Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 11
7.
ОглавлениеHasards Stellvertreter Ben Brighton hatte das Kommando, als das Beiboot ablegte.
Es war besetzt mit Hasard, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Carberry, Ferris Tucker, Matt Davies, Batuti, Stenmark, Bob Grey, Luke Morgan, Smoky und Jeff Bowie.
Die anderen Seewölfe blieben für alle Fälle zur Verteidigung an Bord zurück.
Elf Männer würden genügen, um mit der Horde aufsässiger und randalierender Kerle fertig zu werden, falls sich das als nötig erweisen sollte, denn der Seewolf glaubte, die Piraten würden die Flucht ergreifen.
Diesmal täuschte er sich allerdings. Die Kerle waren zwar losgepullt, aber sie gaben nicht auf. Ihre einzige Chance, hier wieder wegzukommen, lag auf der „Isabella“, und ihre Verzweiflung trieb sie zu mutigen Taten.
Am Strand hatten sie sich zusammengerottet und warteten. In den Fäusten trugen sie Entermesser, einige hatten auch Äxte und Schiffshauer, zwei waren mit Degen bewaffnet. Ihr stiernackiger, rotgesichtiger Anführer fühlte sich außerordentlich stark und stand vor seiner bunt zusammengewürfelten Meute herausfordernd da.
Hasard blieb vier Yards vor ihm stehen und musterte ihn. Er sah nur in bärtige, unrasierte oder dreckige Visagen, die ihn hämisch, verschlagen oder hinterhältig anstarrten.
„Bist du gekommen, um zu kämpfen, Mann?“ fragte der Anführer.
„Was habt ihr mit den Eingeborenen getan?“ wollte Hasard wissen.
Lachen wurde laut.
„Na, was schon, du Wanze! Wir haben uns das geholt, was wir dringend brauchten, und das waren vor allem Weiber. Stimmt’s Leute?“
Zustimmendes Gegröle war die Antwort.
Hasard glaubte das unbesehen. Er warf einen Blick auf den kleinen Tempel im Wasser und sah, daß die Statuen davor beschädigt waren. Alles war mutwillig zerstört worden. Die Galle stieg ihm bei diesem Anblick hoch.
Noch beherrschte er sich, doch der Anführer näherte sich ihm um noch ein Yard und grinste frech.
„Hör mal zu, Capitano“, sagte er. „Ihr habt uns überlistet. Gut, das verzeihen wir ja, schließlich habt ihr Kanonen und wir nicht. Wir verlangen nicht viel von euch. Ihr sollt uns nur zurück nach Sumatra bringen, da gehen wir an Land. Das tut euch nicht weh, und wir sind wieder daheim.“
Er sah Hasards spöttisches Lächeln und lief rot an. Er sah aber auch den narbengesichtigen Mann an seiner Seite, dann einen rothaarigen, breitgewachsenen Burschen und einen graubärtigen Riesen mit den Schultern eines Giganten. Daneben stand noch ein Herkules und außerdem ein Kerl mit einem Eisenhaken statt einer Hand, und da wurde ihm zum ersten Male etwas mulmig, und er fragte sich besorgt, ob sie sich nicht doch etwas übernommen hatten, denn diese Burschen waren ganz sicher keine harmlosen Handelsfahrer.
„Den Teufel werde ich tun“, sagte Hasard gelassen. „Und die Wanze nimmst du zurück, sonst stopfe ich dir den Bart zwischen die Zähne!“
Der Anführer spie verächtlich in den Sand.
Den Seewölfen juckte es mächtig in den Fäusten, aber auch sie beherrschten sich noch und warteten ab.
Hasard war mit zwei Sätzen so schnell bei dem rotgesichtigen Koloß, daß der erschrocken zusammenfuhr. Automatisch riß er die Arme hoch, aber da traf ihn ein Brocken in den Magen, daß ihm die Luft wegblieb und er sich vor Schmerzen krümmte. Er hatte den Kopf noch nicht ganz unten, da trafen ihn zwei unheimlich schnelle und harte Schläge und rissen seinen Schädel wieder hoch.
„Ar-we-nack!“ donnerte der Profos, und jetzt hielt ihn nichts mehr. Das war auch gleichzeitig für die anderen das Signal zum Angriff, und dann ging es rund am Strand. Die Seewölfe hatten sich von den Kerlen genug bieten lassen, jetzt war das Maß voll.
Carberry hatte sich schon vorher einen rattengesichtigen Kerl ausgesucht und sich vorgestellt, wie er mit ihm verfahren würde.
Jetzt setzte er seine hochgespannten Erwartungen augenblicklich in die Tat um, schnappte sich blitzschnell den Kerl und wischte den Strand mit ihm auf. Doch das Rattengesicht hielt das Tempo leider nicht lange mit, und so ließ Ed ihn einmal um seine Achse kreisen und dann losfliegen, bis der Kerl mit dem Schädel voran im Sand landete und liegenblieb.
Schon hatte er den nächsten am Wickel. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti zwei Gegner herzhaft mit den Köpfen zusammenstieß.
Dan O’Flynn wütete mit schnellen harten Fäusten, Ferris Tucker sprang mit den Burschen um, als bearbeite er sie mit einem gewaltigen Hobel, und der Schmied von Arwenack ackerte sich durch, als habe er glühendes Eisen auf dem Amboß und klopfe es mit einem Hammer in die richtige Form. Da ließ Bob Grey die Fäuste fliegen, da kämpften Smoky, Stenmark und der Hitzkopf Luke Morgan, dem mal wieder das Temperament durchging. Und die beiden Hakenmänner knallten dem Gegner ihre Prothesen entgegen.
Der Seewolf stand vor dem idiotisch lallenden Anführer, dem die Lippen aufgeplatzt waren und vorn oben die Schneidezähne fehlten.
Der Kerl war schon zweimal zu Boden gegangen, aber er hatte eine Bärennatur und stand immer wieder auf.
Taumelnd rückte er auf den Seewolf zu und hieb ins Leere. Hasards eisenharte Faust traf seinen Schädel und warf ihn zurück. Noch einmal kam er auf die Beine, zitternd, mit blutunterlaufenen Augen versuchte er, seinen Gegner anzugehen.
Hasard wich und wankte nicht und schickte den Stiernackigen mit einem letzten mächtigen Schlag endgültig zu Boden.
Dann bellte ein Schuß auf, und Bob Grey griff sich an die Schulter. Einer der Kerle hatte noch eine Waffe, und mit der setzte er sich jetzt zur Wehr.
Gerade als er noch einmal abdrükken wollte, fiel sein Arm kraftlos herunter.
Aus seinem Rücken ragte ein Kris, ein krummer Dolch, und auch ein zweiter hatte plötzlich die Waffe im Körper und fiel der Länge nach in den Sand.
Zwei Eingeborene verschwanden – so schnell, wie sie erschienen waren – wieder im Pagodenwald. Sie hatten die Messer geschleudert und Rache an den getöteten Insulanern genommen.
Damit war der Kampf auch schon entschieden. Die meisten hockten oder lagen im Sand, einige bewußtlos, drei oder vier waren tot.
Bob Grey hatte einen Streifschuß am Arm und blutete leicht, aber für ihn war das nur ein Kratzer, wie er versicherte, und er verband sich die Wunde auch gleich selbst, indem er einen Streifen aus seinem Hemd riß und ihn um den Arm wickelte.
Hasard zählte die restlichen Männer. Einer oder zwei hatten sich wahrscheinlich im allerletzten Augenblick doch noch abgesetzt und waren im Wald verschwunden. Aber die konnte er vergessen, denn die fielen mit Sicherheit den aufgebrachten Eingeborenen in die Hände, und damit war ihr Schicksal besiegelt.
Genau neun schwer angeschlagene Männer blieben übrig, und die Frage warf sich auf, was mit ihnen geschehen sollte. Der Anführer war immer noch bewußtlos und regte sich erst nach geraumer Weile.
Die Seewölfe nahmen den Kerlen die Entermesser ab und vergaßen auch die nicht, die noch in ihren Gürteln steckten.
„Wo lassen wir das Gesindel jetzt?“ fragte Carberry. „Das sind immerhin noch neun Kerle.“
Hasard zuckte mit den Schultern.
„Am liebsten würde ich sie hierlassen, aber dann werden sie von den Insulanern umgebracht, obwohl die Halunken das verdient hätten. Das möchte ich aber auch gern vermeiden.“
„Dann bringen wir sie auf eine der kleinen Inseln, die wir an Steuerbord in östlicher Richtung gesehen haben“, schlug der Profos vor. „Da sind ein paar Palmen, und bei der üppigen Vegetation gibt’s da bestimmt auch Trinkwasser.“
„Ich habe leider auch keinen besseren Vorschlag“, sagte der Seewolf. „Aber es ist die einzige Möglichkeit. Also los, bringen wir die Kerle zum Schiff. Shane wird sie in der Vorpiek in Eisen legen, damit wir vor Überraschungen sicher sind.“
Hasard schaute sich nach den Insulanern um, die er erst nur ganz flüchtig gesehen hatte, doch niemand ließ sich blicken. Sie mußten sich weiter ins Inselinnere zurückgezogen haben. Vielleicht wußten sie auch nicht, wie sie sich diesen neuen Fremden gegenüber verhalten sollten, und warteten erst einmal ab.
Immerhin hatten sie in den Kampf eingegriffen und es dabei nur auf die Piraten abgesehen.
„Los, hoch mit euch, ihr Halunken!“ befahl Big Old Shane. „Beißt die Zähne zusammen, ihr Strandläuse, jetzt gelangt ihr doch noch auf das Schiff, nur etwas anders, als ihr euch das vorstellt.“
„Und es wird geschwommen“, setzte Ed grimmig hinzu. „Immer schön neben dem Boot her, sonst gibt es richtige Senge. Das war nämlich erst der Auftakt.“
Niemand muckte mehr auf. Ihr Respekt vor den Seewölfen hatte sich nach der Schlägerei verzehnfacht, und sie staunten jetzt noch, daß sie so sang- und klanglos untergegangen waren. Und, verdammt noch mal, dabei glaubten sie sich wirklich aufs Kämpfen zu verstehen. Aber diese Kerle schienen direkt der Hölle entsprungen zu sein, denn so schnell hatte noch keiner mit ihnen aufgeräumt.
Trotzdem sannen sie auf Rache, das war ihr zweiter Gedanke, doch konnten sie den vorerst nicht verwirklichen.
Carberry scheuchte sie ins Wasser, und wer nicht schnell genug hineinflitzte, dem half der Profos kurzerhand nach, und als er den ersten die Marschrichtung zeigte, da beeilten sich die anderen so schnell wie noch nie in ihrem Leben und schwammen gehorsam auf die „Isabella“ zu, ganz so, wie sie es gewollt hatten.
Neun etwas übelriechende, verwahrloste Piraten wurden in Empfang genommen und in Eisen gelegt. In der Vorpiek war genügend Platz für die jetzt sehr schweigsame Meute. Selbst der grobschlächtige Anführer hatte die Sprache verloren.
„So, das ist geklärt“, sagte Carberry, als die Kerle versorgt waren. „Jetzt können wir uns um die Insulaner kümmern.“
„Die laufen schon am Strand zusammen“, sagte Bill und zeigte auf den Palmenwald, wo immer mehr braunhäutige Leute zusammenliefen.
Sie winkten und riefen zur „Isabella“ und bedeuteten den Seewölfen durch Handzeichen, daß sie an Land gehen sollten.
Hasard gab schließlich die Erlaubnis dazu, denn jetzt bestand keine Gefahr mehr, dessen war er sicher.
Etwas später legte das Boot wieder ab.
Die Insulaner entpuppten sich als freundliche, gütige und fröhliche Menschen. Sie feierten die Seewölfe wie Retter, die immer wieder von allen Seiten umringt wurden.
Ein paar Brocken Polynesisch verstand Hasard, der Rest wurde durch Handzeichen und Bewegungen verdolmetscht, und darin hatten die Seewölfe bereits langjährige Erfahrung.
Nach und nach fanden sie heraus, daß hier ein Fest gefeiert werden sollte, nachdem die Räuber und Mörder die Insel verlassen hatten und nicht wiederkehren würden.
Der Balian humpelte neben Hasard her, und als der Seewolf einen Blick zum Strand hinunterwarf, sah er, daß die Leichen der Piraten bereits verschwunden waren. Das hatten die Insulaner besorgt.
Noch am Abend desselben Tages begann das angekündigte Kecakfest, für dessen weitere Verschiebung kein Grund mehr bestand, und eins der eindrucksvollsten und seltsamsten Feste, die die Seewölfe je erlebt hatten, nahm seinen Lauf.
Es begann wieder mit dem Legong-Tanz. Zartgliedrige Mädchen bewegten sich anmutig zum Takt fremdartiger Musik, die auf hölzernen Trommeln, Flöten und harfenähnlichen Instrumenten gespielt wurde.
Die jungen Tänzerinnen trugen bunte, bis auf den Boden reichende Gewänder. In den schwarzen Haaren steckten rote und gelbe Blumen, die den Reiz der Tänzerinnen noch unterstrichen.
Dann ging der Mond über dem Meer auf. Einem Riesenball gleich, schob er sich über das Wasser, übergoß es mit zartem Silber, daß es weiter hinten wie erstarrt dalag. Am Strand liefen kleine Wellen flüsternd und murmelnd über den hellen Sand.
Man nahm zwanglos auf dem Boden Platz, wo in langen Reihen Körbe voller Früchte standen.
Der Balian, der sich immer noch nur mühsam fortbewegte, erklärte dem Seewolf, der Legong würde zu Ehren der fremden Männer extra stattfinden aus Dank für die Vertreibung der Piraten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Hasard begriff, was gemeint war, denn in dem hohen Singsang der hochbalinesischen Sprache hörte Hasard nur selten ein verständliches Wort heraus.
Erst die unterstreichenden Gesten erklärten manches.
Einmal blickte Carberry lange über die Schulter zur „Isabella“ hinüber. Dem Seewolf entging der Blick nicht.
„Besorgt, Ed?“ fragte er.
„Ich will mich nur vergewissern, Sir. Aber die Kerle können aus eigener Kraft niemals aus der Piek heraus. Ich habe selbst alle kontrolliert und die Ketten überprüft.“
„Da kann nichts passieren. Außerdem geben die Männer, die an Bord geblieben sind, scharf acht, daß sich keiner von denen muckst.“
Als der anmutige Legong beendet war, begann der Drachentanz mit dem Dämon Barong.
Der Anblick des Dämons, in der Gestalt eines Tieres mit langen Haaren und stark hervorquellenden Maskenaugen und langen Zähnen, verkörperte das Gute.
Junge Balinesen sprangen auf und schwangen drohend ihre krummen Messer. Es sah gefährlich aus, und der Anblick des hin und her laufenden Dämons verfehlte selbst auf den Seewolf seine Wirkung nicht.
Im schimmernden Mondlicht war jede Einzelheit deutlich zu sehen. Wie rasend bewegte sich der Dämon mit dem furchterregenden Schädel. Die langen Haare berührten bei jeder Drehung den Boden. Der mit hauchdünnen Goldplatten bedeckte Schädel ruckte schnappend hoch, und jedesmal schrien die Insulaner wild auf.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Bill den Seewolf.
Hasard ließ es sich wortreich von dem Balian und einer jungen Tänzerin erklären. Auch das dauerte eine Weile, bis er es verstand.
„Dieser Dämon Barong versucht, die Todesgöttin Rangda zu besiegen, die eine häßliche alte Hexe ist“, erklärte er Bill. „Aber weil der Dämon es allein nicht schafft, unterstützen ihn die Männer mit ihren Messern und lautem Geschrei.“
Der wilde Tanz nahm an Gefährlichkeit zu, als die Balinesen sich in einen regelrechten Rausch steigerten, von dem etwas später auch der Balian ergriffen wurde.
Die Wandlung mutete unheimlich an, als der Balian sich in Trance versetzte, das Gesicht verzog und zu zucken begann, bis sein ganzer Körper von den wilden Zuckungen ergriffen wurde.
Vorbei waren seine Schmerzen, er humpelte nicht mehr, sondern führte jetzt die Krieger an, die mit wildem Gebrüll die Hexe Rangda zu besiegen versuchten.
Die brüllende, sich wild bewegende Meute geriet dabei in ihrem Taumel bis dicht an die Reihe der auf dem Boden sitzenden Seewölfe, und die Krise schwangen gefährlich nahe vor ihren Gesichtern. Das Kampfgeschrei steigerte sich immer mehr.
„Mann“, sagte Carberry, „dagegen hört sich unser Arwenack-Gebrüll ja direkt kläglich an. Das werden wir in Zukunft noch etwas lauter üben müssen.“
Einige Balinesen hatten nun am teilweise verwüsteten Wassertempel flakkernde Lichter entzündet, die den Tempel geisterhaft beleuchteten.
Andere trugen Holzstücke von den verbliebenen Resten des Wracks zusammen und brachten sie in den Wald, aus dem fremd und geheimnisvoll die kleinen Geistertempel herüberblinkten.
Es war eine fremdartige, seltsam anmutende Welt, fanden die Seewölfe, faszinierend und irgendwie unwirklich.
„Was tun die mit dem Holz?“ fragte Ferris Tucker seinen Freund Ed.
„Vielleicht grillen die ein paar Schweine“, vermutete Carberry.
„Die verstreuen das Holz regelrecht zu langen Bahnen. Auf die Art kann man keine Schweine am Spieß grillen.“
Auch Hasard wußte es nicht und grübelte darüber nach. Den Balian konnte er nicht fragen, denn der bewegte sich jetzt in einer anderen Welt. Er wirkte völlig geistesabwesend und hatte einen verklärten Blick.
„Das ist eine lange Grube, in die sie das Holz legen“, sagte Matt Davies nachdenklich. „Sie ist mindestens zehn Yards lang.“
Die Seewölfe rätselten daran herum, doch vorerst erfuhren sie es nicht, und so blieb jedem selbst überlassen, was er sich in seiner Phantasie ausmalte.
Fast eine Stunde lang hielt der Tanz an. Der Dämon Barong bewegte sich immer schneller, und auch die jungen Krieger gerieten in fast beängstigende Ekstase. Sie brachten sich Verletzungen bei und waren bereit, sich selbst zu töten. Ihre Umwelt existierte für sie nicht mehr.
Zwischendurch reichten anmutige junge Tänzerinnen Früchte und berauschende Getränke. Das dem Kawa ähnliche Getränk berauschte jedoch sehr schnell, und der erste, der mit glasigen Blicken auf die Tänzerinnen stierte, war der Hitzkopf Luke Morgan.
Hasard warf dem Profos einen Blick zu. Carberry verstand sofort.
„Trinkt vorsichtig, ihr triefäugigen Hafenratten“, warnte der Profos. „Sauft das Zeug nicht so in euch hinein, sonst fallt ihr um und steht die nächsten Tage nicht mehr auf. Und wen ich total besoffen bei der Arbeit sehe, den hänge ich zum Auslüften so lange an die Rah, bis er Schimmel ansetzt. Habt ihr das kapiert?“
„Das Zeug schmeckt aber wirklich gut“, sagte Luke lallend. „Ich will noch mehr davon!“
Er kriegte aber nichts mehr, und der Profos goß ihm Kokosmilch in die Schale.
Luke war so voll, daß er jedesmal, wenn er Kokosmilch trank, verzückt die Augen verdrehte.
„Ein – ein – ed-edles Gesöff“, lobte er überschwenglich. „Und so schön berauschend.“
Aus dem Wassertempel ertönte Gesang, und als das Singen zart durch die Nacht herüberklang, da war die Hexe Rangda von dem Dämon endlich besiegt worden.
Die Bewegungen wurden matter und langsamer, als ließe der Gesang die Tänzer aus tiefer Trance erwachen. Einer nach dem anderen blieb stehen. Ihre Blicke wurden klarer, und die meisten sahen sich ernüchtert um, als grenzenloser Jubel losbrach. Wieder einmal hatte der Dämon mit Hilfe der jungen Männer es geschafft, das Böse zu besiegen.
Auch der Balian kehrte mit glänzenden Augen zurück und nahm dicht neben dem Seewolf auf dem Boden Platz.
Gedämpfte Schweinestücke wurden herumgereicht, und die Seewölfe hieben kräftig rein.
Der Balian unterbreitete Hasard gestenreich den Vorschlag, man solle doch die Gefangenen holen, um sie abzumurksen, doch Hasard schüttelte den Kopf. Die Leute waren teilweise berauscht und in genau der Stimmung, in der sie das auch getan hätten.
Statt dessen erklärte der Seewolf, sie würden die neun Männer zu einer kleinen Insel bringen.
Der Balian verstand, erhob sich und zeigte erfreut nach Osten. Damit meinte er die Insel, die die Seewölfe schon gesehen hatten. Drei Inseln gäbe es, erklärte der Medizinmann, und damit war das Thema für ihn erledigt.
Nach einer kurzen Pause ging es weiter.
Das Holz in der Grube wurde entzündet und mit einer Flüssigkeit getränkt, die es schnell brennen ließ.
Rings um die Grube wurde Aufstellung genommen, und wieder strömten alle zusammen und blickten in das lodernde Feuer.
„Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was das wird“, sagte Big Old Shane zu Hasard. „Bis jetzt sehe ich noch keinen Sinn darin.“
„Eine rituelle Handlung“, meinte Hasard achselzuckend. „Nur, in welcher Form sie stattfindet, weiß ich nicht.“
„Vielleicht verbrennen sie die Toten“, meinte Smoky. „Deshalb ist die Grube auch so lang.“
Aber sie brachten keine Toten Zwölf sehr lebendige Männer erschienen auf geheimnisvolle Weise aus dem Tempelwald. Sie tauchten so urplötzlich auf, als wären sie aus dem Boden gewachsen.
Junge Mädchen legten sich an den Rand der Mulde und bliesen ins Feuer, das immer stärker aufloderte. Dann wurde das Feuer außerdem noch mit langen Palmwedeln angefacht, bis auf dem Grund der Mulde das Holz hellrot aufglühte.
Hasard sah sich die Männer an, die am hinteren Ende der Mulde Aufstellung nahmen. Sie wirkten unbeteiligt. Ihre Gesichter waren maskenhaft starr, und wenn sie sich bewegten, wirkte es hölzern.
Als Bekleidung trugen sie nur einen von der Hüfte bis zu den Knien reichenden Schurz aus buntem Stoff. Dazu hatten sie ein gebogenes Bambusgestell über dem Rücken hängen, das mit langen Gräsern und getrockneten Pflanzen verziert war.
Als Hasard den Balian fragend ansah, der sich immer an seiner Seite hielt, erschien ein geheimnisvolles Lächeln auf seinem Gesicht, und er sprach schnell ein paar unverständliche Worte.
Dann zeigte er auf die Männer und unterstrich mit Gesten, daß sie alle durch das Feuer gehen würden.
Es handelte sich um das Trance-Zeremoniell des Sanghyan Djaran, das zweitgrößte Fest auf Bali, wie der Balian versicherte.
Smoky, Blacky, Big Shane, der junge O’Flynn und selbst der Seewolf sahen den Balian ungläubig an.
„Der will uns wohl auf den Arm nehmen“, sagte Dan. „Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der durch so ein Feuer geht. Und wenn es einer wagt, überlebt er nicht einmal die erste halbe Minute. Da drin ist es so heiß wie in der Hölle!“
„Als ob du schon mal da gewesen bist“, spottete Smoky. „Vielleicht meinen die damit zum Tode Verurteilte, die man auf den Scheiterhaufen wirft wie bei den Hexenverbrennungen bei uns.“
Der Seewolf zog plötzlich ein bedenkliches Gesicht. Es widerstrebte ihm, hier einzugreifen, wenn das wirklich geschah, aber er fand den Gedanken von Smoky gar nicht unwahrscheinlich.
Noch einmal sah er sich die Männer an, die wartend in einer langen Schlange Aufstellung nahmen.
Sollten das zum Tode Verurteilte sein? überlegte er beklommen. So sahen sie gar nicht aus, aber der Teufel mochte wissen, was hier vorging und was das alles bedeutete.
Nein, sie mußten den Balian warnen, keine Menschen zu verbrennen, selbst wenn sie damit geheiligte Riten störten.
Anscheinend sah der Balian die Zweifel in Hasards Augen, denn er lächelte beruhigend und demonstrierte etwas.
Er tat ein paar tänzelnde Schritte, drehte sich dabei ein paarmal um seine eigene Achse, schloß die Augen und tat so, als ginge er durch das knisternde Feuer. Unversehrt und ohne Schaden würde dort jeder der Tänzer wieder erscheinen, betonte er.
Der Profos schüttelte den Kopf, während Hasard sinnend den Balian anblickte.
„Das gibt es nicht“, behauptete Ed sturköpfig. „Das kann mir keiner erzählen. Seht euch doch nur mal das Feuer an, das ist ja wirklich eine Höllenglut. Niemand läuft da hindurch.“
„Daran glaube ich auch nicht“, versicherte Smoky. „Und du glaubst auch kein Wort, Sir, oder?“
„Ich weiß nicht recht“, erwiderte Hasard. „Bei den Insulanern ist alles möglich. Da gibt es unerklärliche Geheimnisse.“
Sie schlossen untereinander Wetten ab, sahen in die gewaltige wabernde Glut, die sie nicht einmal für Sekunden die Hände hineingehalten hätten, und schüttelten die Köpfe.
Da sollte ein Mensch durchgehen? Ausgeschlossen, entschieden sie. Oder sie hatten den Balian mißverstanden wegen der Sprachschwierigkeiten.
Einige der maskenhaft starr wirkenden Männer trugen eine Art Amulett an dem gebogenen Bambusstab. Es zeigte den Kopf eines Stieres oder eines Hundes. Auch das Haupt eines Löwen glaubten sie deutlich zu erkennen.
Eine seltsame Stille senkte sich über den Platz. Die Seewölfe traten ein paar Schritte zurück, denn die Glut, die aus der Mulde drang, legte sich beklemmend heiß auf die Lungen und ließ das Atmen zur Qual werden.
Irgendwo aus dem Tempelwald erklang das leise Dröhnen einer Trommel. Anfangs leise, dann schwoll es immer mehr an. Dazwischen wurde ein riesiger Gong geschlagen, der über die ganze Nordseite der Insel dumpf und dröhnend erklang. Die Abstände wurden kürzer, dafür wurden die Töne sinnverwirrend und laut.
Die Männer bewegten sich kaum. Erst als der Balian am Rand der lodernden Grube Aufstellung nahm, kam Bewegung in die Leiber. Schweißtropfen standen auf den braunen Körpern, nur die Augen waren immer noch seltsam starr und teilnahmslos in das Feuer gerichtet.
Selbst die Insulaner blieben stumm. Niemand sprach auch nur ein Wort.
Noch einmal dröhnte der Gong auf, dann senkte sich bleierne Stille über die Insel, und die Natur schien den Atem anzuhalten.
Da trat der erste feierlich vor. Er hob den Kopf und rief mit schriller Stimme ein kurzes Wort.
Was dann folgte, jagte den abgebrühten Seewölfen einen Schauer nach dem andern über den Rücken. Sie trauten ihren eigenen Augen nicht mehr.
Der Mann schritt in die Glut, drehte sich dabei um seine Achse, tänzelte auf den glühenden Scheiten und schritt ruhig und feierlich weiter. Flammen schlugen bis an seine Hüfte, griffen nach dem Bambusgestell und hüllten die Gestalt ein, die ruhig und gemessen immer weiterschritt, bis ein Aufstöhnen durch die Menge ging.
„Das – das gibt es nicht“, ächzte Carberry. Er sah das Bild klar und deutlich vor sich, und doch hatte er das Gefühl, als erlebe er einen bösen Traum.
Der erste Tänzer hatte jetzt fast die Mitte der Grube erreicht, als auch schon der zweite in die Höllenglut trat und dem ersten Mann auf die gleiche Art folgte. Niemand hatte es eilig, keiner rannte, um die Pein so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Gemessenen Schrittes wurde die glühende Mulde durchwandert, und jetzt hatte der erste sein Ziel erreicht.
Er stieg aus der flachen Grube, ging weiter und kehrte in einem Bogen von außen an den Ausgangsort zurück.
Der Seewolf blickte auf seinen Körper, ganz besonders aber auf seine Beine.
Es gab keine Brandblasen, keine sichtbaren Verletzungen, und der Mann sah nicht so aus, als habe er Schmerzen.
Der Kutscher griff sich verzweifelt an die Stirn und wirkte total verstört.
„Der Mann müßte verbrannt sein“, stammelte er.
„Er ist aber nicht einmal verletzt“, sagte Hasard. „Oder kannst du irgendeine Wunde entdecken?“
„Nein, nicht die geringste.“
„Ich begreife das auch nicht, Kutscher, und ich weiß nicht, ob wir jemals dafür eine Erklärung kriegen. Aber ich sehe es mit meinen eigenen Augen und muß es wohl oder übel glauben.“
Vier Männer waren jetzt schon wie in einer feierlichen Prozession durch das tödliche Feuer geschritten, ohne auch nur den geringsten Schaden zu nehmen.
Die Seewölfe stöhnten ungläubig und konnten es nicht fassen. Immer noch standen in jedem Gesicht Zweifel und bange Erwartung, wenn sie die Feuertänzer beobachteten.
Die meisten der Tänzer hatten die Augen geschlossen. Einige aber waren dabei, die die Glut mit starren, weitgeöffneten Augen durchschritten. Sie wirkten wie Puppen, die an langen unsichtbaren Fäden durch das Feuer gezogen wurden.
Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit war auch der letzte Mann hindurchgeschritten, ohne Schaden zu erleiden. Lediglich die Gräser an den Bambusgestellen hatten Feuer gefangen, bei jedem einzelnen, und auch die getrockneten Blumen qualmten oder brannten.
Am Ausgang der Mulde schlugen sie die Bambusstöcke auf den Boden, bis das Feuer gelöscht war.
Es gab keine körperlichen Schäden, denn der Balian zeigte den Seewölfen die Männer, hielt sie fest und drehte sie langsam um ihre Achse, wobei jeder der Seewölfe vergeblich nach Brandblasen suchte.
Dann rief der Balian mit beschwörender und lauter Stimme ein paar Worte, fuhr den Männern mit der Hand über die Gesichter und murmelte schließlich nur noch leise.
Einer nach dem anderen erwachte aus seiner maskenhaften Starre, als kehre jetzt erst das Leben in ihn zurück. Die Bewegungen wurden fließender, die durch das Feuer Geschrittenen gaben sich gelöst und setzten sich auf den Boden.
Hasard sah in entspannte Gesichter. Nur Carberry und Smoky saßen immer noch mit offenen Mündern da und starrten die unheimlichen Feuertänzer an.
Dann stand der Profos auf und trat an die Grube.
„Da muß ein mieser Trick dabei sein“, sagte er. Er hielt die Hand über die Grube, zog sie aber sofort mit einer leise gemurmelten Verwünschung zurück, denn was ihm da entgegenschlug, war heißer als das Feuer des Kutschers in der Kombüse.
„Vielleicht möchtest du auch einmal da durchlaufen“, sagte Smoky. „Ich wette um ein Faß Rum und meinen Anteil, wenn du da heil durchmarschierst.“
„Nicht für alle Schätze der Welt“, versicherte Ed. „Ich würde schon nach dem ersten Schritt in Flammen aufgehen. Aber diese Burschen haben sich in einen Rausch versetzt, das sah man deutlich an ihren Augen.“
„Das erklärt noch lange nicht, daß das Feuer ihnen nichts anhaben konnte“, meinte Hasard.
„Nein, allerdings nicht“, gab Ed widerwillig zu. „Könntest du nicht mal den Balian danach fragen, Sir?“
Hasard tat es, aber der Balian hatte keine Erklärung dafür. Er sagte nur, daß die Männer glaubten, das Feuer werde ihnen nichts anhaben und allein ihr Wille würde das Feuer bezwingen.
Das begriff erst recht niemand.
Spät in der Nacht wurde das Fest beendet. Viele Insulaner blieben noch und tanzten.
Da nahm der Balian den Seewolf beiseite.
„Morgen“, so erklärte er, „wird Atun, der Priester, verbrannt, der durch den Dämon des Gunung Agung ums Leben kam. Es wird ein Fest, ein Totentanz. Alle mögen erscheinen.“
Hasard versprach es schließlich, worauf der Balian sich feierlich verneigte und bedankte.
Anschließend fuhr die Crew mit dem Boot an Bord zurück, aber dort wurde noch weiter diskutiert. Das Thema der Feuertänzer, das so beeindruckend war, war für die Seewölfe noch lange nicht erledigt.