Читать книгу Seewölfe Paket 17 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 45

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Die Bewacher des Seewolfs verfuhren nach einer offenbar genau vorgeschriebenen Prozedur. Jeweils vier Stunden stand ein Mann vor dem Schott der Vorpiek auf Posten. Dann, wenn die Ablösung erfolgte, fand die ordnungsgemäße „Übergabe“ des Gefangenen statt. Das geschah derart, daß der abzulösende Wächter und sein Nachfolger das Schott öffneten, eintraten und sich im Laternenschein gemeinsam davon überzeugten, daß noch alle Fesseln richtig saßen.

Der Tag verrann in diesen eintönigen Gleichmaß des Vierstundenrhythmus. Rodriguez de Coria ließ sich nicht wieder blicken. Hasard erhielt keinen einzigen Schluck zu trinken und keinen Bissen zu essen. Allem Anschein nach hatte sein sauberes „Onkelchen“ beschlossen, ihn auf diese Weise weichzuklopfen.

Nun, da konnte der ehrenwerte Gesandte lange warten.

Der Seewolf hatte im Vierstundentakt mitgezählt, und begann mit seiner Arbeit, nachdem die letzte Ablösung vor Mitternacht stattgefunden hatte, also um acht Uhr abends.

Er legte sich auf die linke Seite und achtete sorgfältig darauf, nicht das leiseste Geräusch zu verursachen. Garantiert hatten die Posten Order, auf keinen Fall einzuschlafen, bei höchster Strafandrohung. Und ebenso sicher war, daß sie aus Angst vor einer jederzeit möglichen Kontrolle tatsächlich wach blieben.

Die Fesseln waren straff und boten kaum Spielraum. Hasard hatte jedoch in den letzten Stunden immer wieder die Arme gegeneinander bewegt, so daß die Stränge immerhin etwas lockerer geworden waren. Behutsam zog er das rechte Handgelenk so weit zurück, daß er mit den Fingerspitzen unter den linken Jackenärmel fassen und ihn hochschieben konnte.

Zum Glück waren sie nicht auf die Idee verfallen, ihm die Fesseln über dem Ärmelstoff anzulegen.

Er verharrte minutenlang und horchte angestrengt. Aber von dem Posten war kein verdächtiger Laut zu hören.

Hasard setzte seine Arbeit fort. Er ertastete die Naht, die Will Thorne mit nur wenigen Stichen so angelegt hatte, daß sie sich ohne große Mühe leicht aufziehen ließ. Minuten später fühlte Hasard den kühlen Griff des Stiletts. Er zog es hervor, Stück für Stück, immer weiter, bis er es sicher zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hielt. Wenn er es verlor, wenn es zu Boden klirrte, konnte alles vorbei sein.

Er schaffte es, bekam die Klinge frei und drehte das Stilett in den Fingern. Vorsichtig setzte er die rasiermesserscharfe Schneide an. Die ersten Hanffasern begannen zu zerplatzen. Es ließ sich nicht vermeiden, daß sein linker Handballen von der Schneide angekratzt wurde. Hasard spürte das Blut, das ihm über das Handgelenk rann. Es war das kleinere Übel, etwas, das sich mit Leichtigkeit ertragen ließ.

Endlich, nach langen Minuten, fielen die Fesseln.

Aufatmend hielt der Seewolf inne und lauschte wieder. Doch nichts rührte sich draußen vor dem Schott. Er setzte sich auf, brachte die Arme nach vorn und zertrennte die Fußfesseln mit wenigen Schnitten. Die Blutzirkulation setzte mit prickelnden Stichen wieder ein. Hasard betastete die Schnittwunde am Handballen. Sie war in der Tat nicht der Rede wert.

Geräuschlos räumte er die zertrennten Fesseln beiseite, in die äußerste Ecke neben dem Schott. Das Stilett schob er unter den Hosenbund, für den Rest der Zeit hieß es abwarten.

Dann, endlich, näherte sich das schon vertraute Geräusch der Schritte, die dumpf durch die unteren Decksräume klangen.

Hasard richtete sich auf und preßte sich eng an das glitschige Holz neben dem Schott.

Stimmengemurmel war zu hören. Das Knirschen des Riegelbalkens folgte. Leise knarrend schwang das Schott auf.

Hasard schloß die Augen, als der Laternenschein hereinfiel. Doch nur für einen Atemzug. Dann hatte er sich an die Helligkeit gewöhnt.

Ahnungslos traten der alte und der neue Posten ein, um die vorgeschriebene Übergabeprozedur zu vollziehen.

Mit einer blitzschnellen Bewegung war der Seewolf bei ihnen, packte ihre Köpfe und knallte sie gegeneinander. Es gab einen trockenen Laut, und beide Männer versanken klaglos ins Land der Träume. Rechtzeitig, bevor sie zu Boden sanken, griff Hasard zu und nahm die Laterne an sich.

Er stellte sie ab und drehte die beiden Bewußtlosen auf den Rücken. Dem größeren Mann zog er Jacke und Hose aus und streifte beides über, nachdem er seine eigenen Sachen abgelegt hatte. Dann versorgte er sich mit einem Entermesser und einer Pistole von den beiden Spaniern, nahm die Laterne und verließ die Vorpiek. Sorgfältig verriegelte er das Schott, ehe er seinen Weg durch die düsteren Decksräume fortsetzte.

Die Bauart der spanischen Schiffe war ihm vertraut, und so hatte er keine Mühe, sich zurechtzufinden.

Sorgsam achtete er darauf, kein verräterisches Geräusch zu verursachen, während er nach oben vordrang und schließlich einen muffigen Stauraum erreichte, der sich knapp unterhalb der Back befinden mußte. Wenn er richtig vermutete, lag das Mannschaftslogis weiter mittschiffs.

In dem Stauraum lagerten leere Kisten und Fässer in wirrem Durcheinander. Vorsichtig schob Hasard eins der Fässer zurecht, bis er die Grätingsluke erreichen konnte. Er löschte die Laterne und ließ sie zurück.

Atemlos horchte er, bevor er die Luke langsam nach oben drückte.

An Deck rührte sich nichts. Nur das Knarren und Ächzen von laufendem und stehendem Gut waren zu hören, dazu das Singen des Windes in Wanten und Pardunen. Hier, auf See, war der Nachthimmel klarer. Bleiches Licht von Mond und Sternen erleichterte dem Seewolf sein weiteres Vorgehen. Möglich auch, daß sich das Wetter überhaupt im Laufe des Tages aufgeklart hatte.

Hasard sah nun, daß er jene Grätingsluke erwischt hatte, die sich zwischen der Back und der auf der Kuhl verzurrten Jolle befand. Wenn er Glück hatte, stand die Deckswache mittschiffs oder gar achtern. Notfalls mußte er sich den Weg freikämpfen.

Abermals verharrte er regungslos, nachdem er die Luke vollends geöffnet hatte. Dann zog er sich vorsichtig höher, bis er einen Blick riskieren konnte.

Unendliche Erleichterung befiel ihn.

Nirgendwo in der Umgebung rührte sich etwas.

Dennoch wahrte Hasard die nötige Vorsicht, als er sich mit einem Klimmzug hochschwang. Immerhin konnte er nicht jeden Winkel des Schiffes überblicken, und auch die Back konnte er nicht einsehen.

Flach auf die Planken gepreßt, robbte er bis zum Niedergang, der an Steuerbord zur Back hinaufführte. Eher beiläufig stellte er fest, daß die „Santissima Madre“ unter Vollzeug lief. Rodriguez de Coria hatte es zweifellos eilig, eine möglichst große Distanz zwischen sich und die hinterpommersche Küste zu bringen. Daß er der „Isabella“ und der „Wappen von Kolberg“ nicht davonlaufen konnte, mußte er eigentlich längst begriffen haben.

Gefahrlos erreichte der Seewolf die gähnende Leere der Back. Es stand nun endgültig fest, daß sich die Deckswache weiter achtern aufhielt. Dennoch robbte er im Sichtschutz der Balustraden, des Spills und der Nagelbänke nach vorn, damit er nicht zu guter Letzt noch bemerkt wurde.

Er glitt hinunter zur Galion und ließ sich hinuntersinken, ohne auch nur einen Atemzug lang zu zögern.

Das Ostseewasser umfing ihn mit eisiger Kälte. Er biß die Zähne zusammen, trat Wasser und ließ sich backbords an der Galeone entlangtreiben.

Sekunden später war er versucht, einen Triumphschrei auszustoßen. Die Spanier führten ein zweites Beiboot mit, das an einer Leine nachgeschleppt wurde.

Rechtzeitig zog Hasard das Entermesser, das er dem Posten abgenommen hatte. Er trieb auf das Beiboot zu und kappte das Schlepptau mit einem einzigen Hieb.

Es war wie plötzlicher Stillstand.

Die Galeone rauschte davon, und ihre hellen Segelflächen standen prall im Mondlicht.

Hasard hielt sich am Dollbord fest und wartete einige Minuten. Dann, als er von der sich rasch entfernenden „Santissima Madre“ kein aufgeregtes Gebrüll hören konnte, enterte er in das Beiboot und legte die Riemen in die Dollen. Im Kielwasser der spanischen Galeone begann er, auf Gegenkurs zu pullen.

Es war nur eine kurze Zeitspanne, die verstrich, bis er Stimmen hörte. Vertraute englische Stimmen, die ihn von der „Isabella“ aus anpreiten.

Mit einem freudig gebrüllten „Ar – we – nack“ gab der Seewolf sich zu erkennen.

Kurz darauf, als seine Männer ihm an Bord halfen, gab es niemanden mehr, der noch die Koje abhorchte.

„Himmel, Arsch und Zwiebelsuppe!“ brüllte Ed Carberry begeistert und hieb ihm die Pranke auf die Schulter, daß Hasard fast in die Knie ging. „Da wird man fast verrückt vor Sorge, da wälzt man Pläne, wie man ihn herauspauken kann – und was treibt dieser Himmelhund von einem Kapitän? Schleicht den Dons heimlich davon, ohne uns vorher zu fragen!“

Das Gelächter der Männer hallte über die Decks. All ihre Erleichterung klang heraus, denn die Anspannung hatte an ihnen allen genagt. Und niemand hatte recht zur Ruhe finden können.

„Ein Grund zum Feiern!“ rief Ferris Tucker freudestrahlend. „In allen Ehren, wenn’s erlaubt ist.“

„Wird auf später verschoben“, entgegnete Hasard grinsend, „vorher gibt es noch Arbeit.“

Auch die Zwillinge waren mittlerweile zur Stelle und begrüßten ihren Vater mit begeistertem Johlen. Plymmie folgte ihnen im Eiltempo, eifrig schwanzwedelnd drängte sie sich zwischen die Jungen, die den Seewolf umarmten. Plymmie gab erst Ruhe, als Hasard sie ausgiebig streichelte.

„Wie hast du das bloß geschafft?“ meldete sich Old Donegal Daniel O’Flynn zu Wort, nachdem es etwas ruhiger geworden war. „Von den Dons hört und sieht man nichts. Haben die etwa überhaupt nichts mitgekriegt?“

„So ist es“, erwiderte Hasard und nickte. Er konnte nicht umhin, den Männern in knappen Worten von seiner gelungenen Befreiungsaktion zu berichten.

Auch auf der „Wappen von Kolberg“, die in zwei Kabellängen Entfernung auf Parallelkurs segelte, waren die Männer munter geworden. Freudiges Gebrüll klang herüber. Hasard trat ans Schanzkleid und winkte mit beiden Armen. Drüben auf dem Achterdeck sah er seinen Vetter, der das Spektiv absetzte und sein Winken erwiderte. Das Mondlicht und der klare Himmel ermöglichten eine hervorragende Sicht.

Auf Anweisung des Seewolfs wurde das spanische Beiboot mit einem Tampen in Schlepp genommen.

Dann galt es, die wichtigeren Dinge zu tun.

„Wir greifen sofort an“, sagte Hasard kurz entschlossen. „Ben, laß den letzten Fetzen Tuch setzen.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte Ben Brighton freudestrahlend. Seine Worte gingen in den Beifallsrufen der Männer unter. Ihnen allen juckte es mächtig in den Fingern, den Dons die Lektion zu erteilen, die sie verdient hatten.

Während sich der Seewolf in die Kapitänskammer begab, um sich mit passender Kleidung aus eigenen Beständen zu versorgen, ertönten an Deck die energischen Kommandos des Ersten Offiziers.

Bramsegel und beide Blindesegel wurden gesetzt, nachdem die Entscheidung Hasards zur „Wappen von Kolberg“ signalisiert worden war. Arne ließ die Blinde und das Fockmarssegel setzen, auf die sie bisher verzichtet hatten. Mit einem handigen Wind aus Nordost nahmen die beiden Schiffe jetzt rauschende Fahrt über Backbordbug auf, nachdem sie bislang lediglich als Fühlungshalter fungiert hatten. Auch das ehemalige Flaggschiff des polnischen Generalkapitäns Witold Woyda hatte hervorragende Segeleigenschaften und war der „Isabella“ fast ebenbürtig. Für einen Generalkapitän bauten die Polen eben nur das Beste vom Besten.

Hasard kehrte nach wenigen Minuten an Deck zurück. Er trug eine Lederweste und hatte seinen Gurt mit dem Degen und dem schweren sechsschüssigen Radschloßdrehling angelegt. Als er über den Niedergang zum Quarterdeck und weiter zum Achterdeck aufenterte, ertönte bereits Ben Brightons schneidender Befehl.

„Klar Schiff zum Gefecht!“

Auch von der „Wappen von Kolberg“ wehten entsprechende Kommandos herüber. Auf der „Isabella“ setzte jene Wuhling ein, die für einen Außenstehenden ein unbeschreibliches Durcheinander sein mochte. Dennoch verlief all dies nach tausendfach geübtem Reglement. Jeder Handgriff saß, und weitere Kommandos waren nicht mehr erforderlich.

Wie eine perfekte Maschinerie waren die Männer aufeinander eingespielt. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, teilte seine Geschützmannschaften ein und ließ die 25-Pfünder und 17-Pfünder klarieren. Auch die Drehbassen auf der Back und auf dem Achterdeck wurden geladen. Der Kutscher und Mac Pellew waren unterdessen in der Kombüse damit beschäftigt, das Feuer kräftig anzufachen und die Kohlebecken bereitzustellen.

Zu dieser Arbeit, die in Minutenschnelle erledigt werden mußte, trugen auch die Söhne des Seewolfs ihren Teil bei. Wieselflink halfen sie, Sand auf den Decksplanken auszustreuen. Sie schleppten außerdem Pützen mit Wasser heran, die nach einem genauen Plan auf den Decks verteilt wurden. Während des Gefechts konnten dadurch entstehende Brandherde im Handumdrehen gelöscht werden. Anschließend trugen die Junioren die Eisenbecken mit der glimmenden Holzkohle aus der Kombüse und plazierten sie nach Al Conroys Anweisung zum Zünden der Geschützlunten.

Big Old Shane nahm unterdessen den Platz im Großmars ein, ausgestattet mit seinem riesigen englischen Langbogen und einem ganzen Arsenal von verschiedenen Pfeilen, Batuti, gleichfalls mit Langbogen und Pfeilen, enterte in den Fockmars auf. Gemeinsam waren die beiden Bogenschützen in der Lage, dem Gegner ein wahres Höllenfeuer unter dem Hintern zu entfachen, und das schon auf eine Entfernung, bei der die Bordgeschütze noch zu schweigen hatten.

Für alle Fälle baute Ferris Tucker auf der Back seine Höllenflaschenabschußapparatur auf, ein handliches Gerät, dessen Konstruktion den frühgeschichtlichen Steinschleudern nachempfunden war. Für eine glutheiße Begrüßung waren alle Vorbereitungen getroffen.

Vom Achterdeck der „Wappen von Kolberg“ signalisierte nun auch Arne von Manteuffel Gefechtsbereitschaft. Per Handzeichen gab Hasard die Bestätigung, daß er verstanden hatte.

Wenige Minuten später zeichnete sich bereits die dickbauchige Silhouette der „Santissima Madre“ im Mondlicht ab. Auf die Entfernung sah die Wasseroberfläche aus wie gekräuseltes flüssiges Blei. Hasard und Ben Brighton beobachteten die spanische Galeone ununterbrochen mit dem Kieker.

Dort war es an Deck noch immer ruhig. Die Wachen schienen keinen Verdacht geschöpft zu haben. Daran, daß ihnen die englische und die deutsche Galeone mit wechselndem Abstand folgten, hatten sie sich offenbar gewöhnt.

„Daß du ihnen entwischt bist, haben sie noch nicht bemerkt“, sagte Ben Brighton kopfschüttelnd.

„Dann gibt es für sie ein böses Erwachen“, entgegnete der Seewolf grinsend.

Zügig schmolz die Distanz zwischen Verfolgern und Verfolgten zusammen. Als die „Isabella“ und die „Wappen“ bis auf vier Kabellängen heran waren, wurde auf der „Santissima Madre“ alarmierendes Gebrüll laut. Denn daß die beiden Verfolgerschiffe sich nun zur von achtern aufsegelnden Zange formiert hatten, mußte auch der einfältigsten Deckswache klar werden.

„Mister Conroy!“ brüllte der Seewolf.

„Sir?“

„Gib ihnen Zunder von der Back!“

„Aye, Sir!“ Der Stückmeister wirbelte herum und war mit wenigen langen Sätzen an Ort und Stelle.

Ben Brighton signalisierte den deutschen Gefährten, daß der erste Angriff mittels der Drehbassen erfolgen sollte. Shane und Batuti erhielten Order, sich solange zurückzuhalten, bis die ersten Schüsse gefallen waren.

Entnervtes Geschrei war von der „Santissima Madre“ zu hören, als die beiden Galeonen mit rauschender Fahrt herannahten. Das Verhängnis ließ sich nicht mehr aufhalten, viel zu spät hatten die Spanier begriffen, daß die Faust in ihrem Nacken zum Zuschlagen ansetzte.

Hasard dachte an Rodriguez de Coria, der in diesen Minuten wahrscheinlich Befehl gab, den gottverdammten Bastard Killigrew aus der Vorpiek zu holen und ihn als Geisel an den Mast zu binden. Vielleicht erlitt das „Onkelchen“ einen neuen Ohnmachtsanfall, wenn sich herausstellte, daß sich der Gefangene heimlich empfohlen hatte.

Beide Drehbassen auf der Back waren feuerbereit. Al Conroy ließ es sich nicht nehmen, diese erste, wichtige Aufgabe selbst zu erledigen. Geduckt stand er an dem schwenkbaren Hinterlader an Steuerbord und taxierte die sich rasch verringernde Entfernung, während die „Isabella“ sich dem Spanier von Steuerbord achteraus näherte.

Die Kommandos der Dons waren jetzt schon deutlich zu hören. Al Conroy grinste. Sie bemühten sich verzweifelt, ihre Geschütze noch zu klarieren.

Sorgfältig visierte er an. Dann stieß er blitzschnell die Lunte ins Zündloch, ohne den Lauf auch nur um einen Bruchteil zu versetzen. Brüllend entlud sich das Geschütz in seiner Gabellafette.

Das Krachen des ersten Schusses zerfetzte die Stille der Nacht.

Und dann ging es Schlag auf Schlag.

Al Conroy wartete den Erfolg der ersten Ladung nicht ab. Er hastete zur Drehbasse an Backbord, während Bob Grey und Sam Roskill das abgefeuerte Geschütz bereits nachluden. Auch auf der Back der „Wappen von Kolberg“ blitzte es jetzt auf. Ohne Zeit zu verlieren, jagte Al Conroy die zweite Drehbassenladung hinüber.

Im selben Moment stiegen zischend Leuchtspuren aus den Marsen der „Isabella“ auf. Big Old Shane und Batuti konnten Ihre Brandpfeile gezielt abschießen.

Nachdem der Pulverrauch von der Back verflogen war, stimmten Al Conroy und die anderen triumphierendes Gebrüll an.

Das Ruderblatt der „Santissima Madre“ war davongeflogen, trieb platt auf der Oberfläche und entfernte sich immer mehr. Auf einen Schlag war die Galeone steuerlos.

Den Dons mußte der Schreck mächtig in die Knochen gefahren sein. Während sie versuchten, ihre Geschütze zu klarieren, fauchten hoch über ihnen die Brandpfeile in die Segel. Gierige Flammen fraßen sich züngelnd ins Tuch, und der rötliche Feuerschein erhellte die Wuhling an Deck.

Wie Hasard und Arne vereinbart hatten, fielen beide Galeonen ab. Während die „Wappen von Kolberg“ in Warteposition auf Tuchfühlung blieb, schloß die „Isabella“ zur „Santissima Madre“ auf.

Alle Segel des Spaniers standen bereits in hellen Flammen. Shane und Batuti setzten nun Pulverpfeile ein – Brandpfeile, deren Schäfte mit Schwarzpulver gefüllt waren. Beim Einschlag in die Decksplanken entstanden kleine Detonationen, die zwar keinen größeren Schaden anrichteten, ihre Wirkung auf die spanische Decksmannschaft aber dennoch nicht verfehlten. Chaos entstand. Die Demoralisierung der Crew begann, bevor sie ihre Geschütze gefechtsbereit hatten.

Sekunden später war die „Isabella“ längsseits. Die Segel wurden aufgegeit, und auf einen Abstand von weniger als zwei Kabellängen feuerten Al Conroy und seine Geschützcrews die erste Breitseite ab.

Mit urgewaltigem Donnern entluden sich die schweren Bronzerohre. Wie feurige Lanzen stachen die Mündungsblitze weit aus den Stückpforten. Während die Blockräderlafetten zurückrollten und von den Brooktauen gehalten wurden, krängte die „Isabella“ unter dem Rückstoß weit nach Backbord. Grauschwarz wölkte der Pulverrauch auf und versperrte sekundenlang die Sicht.

Das Bersten und Splittern der Einschläge drang durch den Nachhall der Breitseite. Schreie gellten markerschütternd. Dann, als sich die Lage der englischen Galeone wieder stabilisierte, verflüchtigte sich auch der Pulverrauch.

Der Großmast der „Santissima Madre“ neigte sich nach Steuerbord, wie ein kranker Baum, der vom Sturm gefällt wurde. In das Flammenmeer seiner brennenden Segel gehüllt, kippte der Mast außenbords, wo die Flammen zischend erloschen. Zurück blieb der Mastfuß als weißfaseriger Stumpf.

Die weiteren Einschüsse hatten das Schanzkleid des Spaniers in Fetzen gehackt. Fock und Besan standen noch wie schwarze Riesenfinger im Flammenschein der brennenden Segel. Vorn löste sich die Fockmarsrah und krachte in einem Funkenregen auf die Back.

Abermals gellten Schreie. Die Silhouetten von hin und her hetzenden Menschen waren zu erkennen. Zwei, drei sprangen über Bord. Weitere waren im Begriff, ihnen zu folgen. Vom Achterdeck brüllten die Offiziere Befehle und versuchten, den Rest an Widerstandswillen aufrechtzuerhalten.

Der Seewolf verzichtete auf eine weitere Breitseite und gab den Befehl zum Entern. Von Steuerbord schloß die „Wappen von Kolberg“ zur „Santissima Madre“ auf. Die Arwenacks und die Crew Arne von Manteuffels waren bereits hervorragend aufeinander eingespielt.

Das Weitere lief in der Schnelle von wenigen Augenblicken ab. Unaufhaltsam glitten die beiden Galeonen von Backbord und von Steuerbord an den waidwund geschossenen Spanier heran.

Die Seewölfe stimmten ihren alten Kampfruf aus Cornwall an, und wie Donner hallte es zu den Dons hinüber.

„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“

Auch die Männer um Arne von Manteuffel fielen mit ein. Während schon die Enterhaken flogen und sich ins zerborstene Holz der „Santissima Madre“ krallten, behielten die Arwenacks und die Deutschen ihren Kampfruf bei. Ihr ganzer Zorn entlud sich darin – ihr Zorn über das niederträchtige Verhalten des Verbrechers de Coria. Arne hatte keinen geringeren Anlaß, seiner Wut Luft zu verschaffen, als es für Hasard der Fall war, war doch Arnes Vater auf gemeinste und hinterhältigste Weise von de Coria erniedrigt worden.

Die Bordwände stießen mit dumpfem Laut gegeneinander, und das Angriffsgebrüll der Männer steigerte sich noch, als sie sich von beiden Seiten auf die spanische Galeone hinüberschwangen. Verzweifelt versuchten die Spanier, auf der Kuhl einen Verteidigungsring aufzubauen. Ihre Geschütze mußten sie im Stich lassen, mehrere Rohre waren ohnehin von der Breitseite der „Isabella“ aus den Lafetten gerissen worden.

Mit blitzenden Entersäbeln stürmten die Seewölfe und die von-Manteuffel-Crew auf die Spanier los. Hoch über seinem Kopf schwang Ferris Tucker die Zimmermannsaxt, mit deren stumpfer Seite er gnadenlose Hiebe austeilte. Matt Davies und Jeff Bowie setzten neben den Säbeln ihre spitzgeschliffenen Hakenprothesen ein – zwei unerbittliche Kämpfer, gegen deren furchtbare Waffen kein Kraut gewachsen war.

„Gebt es den verdammten Affenärschen!“ brüllte Ed Carberry mitten im Kampfgetümmel, und das war genau die Begleitmusik, die die Männer so sehr schätzten.

Hasard und Ben Brighton kämpften sich durch den zusammenschmelzenden Haufen der Spanier mühelos eine Gasse zum Achterdeck frei. Von Steuerbord her tauchten Arne und sein Erster Offizier, Renke Eggens, auf.

Drei oder vier spanische Offiziere warfen sich hinter der Schmuckbalustrade des Achterkastells auf die Planken. Waffenstahl blinkte zwischen den Verstrebungen.

„Deckung!“ brüllte Hasard und atmete auf, als die anderen rechtzeitig reagierten.

Taurollen und der zersplitterte Großmastfuß boten Schutz. Noch im Fallen hatte Hasard den Radschloßdrehling gezogen. Blitzschnell spannte er den Hahn und brachte die schwere Waffe in Beidhandanschlag. Hinter seiner Taurolle an Backbord konnte er verwundbar sein, wenn die Spanier es verstanden, ihren besseren Schußwinkel auszunutzen.

Bei der Schmuckbalustrade blitzte es auf.

Hasard spürte den sengenden Hauch der Kugel, die über ihn wegstrich und in eine Geschützlafette unmittelbar hinter ihm klatschte. Sofort zog er durch – dreimal, viermal hintereinander. Der Drehung wummerte, spie Feuer, Rauch und Blei. Die großkalibrigen Kugeln zersplitterten das kunstvoll gedrechselte Holz der Schmuckbalustrade.

Die beiden Kugeln, die die Spanier dort oben noch auf die Reise schicken konnten, rasten gefahrlos in den Nachthimmel.

Ben Brighton war bereits aufgesprungen und jagte mit blankgezogenem Säbel zum Achterdecksniedergang an Backbord. Arne von Manteuffel und Renke Eggens folgten seinem Beispiel im nächsten Moment, und auch Hasard war wieder auf den Beinen, schob den Drehung unter den Gurt und griff nach seinem Degen.

Hasard war im Begriff, Ben zu folgen. Im selben Atemzug sah er die Silhouette, die sich im Dunkel vor dem Schott zu den Achterdecksräumen bewegte. Eine hagere Silhouette, die zur anderen Seite wegzuhuschen versuchte.

Kein Zweifel, das saubere „Onkelchen“ de Coria versuchte, sich von der Bildfläche abzusetzen und den anderen das Kämpfen zu überlassen.

Mit zwei, drei Riesensätzen war der Seewolf zur Stelle und versperrte ihm den Weg zum Steuerbordschanzkleid.

Rodriguez de Coria prallte zurück und erstarrte. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Entsetzt stierte er den hochgewachsenen Engländer an, der der Sohn seiner Schwester war.

„Aus dem Sprung über Bord wird nichts“, sagte Hasard eisig, „jetzt können Sie Ihre Genugtuung haben.“

De Corias Gesicht verzerrte sich zur panisch zuckenden Fratze.

„Ich werde nicht vor dir kneifen, elender Bastard!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Stirb!“ Erstaunlich schnell zog er den Degen blank und stürmte auf den verhaßten Seewolf los.

Hasard erholte sich gerade noch rechtzeitig von seiner Überraschung, fintete reaktionsschnell und ließ den ehrenwerten Gesandten ins Leere vorstoßen.

De Coria stieß einen schrillen Wutschrei aus. Zu spät bremste er seine Attacke. Hasard wirbelte im selben Moment herum. Seine Degenklinge zischte herab, und die nadelfeine Spitze fetzte einen klaffenden Schlitz in de Corias Hosenboden.

Der Spanier warf sich herum. Tödlicher Haß glühte in seinen Augen.

Hasard ließ ihm keine Zeit, sich zu besinnen. Unerbittlich drang er auf de Coria ein. Das helle Klirren der Klingen war trotz des Kampfeslärms an Bord deutlich zu hören.

„Geben Sie auf, de Coria!“ brüllte der Seewolf. „Sie haben keine Chance mehr!“

„Niemals, du verfluchter Hund!“ schrie der Spanier keuchend zurück.

Hasard trieb ihn weiter vor sich her, bis der ältere Mann das Schanzkleid im Rücken hatte und sich mit verzweifelten Paraden zur Wehr setzte.

Kopfschüttelnd wich der Seewolf zurück, um ihm Zeit zu geben, die Waffe zu strecken.

Doch Rodriguez de Coria dachte nicht daran. Mit einem gellenden Wutschrei stieß er sich vom Schanzkleid ab und stürmte erneut auf seinen überlegenen Gegner los. De Corias Atem ging rasselnd, längst hatte er nicht mehr die Kraft zu einem wohlüberlegten Angriff.

Hasard parierte mühelos, und mit einem zweiten, blitzartigen Hieb schlug er die gegnerische Klinge zur Seite weg.

Das Unvorhergesehene geschah im selben Atemzug, bevor Hasard die eigene Klinge hochreißen konnte.

De Coria verfing sich mit einem seiner Schnallenschuhe in einem Tau, verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorn – in die Klinge des Seewolfs hinein.

Hasard zuckte zusammen. Es gelang ihm nicht mehr, zurückzuweichen.

Seine Degenklinge durchbohrte die Brust Rodriguez de Corias.

Die verlebten Gesichtszüge des Mannes erschlafften, und seine Augen brachen, bevor er auf die Decksplanken sank. Hasard zog seinen Degen zurück und beugte sich über de Coria. Doch er sah sofort, daß hier keine Hilfe mehr möglich war. Der Stich hatte das Herz getroffen.

Hasard konnte kein Mitleid empfinden, obwohl er bereit gewesen war, das Leben des Verbrechers zu schonen.

Vom Achterkastell ertönte ein spanisches Kommando.

Der Seewolf wandte sich um. Kapitän de Frias, von Ben Brighton bereits entwaffnet, hatte den Tod de Corias mit angesehen und forderte jetzt den verbliebenen Haufen seiner Decksleute auf, den Kampf einzustellen.

„Senkt die Waffen!“ befahl Hasard den eigenen Männern.

Arne gab die gleiche Order in deutscher Sprache.

Augenblicklich kehrte Ruhe an Bord der zerschossenen „Santissima Madre“ ein.

Für Hasard und Arne gab es kein langes Überlegen. Die überlebenden Spanier wurden von Bord gejagt, in die beiden Boote, die ihnen zur Verfügung standen. Kapitän de Frias war heilfroh, auf diese Weise mit einem blauen Auge davonzukommen.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten die Seewölfe und Arnes Männer damit, alles Brauchbare von Bord der „Santissima Madre“ auf die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ hinüberzuschaffen. Waffen, Munition und Proviantvorräte wurden übernommen – vor allem für Arne eine willkommene Ergänzung der eigenen Bestände, zumal er seine Crew in Kolberg auf fünfundzwanzig Mann verstärkt hatte.

Schließlich erhielt Ferris Tucker den Auftrag, die spanische Galeone anzubohren.

Als die „Santissima Madre“ über das Heck zu sinken begann, waren die beiden Boote mit den Schiffbrüchigen schon nicht mehr zu sehen.

Hasard und Arne ließen Segel setzen und nahmen Kurs auf den nahen Sund …

ENDE

Seewölfe Paket 17

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