Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 35

5.

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Im Morgengrauen des neuen Tages waren auf der „Isabella“ immer noch die Manntaue gespannt und die Luken und Niedergänge verschalkt, denn der Seegang hatte nicht abgenommen, und der Sturmwind pfiff nach wie vor bedrohlich genug aus Südsüdwest heran.

Pete Ballie, der zur Morgenwache wieder das Ruderrad übernommen hatte, warf vom Ruderhaus aus argwöhnische Blicke zum Himmel hinauf. Schwarz und schmutziggrau ballten sich dort die Wolken. Sie schoben sich in- und übereinander und schienen sich heftig aneinander zu reiben.

Diese Reibung rief nach Old O’Flynns Behauptung den Gewitterdonner hervor, aber nicht alle Männer an Bord waren auch wirklich davon überzeugt, daß es so war. Old Donegal Daniel O’Flynn war zwar ein alter Geisterseher und Gespensterbeschwörer, der nach seinen eigenen Darstellungen richtige „Gesichter“ hatte, aber ein Gelehrter war er nicht.

Pete richtete seinen Blick nach Backbord und sah durch das linke Fenster des Ruderhauses, daß der Himmel im Süden eine Färbung angenommen hatte, die eine Mischung aus Giftgelb, Dunkelrot und Violett zu sein schien. Egal, wie der Donner entsteht, dachte er, da braut sich auf jeden Fall immer noch höllisch was zusammen, und wir tun gut daran, wenn wir sehr vorsichtig sind.

Er wandte sein Gesicht wieder nach vorn und sah jetzt den Seewolf, der mit einer zusammengerollten Karte unter dem Arm über das Achterdeck balancierte. Mit einer Hand hielt er sich am Manntau fest, erklomm das Quarterdeck und trat zu Pete in das Ruderhaus.

„Ich habe gerade mit Ben Brighton, Shane, Old O’Flynn und Carberry noch einmal die Lage durchgesprochen“, sagte er. Er rollte die Karte auseinander und zeigte sie seinem Rudergänger.

Pete nickte. „Da ist also fast die ganze Südwestküste von Sumatra mitsamt der Straße von Mentawai und den zugehörigen Inseln drauf.“

„Richtig, Pete, und wir befinden uns in unserer jetzigen Position ungefähr hier, wie ich errechnet habe“, sagte Hasard. Er deutete mit der Kuppe seines Zeigefingers auf die südliche Einfahrt der Meeresstraße. „An der winzigen Insel Mega sind wir schon vorbei, jetzt liegen wir etwa auf der Mitte zwischen der Insel Süd-Pagai und einem Küstenstrich rund hundert Meilen nördlich von Bengkulu.“

„Bengkulu?“

„Nach dem Randbemerkungen, mit denen diese Karte versehen ist, ist das ein größeres Dorf der Eingeborenen. Es wird auch Bangkahulu genannt.“

Pete warf noch einen Blick auf die Karte und sagte: „Ich verstehe schon, das ist eine der Roteiros, der Seekarten der Spanier, die wir ihnen seinerzeit abgenommen haben.“

„Ja.“

„Wie gut, daß wir sie haben“, meinte Pete grinsend. „Da wir die Mentawai-Straße noch nie durchsegelt haben, dürfte sie uns vor einigen Überraschungen bewahren.“

„Du sprichst doch wohl hoffentlich nicht von den Überraschungen, die Old O’Flynn andauernd heraufbeschwört?“

„Nein, natürlich nicht“, gab Pete lachend zurück. „Sir, ich meine Riffs und andere Untiefen, tückische Strömungen und sandige Landzungen, die uns im Weg sein könnten. Die Roteiros der Spanier sind in diesen Punkten doch sehr präzise, nicht wahr?“

„Allerdings. Soweit ich festgestellt habe, stellt nur die Insel Pini, die weiter nördlich mitten in der Straße liegt und zu den sogenannten Batu-Inseln zählt, ein großes, aber weithin sichtbares Hindernis für uns dar.“

„Keine Probleme also?“

„Vorerst nicht.“

„Und Bengkulu?“

„Das hat keine Bedeutung für uns. Ich schätze, auch die Spanier benutzen es lediglich als Orientierungsmarke.“

Pete korrigierte die Ruderstellung, dann sah er seinem Kapitän ins Gesicht. „Vielleicht liegen vor und bei Bengkulu aber Seeräuber, die uns noch die Hölle heiß machen könnten.“

„Etwa so wie damals vor Malakka?“ fragte der Seewolf lächelnd.

„Nun, es könnte doch zumindest wahrscheinlich sein, daß sich hier Piratenbanden herumtreiben und die Gewässer verunsichern.“

„Möglich ist alles“, sagte Hasard. „Aber wir können unser Schicksal nicht beeinflussen. Lassen wir die Dinge auf uns zukommen. Wenn wir uns mit Freibeutern, Spaniern oder Portugiesen herumschlagen müssen, dann tun wir das auch. Was ich jetzt für vordringlich halte, ist die Notwendigkeit, uns vor dem Sturm zu schützen.“ Er wies nach Süden. „Nach einer Besserung sieht es mir nicht aus – bei der Gewitterfront, die sich da heranschiebt.“

„Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“

„Und was würdest du an meiner Stelle tun?“

„Abfallen und Kurs auf die Küste von Sumatra nehmen, Sir.“

Hasard hob die Augenbrauen. „Nicht auf die nächste Insel?“

„Nein. Das wäre Süd Pagai. Um sie anzulaufen, müßten wir von unserer jetzigen Position aus kreuzen“, antwortete Pete Ballie. „Das wäre ein großer Zeitverlust, außerdem würden wir dem Wetter entgegensegeln.“

„Sehr gut, Pete“, sagte der Seewolf. „Genau das habe ich mir auch gesagt. Wir gehen auf Nordkurs und laufen mit Backstagswind auf die Südwestküste Sumatras zu, die nur noch zwanzig, fünfundzwanzig Meilen entfernt liegen kann. Dort suchen wir uns dann eine Ankerbucht, falls der Sturm uns einholt und losbricht.“

„Aye, Sir.“

Hasard heftete die Karte an der Innenseite der Ruderhaus-Rückwand fest, beugte sich dann etwas hinaus und rief Ben Brighton, der inzwischen auch auf dem Achterdeck eingetroffen war, zu: „Ben, abfallen und Kurs Norden!“

„Aye, Sir, Kurs Norden!“ bestätigte Ben. Er drehte sich zur Kuhl um, hielt sich mit beiden Händen an der Querbalustrade fest und gab den Befehl an Carberry und die Crew weiter.

Der Profos scheuchte die Männer an die Schoten und Brassen.

„Fünf Strich Steuerbord“, sagte Hasard zu Pete.

„Aye, Sir, Ruder fünf Strich Steuerbord!“ Pete ließ das Rad unter seinen schwieligen Händen drehen. Die „Isabella“ fiel ab und richtete ihren Bugspriet genau nach Norden. Ihre Segel stellten sich fast in Querschiffsrichtung, und sie hielt mit zunehmender Fahrt auf Sumatra zu.

Gary Andrews, der an diesem frühen Morgen Bill im Großmars abgelöst hatte, konnte durch seinen Messingkieker bald den grauschwarzen, ausgedehnten Strich erkennen, der sich über der heller werdenden Kimm erhob.

Die große Insel lag vor ihnen.

Morgan Young schreckte aus bizarren, grauenvollen Alpträumen hoch und verlor das Gleichgewicht. Entsetzt klammerte er sich an der Astgabel fest, auf der er in verkrümmter, unbequemer Körperhaltung eingeschlafen war. Er kippte nach links hinunter, konnte sich aber halten. Für einen Augenblick pendelte sein Leib über dem Dickicht, das gut fünfzehn Fuß unter ihm lag, dann fand er die Kraft, sich wieder hochzuziehen.

Er atmete tief durch und blickte sich verstört um. Mit seinen schmutzstarrenden Fingern rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Dann richtete er sich langsam auf der Gabel auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen den oberen Ausläufer des dikken Stammes und spähte in das milchige Licht des jungen Morgens.

Er sah in die Richtung, aus der der Wind blies – und plötzlich glitt ein Ausdruck tiefster Zufriedenheit über seine Züge. Was da unter den ersten Strahlen der Sonne glitzerte und schäumte, war das Meer. Keine Meile konnte das ihm so vertraute Element entfernt liegen, und dabei hatte er in der Nacht so verzweifelt danach gesucht!

Er stieß ein heiseres Lachen aus. Erst jetzt fiel ihm ein, daß es ratsam war, seinen Körper auf Schlangenbisse zu untersuchen, aber so sehr er auch forschte, er vermochte keine Wunde zu entdecken. Er warf einen Blick zum Erdboden und hielt nach dem Tiger oder anderen Tieren Ausschau, konnte dort unten aber kein einziges Lebewesen entdecken.

Es schien ihm eine glückliche Fügung des Himmels zu sein, daß er von all dem, was ihm seine Träume vorgetäuscht hatten, verschont geblieben war. Er lebte, war unversehrt, und jetzt, im zunehmenden Licht des Tages, wuchs seine Hoffnung auf endgültige Rettung.

In einem Zustand euphorischen Triumphgefühls begann er den Abstieg. Den Säbel hatte er sich wieder in den Gurt gesteckt. Seine zusammengeketteten Hände behinderten ihn zwar in der Bewegung, aber er brachte es dennoch fertig, am Baumstamm hinunterzurutschen, ohne abzustürzen.

So langte er auf dem Dschungelboden an und lief auf das Meer zu. Widerspenstiges Gestrüpp, das ihm den Weg verbaute, trennte er mit entschlossenen Säbelhieben durch. Nichts konnte ihn jetzt noch aufhalten.

Nach etwa dreißig Schritten konnte er das Rauschen der Brandung vernehmen, und jetzt sog er mit der Atemluft auch den salzigen Duft des Wassers ein. Er lachte wieder, stolperte voran und empfand die Freiheit als etwas Großartiges, unendlich Wertvolles, das mehr bedeutete als jeder materielle Reichtum.

Er befand sich in einem derartig heftigen Glückstaumel, daß er die Gefahr fast zu spät bemerkte.

Schräg rechts vor ihm raschelte es im Dickicht, gleich darauf schob sich die Gestalt eines Mannes hervor. Young lief direkt auf ihn zu und prallte fast mit ihm zusammen. Erst wenige Schritte vor dem so unversehens aufgetauchten Mann sah er dessen spitzen Helm, den Brustpanzer und die Kürbishosen, und die Erkenntnis, einem spanischen Soldaten in die Arme gelaufen zu sein, traf ihn wie ein Schock.

Der Soldat war jedoch genauso verblüfft wie Young. Auch er hatte mit einer Begegnung wie dieser nicht gerechnet – nicht nach einer schlaflosen Nacht, in der die bewaffneten Trupps pausenlos nach dem verschwundenen Kettensträfling gesucht und nicht den geringsten Erfolg zu verzeichnen gehabt hatten.

Die Offiziere, die die zwanzigköpfigen Gruppen anführten, hatten schon nach Mitternacht aufgeben wollen, weil sie inzwischen davon überzeugt waren, daß sich der Engländer auf dem Seeweg abgesetzt hatte – irgendwie, schwimmend vielleicht oder mit einem hastig zusammengezimmerten Floß.

Doch Don Felix Maria Samaniego hatte darauf bestanden, daß weitergefahndet wurde. Er war unerbittlich in der Härte seiner Befehle und dem Verlangen, Young wieder in das Lager zurückzuführen.

Kurz vor dem Morgengrauen hatten sich die Gruppenführer für eine neue Taktik entschieden. Sie hatten die Soldaten ausschwärmen lassen. Zoll um Zoll wurde der Busch abgekämmt, und wer doch noch auf den Flüchtling stieß, der sollte einen Musketenschuß in die Luft abgeben.

Der Soldat blickte Morgan Young so entgeistert an, als wäre dieser ein von den Toten Auferstandener. Es war seiner großen Müdigkeit und Verdrossenheit zuzuschreiben, daß er ziemlich spät auf die Entdeckung des Mannes reagierte.

Young indessen zückte seinen Beutesäbel und stürzte sich wutentbrannt auf den Mann.

Der Soldat hob seine Muskete. Er wollte auf Young abdrücken, aber dieser hatte ihn schon erreicht, riß den Säbel in einer gewaltigen, schwungvollen Bewegung hoch und traf mit der Klinge den Schaft der Schußwaffe.

Die Muskete ruckte hoch. Der Soldat drückte noch ab, aber der Schuß blaffte in den Morgenhimmel.

Morgan Young trat mit dem Fuß zu, erwischte die Hüfte des Spaniers und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er hatte den Säbel mit beiden Fäusten gepackt, hieb noch einmal zu und traf wieder die Muskete. Klirrend strich die Schneide der Klinge über den Eisenlauf und wetzte sich schartig daran. Aber der Streich genügte, um dem Soldaten die Muskete aus den Händen zu reißen. Er hatte vorgehabt, sie Morgan Young auf den Kopf zu schmettern, doch dieses Vorhaben war nun vereitelt.

Der Spanier stolperte rückwärts und stürzte ins Dickicht. Er stieß einen hellen Laut des Entsetzens aus, griff mit der rechten Hand an die Hüfte und zerrte die Steinschloßpistole aus dem Gurt.

Young ließ den Säbel auf ihn niedersausen. Er traf den rechten Arm des Gegners, hob seine Waffe wieder an, schlug noch einmal zu und zielte diesmal auf den ungeschützten Hals.

Auch dieser Streich ging nicht fehl.

Ein erstickter Schrei war der letzte Laut, den der Soldat von sich gab, dann sank er zur Seite und rührte sich nicht mehr.

Young wandte sich ab und lief weiter, durch das Unterholz des Dschungels zur See. Er hatte das Bild des sterbenden Soldaten auch noch vor sich, als der Blättervorhang des Urwaldes aufriß und den Blick auf die Brandung freigab.

Er fluchte, als er sah, wie hoch die Wellen schlugen, aber er wußte auch, daß er keine andere Wahl mehr hatte. Er mußte auf das Meer hinaus, denn binnen weniger Minuten würden die Kameraden des toten Soldaten im Busch zusammengelaufen sein. Der Schuß hatte sie alarmiert, sie mußten die Leiche finden. Sie würden die gnadenlose Jagd erneut aufnehmen, und diesmal endete sie unweigerlich tödlich für Young, wenn er nicht sofort das Land verließ.

Er sah sich nach einem Hilfsmittel für seine Flucht um.

Ein Floß konnte er sich nicht mehr bauen. Damit durfte er sich nicht aufhalten, die Spanier würden ihm dafür keine Zeit lassen.

Er entdeckte ganz in seiner Nähe einen ungefähr einen Yard langen, dicken Baumstumpf, der hart am Rand des bewachsenen Ufers lag und von der gischtenden Brandung überspült wurde.

Dorthin wandte er sich und bückte sich, um den Stumpf ins Wasser zu schieben.

Er hob seinen Blick etwas, spähte wieder über die Brandung und die tanzenden Wogen auf die See – und dann glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen.

Genau von Süden her segelte ein Schiff heran und war jetzt schon mit bloßem Auge so deutlich zu erkennen, daß Morgan Young es einwandfrei als eine Galeone identifizierte.

In ihrem Großtopp schlug die Flagge hin und her, die Young auch auf eine größere Distanz noch wiedererkannt hätte: der „White Ensign“ – die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz darauf.

„Engländer“, stammelte Young wie von Sinnen. „Herr im Himmel, ich danke dir, daß du mir dieses Schiff geschickt hast.“

Dann begann er wild zu winken.

Gary Andrews richtete sich hoch auf und stieß einen verblüfften Laut aus. Er wäre jetzt glatt über die Segeltuchumrandung des Großmarses gekippt, wenn er sich nicht am Großmast festgebunden hätte. Er spähte durch seinen Kieker, um sich zu vergewissern, daß er sich beim ersten Hinsehen nicht getäuscht hatte.

Dann brüllte er zum Deck hinunter: „Weißer Mann Backbord voraus! Er winkt uns zu!“

Hasard war immer noch auf dem Quarterdeck und hatte Garys Ruf deutlich vernommen. Er legte den Kopf in den Nacken und schrie durch das Rauschen der Fluten und das Singen des Windes: „Kannst du aus seinen Signalen ersehen, was er von uns will?“

„Nein, Sir! Er steht am Ufer und gebärdet sich wie ein Verrückter!“

„Wie sieht er aus?“

„Ausgesprochen dreckig und zerlumpt, Sir!“

„Hol’s der Henker!“ rief jetzt Ben Brighton, der den Dialog vom Achterdeck aus verfolgt hatte. „Wieder ein Schiffbrüchiger?“

„Das läßt sich nicht feststellen!“ brüllte Gary zurück.

„Das gibt ein Unglück!“ schrie der alte O’Flynn, der soeben auf dem Achterdeck erschien. „Hasard, nimm dich in acht! Denk an Seribu!“

Er hatte wirklich allen Grund, seine Bedenken anzumelden, denn auf Seribu in der nördlichen Sundastraße waren die Seewölfe durch Kapitän Einauge – einen Portugiesen namens Laurindo de Carvalho – in eine teuflische Falle gelockt worden, weil dieser sich als vermeintlicher Schiffbrüchiger neben das Wrack einer Jolle gelegt hatte.

„Wie weit sind wir von der Küste entfernt?“ wollte Hasard von Ben Brighton wissen.

„Keine fünf Meilen mehr, Sir!“

Hasard hatte angeordnet, mit der „Isabella“ dicht unter Land zu gehen, dann wieder anzuluven und auf vier, fünf Meilen Abstand zum Ufer am Dschungel entlangzusegeln.

Jetzt war etwas Unerwartetes eingetreten, und er mußte eine Entscheidung treffen.

„Gary!“ schrie er. „Kannst du an der Kleidung des Mannes erkennen, welcher Nationalität er ist?“

„Unmöglich, Sir!“

Der Seewolf eilte auf die Kuhl hinunter, hangelte in den Manntauen weiter nach vorn und enterte die Back. Von hier aus peilte er durch sein Spektiv selbst die Gestalt des fremden Mannes an, der da so sichtbar aufgeregt vor dem Mangrovendickicht auf und ab sprang und unverständliche Zeichen gab.

Nur eins wurde deutlich: Er machte auf sich aufmerksam, weil er sich offensichtlich in Not befand.

Hasard fuhr zu Ben, Old O’Flynn, Ferris Tucker, Shane und dem Profos herum, die ihm gefolgt waren, um seine Befehle entgegenzunehmen. „Wir halten mit unverändertem Kurs auf die Küste zu!“ rief er ihnen zu. „Wir müssen wenigstens herauskriegen, ob er sich wirklich in Gefahr befindet. Sollte das der Fall sein, ist es unsere Pflicht, ihm zu helfen.“

Old O’Flynn schnitt eine Grimasse und schrie mit ziemlich schriller Stimme: „Hölle und Teufel, war dir Seribu keine Lehre? Muß sich das unbedingt wiederholen, damit du klug wirst?“

„Nichts wiederholt sich, Donegal!“ gab Hasard scharf zurück.

„Du wirst schon sehen, was du davon hast!“

„Donegal!“ rief der Seewolf. „Wer ist hier der Kapitän – du oder ich?“

„Du, Sir.“

„Dann rede mir nicht in meine Anordnungen hinein!“ sagte Hasard schroff.

Old O’Flynn biß sich auf die Unterlippe. Trotz des Altersunterschiedes zwischen ihm und dem Seewolf und trotz der Tatsache, daß er sein Schwiegervater war – er hatte sich nach dem zu richten, was Hasard befahl. Trotz seiner Nörgelei und Schwarzmalerei durfte er die allgemeine Disziplin und den Gehorsam nicht vergessen. Da ihm diese ungeschriebenen Bordgesetze in den langen Jahren auf See in Fleisch und Blut übergegangen waren, sah er in diesem Moment doch ein, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. Er beschloß, lieber seinen Mund zu halten.

„Sir!“ schrie Gary Andrews. „Der Mann trägt Ketten an seinen Händen!“

„Auch das könnte natürlich ein Trick sein“, meinte der Seewolf. „Aber darauf kann ich nicht spekulieren. Ich muß näher an ihn heran und versuchen, mich mit ihm zu verständigen.“ Wieder schaute er zu seinem Ausguck hoch. „Gary! Versuche, ihm zu signalisieren! Frag ihn, was er von uns will!“

„Aye, Sir!“

Hasard hob wieder das Spektiv vors Auge und fing die Gestalt des Fremden im Rund der Optik ein, was bei dem starken Seegang keine leichte Angelegenheit war.

Gary Andrews hatte die Signalfahnen zur Hand genommen und signalisierte damit zu dem Mann am Ufer hinüber, doch jetzt geschah wieder etwas Unvorhergesehenes.

Weiter links, schätzungsweise zwanzig, dreißig Yards von dem Mann mit den Ketten entfernt, pufften plötzlich weißliche Qualmwolken in den Morgenhimmel hoch. Trotz des starken Windes, der alle Geräusche ins Landesinnere trug, war das Krachen von Handfeuerwaffen zu vernehmen.

Hasard nahm das Spektiv ein Stück nach links und konnte die Gestalten von vier spanischen Soldaten erkennen, die soeben aus dem Mangrovendik-kicht hervorgetreten waren und nun nacheinander ihre Musketen auf den zerlumpten Mann abfeuerten.

„Mein Gott!“ stieß Hasard aus. „Die veranstalten ja ein reines Zielschießen auf den armen Teufel.“ Er ließ das Spektiv sinken und wandte sich zu seinen Männern um. „So schnell wie möglich dicht ans Ufer ’ran, dann beidrehen und das große Beiboot abfieren! Wir müssen dem Mann mit den Ketten aus der Klemme helfen – wer immer er auch ist.“

„Wenn wir das man noch schaffen“, sagte Ben Brighton, der die Szene auch durch sein Fernrohr beobachtete. „Die Dons haben ihn ja gleich.“

Seewölfe Paket 11

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