Читать книгу Seewölfe Paket 17 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 50

4.

Оглавление

Sie saßen wie arme Sünder aufgereiht auf der Langbank im Krankenraum, Carberry am rechten Flügel, dann folgte Eike, neben ihm der Boston-Mann.

Mac Pellew war in der Kombüse verschwunden und tauchte mit einer recht ansehnlichen Kruke wieder auf. Inzwischen hatte der Kutscher seinen Bedarf aus der Bordapotheke auf einem Tisch bereit gelegt.

„Jetzt gluckern wir erst mal einen“, sagte Mac Pellew, „weil der Kapitän das befohlen hat.“ Er entkorkte die Kruke.

Der Kutscher schnüffelte zu ihm hin und sagte: „Du hast doch schon eben einen in der Kombüse gegluckert, Mac.“

„Hab ich“, gab Mac ohne weiteres zu. „Muß ja probieren, ob das Zeug noch gut ist, nicht?“

„Du endest noch mal im Suff“, sagte der Kutscher mißbilligend. „Außerdem wird Schnaps, der lange lagert, nie schlecht, sondern eher noch besser.“

„Und wenn jemand Gift reingetan hat?“

„Dann wärst du jetzt ein toter Mann“, sagte der Kutscher lakonisch.

Mac Pellew reckte die magere Gestalt. „Dann wäre ich für euch alle gestorben.“

„Amen“, sagte der Kutscher ungerührt. „Gib Ed die Buddel, du Flaschennuckler, ihn hat’s am ärgsten erwischt.“

„Ich trink nur, weil’s der Kapitän befohlen hat“, sagte Carberry dumpf, starrte aber mit seinem einen Auge begehrlich auf die Flasche. Es sah aus, als beäuge ein Huhn mit schiefgeneigtem Kopf einen besonders fetten Regenwurm.

„Natürlich“, sagte der Kutscher.

„Glaubst du mir nicht, Kutscher?“ fragte Carberry drohend.

„Doch, doch, ist schon recht, Ed.“ Der Kutscher hatte sich vorgenommen, dieses Mal keinen Streit mit Carberry zu suchen, dem er sonst nie aus dem Wege ging. „Es ist immer gut, sich vorher zu stärken, um allen Schicksalsschlägen gegenüber gewappnet zu sein. Man sieht dann alles leichter an, auch mit einem Auge.“

„Richtig“, sagte Mac Pellew und reichte dem Profos die Kruke.

Carberry nahm sie in Empfang und schluckte erst einmal trocken. Die Andeutung des Kutschers zwang ihn dazu. Teufel! Die Sache mit seinem Auge schien doch ziemlich schlimm zu sein, wenn der Kutscher schon von Schicksalsschlägen sprach. Tatsächlich sah er links überhaupt nichts mehr. Da war’s ihm doch ein bißchen schwummerig. Allerdings hing sein Unvermögen, etwas zu sehen, damit zusammen, daß sein Auge total zugeschwollen war. Aber daran dachte er nicht.

Und dann gluckerte er einen, um sich gegen die Schicksalsschläge zu wappnen. Der eine, den er gluckerte, bestand aus einer ganzen Reihe. Mac Pellew zählte im stillen mit. Der Profos hörte erst bei zehn auf. Zehnmal geschluckt! Mein lieber Mann! Denn Carberrys Schlucke waren sowieso schon doppelte, wenn nicht dreifache. In den ging soviel rein wie in einen Ochsen, aye, aye, Sir!

Carberry grunzte zufrieden, wischte sich über den Mund und reichte die Kruke an Eike weiter.

Der grinste gequält mit seinem verschwollenen Mund und nuschelte: „Tut mir leid, Ed, daß ich dich erwischt hab. Ich – ich hab dich erst erkannt, als ich schon zugeschlagen hatte.“

Carberry mußte den Kopf sehr weit nach links drehen, um Eike fixieren zu können.

„Ich bin tieftraurig“, sagte er und hatte wieder seine dumpfe Stimme. „Meine besten Freunde erkennen mich nicht mehr. Schon das ist ein herber Schicksalsschlag.“

„Ich – ich wußte ja nicht, daß du eine neue Frisur hast“, sagte Eike entschuldigend in seiner Nuschelsprache, die im Nuscheltext so klang: „Isch – isch wusche scha nisch, dasch schu eische neusche Frischur hascht.“

„Was hat er gesagt?“ fragte Carberry den Kutscher.

„Laß ihn, Ed. Er kann nicht deutlich sprechen, und das tut ihm auch weh. Mußtest du denn so hart zulangen?“

„Tut mir leid“, sagte Carberry dumpf.

Und dann half er Eike, die Krukenöffnung zwischen die Zähne zu kriegen. Bei Eike zählte Mac Pellew fünf Schlucke, aber die waren natürlich wesentlich kleiner als Carberrys.

Dann war der Boston-Mann dran, den Hasard am Kinn erwischt hatte. Das war jetzt ebenfalls verschwollen und verfärbt, und er hatte auch etwas Mühe, zu sprechen, aber nicht so sehr wie Eike. Er sagte ebenfalls, daß es ihm leid täte, Carberry mit der Faust begrüßt zu haben – „und dann noch aufs selbe Auge.“

„Das war nicht Absicht, Ed“, sagte er, „ganz bestimmt nicht. Hätten wir denn ahnen können, daß ausgerechnet unser alter Freund Carberry durch die Tür tritt? Wie Eike hab ich dich nicht erkannt. Aber du hast schon recht. Es ist eine Schande, wenn sich alte Freunde nicht mehr erkennen und statt dessen mit den Fäusten aufeinander losgehen. Also, ich trinke auf das Wohl deines Auges, Mister Carberry!“

„Danke“, sagte der Profos gerührt.

Der Boston-Mann gluckerte sieben Schlucke, wie Mac Pellew feststellte. Der Kutscher hielt sich mal wieder zurück und genehmigte sich nur zwei. Dafür brachte dann wieder Mac ordentlich Luft in die Kruke, obwohl ihn der Kutscher tadelnd fixierte.

„Mac, wir müssen noch unsere Leute verarzten“, sagte er warnend.

„Soll ich vielleicht den Befehl unseres Kapitäns sabotieren?“ fragte Mac empört, als er die Kruke absetzte.

„Der war mehr für unsere Blessierten gedacht“, sagte der Kutscher.

„Mit denen ich mitleide, jawohl! Schon wenn ich mir Eds Auge ansehe, beginnt mein Leiden. Ein einziges Leiden ist mein Leben. Jeden Tag fällt ein Blessierter an, dessen Schmerzen auch meine Schmerzen sind. Und hat er sein Auge verloren, dann fehlt es auch mir …“

„Du gehst mir auf den Geist!“ fauchte der Kutscher. „Du – du Leidender! Statt Feldscher und Koch hättest du Heulsuse werden sollen, du Saufaus! Der Kapitän wartet auf den Bericht der beiden, verdammt noch mal! Wo sind wir hier eigentlich, he?“

„So wird man verkannt“, sagte Mac Pellew mit seiner Saure-Gurken-Miene. „So wird unsereiner in den Tod getrieben, bis man freiwillig nach dem Strick greift, um dahinzuscheiden …“

„Das kannst du hinterher erledigen“, sagte der Kutscher grob. „Aber paß auf, daß der Strick nicht reißt. Ich werd Will Thorne Bescheid sagen, daß er dir einen guten gibt. Am besten hängst du dich an der Großrah auf, damit auch alle sehen, was da für ein Idiot dahingeschieden ist. So ein verdammter Scheiß!“ Und der Kutscher fluchte derart, daß sogar Carberry die Ohren spitzte und sich wunderte. Und als der Kutscher dann nach der Kruke griff und kräftig einen weggurgelte, wunderte er sich noch mehr.

Was der nur hatte?

„Laß mal sehen, Ed“, sagte der Kutscher und rülpste. „Leg den Kopf ins Genick. Mac, leuchte mal!“

Mac nahm die Lampe mit der starken Blende und leuchtete Carberry an, während der Kutscher Ober- und Unterlid auseinanderdrückte.

„Auge reagiert auf Licht“, sagte der Kutscher sachlich, atmete aber erleichtert aus.

„Und was heißt das?“ fragte Carberry leicht beklommen.

„Das heißt“, sagte der Kutscher, „daß wir weiter mit einem zweiäugigen Profos zur See fahren werden, keinem einäugigen!“

„Arwenack!“ grölte der Profos und sprang auf. Er nahm den Kutscher einfach in die Arme und tanzte mit ihm durch den Krankenraum.

Der Kutscher fühlte sich an der breiten Profos-Brust sehr geborgen, auch wenn ihn der Profos wild durch die Gegend schwenkte.

Dann klopfte er an der Brust an und schrie: „Langsam, Ed, ich muß dir aber über dem Auge noch einen Verband anlegen!“

„Tu das, Kutscherlein, tu das!“ röhrte der Profos. „Aber laß uns erst einen gluckern, mein Junge!“

Und sie gluckerten mehrere – alle, auch Mac Pellew, der keineswegs den Eindruck erweckte, demnächst „dahinscheiden“ zu wollen. Bewahre!

Carberrys Bombe auf dem linken Auge wurde mit einer Kräutersalbe bestrichen und mit einem sauberen Verband überdeckt. Der Verband veränderte ihn gewaltig, aber zu seinem Vorteil. Dieses blau-schwarz schillernde, fürchterliche Ding verschwand darunter, und er sah aus wie ein tapferer Kriegersmann, der fürs Vaterland den Kopf hingehalten hatte.

Auch Eike und der Boston-Mann wurden gesalbt, ein Verband erübrigte sich, vor allem beim Boston-Mann, aber auch bei Eike, dem der Kutscher ja nicht den Mund zupflastern konnte, den er, wie jetzt, zum „Gluckern“ brauchte.

Die Kruke schafften sie spielend, diese fünf Kerle.

Als Mac noch eine holen wollte, erschien Dan O’Flynn und sagte grinsend, daß er es sehr bedaure, stören zu müssen, aber der Kapitän erwarte sie in der Messe.

„Seit einer Stunde seid ihr im Gange“, sagte er und peilte auf die Kruke. „Habt ihr sie geschafft?“

„War Befehl des Kapitäns“, sagte Mac Pellew und hatte Schluckauf.

„Weiß ich“, sagte Dan. „Ich wundere mich nur, daß ihr nicht gleich ein ganzes Faß genommen habt.“

Mac Pellew klatschte sich die Hand vor die Stirn. „Ich Idiot!“

„Sag ich doch“, erklärte der Kutscher grinsend.

„Na, da seid ihr ja endlich“, sagte Hasard, als die fünf Männer, betont steif, in die Messe stelzten und Platz nahmen, als gelte es, jetzt ein frommes Lied zu singen und den Herrn zu loben. Dabei hatten sie alle sehr blanke Augen – Carberry natürlich nur eins – und gerötete Gesichter.

„Sir“, sagte Carberry und versuchte, gemessen dreinzuschauen, „wir haben deinen Befehl befolgt und uns an dem Wässerchen aus Bornholm gestärkt …“

„Hicks!“ äußerte sich Mac Pellew.

„Mäßige dich, Mac“, sagte Carberry und warf ihm einen einäugigen scharfen Blick zu. Und entschuldigend sagte er zu Hasard: „Er teilte uns mit, daß er sehr viel leiden müsse, angesichts unserer Blessuren, wegen denen er außerordentlicher Stärkungen bedürfe.“ Er redete genauso gestelzt, wie er in die Messe marschiert war, der alte Carberry. Und so fuhr er auch fort: „In Anbetracht seiner Leiden, so teilte uns Mac mit …“

„Hicks!“

Carberry runzelte unter dem Verband die Stirn. „… teilte uns Mac mit, daß er in den Tod getrieben werde, behufs dessen er nach dem Strick greifen werde, um dahinzuscheiden, welchselbiges wir verhindern konnten, indem wir ihm weitere Stärkungen zuteil werden ließen.“

„Aha“, sagte Hasard. „Ich finde, das war eine gute Idee, Ed.“

„Nicht wahr?“ Carberry nickte. „Darum mußt du entschuldigen, wenn er durch Schluckauf stört.“ Er linste seinen Kapitän an. „Meinst du, daß es ihm guttut, wenn wir ihm vielleicht noch weitere Stärkungen zuteil werden lassen, Sir?“

„Du meinst, uns allen, Ed?“

„Äh – so direkt wollte ich …“ Der Profos verhaspelte sich ein bißchen, fing sich aber wieder und sagte treuherzig: „Sir, das ist wirklich eine gute Idee von dir. Sicher wird uns allen eine Stärkung guttun, um allen Schicksalsschlägen gegenüber gewappnet zu sein.“

Das waren zwar des Kutschers Worte, aber Carberry hatte sie in seinem Herzen bewegt und fand sie durchaus passend. Dabei ahnte er nicht, daß er tatsächlich weise Worte sprach und sie eine knappe Viertelstunde später wahrhaftig „der Stärkung bedurften“.

„Mac, hol Wässerchen“, sagte Hasard lächelnd.

„Ein Fäßchen, Sir?“ fragte Mac.

Hasard blickte in die Runde. „Wer dagegen ist, möge die Hand heben. Ah, ich sehe, daß ist nicht der Fall, also wurde einstimmig beschlossen, daß Mac ein Fäßchen holt.“

Mac flitzte davon.

Die Arwenacks – bis auf den Posten Stelling waren alle versammelt, auch die Zwillinge – grinsten und tuschelten und freuten sich. Dabei waren sie alle gespannt, was Eike und der Boston-Mann berichten würden.

Hasard sagte: „Das Wässerchen ist zwar wichtig, aber viel wichtiger erscheint mir die Frage, wie es deinem Auge geht, Ed.“

Carberry senkte verschämt das rechte Auge und sagte: „Sir, ich bleibe euch erhalten. Der Kutscher hat in mein Auge geleuchtet und nachgeguckt. Ich weiß zwar nicht, was er da gesehen hat, aber er meinte, daß ich weiter als zweiäugiger Profos mit euch zur See fahren werde.“ Er schielte zum Kutscher. „Hast du doch gesagt, nicht?“

„Alles klar“, sagte der Kutscher. Er hatte eine etwas schwere Zunge. Es klang wie „Alles-lar.“

Hasard verbarg seine Heiterkeit. „Das ist eine feine Nachricht. Außerdem siehst du mit dem Verband prächtig aus, Ed.“ Er schaute wieder zum Kutscher: „Und was ist mit Eike und dem Boston-Mann?“

„Auch alles klar“, sagte der Kutscher und nuschelte genauso wie Eike. „Nur muß ich darauf hinweisen, daß Eike Sprechschwierigkeiten hat, so daß es geraten erscheint, ihn tunlichst vom Sprechen – äh – zu beurlauben, damit seine Lippen der Ruhe pflegen können …“ Er verstummte irritiert, weil Old O’Flynn ziemlich laut kicherte. Dann sagte er pikiert: „Wüßte nicht, was es da zu kichern gibt, Mister O’Flynn!“

Breit grinsend erklärte Old O’Flynn: „Ich wußte noch gar nicht, daß Lippen der Ruhe pflegen können. Schnarchen die dann auch?“

Der Kutscher geruhte nur, die Augenbrauen in tiefer Verachtung hochzuziehen und die Frage zu übergehen.

Dafür nahm Ferris Tucker den Faden auf, zumal er Old Donegal gern eins auswischte, und sagte: „Der Kutscher meinte nur, daß es für Eike heilsam sei, zu schweigen. Vielleicht solltest du den Rat beherzigen und deinen Lippen ebenfalls Gelegenheit geben, der Ruhe zu pflegen. Wir wären dir dafür äußerst dankbar.“

„Ich rede, wann’s mir paßt“, erklärte Old O’Flynn.

„Leider“, sagte Ferris Tucker. „Aber vielleicht kriegst du auch mal was aufs Maul. An dem Tag werde ich dem Herrn ein Hosianna singen. Allerdings wirst du dann wohl noch schnarchen können – so wie in der letzten Nacht. Mein Gott, ich dachte, jemand zersägt das Kielschwein.“

„Das war ich nicht“, sagte Old Donegal erbost, „das war Mister Shane. Ich kann überhaupt nicht schnarchen!“

Ferris Tucker und Big Old Shane wechselten einen Blick und grinsten.

Ferris Tucker sagte: „Soweit mir erinnerlich, pochte ich heute nacht an unsere gemeinsame Wand, Mister O’Flynn, und bat dich, mit dem ruhestörenden Lärm endlich aufzuhören.“

„Ach, du warst das?“ sagte Old Donegal spitz. „Ich dachte schon, der Wassermann hätte angeklopft.“

„Der holt dich bald ab, wenn das so weitergeht“, sagte Ferris Tucker. „Im übrigen hast du eben bestätigt, daß du mein Klopfen gehört hast. Und ich habe nicht angeklopft, um mich mit dir zu unterhalten – da ist mir mein Schlaf mehr wert –, sondern um deine verdammte Schnarcherei abzustellen.“

„Schnarcher sind eine Plage für die ganze Mannschaft“, dozierte der Kutscher. „Ferner, so lehrte mich Doc Freemont, neigen Schnarcher zu Lügen, weil sie stets behaupten, sie hätten nicht geschnarcht. Drittens, so lautete Doc Freemonts Diagnose, schnarchen Schnarcher mit offenem Mund, was beweist, daß die Zu- und Abluftkanäle in der Nase – äh – blockiert sind, welchselbige nur mittels chirurgischem Eingriff wieder geöffnet werden können.“

„Hast du das schon mal gemacht?“ fragte Ferris Tucker grinsend, denn er hatte bemerkt, wie Old Donegal plötzlich seine Nase abgetastet hatte, ein bißchen erschrocken, wie es aussah.

„Es wäre meine erste Nasenoperation“, erwiderte der Kutscher mit Würde, „aber dem steht nichts im Wege, da ich die Ehre hatte, Doc Freemont bei den entsprechenden Eingriffen assistieren zu dürfen, so daß mir der Ablauf der Operation samt Handhabung des chirurgischen Instrumentariums bekannt sind.“ Er nickte vor sich hin. „Mac wird mir das Instrumentarium zureichen können, als da sind: Hammer und Meißel …“

„Hammer und Meißel?“ unterbrach ihn Old Donegal entsetzt, während die Arwenacks mal wieder am Grinsen waren.

„Hammer und Meißel“, bestätigte der Kutscher.

Es war ein Glück für Old O’Flynn, daß Mac mit dem Fäßchen erschien und der Dialog nicht fortgesetzt wurde. Denn der Kutscher hätte ihm haarklein und mit seiner ganzen Pingeligkeit den Verlauf der Operation erklärt – zur Erheiterung der Arwenacks und zum Grausen Old O’Flynns. Der Kelch ging an ihm vorüber.

Sie holten die Becher aus dem Gestell im Messeschrank, Mac besorgte das Einschenken, und die Zwillinge verteilten die Becher. Vater Hasard genehmigte für sie selbst einen Fingerhut voll. Dann trank er auf das Auge Edwin Carberrys und auf das Wohl der Blessierten. Als sie die Becher abgesetzt hatten, trat andächtige Stille ein. Alle schauten zu Eike und dem Boston-Mann.

Hasard nickte ihnen aufmunternd zu. „Dann schießt mal los, am besten wohl du, Boston-Mann, wenn Eike das Sprechen schwerfällt. Daß wir uns wundern, euch hier anzutreffen, brauche ich wohl nicht weiter zu betonen. Was hat euch hierher verschlagen?“

„Wir wollten euch suchen“, sagte der Boston-Mann schlicht.

„In der Ostsee?“

„Ja.“

Schon ging das Gemurmel los.

„Ruhe!“ sagte Hasard zu seinen Mannen. Und dann: „Ihr wußtet doch gar nicht, daß wir in die Ostsee wollten.“

„Das nicht“, erwiderte der Boston-Mann, „aber ihr solltet oben bei Skagen die Order öffnen. Skagen deutete auf die Ostsee, sagten wir uns. Außerdem erfuhren wir, daß ihr Göteborg angelaufen hattet und von dort nach Süden gesegelt seid. Das sagte uns der Hafenmeister.“

„Mann, Mann“, sagte Hasard. „Wenn ihr hier den Hafenkapitän nach uns gefragt hättet, ihr Hirsche, dann hättet ihr nicht zehn Tage im Kasten brummen müssen.“

„Den wollten wir nicht fragen“, erklärte der Boston-Mann.

„Und warum nicht?“

„Ihr wart doch in geheimer Order unterwegs, Sir.“

„Aber den Hafenmeister von Göteborg habt ihr doch offenbar nach uns gefragt. Oder nicht?“

„Das ist richtig“, sagte der Boston-Mann, „aber der war ja nicht uniformiert. Und als diese verdammten Dänen auch noch Sundzoll von uns kassieren wollten, hat’s bei uns ausgehakt. Wer sind wir denn? Nein, mit Uniformierten wollten wir nichts zu tun haben.“

Das war vielleicht eine Logik.

Na, Schwamm drüber, dachte Hasard und fragte: „Und warum wart ihr auf der Suche nach uns?“

Der Boston-Mann druckste herum und blickte Eike hilfesuchend an. Aber Eike nuckelte an seinem Becher und war nicht ansprechbar. Oder tat er nur so? Die beiden wirkten überhaupt so, als sei’s ihnen ziemlich unbehaglich.

Schließlich sagte der Boston-Mann lahm: „Wir – wir brauchen deine Hilfe, Sir.“ Und damit verstummte er wieder.

„Was heißt wir?“ fragte Hasard.

„Die Crew des Schwarzen Seglers.“ Wieder Schweigen.

„Mann, ist das spannend“, sagte Old O’Flynn. Seine Augen funkelten. „Sitz ihr etwa mit dem Arsch im Eis fest?“

Der Boston-Mann schüttelte den Kopf und preßte die Lippen zusammen. Und Eike beschäftigte sich weiter mit seinem Becher.

Da hatten sie nun die Seewölfe gefunden, aus purem Zufall, und jetzt hockten sie beide da und kriegten das Maul nicht auf.

„Was ist los mit euch?“ fragte Hasard. „Ihr wolltet meine Hilfe. Wieso überhaupt meine?“

„Weil – weil du das am besten kannst.“

Hasard war am Stöhnen. „Was kann ich am besten?“

„Na, mit unserem Kapitän reden.“

Hasard schob den Kopf vor. Seine Augen waren ganz schmal geworden. „Ich soll mit eurem Kapitän reden? Mit Thorfin Njal?“

„Ja.“

„Wo steckt er denn? Hat er Thule gefunden?“

„Nein.“ Der Boston-Mann kippte den Inhalt seines Bechers hastig herunter. Dann hustete er, natürlich. Stenmark, der neben ihm saß, klopfte ihm den Buckel.

Hasard lehnte sich zurück und ermahnte sich, die Ruhe zu behalten. Die Arwenacks waren am Zappeln und rutschten auf ihrem Hintern hin und her.

Carberry sagte grollend: „Muß euch unser Kapitän die Würmer einzeln aus der Nase ziehen, ihr Seegurken, was, wie? Mac, schenk den beiden Kerlen nach. Die zieren sich ja wie Jungfern in der Brautnacht!“

Merkwürdig. Als Carberry „Brautnacht“ sagte, zuckten Eike und der Boston-Mann zusammen.

Mac füllte ihre Becher voll und sagte: „Hicks!“

„Dein Wortschatz läßt auch nach, Mac“, knurrte Carberry.

Hasard drehte Däumchen und tat damit kund, daß er’s aufgegeben hätte, weitere Fragen zu stellen. Der Boston-Mann starrte ihn unglücklich an.

„Sag’s ihm schon!“ nuschelte Eike und hatte einen roten Kopf.

„Warum ich denn?“ brummte der Boston-Mann. „Sag du’s ihm doch. Ich hab schon soviel geredet. Mein Mund ist ganz trocken.“ Und – schwupp! – kippte er einen.

Hasard blickte träumerisch zur Decke der Messe hoch und studierte die Maserung der Eichenholztäfelung.

Eike kippte auch einen und schnickte den Kopf zurück, um das Wässerchen besser in die Kehle zu kriegen. Der Schluck schien ihn zu ermuntern.

Mit seiner Nuschelstimme sagte er: „Sir?“

Hasard löste den Blick von der Decke. „Ja?“

Eike rührte mit seinem Becher auf der Back herum, das heißt, er zog mit ihm Kreise, und nuschelte: „Thule haben wir nicht gefunden, Sir.“

„Nein?“

„Nein.“

„Hochinteressant.“ Hasard drehte wieder Däumchen.

„Wie bitte?“ fragte Eike irritiert.

„Ich sagte: hochinteressant“, erwiderte Hasard. „Hochinteressant, daß ihr Thule nicht gefunden habt. Vielleicht seid ihr nachts aus Versehen dran vorbeigesegelt, eh? Und habt geschlafen, wie? Bei euch Schlafmützen könnte ich mir das schon vorstellen. Ich schlaf auch bald ein. Ihr seid beide so anregend!“

„Sir, du darfst uns nicht verspotten“, sagte Eike. „Wir wissen doch nicht, was wir tun sollen. Nur du kannst uns helfen. Darum hat die Crew beschlossen, daß der Boston-Mann und ich aufbrechen sollen, um dich zu suchen.“

„Aha. Weiter! Mein Geduldsfaden ist in den letzten fünf Minuten ziemlich kurz geworden. Die Crew hatte also beschlossen, euch beide auf die Suche nach mir zu schicken. Wieso die Crew? Was ist denn mit eurem Kapitän?“

„Das ist es ja gerade.“

„Was?“

„Es handelt sich um unseren Kapitän, Sir“, nuschelte Eike. Sein Kopf war jetzt beängstigend rot.

„Das hab ich inzwischen kapiert, da ich ja laut der langwierigen Ausführungen des Boston-Mannes mit ihm reden soll. Meine letzte Frage an ihn lautete, wo euer Kapitän steckt. Auf die Antwort warte ich immer noch. Oder habt ihr das vergessen?“

„Nein, natürlich nicht.“ Eike schluckte. „Unser – unser Kapitän befindet sich in Isafjord im – im gleichnamigen Fjord, Sir.“

„Ha-ha!“ Carberry grunzte laut. „Ausgerechnet ‚Isa‘! Oder heißt das Kaff Isabella?“

„Das war’s doch, Ed“, sagte Eike hastig. „Weil der Fjord ‚Isa-Fjord‘ heißt, wollte der Kapitän unbedingt reinsegeln. Er hielt das für einen Fingerzeig Odins, daß er da das Scheiß-Thule finden würde. Genauso war’s, nicht, Boston-Mann?“

„Jawohl, so war’s“, sagte der Boston-Mann finster. „Aber Thule gab’s in dem ganzen Fjord nicht. Nur einen kleinen Ort, der Isafjord heißt. Dort gingen wir vor Anker.“

„Ja, dort gingen wir vor Anker.“ Eike nickte verdrossen.

„Und da ankert ‚Eiliger Drache über den Wassern‘ immer noch“, sagte der Boston-Mann dumpf. „Und wird dort noch ankern bis ans Ende aller Tage.“

Sie hatten’s mit dem Ankern, die beiden.

„Wo liegt denn der Isa-Fjord?“ fragte Hasard vorsichtig.

„Island, ganz oben im Nordwesten, Sir“, sagte Eike eifrig.

„Island“, sagte Hasard entgeistert. „Mann, Mann. Und da soll ich mit eurem Kapitän reden? Habt ihr noch alle Tassen im Schapp? Ich will nach England zurück, verdammt noch mal! Und dann wollen wir in die Karibik, aber nicht nach Island. Island kann mir gestohlen bleiben, Himmel, Arsch und Zwiebelsuppe! Ihr spinnt wohl?“ Und Philip Hasard Killigrew donnerte die Faust auf die Back, daß die Becher tanzten und das Fäßchen wackelte.

„Ha-ha! Ho-ho!“ röhrte Carberry und hielt sich den Bauch vor Lachen. „Unser Kapitän hat ‚Himmel, Arsch und Zwiebelsuppe‘ gesagt! Aber gut, aber gut, das muß ich mir merken! Gib’s ihnen ordentlich, den Polaraffen, Sir! Island – die haben ja ’ne Robbe verschluckt …“

„Nein, haben wir nicht!“ brüllte ihn der Boston-Mann an, jetzt ebenfalls hochrot, aber vor Zorn. „Wir wollen auch in die Karibik zurück, genauso wie ihr! Aber Thorfin Njal will nicht, das ist es. Er will in diesem verdammten Isa-Fjord bleiben – für immer! Und er bildet sich ein, daß wir dazu ja und amen sagen. Aber wir denken nicht daran! Niemals! Wir haben da oben nichts verloren. Wir wollen nicht! Die ganze Crew ist dagegen, jawohl! Und darum sollten wir euch suchen, nur darum, damit euer Kapitän mit unserem Kapitän spricht und ihm den Unsinn ausredet!“ Und dann brüllte der Boston-Mann noch lauter: „Seid ihr unsere Kameraden und Freunde? Oder was seid ihr?“

Das war ja ein ziemlicher Vulkanausbruch beim Boston-Mann, bei dem man so etwas eigentlich nicht gewohnt war. Daß er das Herz auf dem rechten Fleck hatte, das wußten sie alle. Ohne Zweifel war er der ehrlichste Mann aus der alten Crew der Roten Korsarin.

Carberry starrte ihn aus seinem grauen Auge hart an.

„Jetzt hör mir mal zu, mein Junge“, sagte er und war plötzlich von einer eisigen Nüchternheit. „Euer Kapitän wollte nach Thule suchen, und mir ist nichts davon bekannt, daß ihr dagegen protestiert hättet. Oder habt ihr?“

„Nein!“ schnappte der Boston-Mann.

„Na also“, knurrte Carberry. „Und jetzt sitzt ihr da oben in diesem Fjord fest, weil es eurem Kapitän so gefällt. Und da erinnert ihr euch an eure Kameraden von der ‚Isabella‘, deren Kapitän eurem Kapitän einreden soll, Island wieder zu verlassen. So, mein Junge“, Carberry dehnte den mächtigen Brustkasten, „damit ihr hier nicht mehr wie die Katze um den heißen Brei herumschleicht: Ihr müßt uns schon einen verdammt guten Grund nennen, wenn unser Kapitän für die Sache von Meuterern eintreten soll!“

Das war der Profos Edwin Carberry, hart wie Granit und kompromißlos.

Der Boston-Mann war fahl unter seiner verblichenen Bräune geworden. Auch Eike war bleich geworden.

„Wir sind keine Meuterer!“ zischte der Boston-Mann.

„Ich will den Grund hören“, sagte Carberry verbissen, „den Grund, mein Junge, nichts anderes. Ich will wissen, warum Männer gegen ihren Kapitän sind, gegen ihren Kapitän und seine Entscheidungen. Erst dann wird darüber zu reden sein, ob wir Freunde und Kameraden sind, erst dann.“ Und Carberry stand langsam auf. „Es muß ein sehr guter Grund sein, mein Junge. Sonst fliegt ihr nach Island zurück!“ Und er schloß langsam die rechte Pranke zur Faust.

„Setz dich hin, Mister Carberry“, sagte Hasard ohne besondere Betonung.

Carberrys Kopf ruckte herum.

„Das sind Meuterer, Sir!“ fauchte er.

Hasard fixierte ihn spöttisch. „Setz dich, Ed. Die Runde ist noch längst nicht zu Ende. Außerdem hast du nicht aufgepaßt. Ich kenne bereits den Grund.“

Auch mit einem Auge konnte Carberry noch glotzen. Es fiel ihm fast aus der Höhle. „Du kennst den Grund, Sir?“

Hasard nickte bedächtig. „Setz dich erst hin, sonst fällst du noch um.“

Die Arwenacks starrten ihren Kapitän sprachlos vor Staunen an. Konnte der Gedanken lesen? Carberry sackte auf die Bank.

„Thorfin Njal hat eine Frau gefunden“, sagte Hasard leise.

Seewölfe Paket 17

Подняться наверх