Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 14

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Juli 1590 – Java-See.

Der Nordostpassat hatte allerlei drauf, wehte aber stetig und ohne Tücken. Die „Isabella VIII.“ pflügte mit Westkurs über Backbordbug liegend durchs Wasser.

Java – die Insel der Feuerberge – erstreckte sich in Sichtweite an Backbord, soweit das Auge reichte.

„Hört überhaupt nicht auf“, brummte Ed Carberry, der bullige Profos der „Isabella“. Er schaute Ferris Tucker zu, der damit beschäftigt war, eine Segeltuchplane am Backbordsüll des geöffneten Laderaums auf der Kuhl festzuzurren.

„Was hört nicht auf?“ fragte Ferris Tucker abwesend und hielt die Plane probeweise hoch.

„Diese verdammte Insel“, erwiderte Carberry.

„Ach so.“ Ferris Tucker blickte nur kurz über das Backbordschanzkleid und wandte sich wieder dem Segeltuch zu. „Halt mal“, sagte er zu Ed Carberry und hielt ihm die eine Segeltuchecke hin. Die andere obere Ecke behielt er in der Hand.

Der Profos mit dem zernarbten Rammkinn packte das Segeltuch und runzelte die Stirn. „Kannst du mir mal verraten, was diese Fummelei soll?“

Ferris Tucker, der riesige Schiffszimmermann, warf ihm einen schiefen Blick zu. „Das ist keine Fummelei, sondern ein“, er räusperte sich, „ein Windmacher, klar?“

„Nein.“

Ferris Tucker seufzte, schickte einen ergebenen Blick in den blauen Himmel und fixierte dann einen Punkt an, der bei den Leewanten des Hauptmastes liegen mußte.

Ed Carberry starrte auch dorthin, konnte aber nichts Interessantes entdekken. Die rechte obere Ecke der Plane hatte er immer noch in den Pranken.

„Hm, müßte gehen“, murmelte Ferris Tucker, fuhr eine Leine aus, die er an die linke obere Ecke der Plane angesteckt hatte, stieg mit der Leine ein Stück in die Leewanten hoch und schlug die Leine dort an.

Carberry stand mit offenem Mund da und hatte Glotzaugen.

„Mach’s Maul zu, Ed“, sagte Ferris Tucker freundlich. Dann deutete er mit dem Kopf zum Luvwant des Hauptmastes und fügte hinzu: „Schlag dort die Leine von deiner Ekke an, etwa in gleicher Höhe wie hier bei mir.“

„Soll das ’ne neue Art von Quersegel sein?“ fragte Carberry bissig, tat aber, was Ferris Tucker gesagt hatte.

„Hörst du nicht zu?“ erwiderte Ferris Tucker. „Ich hab gesagt, daß das ’n Windmacher ist.“

Mit diesen Worten zurrte er seine Leine fester, nachdem Carberry die Leine seiner Ecke am Luvwant angeschlagen hatte. Jetzt hing die Plane schräg aufrecht nach Luv geneigt über dem Backbordsüll des Kuhlladeraums. Ihre untere Kante war mit mehreren Stropps am Süll befestigt. Der Nordost stieß auf die Plane und wölbte sie etwas – fast wie ein Segel.

Ferris Tucker grinste zufrieden, als er aus den Wanten stieg und zur Kuhl ging.

„Heiß heute, was, Ed?“ sagte er zu Carberry.

„Wußte ich noch gar nicht“, erwiderte Carberry grollend. Dabei hatte er vor zwei Tagen noch in seiner fluchenden Art erklärt, in dieser Ecke der Erde brauche der Kutscher kein Feuer in der Kombüse, denn hier könne man Eier auf den Decksplanken braten oder den Suppentopf in der Sonne zum Kochen bringen, wenn man zweimal tief durchgeatmet hätte – in der Zeit von zwei Atemzügen „koche die Pampe über“.

Genau das war’s. Und darüber hatte Ferris Tucker in seiner gründlichen Art als Schiffszimmermann nachgedacht. Fest stand, daß es unter Deck nicht mehr auszuhalten war. Da konnte man die Luft in Scheiben schneiden – vom Mief gar nicht zu reden. Und die Feuchtigkeit!

Erste Maßnahme Ferris Tuckers war gewesen, sämtliche Luken offen zu fahren. Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, dem er das vorgetragen hatte, war skeptisch gewesen und hatte gemeint, das sei eine gefährliche Maßnahme, weil es den Verschlußzustand der „Isabella“ gefährde. Da brauche nur eine harte Bö kräftig zuzulangen und die Galeone zu krängen, und schon würde das Wasser durch die geöffneten Luken in den Schiffsbauch gurgeln. Je länger, je mehr. Schneller könne man die „Isabella“ gar nicht versenken.

Schon richtig, hatte Ferris Tucker gemeint, aber mit der „harten Bö“ sei das wohl nicht so wild, denn der Nordost habe sich bisher als keineswegs unbeständiger Geselle präsentiert, im Gegenteil.

Gut, Hasard war einverstanden gewesen. Außerdem hatten die Räume unter Deck wirklich mal durchlüftet werden müssen. Etwas Erleichterung hatte diese Maßnahme gebracht, aber nicht genug für Ferris Tucker.

Darum hatte er den „Windmacher“ erfunden.

„Hör zu, Mister Carberry“, sagte er und deutete auf die Plane. „Dieses Ding fängt den Nordost auf und leitet ihn nach unten in den Laderaum, klar? Und wenn ich jetzt die Schotten vom Laderaum unter der Kuhl öffne, strömt der Wind weiter in die anderen Laderäume und sorgt dafür, daß der Mief rausgejagt wird. Muß ja, nicht wahr? Denn überall haben wir die Luken geöffnet. Kannst du mir folgen, Mister Carberry?“

„Ich hab ja kein Spill vorm Schädel“, brummte Ed Carberry, „Mister Tucker.“ Dieses „Mister Tucker“ sagte er so richtig biestig.

„Macht das Ding jetzt Wind unter Deck oder nicht, Mister Carberry?“ fragte Ferris Tucker ein bißchen tückisch.

Bei Carberry klickte es endlich.

„Sag das doch gleich, du Enkel eines vergammelten Holzwurms“, knurrte er. „Aber ein Windmacher ist das nicht – eher ein Windchenmacher, ein Säuselchen, wie ihn Babys in die Windeln entlassen, wenn du verstehst, was ich meine – Mister Tucker!“

Die Kerle auf der Kuhl, die Ferris Tuckers Aktivitäten mit der Plane verfolgt und seinem Dialog mit dem Profos gelauscht hatten, begannen zu grinsen. Da bahnte sich mal wieder etwas Ergötzliches an. Wenn der Profos und der Schiffszimmermann, sonst dicke Freunde, sich gegenseitig mit „Mister“ anredeten, dann wurde es meist recht heiter.

So reckte denn auch der Schiffszimmermann das Kreuz, das breit wie ein Rahsegel war, zog den Kopf etwas ein und peilte Carberrys Rammkinn an.

„Sagtest du was von vergammeltem Holzwurm, Mister Carberry?“ fragte er mit jenem Ton in der Stimme, der verriet, daß nunmehr Gefahr im Verzug war. „Und sagtest du, mein Windmacher sei ein gewisses Säuselchen, du Urenkel eines bestußten Wasserbüffels und einer verlausten Seekuh?“

Carberry schnappte nach Luft.

Aber Ferris Tucker war in Rage und nicht zu bremsen. Der Profos hatte seinen „Windmacher“ verniedlicht, und das ging ihm gegen seinen Stolz als Erfinder.

„Hast du vielleicht darüber nachgedacht, was man anstellen könne, um die Decks zu durchlüften?“ blaffte er Carberry an. „Nein, hast du nicht! Aber herumstehen, das Maul aufreißen und große Sprüche klopfen, das kannst du.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Hier oben muß man’s haben. Aber da ist bei dir nicht viel, da ist noch weniger als gar nichts …“

„Ha!“ Carberry knirschte mit den Zähnen, und das klang, als zersplittere eine Eichenplanke. „Ha! Noch weniger als gar nichts gibt’s überhaupt nicht! Du redest Stuß, Mister Tucker! Und wenn so ein verdammter Windmacher wirksam sein soll, dann ist es nicht mit einem getan, Himmel, Arsch und Ziegenkäse! Nein, da muß am Leesüll jeder Oberdecksluke so ’n Dingsmacher gespannt werden, jawohl!“ Carberrys Augen funkelten triumphierend.

„Nein so was“, sagte Ferris Tucker höhnisch, „was du doch für tolle Ideen hast, Mister Carberry! Allein wäre ich nie darauf gekommen.“

Carberry klopfte grinsend an seinen Schädel. „Ja, Mister Tucker, man muß es eben hier oben haben. Der eine hat’s, der andere hat’s nicht …“

„Eben, eben!“ zischte Ferris Tukker. „Und was liegt dort gestapelt, Mister Carberry?“ Er deutete auf zusammengelegte Segeltuchplanen neben dem Schott zum Vordeck. „Weitere Windmacher, Mister Klugscheißer! Woraus logisch folgert, daß es meine Idee war, nicht nur einen solchen Windmacher aufzuspannen. Schließlich hab ich mir die Planen aus der Segellast geholt und dort deponiert. Oder hast du sie da hingelegt, he? Nein, hast du nicht. Du mußt früher aufstehen, Mister Carberry, weil bei dir das Nachdenken so lange dauert.“

Carberry pumpte gerade Luft in seinen gewaltigen Brustkasten, um zur Gegenrede anzusetzen, da ertönte eine helle Stimme aus dem Laderaum unter der Kuhl. Es war die Stimme von Hasard junior.

„Mister Tucker, Sir! Hier unten zieht’s mächtig! Richtig windig ist es. Und miefig riecht’s auch nicht mehr!“

„Na also“, sagte Ferris Tucker befriedigt. „Von wegen Säuselchen!“

Carberry beugte sich über das Süll und starrte hinunter in den Laderaum. Sein Groll fand eine neue Zielrichtung.

„Könnt ihr mir mal verraten, was ihr da unten zu suchen habt, ihr Hüpfer?“ dröhnte seine Stimme.

Dieses Mal ertönte die Stimme von Philip junior. „Wir sind auf der Jagd, Mister Carberry, Sir!“

„Nach den Fässern mit dem kandierten Ingwer, was, wie?“

„Aber Mister Carberry, Sir!“ rief Hasard junior. „Die stehen doch in der achteren Last! Wußten Sie das nicht?“

„Ich weiß nur, daß ich irgendwo einen schönen, dicken Tampen liegen habe, der geeignet ist, auf kleinen Affenärschen herumzutanzen!“ donnerte der Profos. „Rübenschweine, die in Laderäumen herumstrolchen, wo sie nichts zu suchen haben, kriegen was achtern drauf, verstanden?“

„Aye, aye, Sir!“ rief Hasard junior nach oben. „Sollen wir die Jagd abbrechen, Sir? Philip hat schon ’ne Ratte erlegt. Wir haben ein neues Verfahren entwickelt und sind mitten in der Erprobung, Sir …“

„Was für ein Verfahren?“ knurrte Ed Carberry.

„Na, um die Biester zu fangen, Sir!“ rief Philip junior.

„Und wie funktioniert das?“

„Ganz einfach, Sir!“ rief Hasard junior. „Wir haben eine von den Feuerwerksraketen gezündet und unter die Bilgegräting geschoben. Und dann ist das Ding losgeflitzt – unter der Gräting. Das hättest du sehen sollen, Sir! Da hat’s geblitzt und gezischt und geraucht! Na, und die Ratten sind losgesaust vor lauter Schreck. Eine hat ’n explodierenden Stern verschluckt …

„Jawohl, ’n roten!“ schrie Philip. „Und der hab ich’s mit ’nem Belegnagel gegeben. Schau sie dir mal an, Sir!“

Und schon flog eine tote Ratte aus dem Laderaum nach oben und klatschte auf die Kuhl. Eindeutig wies sie versengte Barthaare auf, ganz abgesehen davon, daß ihr der Belegnagel das Kreuz gebrochen hatte.

Auf der Kuhl herrschte Schweigen.

Carberry hatte Stielaugen. Nicht nur er.

Nur um Ferris Tuckers Mundwinkel zuckte es verdächtig.

„Sind die wahnsinnig?“ flüsterte der Profos.

Jetzt grinste Ferris Tucker ganz offen.

„Genial“, sagte er, „einfach genial.“

Carberry meinte, sich verhört zu haben. „Was sagst du? Genial? Bist du verrückt? Diese Lümmel können den ganzen Kasten in die Luft sprengen! Geklaut haben sie die Raketen! Und was ist, wenn sie die Dinger mit dem unlöschbaren Feuer nehmen, he? Was ist dann?“ Carberrys Stimme war immer lauter geworden. „Genial? Hast du noch alle Töpfe im Schapp?“

„Sie haben aber nicht die Dinger mit dem unlöschbaren Feuer genommen“, sagte Ferris Tucker und grinste noch breiter. „Und bitte sehr, was soll denn schon in der Bilge groß in die Luft fliegen bei den harmlosen Krachern? Eine Bilge ist feucht, ganz abgesehen davon, daß sie bis zu einem bestimmten Pegelstand Wasser führt. Ich“ dachte, das wüßtest du, Mister Carberry. Und die Pulverkammer befindet sich nicht in der Bilge – nicht daß ich wüßte. Sonst noch was, Mister Carberry?“

Es war dies einer der ganz seltenen Fälle, die dem eisernen Profos die Sprache verschlugen. Er hatte sowieso seinen schlechten Tag.

Und aus dem Laderaum unter der Kuhl drang verhaltenes Kichern hoch.

Diese Situation veränderte sich allerdings schlagartig.

Ein neuer, fremder Laut wurde vernehmbar, vorn am Bug der „Isabella“. Dem Klang nach hörte es sich an, als bumse jemand mit einem Riesenhammer unter der Wasserlinie gegen den Vorsteven.

Carberry ächzte.

„Was ist denn jetzt wieder los?“ fragte er verstört.

Niemand antwortete. Alle lauschten. Ferris Tuckers Miene wirkte verkniffen.

Etwas schurrte unter dem Kiel entlang. Die Köpfe der Männer wanderten mit, als könnten sie durchs Deck bis zum Kiel schauen. Es war unheimlich.

Old O’Flynn bewegte den Mund wie ein Karpfen beim Luftholen und murmelte: „Da hat der Wassermann angeklopft …“

„Idiot!“ zischte Ferris Tucker.

Das Schurren wanderte nach achtern.

Die Männer stürzten nach Backbord und Steuerbord ans Schanzkleid und starrten hinunter aufs Wasser.

Old O’Flynn stampfte mit dem Holzbein auf die Planken und sagte wütend: „Und es ist doch ein Wassermann …“

Und dann passierte es.

Unter dem Heck knirschte es vernehmlich. Es war ein häßlicher Laut, der den Männern durch Mark und Bein ging.

Mehrere Dinge passierten gleichzeitig.

Pete Ballie, der am Ruder stand, brüllte: „Ruder klemmt, verflucht noch mal!“

Ein Ruck lief durch die „Isabella“.

Old O’Flynn verlor die Balance und stürzte fast in den Laderaum der Kuhl. Smoky, der ihm am nächsten stand, erwischte ihn gerade noch am Hosenbund. Carberry, der sich neben Ferris Tucker über das Schanzkleid gebeugt, aber nicht breitbeinig gestanden hatte, verlor ebenfalls den Halt und umarmte den riesigen Schiffszimmermann.

„Laß mich los!“ knurrte Ferris Tucker wild, befreite sich und stürmte den Niedergang zum Achterdeck hoch.

Die „Isabella“ luvte unkontrolliert an, die Rahen ächzten gequält, die Segel knatterten wie Pistolenschüsse.

„Geit die Segel auf!“ peitschte Philip Hasard Killigrews scharfe Stimme über Deck.

Die Männer lösten sich aus ihrer Erstarrung und gerieten in Bewegung, zumal die dröhnende Stimme des Profos über die Kuhl grollte.

Die „Isabella“ luvte immer noch an.

Neben Hasard tauchte Ferris Tukker auf.

„Wir sind über was weggemangelt!“ keuchte er – und dann riß er die Augen auf, als er achtern über das Steuerbordschanzkleid starrte.

Hasard sah es auch und fluchte.

Die „Isabella“ schleppte ein Monster von Urwaldriesen mit und verlangsamte jetzt ihre Fahrt, denn das Riesending hing achtern quer zur Kielrichtung, und zwar nach Steuerbord hinaus bestimmt mit Dreivierteln der Gesamtlänge des Stammes, der einen Durchmesser von mindestens sechs Fuß hatte.

Darum auch hatte die „Isabella“ angeluvt. Dieses Monstrum wirkte, als habe Pete Ballie mit einem riesigen Ruderblatt nach Steuerbord Hartruder gelegt.

Und sein Ruder war verklemmt, weil sich irgendein Ast von diesem Riesen von unten in den Zwischenraum von Achtersteven und Vorkante Ruderblatt geschoben hatte und jetzt wie eingekeilt festsaß. Anders konnte es nicht sein.

Ferris Tuckers Verstand arbeitete wie rasend. Sekundenschnell formte sich ein Bild.

Diese Stelle dort unten zwischen Ruderblatt und Achtersteven – unter Wasser! – war immer kritisch gewesen, weil sich etwas festsetzen konnte.

Am Ruderblatt waren die Beschläge mit den Fingerlingen befestigt und ihnen gegenüber am Achtersteven die Ruderösen, in welche die Fingerlinge eingeschoben wurden, damit das Ruderblatt drehbar gelagert war. Diese beiden Beschläge – Ösen und Fingerlinge, insgesamt sechs Paar – überbrückten den Leerraum zwischen Achtersteven und Ruderblatt. Dieser Leerraum mußte sein, damit das Ruderblatt genügend Spielraum nach beiden Seiten hatte. Dazwischen konnte man gut und gern einen Männerschenkel schieben – und so dick mußte der Ast sein, der sich dort unten verklemmt hatte.

Wie gesagt, das überdachte Ferris Tucker innerhalb von Sekunden, und schon passierte das, was er in der Konsequenz seiner Gedanken befürchtete.

Ast samt Riesenstamm wirkten wie ein gewaltiger Hebelarm – solange die „Isabella“ noch Fahrt lief.

Es knirschte und splitterte, und damit war klar, daß dieser monströse Hebelarm mindestens die drei untersten Beschlägepaare aus Achtersteven und Ruderblatt gebrochen hatte.

Ferris Tucker hängte sich weit über das Steuerbordschanzkleid – und da sah er es auch.

Das Ruderblatt hing schief und nur noch in den beiden oberen Beschlägen. Also waren vier „im Eimer“.

„Scheiße“, sagte Ferris Tucker erbittert, „dreimal verdammte Scheiße.“

Und auf der Kuhl brüllte Edwin Carberry zum Mars hoch und stellte die höfliche Frage, ob der verdammte Affenarsch von Ausguck den verdammten Stamm nicht verdammt noch mal hätte sichten und melden können.

Der „verdammte Affenarsch“, im Ausguck war der blonde Schwede Stenmark, und der brüllte zurück, daß er verdammt noch eins nicht unter, sondern über Wasser Ausguck ginge.

„Ruhe an Deck!“ schnitt Hasards Stimme dazwischen, und sie hatte jenen Klang, der verriet, daß es jetzt besser sei, von weiteren Disputen abzusehen. „Sechs Mann nach achtern, Ed! Bringt Stangen mit, damit wir das Ding von oben wegstemmen können!“

„Aye, aye, Sir!“ röhrte Carberry und wurde wieder betriebsam. Aus Versehen trat er auf die tote Ratte, die immer noch an Deck neben der Ladeluke lag, und beförderte sie mit einem wüsten Tritt neben das Schott zum Vordeck.

Na, mit den beiden Lümmeln würde er noch ein Hühnchen rupfen, aber das war jetzt zweitrangig.

Aber dann standen ihm nahezu die Haare zu Berge, denn die beiden „Lümmel“ waren irgendwie ungesehen nach achtern gelangt, hatten sich bereits am Ruderblatt nach unten gehangelt und gingen auf dem Urwaldriesen „spazieren“!

Auf dem wippten sie!

Das Wasser ging ihnen bis zum Bauchnabel, aber sie balancierten auf dem Ding – und dann gingen sie baden, als sich der Stamm plötzlich drehte und aus der Verhakung löste.

Die sechs Männer mit den Stangen standen da wie bestellt und nicht abgeholt und grinsten breit.

Die „Rübenschweinchen“ hatten das Problem bereits gelöst. Durch ihr Gewippe war der Stamm losgekommen.

Hasard und Philip planschten zum Achtersteven zurück und enterten wie Katzen auf. Quietschnaß erschienen sie auf dem Achterdeck.

Hasard junior wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht und meldete sachlich: „Das Ruder ist im Arsch, Sir!“

„Sir“ – das war Philip Hasard Killigrew, der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und seine Sprößlinge musterte, als sei er sich nicht so recht klar, ob er ihnen die Ohren langziehen oder sie loben solle.

Er entschied sich, die Ausdrucksweise des älteren Juniors zu rügen – Hasard junior war um etwa fünf Minuten älter als sein Zwillingsbruder Philip.

„Was ist das Ruder?“ fragte er mit dem genügenden Frost in der Stimme.

„Im“, sagte Hasard junior und räusperte sich, „im Schlechtestzustand, Sir. Ich hab den Ruderbeschlag direkt unter der Wasserlinie befingert. Da hat’s alle Bolzen herausgerissen.“

„Jawohl“, sagte Philip, „alle Bolzen. Ich hab den Beschlag darunter befingert. Da ist der gleiche Mist. Das Ruderblatt ist wuppdi!“

„Was heißt wuppdi?“ fragte der Seewolf.

„Wuppdi heißt, daß der Kutscher das Ruderblatt im Kombüsenherd verfeuern kann“, erwiderte Philip.

„Aha.“ Vater Hasard peilte zu Ferris Tucker hinüber. „Schätze, wir brauchen ein Notruder, Ferris.“

Der Schiffszimmermann nickte stumm, wie es schien, etwas verbissen.

Die „Isabella“ dümpelte ohne Fahrt im Wind. Vorbei war die rauschende Fahrt mit der Backstagsbrise des Nordostpassats. Gewissermaßen war die schlanke Galeone mit den langen Masten flügellahm und der Rudergänger arbeitslos.

Flügellahm bedeutete eine gewisse Nichtmanövrierbarkeit. Zwar konnten sie die „Isabella“ durchaus mit den Segeln steuern, und zwar durch Fieren oder Dichtholen der Schoten und Brassen, aber wenn ihnen jetzt jemand ans Leder wollte, dann waren sie nur bedingt gefechtsklar. Schnelle, blitzartige Manöver, um die Luvseite eines eventuellen Gegners zu gewinnen, konnten sie nicht durchführen.

Aber die See ringsum, auch zur Landseite hin, war frei von Segeln oder Mastspitzen.

Die Sonne hatte den Zenit überschritten, wie Hasard mit einem kurzen Blick feststellte.

„Wie lange brauchst du für das Notruder, Ferris?“ fragte Hasard.

„Eine Stunde.“

Hasard nickte. „Gut, dann laufen wir Bantam an. Dort verpassen wir der Lady ein neues Ruderblatt.“

Ben Brighton, Bootsmann und Erster Offizier auf der „Isabella“, räusperte sich.

Hasard wandte sich ihm zu und grinste. „Weiß ich, Ben. Du wolltest sagen, daß dort die Portugiesen sitzen, nicht wahr?“

„Genau. Wir segeln ihnen mitten ins Maul – sie brauchen nur zuzuschnappen.“

„Wir müssen die Tante aufdocken, Ben“, sagte Hasard sanft, „was bedeutet, daß wir mit den Wölfen heulen müssen. Wir werden also jedem Streit aus dem Wege gehen und im übrigen einen irischen Handelsfahrer markieren. Wenn es sein muß, werden wir eben ein paar Perlen odere Diamanten als Köder anbieten. Wir kriegen den Ruderschaden anders nicht geregelt. Oder wär’s dir lieber, die ‚Isabella‘ auf einen einsamen Strand zu setzen, nachdem wir sie vorher angetakelt und mühsam entladen haben?“ Hasard lächelte. „Und dann noch bei dieser Hitze!“

Ben Brighton schüttelte den Kopf, und Old O’Flynn, der aufs Achterdeck gestiegen war, zitierte: „Der Meergott schütze uns vor fremden Küsten – und Kannibalen, die zum Schlachtfest rüsten.“

„An deinem Holzbein hätten die nicht viel Geschmack“, brummte Ferris Tucker.

„Das ist der Vorteil des Holzbeins“, sagte Old O’Flynn. „Das wandert nie in den Suppentopf eines Menschenfressers.“

„Ha“, sagte Ferris Tucker, „aber du kannst ’n paar Holzlöffel draus schnitzen, und für wuppdi ist das Ding auch geeignet.“

Die Männer auf dem Achterdeck begannen zu grinsen. Sie wußten ja bereits, was „wuppdi“ bedeutete.

Old O’Flynn wußte es noch nicht und fragte prompt, was das wieder für Unsinn sei.

„Brennholz“, sagte Ferris Tucker lakonisch.

So waren sie eben, die Seewölfe. Den Ruderschaden nahmen sie gelassen hin. Der war nun mal passiert – und er war reparabel. Außerdem hatten sie ja ihren Ferris Tucker. Und Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister auf der Feste Arwenack, würde die Beschläge wieder hinbiegen oder neue herstellen. Aber aufdocken mußten sie, wenn sie sich viel Arbeit ersparen wollten. Und da war Hasards Lösung die beste.

Stenmark erhielt keinen Rüffel. Baumstämme, die unter Wasser trieben, konnte der beste Ausguck nicht sichten.

Seewölfe Paket 11

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