Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 23

2.

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In gleichmäßigem Takt tauchten die Riemenblätter ins kristallklare Wasser. Das kleine Beiboot der „Isabella“ glitt mit rascher Fahrt durch den Wellengang, der sich klatschend am Bug brach und Gischtfahnen über die Köpfe der Männer wehen ließ. Die Sonne war höher gestiegen und stand mittlerweile über den Kronen der mächtigen Kokospalmen. Schon jetzt ließ sich die bevorstehende Hitze des Tages ahnen, denn die frische Morgenluft wich allmählich einsetzender drückender Schwüle.

Der Küstenstreifen erstreckte sich etwa in Nord-Süd-Richtung; der Strand bildete eine weitgeschwungene dunkle Linie vor der grünen Kulisse des Tropenwaldes. Vereinzelt lagen darin die erkalteten Lavafelder und erinnerten an häßliche Zahnlücken in einem menschlichen Gesicht.

Edwin Carberry, der bullige Profos der „Isabella“, pullte mit kraftvollen Zügen als Backbord-Schlagmann auf der achteren Ducht. Dan O’Flynn, schlank, jung und hochgewachsen, saß neben dem Profos und hatte keine Mühe, Carberrys Schlagzahl mitzuhalten.

Auch den anderen stand es in den Gesichtern, daß der kleine Landausflug eher ein Vergnügen als eine anstrengende Geschichte war. Luke Morgan, der gewitzte Bursche, der einst aus der englischen Armee desertiert war, hatte ein verwegenes Grinsen aufgesetzt. Wie stets, wenn sie sich Unbekanntem näherten. Die Messernarbe über Lukes Stirn leuchtete, er befand sich in dieser Stimmung, in der er mit Kußhand den Teufel ins Fell gezwackt hätte.

Matt Davies stand seinen Gefährten in nichts nach, obwohl er dort, wo sich einst seine rechte Hand befunden hatte, nur noch einen Stahlhaken an einer Ledermanschette trug. Einen spitzgeschliffenen Haken allerdings, den Matt im Nahkampf als gefährliche Waffe einzusetzen wußte. Das Haar des kräftig gebauten Mannes war grau. Alle an Bord der Galeone erinnerten sich an jene Nacht, die Matt Davies allein auf einem Floß in der Karibik zugebracht hatte. Haie hatten ihn umlagert, und es war wie ein Wunder gewesen, daß es der Isabella-Crew gelungen war, ihn zu retten. Doch sein früher dunkelblondes Haar war in dieser einen Nacht grau geworden.

Die beiden anderen Männer im Beiboot waren Sam Roscill und Bob Grey. Der schlanke, dunkelhaarige Sam Roskill hatte wilde Zeiten als Pirat in der Karibik hinter sich. Seit er unter dem Kommando des Seewolfs fuhr, hatte er sich als Draufgänger und zuverlässiger Kämpfer bewährt. Ebenso Bob Grey, ein drahtiger blonder Mann, dessen persönliche Geschichte so verworren war, daß er damit unter den Seefahrern dieser Zeit kaum eine Ausnahme bildete. Bob war als Waise von Geistlichen erzogen worden, hatte irgendwann die Nase gründlich vollgehabt und war ausgerissen. Die See war sein neues Zuhause, die Planken der „Isabella“ seine vertraute Umgebung. Kein anderer an Bord war so geschickt als Messerwerfer wie Bob Grey.

Ed Carberry schob sein Rammkinn vor und blickte über die Schulter zur Insel. Noch drei Kabellängen. Die Risse im morschen Holz der gestrandeten Jolle waren bereits zu erkennen.

„Schlaft nicht ein, ihr gottverdammten Kanalratten!“ knurrte er. „Falls ihr es noch nicht kapiert habt: Der Tag fängt erst an! Wenn ihr glaubt, daß ihr euch jetzt schon aufs Ohr hauen könnt, habt ihr euch mächtig getäuscht. Ho, ihr faulen Säcke, wollt ihr wohl pullen? Oder braucht ihr erst einen Tritt in eure Affenärsche, damit ihr wach werdet?“ Zur Untermalung seiner wohlmeinenden Ansprache legte Carberry noch einen Schlag zu, und die Männer paßten sich grinsend an.

Die Herzlichkeiten ihres Profos waren wie das Salz in der Suppe. Keiner von ihnen mochte sich den Tag ausmalen, an dem sie Ed Carberrys Sprüche einmal nicht mehr hörten.

Achteraus schrumpfte die schlanke Galeone in ihrem Blickfeld. Hasard hatte sämtliches Tuch aufgeien lassen, die „Isabella“ schwojte sacht um die Ankertrosse.

Edwin Carberry und die fünf anderen hatten sich freiwillig gemeldet, wie der Seewolf es erwartet hatte. Doch wenn es nach dieser Freiwilligkeit gegangen wäre, dann hätte sich jetzt die gesamte Crew auf dem Weg an Land befunden. So hatte der Profos kurzentschlossen die Auswahl getroffen. Außer ihren Entermessern hatten sie sich mit Steinschloßpistolen bewaffnet und zusätzlich drei Musketen mitgenommen.

Denn wer oder was sie außer dem Schiffbrüchigen auf der Insel erwartete, mochte derzeit allein der Teufel wissen. Zwar vermutete Ben Brighton nach wie vor, daß es sich um eine unbewohnte Insel handelte. Aber die Seewölfe hatten dem Gehörnten zu oft in die grinsende Visage geblickt, um noch gutgläubig zu sein.

Wenn es dann noch solche haarsträubenden Überraschungen gab, wie sie es in Australien erlebt hatten, dann rüsteten sie sich lieber vorher für alles Mögliche und Unmögliche. Menschenfressern, deren grausiges Handwerk sie dort auf dem Kontinent der Känguruhs und Beuteltiere erlebt hatten, wollten sie kein zweites Mal begegnen.

Unvermittelt knirschte der Kiel des Beiboots auf Sand. Die Männer pullten noch einen kräftigen Schlag, holten dann die Riemen ein und sprangen außenbords. Das seichte Wasser reichte ihnen bis zu den Kniekehlen. Sie zogen das Boot an Land, nur ein paar Schritte von der verwitterten Jolle entfernt.

Der Schiffbrüchige lag unverändert an jener Stelle, an der sie ihn schon von Bord der „Isabella“ aus beobachtet hatten.

„Sehen wir uns den komischen Stint ein bißchen näher an“, knurrte Edwin Carberry und stapfte voraus. Im dunklen Sand hinterließen seine kahnförmigen Seestiefel tiefe Abdrücke. Wer den Profos kannte, wußte, daß seine Bemerkung durchaus fürsorglich gemeint war.

Dan O’Flynn, Matt Davies und die anderen folgten ihm. Die Entermesser klatschten gegen ihre Hüften, unter ihren Ledergürteln ruhten die schweren Pistolen. Sie nahmen sich nicht die Zeit, die Jolle zu untersuchen. Der Mensch, der sich hier in so offenkundiger Not befand, war wichtiger als alle Nebensächlichkeiten.

Ed Carberry kniete als erster vor dem reglosen Körper und beugte sich über ihn.

Seine Gefährten sahen sich um. Nirgendwo bewegte sich etwas, kein Laut war zu hören. Für diesen bedauernswerten Kerl hatte es auf der Insel allem Anschein nach keine helfende Hand gegeben. Sein persönliches Pech, daß er sich ausgerechnet dieses öde Eiland ausgesucht hatte.

„Merkwürdig“, brummte der Profos, „unterernährt sieht dieser Hering nicht gerade aus. Und atmen tut er auch noch. Wollen doch mal sehen …“ Er packte ihn an der Schulter, um ihn auf den Rücken zu drehen.

Die gesamte Crew hatte sich an Deck versammelt. Ausgenommen der Kutscher, der seinen Platz in der Kombüse nur dann zu verlassen pflegte, wenn sich Sensationen anbahnten. Und danach sah es seiner Meinung nach beim besten Willen nicht aus. Den Männern, die am Steuerbordschanzkleid der Kuhl lehnten, genügte indessen die Tatsache, daß sechs ihrer Gefährten unterwegs waren, um eine höchst unklare Sache klarer zu machen.

Diese Insel sah wahrhaftig aus wie ein toter Haufen Erde, wozu der gewaltige Vulkankegel in erheblichem Maße beitrug. Es schien nur noch eine Frage von Jahren oder Jahrzehnten zu sein, bis die Lavamassen auch den Rest des Tropenwaldes unter sich begraben haben würden. Menschen gab es hier bestimmt nicht. Davon waren die Seewölfe überzeugt. Wer konnte schon unter der ständigen Bedrohung durch so einen elenden Vulkan leben?

„Dad, was tut unser alter Affenarsch jetzt?“ erklang eine helle Stimme auf dem Achterkastell.

Die Männer auf der Kuhl konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Doch sie hüteten sich, in Gelächter auszubrechen. Der Seewolf verstand eine Menge Spaß. In dieser Beziehung aber nicht.

Hasard setzte das Spektiv mit einem Ruck ab und wandte den Kopf zur Seite. Ben Brighton, der neben ihm stand, mußte sich abwenden, um sein Lächeln nicht zu zeigen.

„Eins schreibe dir hinter die Ohren, Sohn“, sagte der Seewolf energisch. „Unser Profos heißt für dich nicht ‚unser alter Affenarsch‘, sondern immer noch Mister Carberry oder ‚Sir‘, wenn du ihn direkt anredest. Das gilt übrigens für euch beide. Sonst ist zu sagen, daß ich selbst nicht genau erkennen kann, was Mister Carberry gerade tut. Er untersucht nämlich den Schiffbrüchigen, und die anderen stehen um ihn herum.“

Hasard junior zog den Kopf zwischen die Schultern, biß sich auf die Unterlippe und senkte den Blick.

„Aber Dad“, entgegnete Philip junior ziemlich lautstark, „ich dachte, wir sollen nur dann nicht ‚unser alter Affenarsch‘ sagen, wenn er in der Nähe ist! Und im Moment ist er doch so weit weg, daß er uns gar nicht hören kann.“

Hasard schickte einen ergebenen Blick zum Himmel. Dann wandte er sich seinen Söhnen zu. Manchmal dachte er, daß es einfacher sein mußte, einen Sack Flöhe zu hüten, als diese beiden Strolche zu anständigen Kerlen zu erziehen.

„Ich sage es noch einmal laut und deutlich“, begann er gedehnt. Dabei zwang er sich, nicht den Zeigefinger zu erheben, denn das wäre ihm selbst lächerlich erschienen. „Es gibt grundsätzlich keinen alten Affenarsch. Wir haben überhaupt keinen solchen an Bord, mit Ausnahme Arwenacks. Jeder, der zur Crew gehört, ist für euch ‚Mister‘ plus Nachname, und er heißt ‚Sir‘, wenn ihr mit ihm sprecht. Noch Fragen?“

Die Zwillinge wechselten einen schnellen Blick. Äußerlich ähnelten sie sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig und hatten scharfgeschnittene Gesichter wie ihr Vater. Geschmeidig wie Katzen waren sie in ihren Bewegungen, und schon jetzt, mit ihren zehn Lebensjahren, waren sie prachtvolle Burschen geworden.

„Nein, Sir, keine Fragen“, erwiderte Hasard junior lässig, daß dem Seewolf in väterlichem Zorn die Haarwurzeln kribbelten.

„Vielleicht nur eine“, fügte Philip vorsichtig hinzu, „gilt das auch für Bill, unseren Moses? Soll er jetzt auch ein ‚Mister‘ für uns sein?“

Hasard verschlug es für einen Moment die Sprache. Er fühlte sich buchstäblich auf den Arm genommen, und garantiert grinsten sich diese beiden kleinen Halunken innerlich eins.

Bevor er jedoch zu einer passenden Entgegnung ansetzen konnte, meldete sich der, von dem die Rede war. Wieder einmal bestätigte sich das Sprichwort über den Teufel, von dem gesprochen wird.

Die Stimme Bills ertönte in geradezu schrillem Diskant.

„Deck! Segler Steuerbord achteraus!“ Bills helles Organ steigerte sich zu höchster Alarmstimmung. „Entfernung acht bis neun Kabellängen! Ein Zweimaster! Alle Segel sind gesetzt! Kollisionskurs!“

Die Köpfe der Männer waren herumgeruckt. Hasard und Philip vergaßen alle Aufmüpfigkeit wegen des Disputs über vorgeschriebene Anredefloskeln. Mit einem Satz waren sie an der Schmuckbalustrade und starrten in die Richtung, in die bereits ihr Vater und Ben Brighton mit dem Spektiv spähten.

Hasard brauchte nur eine Sekunde, um zu erkennen, was da unter Vollzeug auf die „Isabella“ zurauschte.

Handfester Verdruß!

Der Zweimaster mußte an der Südostseite der Insel gelauert haben – unsichtbar für den Seewolf und seine Crew. Möglicherweise gab es dort sogar eine Landzunge, die prächtigen Sichtschutz für einen solchen Überraschungsplan bot.

Hasard wirbelte herum. Mit diesem Schiffbrüchigen hatte er von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt. Jetzt bestätigte es sich. Deshalb bestand nicht der geringste Zweifel darüber, von welcher Sorte die Absichten waren, die die Kerle auf dem Zweimaster hegten.

„Ben!“

„Sir?“

„Hoch mit dem Anker! Kurs etwa West-Nord-West. Klar Schiff zum Gefecht!“

„Aye, aye, Sir!“ Ben Brighton war mit zwei Schritten bei der vorderen Schmuckbalustrade.

Der Seewolf brauchte nicht hinzuzufügen, daß höchste Eile geboten war. Seine Männer und er waren mehr als einmal mitten in die Hölle gesegelt. Jeder an Deck konnte beim Anblick des fremden Seglers zwei und zwei zusammenrechnen. Deshalb wußten sie alle, daß jetzt, von diesem Augenblick an, jede Sekunde zählte.

„Hoch mit dem Anker!“ tönte Ben Brightons energische Befehlsstimme über das Deck. „Klar zum Setzen von Blinde, Focksegel, Großsegel und Marssegel! Tempo, Tempo, bewegt euch!“

Er brauchte es nicht zweimal zu befehlen. Augenblicklich entstand Wuhling auf der Kuhl und zum Vordeck hin. Doch das scheinbare Durcheinander trog. Jede Bewegung der Männer, die in fliegender Hast auseinanderspritzten, war aus jahrelanger Erfahrung heraus geplant.

Ben Brightons Befehle erklangen jetzt in unablässiger Folge, begleitet vom Knarren des Ankerspills.

„Al Conroy, Batuti und Big Old Shane. Seht zu, daß unsere Lady Isabella gefechtsklar ist! Fangt mit den achteren Drehbassen an!“

„Aye, aye, Sir!“ tönte es von der Kuhl zurück, und es klang fast wie ein Freudenschrei. Was indessen daraus sprach, war nichts als wilde Entschlossenheit, es diesen Halunken zu zeigen, die nichts anderes als eine krumme, hinterhältige Tour im Kopf haben konnten.

„Was steht ihr noch herum!“ herrschte der Seewolf seine Söhne ungewollt grob an, während er schon wieder das Spektiv hob. „Holt Pützen mit Wasser! Streut Sand auf die Decksplanken! Und dann meldet euch beim Kutscher wegen der Kohlebecken!“

„Aye, aye, Sir!“ Die Zwillinge stießen es strahlend hervor, und dann rannten sie los, daß es eine wahre Freude war. Mit affenartiger Geschwindigkeit hasteten sie den Niedergang zur Kuhl hinunter.

Ben Brightons Befehle fetzten knapp und präzise über die „Isabella“, deren erstes Tuch sich entfaltete. Ein Ächzen ging durch die Beplankung, als sich das Focksegel unter dem Wind blähte. Im nächsten Moment griff der Südost auch in das Blindesegel. Sofort darauf senkte sich auch das mächtige Großsegel von der Rah. Mit katzenhafter Gewandtheit enterten die Männer höher hinauf, zu den Marssegeln.

„An die Brassen!“ rief Ben Brighton, als die ersten Männer von der Blinde und vom Ankerspill zurückhasteten.

Auch die Marssegel wurden mittlerweile von den Geitauen befreit. Das Ächzen der Beplankung ließ nach, während die Galeone Fahrt aufnahm.

Jetzt zeigte sich der Vorteil ihrer ranken Bauweise, wie sie vom besten Schiffsbauer Englands konzipiert und verwirklicht worden war. Dieses Schiff hatte nichts von der Plumpheit einer Seekuh, an die die alten spanischen Galeonen bisweilen erinnerten. Nein, die „Isabella“ war der schlagende Beweis dafür, daß Konstrukteure ihren Grips nur ein wenig anzustrengen brauchten, um die überlieferten Schiffsbauprinzipien in zeitgemäße Pläne umzuwandeln.

Der Seewolf warf einen raschen Blick durch das Spektiv. In der knappen Zeitspanne, die die Crew zum Ankerlichten und Segelsetzen gebraucht hatte, war der fremde Segler auf etwa sechs Kabellängen nähergerückt.

Noch einmal setzte Hasard den Kieker ab und legte den Kopf in den Nacken.

„Bill!“ brüllte er.

„Sir?“ Der Moses reckte den Oberkörper über die Segeltuchverkleidung des Ausgucks.

„Runter mit dir! Sofort!“

„Aye, aye, Sir!“ Bill schwang sich über den Mars und folgte den Männern, die ihre Arbeit am Großmarssegel beendet hatten.

Immer noch erklangen Ben Brightons Befehle. Zusehends gewann die „Isabella“ an Fahrt.

Al Conroy und Big Old Shane stürmten auf das Achterkastell und schleppten Pulverhörner und Säcke mit gehacktem Blei heran. Zufrieden registrierte der Seewolf, daß auch seine Söhne mithalfen, so schnell sie konnten. Und sie machten ihre Sache so verdammt gut, als hätten sie ihr ganzes junges Leben nirgendwo anders als auf Schiffsplanken verbracht.

Pete Ballies Riesenfäuste hielten das Steuerruder wie Schraubstöcke. Geradezu elegant beschrieb die Galeone einen weiten Bogen nach Backbord und lag dann auf Kurs West-Nord-West, wie es der Seewolf angeordnet hatte.

Hasard nahm sich unterdessen keine Zeit, sich näher mit dem Geschehen auf der Insel zu befassen. Was sich dort möglicherweise abspielte, ließ sich leicht ausmalen.

Er visierte den Zweimaster mit dem Spektiv an. Die Distanz war mittlerweile auf fünf Kabellängen zusammengeschrumpft. Doch mit zunehmender Fahrt der „Isabella“ blieb die Entfernung zwischen den beiden Schiffen eher konstant, und die Angreifer hatten das Nachsehen. Sie waren zum Kurswechsel gezwungen, wenn sie ihr Vorhaben überhaupt noch in die Tat umsetzen wollten. Andererseits liefen sie aber Gefahr, daß der Gegner den Spieß umdrehte und selbst zum Angriff überging.

Daß ihnen diese Gefahr drohte, mußten sie inzwischen begriffen haben. Das Überraschungsmoment nützte ihnen nichts mehr. Dafür war die „Isabella“ zu schnell. Und sie hatte einen hellwachen Burschen im Ausguck, der im entscheidenden Moment nicht vor sich hin gedöst hatte.

Daß der Zweimaster von vornherein nichts anderes als einen Angriff im Sinn gehabt hatte, daran bestand für Hasard nicht mehr der geringste Zweifel. Welche Rolle der Schiffbrüchige in diesem Zusammenhang spielte, war ihm noch nicht vollends klar. Aber so oder so – die wohlgemeinte Hilfeleistung erwies sich jetzt als ein Ding mit Pferdefuß.

Dieser Zweimaster war mit absoluter Sicherheit nicht in ostasiatischen Breiten gebaut worden. Ohne zweimal hinsehen zu müssen, stellte Hasard fest, daß es sich um eine Karacke handelte, wie sie nach wie vor im Mittelmeerraum gebräuchlich war. Die Beflaggung sagte ihm indessen nichts, nicht das geringste. Phantasiefarben. Oder bestenfalls die Nationalitätszeichen, die sich einer dieser indonesischen Inselstaaten gegeben hatte.

In der Tat änderte die Karacke jetzt ihren Kurs nach Westen. An den Brassen sah Hasard drahtige, braungebrannte Männer mit nackten Oberkörpern. Indonesier ohne Zweifel. Er spähte zum Achterkastell der Karacke, die bestenfalls einhundertfünfzig Tonnen groß war. Zwei, drei Männer konnte Hasard dort hinter der Balustrade erkennen. Europäer – nach Kleidung und Statur.

Was, in aller Welt, hatte das zu bedeuten?

Es brachte nichts ein, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Denn die geöffneten Stückpforten der Karacke sprachen eine unmißverständliche Sprache. Hasard zählte sechs Geschütze auf der Steuerbordseite. Neunpfünder oder allerhöchstens Zwölfpfünder. Angesichts dieser Armierung war es für den Zweimaster mehr als riskant, sich mit der „Isabella“ anzulegen.

Doch wie es aussah, konnten und wollten sie jetzt nicht mehr zurück. Mit dem neu angelegten Kurs hatten sie die direkte Verfolgung aufgegeben. Behielt die „Isabella“ ihrerseits den jetzigen Kurs bei, kam es unweigerlich zur Konfrontation.

Spekulierten die Männer auf der Karacke etwa damit, daß der Kapitän der fremden Galeone seine Crewmitglieder auf der Insel ganz gewiß nicht im Stich lassen würde?

Wenn sie von dieser Überlegung ausgingen, dann mußten sie wahrhaftig einen raschen Sinneswandel vollzogen haben.

Seewölfe Paket 11

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