Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 34
4.
ОглавлениеHeftig zuckten die Flammen der Fackeln, die von den Spaniern entzündet worden waren, auf dem großen freien Platz inmitten der Hütten des Lagers. Ihr Licht warf gespenstische Muster auf die Gesichter der Männer und gab das Mienenspiel von Don Felix Maria Samaniego, der zwischen seine Offiziere und Soldaten getreten war, besonders deutlich wieder.
Es arbeitete in Don Felix’ scharfgeschnittenen, asketischen Zügen. Selten hatte der hagere Mann, der in größter Hast seine Hütte verlassen hatte und nur mit einer dunklen Hose und einem weißen Hemd bekleidet war, derart zum Ausdruck gebracht, was in seinem Innern vorging.
Er fühlte sich zwischen Wut und Ohnmacht hin und her gerissen. Einen Augenblick lang war er versucht, seine Untergebenen wild anzufahren und zu maßregeln, dann aber erlangte er seine Fassung wieder und bezwang sich.
Es hatte keinen Sinn, jetzt zornig herumzubrüllen und sich in einen Tobsuchtsanfall hineinzusteigern. Nur durch kühle Überlegung konnte er sich einen Überblick über die Situation verschaffen und die richtige Entscheidung treffen.
So hielt er auch einen seiner Offiziere zurück, der jetzt vortrat und mit dem Stiefel nach dem toten Sträfling ausholte.
Die Soldaten, die die Flüchtlinge bis in den Busch hinein verfolgt hatten, waren soeben mit dem Leichnam Romeros zurückgekehrt und hatten ihn auf die Mitte der Lichtung geworfen.
Don Felix hatte sich den Bericht der Unteroffiziere schweigend angehört. Längst hatte er angeordnet, daß das Tor des Palisadenlagers wieder verriegelt und doppelt abgesichert wurde, daß ein Trupp von Wachtposten im Inneren der Umzäunung Fackeln anzündete und die Sträflinge einen nach dem anderen durchsuchte.
Irgendwelche Gerätschaften mußten den Gefangenen dazu gedient haben, sich von ihren Ketten zu befreien – und diese Werkzeuge mußten gefunden werden, um jeden Preis.
„Lassen Sie das“, sagte Don Felix jetzt zu seinem Offizier. „Es ist unter unserer Würde, unsere Wut über den Vorfall an einem Toten auszulassen.“
Der Mann fuhr zu ihm herum. „Aber Senor Comandante! Dieser Hund hat einen unserer Soldaten auf brutalste Weise erwürgt!“
„Schweigen Sie!“ sagte der Kommandant scharf. „Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt, das genügt mir. Und erwürgen ist immer brutal, das sollte Ihnen Ihr logischer Verstand sagen.“
„Si, Senor.“
Don Felix wies auf den Toten. „Wie war sein Name?“
„Romero, Senor“, antwortete ein Unteroffizier wie aus der Pistole geschossen. „Der Nachname war nicht bekannt. Ein räudiger Bastardhund, Senor. Eine Schande, daß er sich überhaupt als echter Spanier bezeichnen durfte.“
„Ersparen Sie sich Ihren Kommentar“, sagte Don Felix. „Wenn die Posten nicht unaufmerksam gewesen wären, hätten sie bemerkt, daß er etwas vorbereitete und die Möglichkeit hatte, sich seiner Ketten zu entledigen. Sie werden meine Kritik noch zu hören bekommen, Senores, und Sie werden eine Reihe von Vorwürfen über sich ergehen lassen müssen.“
„Si, Senor“, murmelten die Männer.
„Romero“, wiederholte Don Felix. „Der aufsässige Bursche mit den Taschenspielertricks. Ich hatte befohlen, ihn besonders scharf zu bewachen. Und was ist geschehen? Er hat sich selbst und einen seiner Kumpane befreit und ist geflohen.“ Mit strenger, zurechtweisender Miene sah er sich im Kreis seiner Männer um. „Dabei war keine Magie im Spiel, Senores. Er konnte das nur schaffen, weil wir geschlafen haben. Aber zurück zu dem anderen Entflohenen – wie war doch sein Name?“
„Morgan Young.“
„Richtig, Young. Ein ausgefuchster Kerl, der offenbar auch unterschätzt wurde.“
„Im Dschungel wird er nicht weit gelangen“, meinte ein jüngerer Offizier.
Don Felix wischte die Bemerkung mit einer herrischen Gebärde fort. „Darauf können wir uns nicht verlassen. Er ist uns entwischt, aber wir stellen jetzt sofort zwei starke Trupps zusammen, die die Suche im Urwald wieder aufnehmen. Ja, Sie haben richtig gehört, Senores. Wir fahnden die ganze Nacht über nach ihm, wenn es sein muß.“
„Senor Comandante“, wagte der Offizier einzuwenden, der vorher nach dem toten Romero hatte treten wollen. „Das dürfte auch für uns lebensgefährlich sein. Sie wissen selbst am besten, welche unangenehmen Überraschungen im Busch auf uns lauern.“
„Zwei zwanzigköpfige Trupps!“ rief Don Felix. „Sie übernehmen es, die Männer auszuwählen. Sie werden bis an die Zähne bewaffnet und mit großen Fackeln ausgerüstet. Die Raubtiere scheuen das Feuer!“
„Zu Befehl, Senor Comandante!“
„Ein dritter Trupp läuft mit zwei Pinassen und einer Schaluppe aus, um dem Engländer den Fluchtweg über die See abzuschneiden!“ fuhr Don Felix mit erhobener Stimme fort. „Acht Mann pro Boot! Wer den Kerl sieht, schießt sofort auf ihn. Ich bin nicht daran interessiert, ihn lebend ins Lager zurückzuholen! Wer ihn erwischt, erhält von mir eine Belohnung!“
„Bei diesem Seegang werden die Boote kentern“, gab der jüngere Offizier zu bedenken. „Ein Sturm droht auszubrechen, Senor!“
Jetzt ballte Don Felix zornig seine Hände zu Fäusten und begann doch zu schreien. „Mit wem habe ich es hier eigentlich zu tun? Mit Feiglingen? Jedes weitere Widerwort wird mit einer Disziplinarstrafe geahndet, merken Sie sich das! Und jetzt befolgen Sie augenblicklich meine Befehle, sonst lernen Sie mich von einer Seite kennen, die Ihnen bislang fremd war!“
Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde jedoch durch das Auftauchen eines Soldaten unterbrochen, der von den Palisaden herüberlief und einen Schlegel und ein Scharfeisen vorwies.
„Das haben wir eben bei einem der Sträflinge gefunden, Senor Comandante!“ meldete der aufgeregt.
„Bei wem?“ wollte Don Felix wissen.
„Bei einem Kerl, der Jonny heißt. Er hat sich heftig gegen die Durchsuchung gewehrt. Wir mußten ihn niederschlagen, um die Werkzeuge überhaupt an uns zu bringen.“
„Maldichos ingléses“, sagte der Lagerkommandant, nahm die Gerätschaften aus der Hand des Soldaten entgegen und betrachtete sie nachdenklich. „Diese verdammten Engländer, sie scheinen den Teufel im Leib zu haben. Dieser Jonny wäre also der nächste gewesen, der den Ausbruch aus dem Lager versucht hätte.“
„Anscheinend ja“, meinte ein Teniente, ein Leutnant.
Samaniego fixierte ihn mit einem stechenden Blick. „Anscheinend? Das hier ist ja wohl mehr als anscheinend.“ Er hielt dem Mann den Schlegel und das Scharfeisen hin. „Und das zieht noch etwas nach sich, darauf können Sie alle sich verlassen – nämlich eine genaue Untersuchung der Hintergründe für diese Ungeheuerlichkeit!“
Er gab den Offizieren, von denen einige ziemlich betreten zu Boden sahen, einen Wink, und sie begannen, ihre präzisen Befehle zum Sammeln und Ausrücken zu erteilen.
Rufe tönten durch die Nacht, Soldaten hasteten über den Lagerplatz, holten Musketen, Tromblons und Pistolen und bemannten die Boote, die an den hölzernen Anlegern schlingerten. Die Szene wurde von dem huschenden Licht der Fackeln begleitet.
Don Felix schickte seine Suchtrupps mit der Order los, sich zunächst in südlicher Richtung zu bewegen. Er war sicher, daß Morgan Young versuchen würde, die Küste zu erreichen.
Der Wind blies mit unverminderter Kraft in den Dschungel von Sumatra, aber er brachte keine Abkühlung. Die Wolken, die über das grüne Dach der Fieberhölle zogen, öffneten sich nicht zu rauschenden Regenschauern, und die schwüle Luft entlud sich nicht. Nur ab und zu zuckten Blitze, und in längeren Zeitabständen war das Grollen fernen Donners zu vernehmen. Das Inferno der Natur, das sich eigentlich jeden Augenblick hätte entfesseln müssen, fand nicht statt. Zäh und unendlich drükkend war die Atmosphäre der brütenden Feuchtigkeit, durch die Morgan Young voran taumelte.
Er war der völligen Erschöpfung jetzt sehr nah, und seine Nerven wollten nicht mehr mitspielen. Im Nachhinein setzte ihm der Tod Romeros erheblich zu, er konnte das Ereignis doch nicht so schnell verarbeiten, wie er anfangs gedacht hatte.
Die Arbeit unter der mörderischen Hitze, die er Tag für Tag mit den anderen Sträflingen zusammen hatte verrichten müssen, hatte ihre Spuren bei ihm hinterlassen und seine Energien stark herabgesetzt. All die Entbehrungen und Härten der letzten Zeit forderten jetzt ihren Tribut.
Young stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Er verharrte und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm eines großen, knorrigen Baumes. Er spreizte die Beine ein wenig und stemmte sie fest gegen den Untergrund, denn er wollte nicht zu Boden sinken. Nicht einschlafen, hämmerte er sich immer wieder ein, nur nicht einschlafen, sonst ist alles aus.
Er schloß aber doch die Augen und verfiel für kurze Zeit in einen Zustand des Dahindämmerns. Seine Atemzüge wurden langsamer und regelmäßiger.
Plötzlich riß er die Augen wieder auf. Ganz deutlich hatte er in seiner Nähe eine Bewegung wahrgenommen. Er griff mit der rechten Hand nach dem Säbel, den er in den Hosengurt geschoben hatte. Leise klirrte die Kette, die seine Handschellen verband. Er zog den Säbel heraus, nahm eine geduckte, drohende Haltung ein und blickte sich nach allen Seiten um.
Hatte er sich getäuscht? Hatten ihm seine gereizten Nerven nur etwas vorgegaukelt?
Der Wind wisperte und zischelte in den Büschen und bewegte die Blätter, überall schien Bewegung zu sein. Hier und dort knackte oder raschelte es, überall war das eigentümliche Klagen und Kreischen, Maunzen und Schnattern der Nachtvögel und der anderen Urwaldbewohner zu vernehmen, die zu dieser Stunde wach waren.
Young glaubte aber doch, eine Regung bemerkt zu haben, die mit all dem nichts zu tun hatte, sondern losgelöst war von der übrigen Kulisse des Busches.
Jäh entdeckte er, was es war, und erstarrte vor Schreck.
Wenige Zoll vor seinen nackten Füßen wälzte es sich schwer und träge über den weichen Boden und drohte nach seinen Beinen zu greifen. Young blickte wie gebannt auf das Bild dieses riesigen, häßlichen Leibes, das sich ihm trotz der Dunkelheit in aller Deutlichkeit darbot.
Er hatte von den gewaltigen Schlangen vernommen, die imstande sein sollten, sogar Schweine, Schafe und Ziegen zu erwürgen und zu vertilgen. In der Phantasie der Seeleute gerieten sie zu Ungeheuern, die angeblich jenen Monstren glichen, die in der Tiefsee lauern sollten. Wenn dies auch eine Übertreibung war, so hatte Young doch nie bezweifelt, daß es die übergroßen Bestien wirklich gab, die Boa oder Python genannt wurden.
Einer solchen Riesenschlange war er jetzt begegnet, und sie wollte ihn auf leise, schleppende Art in ihre tödliche Umklammerung nehmen. Er verlieh sich einen inneren Ruck, löste sich aus seiner gelähmten Haltung und entzog sich dem Zugriff des lautlosen Feindes durch einen Sprung.
Das kalte Entsetzen noch im Nakken, hastete er weiter. Was wäre gewesen, wenn sich die Schlange von dem Baum auf ihn herabgeringelt und seinen Hals gepackt hätte, während er eingenickt war? Dann hätte ihm auch der Säbel nichts mehr genutzt, und so träge diese Bestien auch waren, so schnell vermochten sie eine Beute durch das Zusammenziehen ihrer Ringmuskeln ins Jenseits zu befördern.
Young fühlte, wie das Grauen ihn packte und nicht mehr losließ. Er schlug mit dem Säbel um sich, mehr, um sich abzureagieren, als um sich einen Weg zu schaffen, aber auch das nutzte nichts.
Er hatte geglaubt, die See schnell zu erreichen, aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Nirgends schien es einen Auslaß aus dem Dschungel zu geben, die „Selvas“, wie der Spanier die Urwälder nannte schienen unendlich zu sein. Die Küste lag in ewiger Ferne, so erschien es Young in diesem Moment jedenfalls.
Hatte er die Orientierung verloren? Lief er im Kreis?
Er grübelte darüber herum und gelangte zu keinem Schluß. Dies steigerte seine Furcht vor dem Ungewissen und die Verzweiflung noch. Immer wieder sah er sich nach links und nach rechts um und blickte über seine Schulter zurück.
Folgte die Riesenschlange ihm? Schlichen ihm Raubkatzen durch das Dikkicht nach, um sich den Zweibeiner zu holen, sobald er vor Erschöpfung zusammenbrach? Glotzten ihn dort nicht weißliche Augen aus der Finsternis an? War das der Orang Utan, der Waldmensch, wie die Malaien und die Ureinwohner Sumatras ihn nannten, oder der Gorilla, ein riesiger und bärenstarker Affe, der einen Mann mühelos zerquetschen konnte?
Morgan Young stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin – wieder in den Morast. Fast wäre er auf die Klinge des Säbels gestürzt und hätte sich dabei selbst verletzt.
Er stöhnte in einem Anflug panischer Angst auf. Dann aber siegte die Wut über seine Schwäche, er richtete sich schnell wieder auf und lief weiter.
Einmal glaubte er, hinter sich einen Feuerschein zu sehen, aber das rötliche Licht war bald wieder verschwunden.
Ein Eingeborenendorf? Young hielt es für sehr unwahrscheinlich. Als die Spanier vor zwei Jahren damit begonnen hatten, die Strafkolonie Airdikit einzurichten, hatten die Athjehs oder Bataks – oder wie immer die Eingeborenen dieses Landstrichs sich nennen mochten – ihre Siedlungen in der näheren Umgebung bestimmt aufgegeben, um sich tiefer in den Dschungel zurückzuziehen. Anderenfalls hätten sie riskiert, daß die Spanier sie als Sklaven eingefangen und zur Zwangsarbeit angetrieben hätten.
Nein, Young gab sich auch dieses Mal keinen Illusionen hin. Selbstverständlich waren das die spanischen Soldaten, die die Suche nach ihm unter Zuhilfenahme von Fackeln fortsetzten. Zwar verrieten sie dadurch ihren jeweiligen Aufenthaltsort, aber sie schützten sich gleichzeitig mit dem Feuer vor den Plagegeistern und Räubern des Urwaldes, was sie in diesem Fall gewiß als vorrangig ansahen.
Nur er, Morgan Young, war den Tieren des Dschungels nahezu hilflos ausgeliefert.
Er zuckte zusammen, als er ganz in seiner Nähe ein Grollen vernahm, das ihm durch Mark und Bein ging. Nie und nimmer war das ein Gewitterdonner gewesen – schlimmer, viel schlimmer war die neue Gefahr, die mit diesem furchtbaren Laut zusammenhing.
Der Tiger ist da, dachte Young, und er fühlte, wie ihm die Angst die Kehle zuschnürte.
Romero hatte schon mal einen Tiger gesehen und ihm davon erzählt, wie groß diese gestreiften Raubkatzen waren und wie sehr die Eingeborenen sie fürchteten. Es gab alte, verbitterte Einzelgänger unter den Tigern, die auf Menschenjagd gingen, und sie konnten mit einem einzigen Hieb ihrer Tatze ihr Opfer zerfetzen.
Young erklomm einen Baum, ehe das unheimliche Grollen zum zweitenmal ertönte. Er kletterte so hoch wie irgend möglich in die Krone hinauf, die vom Sturmwind hin und her bewegt wurde, und suchte sich eine Astgabel, in die er sich kauern konnte.
Hier hockte er schließlich, hielt nach Schlangen Ausschau und schickte auch immer wieder Blicke in die Tiefe, um nach dem Tiger zu spähen, der ihn verfolgte.
In dieser Lage konnte er sich selbst riechen. Ja, er stank erbärmlich nach Schweiß, fauligem Schlamm und Angst, und er fühlte sich so sehr erniedrigt wie nie zuvor in seinem Leben.
Vielleicht war der Tiger schon unter ihm? Er konnte es nicht sehen. Er konnte nur ahnen, was unten, auf dem Boden des Urwaldes, geschah, und die Phantasie ließ vor seinem geistigen Auge die schrecklichsten Szenen ablaufen.
Er beschloß, den Rest der Nacht auf dem Baum zu verbringen. Beim Anbruch des neuen Tages würde ihm die Orientierung leichter fallen, vielleicht konnte er dann von seinem luftigen Versteck aus sogar das Meer erkennen.
Und wenn du auch verrecken mußt, dachte er, die See willst du vorher wenigstens noch einmal anschauen.