? Und dann entschuldige dich gefälligst bei Mister Hornborg, du Polaraffe! Das ist nämlich unser Freund.“

„Jawohl“, sagte Eike undeutlich, weil seine Lippen zu doppelter Größe angeschwollen und außerdem aufgeplatzt waren.

Aber er war noch zu benebelt, um die Gitterstäbe wieder in ihre alte Lage zurückzubiegen. Wahrscheinlich hatte ihm auch der Boston-Mann bei diesem Kraftakt zuvor geholfen.

„Schlappschwanz!“ blökte Carberry, schob ihn zur Seite, winkelte die mächtigen Arme an, umklammerte die beiden Stäbe und drückte sie zusammen, als seien es Weidenruten.

Der dicke Hafenkapitän staunte mit Glotzaugen und schnappte nach Luft. Carberry drehte sich zu ihm und grinste freundlich, was bei dem Dicken eine Art Schüttelfrost auslöste. Vielleicht hielt er den Profos für einen Waldschrat. Vielleicht dachte er aber auch, was hier in der Kommandantur los gewesen wäre, wenn man statt des Fell-Manns dieses Ungetüm in die Zelle gesperrt hätte. Da wäre die Zelle vermutlich bereits in den ersten fünf Minuten in die Binsen gegangen, aber restlos und mit total verbogenem Gitter.

„So, damit wäre auch das geregelt“, sagte Carberry. Er packte Eike am Genick. „Und jetzt entschuldige dich beim Hafenkapitän, du ungehobelte Filzlaus, sonst segelst du Vierkant zurück in die Zelle und bleibst da, bis deine Felle die Räude kriegen.“

„… schuldigung“, quetschte Eike heraus und mußte sich verbeugen, weil Carberrys Pranke an seinem Genick einen erheblichen Druck ausübte.

„Er hat sich entschuldigt“, sagte Carberry mit seinem fürchterlichen Grinsen. „Übersetz das dem Dicken, Nils, damit alles seine Ordnung hat.“

Nils Larsen sagte es dem dicken Hafenkapitän, der sich daraufhin ebenfalls vor Eike verbeugte. Carberry hielt es für richtig, daß Eike sich für die Verbeugung bedankte, und darum verstärkte er noch einmal ein bißchen den Druck an Eikes Genick.

Hasard beendete die gegenseitige Verbeugerei mit einem Räuspern und vereinbarte mit dem Hafenkapitän, am nächsten Morgen seine Aussage zu dem Fall des Witold Woyda zu Protokoll zu geben. Dann zogen die Seewölfe ab und nahmen auch Matt sowie den schwer angeschlagenen Boston-Mann mit hinüber zur „Isabella“.

Den Arwenacks an Bord blieben die Futterluken offenstehen, als sie den Trupp sahen und die beiden Kerle erkannten, die auf etwas unsicheren Füßen zu gehen schienen. Der Profos hatte den einen links und den anderen rechts am Kragen, damit sie nicht aus den Stiefeln kippten.

„Du meine Fresse“, sagte Smoky andächtig. „Eike und der Boston-Mann – ich glaube, mich küßt ein Nilpferd!“

Old O’Flynn kicherte wie ein, Kobold. „Dann schau dir mal unseren Profos an, den hat auch ein Nilpferd geküßt, aufs linke Auge.“

Smoky riß das Maul noch weiter auf. In diese Luke hätten locker vier Spiegeleier gepaßt.

„Mach’s Maul zu“, sagte Ferris Tucker trocken, „sonst beißt dich wirklich noch ’ne Nilpferdstute.“ Aber anerkennend fügte er hinzu: „So ein Ding habe ich allerdings bei meinem alten Carberry auch noch nicht gesehen – und das will was heißen.“

Sie waren alle am Schanzkleid versammelt, einschließlich des Bordviehs. Und sie glucksten und kicherten, grinsten und feixten, nachdem sie sich von ihrer grenzenlosen Verblüffung erholt hatten.

Nur einer blieb verdrießlich wie eh und je – Mac Pellew.

„Der hat sich wieder geprügelt“, verkündete er dumpf und spuckte übers Schanzkleid. „Der kann’s nicht lassen. Das hört und hört nicht auf. Wo der hinlatscht, gibt’s Stunk, egalweg nur Stunk. Und dann fängt wieder das große Jammern an, und ich und der Kutscher können Knochen flicken, Nasen einrenken und Fleischfetzen mit Kabelgarn zusammennähen. Und dafür werden wir noch angepöbelt, weil Undank der Welt Lohn ist.“

„Na, na, na“, sagte Pete Ballie.

„Ist doch so“, brummte Mac Pellew. „Wenn ich dieses Oberrübenschwein Carberry jetzt frage, ob ich was für sein Auge tun könne, was meinst du wohl, was ich für ’ne Antwort kriege?“

„Weiß ich nicht“, sagte Pete Ballie und grinste.

„Dann paß mal auf“, sagte Mac Pellew wütend.

Und als Carberry mit Eike und dem Boston-Mann, die beide verzerrt und ziemlich dämlich grinsten, auf die Kuhl stampfte, trat Mac Pellew zu ihm und fragte: „Kann ich was für dein Auge tun, Mister Carberry? Vielleicht einen kühlen Umschlag oder eine Salbe, die den Bluterguß lindert und die Schwellung mindert?“

Es war so wie immer.

Dem Profos schwoll der Kamm, er pumpte sich voll Luft, und dann röhrte er los: „Verpiß dich, Mister Pellew, sonst ist bei dir gleich was gemindert und gesalbt! Mein Auge ist völlig gesund, dem fehlt nichts, verstanden?“

„Man sieht’s!“ brüllte Mac Pellew erbittert zurück. „In dem Sack, den du am Auge hängen hast, kann man ’ne Kokosnuß verstecken – was sag ich, da paßt ’n Riesenaffenarsch rein, so einer, wie du’s bist …“

„Mac“, sagte Hasard sanft, als er von der Stelling auf die Kuhl sprang. „Laß ihn doch. Wenn er meint, sein Auge sei völlig gesund und dem fehle nichts, dann ist das sein Bier. Vielleicht ist er scharf darauf, als Einäugiger sein weiteres Leben zu verbringen. Da müßten wir uns nach einem neuen Profos umsehen, denn ein einäugiger Profos bringt ja nichts mehr her.“ Er zwinkerte Mac Pellew zu, aber der hatte bereits kapiert, welchen Kurs der Kapitän steuerte.

„Richtig“, sagte er daher mit Grabesstimme, „völlig richtig, Sir. Das ist medizinisch auch erwiesen. Die Einäugigen hauen immer daneben, wenn sie einen Boxhieb anbringen wollen.“

Der Kutscher stieg auch mit ein. „Du sagst es, Mac“, erklärte er. „Viel schlimmer aber ist, daß sie über ihre eigenen Füße stolpern, weil ihr Blickwinkel getrübt ist – logisch, bei einem Auge schrumpft dieser Winkel auf ein Minimum zusammen – äh, er verengt sich gewissermaßen. Ein sehr bedauernswerter Vorgang, zumal die Stolperer somit einen Krückstock benutzen müssen, der sie vor den ärgsten Stürzen bewahren soll.“

Carberry stand stumm und still, und es sah aus, als spähe er in sich hinein. So bemerkte er auch nicht, daß die Arwenacks Mühe hatten, ihr Lachen zu verbeißen. Sie nahmen sich eisern zusammen und zeigten ernste Gesichter, als sich Carberry aufraffte und zum Kutscher umdrehte, nachdem er Eike und den Boston-Mann losgelassen hatte.

„Kutscher“, sagte er etwas heiser. „Hab ich was am linken Auge?“

„Das hast du, Ed“, sagte der Kutscher sachlich. „Und wie ich das beurteile, ist damit nicht zu spaßen.“

„Hm. Und was schlägst du vor?“

„Daß ich’s mir anschaue und dich verarzte.“

„Gut“, sagte Carberry. Er spähte einäugig zu Hasard. „Sir, brauchst du mich im Moment, oder kann ich …“

„Schon gut, Ed.“ Hasard winkte ab. „Laß dich vom Kutscher und Mac verarzten. Nehmt Eike und den Boston-Mann gleich mit.“ Er lächelte leicht. „Ich glaube, euch allen schadet es nicht, wenn ihr euch auch etwas stärkt. Das Bornholmer Wässerchen soll dafür gut sein. Wir warten in der Messe auf euch. Schließlich wollen wir ja alle hören, was Eike und der Boston-Mann zu berichten haben. Also, ab mit euch!“

Carberry strahlte. Na ja, was bei ihm jetzt als Strahlen zu bezeichnen war. Des Teufels Großmutter hätte vermutlich die Flucht ergriffen.

Die fünf Männer verschwanden im Krankenraum.

Hasard seufzte verhalten und strich sich nachdenklich über das Kinn. Merkwürdig war das alles schon, sehr merkwürdig. Und meist geriet Carberry in den Wirbel der Ereignisse – oder umgekehrt: er zog diese Ereignisse auf sich. Und dann flogen die Fetzen. Wenn man den Faden weiterspann, konnte man sich ausrechnen, daß so etwas irgendwann einmal nicht mehr mit einem blauen Auge enden würde.

Und was würde dann sein?

Carberry war etwas Elementares. Was dieser Mann in seinem Leben schon eingesteckt hatte, war unfaßbar. Bei dieser Fahrt in die Ostsee war das nicht anders gewesen. Jetzt neigte sie sich ihrem Ende zu. Dieses furchtbare Gebilde auf Carberrys linkem Auge war wie ein Schlußpunkt.

Arnes Frage riß Hasard aus seinen Gedanken.

Arne fragte: „Wer waren diese beiden Männer?“

Über Hasards angespanntes Gesicht huschte ein Lächeln. „Wir haben seit vielen Jahren einen guten Freund – einen etwas sonderbaren Kerl, der von irgendwoher aus dem hohen Norden stammt. Thorfin Njal heißt der Mann. Manche nennen ihn auch einfach nur den Wikinger, denn er gleicht diesen Nordmännern, zumal er auch ihre Kleidung trägt. Na, du wirst ihn kennenlernen. Er segelt ein recht merkwürdiges Schiff, einen schwarzen Viermaster, den man als Mischung zwischen einer Galeone und einer Dschunke bezeichnen kann. Wir trennten uns in der Nordsee, bevor wir unsere Fahrt in die Ostsee antraten. Thorfin Njal segelte nordwärts. Er hat sich in die Idee verrannt, Thule zu finden. Die beiden Männer, nach denen du eben fragtest, gehören zu seiner Crew. Mir ist völlig schleierhaft, was die beiden hierher verschlagen hat, denn die Crew des Wikingers hält genauso wie unsere wie Pech und Schwefel zusammen, vor allem der harte Kern, zu dem der Boston-Mann und Eike gehören. Eike ist der Kerl, der die Fellkleidung trägt, genau wie sein Kapitän. Der andere ist der Boston-Mann. Beide sind harte Kämpfer, unbedingt zuverlässig und absolut loyal ihrem Kapitän gegenüber. Daß sie ihren Kapitän und ihr Schiff verlassen haben, muß einen besonderen Grund haben. Vom Hafenkapitän wissen wir nur, daß sie hier vor zehn Tagen mit einer Schaluppe aufkreuzten und sich weigerten, den Sundzoll zu zahlen. Sie legten sich mit den Wachbooten an und landeten darauf im Kittchen, nachdem sie wohl einen ziemlichen Wirbel veranstaltet hatten.“

„Und was passierte in der Hafenkommandantur?“ fragte Arne.

Wie immer übersetzte Nils Larsen den Dialog zwischen den beiden Vettern.

„Das ist es ja gerade“, brummte Hasard. „Nenn es Zufall oder sonstwas. Wir betreten – das heißt, Carberry als erster mit Woyda am Wickel – den Zellentrakt, in dem sich der Boston-Mann und Eike genau zu diesem Zeitpunkt aus der Zelle befreit hatten und darauf lauerten, auszubrechen, sobald die Tür zu dem Trakt geöffnet wird. Eike fällt über Carberry her, und der empfängt dessen Faust aufs Auge. Er schlägt zurück, wie das seine Art ist, und Eike geht zu Boden. Dafür knallt ihm der Boston-Mann die Faust noch einmal aufs selbe Auge, darin landet der Boston-Mann bei mir, und damit hat der Ausbruch ein Ende. Was meinst du, was wir dumm geschaut haben, als wir die beiden erkannten! Jetzt stell dir mal vor, wir hätten Helsingör nicht angelaufen, sondern wären jetzt bereits im Kattegat. Wir hätten nichts von Eike und dem Boston-Mann erfahren und sie nichts von uns. Das genau ist der Zufall, oder wie du es nennen magst. Ist das nicht verrückt?“

„Mehr als verrückt“, sagte Arne, „und das nur, weil ihr Witold Woyda in die Kommandantur brachtet.“

Hasard nickte.

„Thule“, murmelte Arne von Manteuffel nachdenklich, „das ist doch nur eine Legende. Weißt du, wo das liegen soll?“

„Keine Ahnung, Arne.“ Plötzlich umwölkte sich Hasards Miene, weil ihn Arnes Bemerkung auf einen Gedanken gebracht hatte, der ihm gar nicht gefiel: Thorfin Njal mußte in Schwierigkeiten stecken. Hatte er sich mit „Eiliger Drache über den Wassern“ da oben im ewigen Eis verrannt und saß in der weißen Hölle fest? Und hatten Eike und der Boston-Mann Hilfe holen sollen? Aber was hatte die beiden dann hierher verschlagen?

Es war, als habe Arne mitgedacht. Er sagte: „Vielleicht waren die beiden Männer auf der Suche nach euch. Wußten sie, daß ihr die Absicht hattet, in die Ostsee zu segeln?“

Hasard starrte ihn verblüfft an. „Eigentlich nicht, denn wir wußten es ja selbst noch nicht, als wir uns trennten. Wir hatten eine geheime, königliche Order, die wir erst öffnen durften, wenn wir die Höhe von Skagen erreicht hatten.“

„Aber der Wikinger wußte von der Order?“

„Ja.“

„Auch, wo ihr sie öffnen durftet?“

„Ja, auch das“, erwiderte Hasard.

Arne lächelte. „Für mich wäre das klar. Wer oben bei Skagen – von England kommend – eine geheime Order öffnen soll, kann als Ziel eigentlich nur die Ostsee haben.“

„Und warum nicht das südliche Norwegen?“

Arne schüttelte den Kopf.

„Schau auf die Karte, Hasard“, sagte er. „Dann hättet ihr von Skagen aus nach Norden aufkreuzen müssen, quer über den ganzen Skagerrak, und das ist eine verdammt happige Ecke. Eure königlichen Pläneschmiede wären schlecht beraten gewesen, euch unten bei Skagen erfahren zu lassen, daß ihr das südliche Norwegen ansteuern sollt. Nein, gerade Skagen deutet darauf hin, daß man plante, euch in die Ostsee zu schicken. Ihr brauchtet nur noch Skagens Horn, die Nordspitze Jütlands, zu runden und nach Süden zu steuern. Wenn ich diesen logischen Schluß ziehe, müßten das auch der Wikinger und seine Leute getan haben.“

Hasard nickte. „Eike und der Boston-Mann werden es uns sagen. Jetzt bin ich doch ziemlich gespannt.“

Philip Hasard Killigrew sollte sich noch wundern.

Seewölfe Paket 17

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