Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 31

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Der polierte Spitzhelm und der Brustpanzer des spanischen Soldaten schimmerten nur noch für eine Weile im silbrigen Mondlicht, dann aber wurde auch dieser matte Glanz wie alle anderen optischen Wahrnehmungen ausgelöscht, denn der Wind, der zunehmend kräftig von der See in den Dschungel von Sumatra hinüberblies, schob Wolken vor die weiße Sichel und hüllte das Lager und die Festung von Airdikit mit tiefster Finsternis ein.

Der Soldat hatte seine Inspektionsrunde im Inneren der Palisaden beendet und wandte sich zum Gehen. Morgan Young hörte, wie sich das Knirschen seiner Schritte auf dem sandigen Untergrund entfernte und der Mann sich zwischen den Sträflingen hindurch zum Tor bewegte.

Knarrend öffnete sich das Tor in seinen eisernen Angeln, wenig später schloß es der Wachtposten von außen und schob den eisernen Riegel vor.

Die Gefangenen waren wieder allein mit ihrem Schweigen und ihrer Verzweiflung, mit den dumpfen, bohrenden Fragen und den Ängsten, die die Dunkelheit und die unheimlichen Laute des Urwaldes immer wieder hervorriefen. Viele der gut vier Dutzend Spanier, Portugiesen, Engländer, Holländer und Franzosen, die hier festgekettet waren, fielen bald in einen Erschöpfungsschlaf, aber viele blieben auch wach, weil ihnen die Ausweglosigkeit ihres Schicksals zusetzte und an ihren Nerven zehrte.

Niemand glaubte ernsthaft, daß ein Ausbruch aus den Palisaden und eine anschließende Flucht durch den Dschungel jemals gelingen konnten – niemand außer dem Engländer Morgan Young und Romero, dem jungen Spanier.

Das Vorhaben allein mußte wie die reinste Ausgeburt des Wahnsinns erscheinen, aber die Chance war eben doch plötzlich da, und Morgan Young klammerte sich genau wie Romero mit jener Verbissenheit daran, die nur die Verzweiflung hervorzubringen vermochte.

Sie wußten, daß nach Ablauf von einer Stunde – oder von zwei Glasen, wie man auf See sagen würde – die Wachablösung erschien und erneut einen Kontrollgang durch das Innere der Palisaden unternahm. Das ging die ganze Nacht über so, und ebenso, wie die Sträflinge hier in der Umzäunung scharf im Auge behalten wurden, überprüft man auch jene Gefangenen, die bereits im Kerker des Festungsneubaus eingesperrt worden waren.

Somit war Airdikit zu einem ausbruchsicheren Sträflingslager geworden. Keinem war es bislang geglückt zu entweichen. Don Felix Maria Samaniego verwendete sein ganzes Können und seine Sorgfalt als Lagerkommandant darauf, daß es dabei auch blieb.

Dennoch: In dieser Nacht sollte es geschehen, in der nächsten Stunde bis zur Wachablösung sogar. Das Heulen des Windes nahm zu, und auch das Konzert der Urwaldfauna schien anzuschwellen – eine willkommene Geräuschkulisse, die andere Laute überdecken würde.

Morgan Young wandte den Kopf.

Romero, der junge Spanier, saß rechts von ihm, an einen in den Boden gerammten Pfahl gefesselt wie auch er, Young, und alle anderen Gefangenen. Young konnte seine Gestalt in dieser Finsternis kaum noch sehen, aber er wußte, daß auch Romero zu ihm blickte.

„Jetzt“, flüsterte er ihm zu. „Fangen wir an.“

„Ja“, raunte Romero. „Versuchen wir es. Eine bessere Gelegenheit kriegen wir nicht.“ Er sprach ein relativ gutes, jedoch stark akzenthaltiges Englisch. Das hatte er in den fast anderthalb Jahren, die er hier schon festsaß, von den englischen Mitgefangenen gelernt.

Romero war Decksmann auf einer spanischen Galeone gewesen, die zweimal im Jahr von Cadiz nach Manila und zurück segelte. Kurz vor den Philippinen hatte er sich auf seiner letzten Fahrt gegen einen ruppigen Bootsmann aufgelehnt, der einen Kameraden zu Unrecht gemaßregelt und dann vom Profos hatte auspeitschen lassen. Romero wäre dem Bootsmann an den Hals gesprungen, wenn ihn seine Freunde nicht zurückgehalten hätten. Ein rasch zusammengerufenes Bordgericht hatte den Aufsässigen wegen Insubordination und versuchter Meuterei zur Höchststrafe verurteilt: Zwangsarbeit in einem spanischen Gefängnislager. Von Manila aus hatte man ihn direkt nach Airdikit im südlichen Sumatra verfrachtet.

„Du kannst noch froh sein, daß dein Kapitän dich nicht gleich an der Rahnock aufgehängt hat“, hatte Morgan Young gesagt, als er diese Geschichte von Romero vernommen hatte. „Dann wäre dir nämlich der Anblick dieses wunderschönen Fleckchens Erde hier entgangen, mein Freund.“

Romero hatte darüber gelacht, und auch Young hatte gegrinst. Der Aufseher hatte ihnen die Peitsche über den Rücken gezogen, aber das hatte sie beide wenig beeindruckt. Oder, anders ausgedrückt: Auf diese höchst schmerzhafte Weise war ihre neue Freundschaft zumindest handfest besiegelt worden.

Morgan Young nahm es dem jungen Mann, der höchstens zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte, wahrhaftig ab, daß er kein richtiger Verbrecher war. In eine solche Situation an Deck, die dann zu drakonischen Strafen führte, konnte jeder anständige Seemann hineinschlittern, wenn er es mit einem unfairen Bootsmann oder Zuchtmeister zu tun hatte.

Young seinerseits war auch kein Mörder, Meuterer oder Plünderer, sondern er war wegen eines Schiffsbruchs in die Hände der Spanier geraten.

So war es seiner Ansicht nach nur legitim, wenn alle, die in Wirklichkeit gar nichts auf dem Kerbholz hatten, den Ausbruch aus dem Arbeitslager versuchten.

Nicht alle waren dazu bereit, bei diesem Höllenunternehmen ihr Leben zu riskieren und so hoch zu setzen, wie es nötig war. Morgan Young hatte also eine Auslese getroffen und wußte, auf wen er zählen konnte. Da waren seine Kameraden von der „Balcutha“ – mit ihm die einzigen Überlebenden des Schiffsunglücks –, also Tench, Josh Bonart, Sullivan und Christians. Kerle, die Kopf und Kragen aufs Spiel setzten, um nur hier herauszukommen. Weiter Jonny, auch ein Engländer, über dessen Herkunft aber nichts Näheres bekannt war, dessen „glorreiche Zehn“, eine Crew, wie sie wilder und bunter nicht zusammengewürfelt hätte sein können, sowie letztlich ein paar Holländer und Franzosen, die lieber im Kampf starben, als auch nur einen Tag länger unter der erbarmungslosen Hitze und Feuchtigkeit der Äquatorzone im moskitoverseuchten Dschungel zu schuften.

Romero fiel sozusagen die Schlüsselposition bei dem geplanten Ausbruch zu – und Young war derjenige, der voll und ganz seinen Fähigkeiten vertraute, während alle anderen ihre gelinden Zweifel daran hatten.

Aber hatte Romero nicht schon bewiesen, daß er über eine überdurchschnittliche Fingerfertigkeit verfügte. Wer außer ihm hätte wohl an diesem Nachmittag oben auf der Baustelle des Kastells unter der scharfen Aufsicht der Posten einen Schlegel und ein Scharfeisen entwenden können? Wäre denn jemand anderes in der Lage gewesen, diese beiden Werkzeuge so geschickt unter der Hose zu verbergen, daß auch nachträglich niemand den Diebstahl aufzudekken vermochte?

Nein. Nicht einmal Young, der sich auch schon einiges zutraute, oder Jonny, der ein tolldreister Draufgänger und Abenteurer zu sein schien, hätten etwas Vergleichbares vollbracht. Romero beherrschte richtige Taschenspielertricks, er war ein Meister im Jonglieren mit Gegenständen und konnte sie blitzschnell verschwinden lassen.

Den kleinen Hammer und das Scharfeisen hatte er vermittels dünner, jedoch sehr haltbarer Fäden, die er schon Tage zuvor vorbereitet hatte, an seinem Gürtel festgebunden und dann an der Innenseite seiner Hose herabbaumeln lassen.

Jetzt holte er die Geräte zum Vorschein und begann sein schwieriges, langwieriges Werk.

Allen Gefangenen waren die Hände auf dem Rücken zusammengekettet, wenn sie nicht zur Arbeitsschicht auf die Festung mußten, und diese Handfesseln waren wiederum durch eine Kette mit dem Pfahl verbunden, der für jeden Sträfling in den Boden innerhalb der Palisaden gerammt worden war. Die Beine wurden durch Schäkel zusammengehalten, an denen als Gewichte schwere eiserne Kugeln befestigt waren.

Wir können froh sein, daß sie uns nicht auch noch Halseisen verpaßt und uns damit an diese verdammten Pflöcke gehängt haben, dachte Young, als er sich jetzt auf die linke Körperseite legte und so nah wie möglich an Romero heranrückte.

Sie hatten verschiedene Pläne gewälzt und auch in Erwägung gezogen, die Flucht tagsüber zu versuchen. Doch dieses Vorhaben hatten sie gleich wieder verworfen. Wenn sie während der Arbeit an der zu errichtenden Festung auch die Hände frei hatten, die Zahl der schwerbewaffneten Wächter war doch zu groß, um einem derartigen Unternehmen auch nur die geringsten Erfolgschancen einzuräumen.

Blieb nur die Nacht, und zwar mußte es diese zunehmend stürmische Nacht sein, in der sie den Ausbruch durchführen. Ihre Wächter hatten ihnen bereits in Aussicht gestellt, daß auch die Gefangenen hier in den nächsten Tagen zu den Sträflingen in den Festungskerker gepfercht würden, dessen letzte Räume kurz vor der Vollendung standen. Wenige Wachtposten genügten, um den einzigen Ausgang des Kellergewölbes ständig ausreichend zu bewachen, und jeder Mann, der das Kunststück fertigbrachte, sich von seinen Ketten zu befreien und die Eisengitter zu öffnen, die ihn vor der Freiheit trennten, wurde spätestens dort erschossen.

Dort oben, im Kerker des Kastells, ist unser aller Schicksal endgültig besiegelt, sagte sich Morgan Young im stillen. Er drehte sich so, daß seine Beine sich denen von Romero näherten. Der junge Spanier hatte sich ebenfalls auf die Körperflanke sinken lassen. Sie lagen in stark verkrümmter Haltung Rücken an Rükken da, wobei die Verbindungsketten, die ihre eisernen Handfesseln an den Pfählen festhielten, sich strafften und an ihren Gelenken zu zerren begannen.

Romero konnte weder seine eigenen Handschellen noch seine Beinschäkel lösen. Aber er konnte dank seiner großen Fingerfertigkeit die Spitze des Scharfeisens in die Zwischenräume von Morgan Youngs Fußeisen zwängen und mit dem Schlegel auf das obere, stumpfe Ende des Werkzeugs hauen.

Die Schlaggeräusche wurden vom Jaulen und Heulen des Windes und dem Kreischen der Nachtvögel geschluckt, doch immer wieder hielt Romero inne, um zu lauschen. Hatten die Posten, die außerhalb der Palisade auf und ab patrouillierten, wirklich noch nichts gehört? Der junge Spanier arbeitete in der beständigen Furcht, entdeckt zu werden.

Morgan Young hielt immer wieder den Atem an, ballte die Hände zu Fäusten und schickte stumme Stoßgebete zum Himmel: Herr, laß es uns schaffen, gib, daß wir Erfolg haben und diesen gräßlichen Ort verlassen können.

„Morgan“, wisperte plötzlich eine Stimme. „Morgan Young!“

Young fuhr unwillkürlich zusammen, aber dann begriff er, daß es Jonnys Stimme war.

„Was ist?“ fragte er ebenso leise zurück. „Gefahr im Verzug?“

„Nein.“

„Verdammt“, zischte Young. „Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt!“

„Ich wollte euch beiden nur sagen, daß ihr es schafft, wenn ihr eisern weitermacht.“

„Danke“, murmelte Romero.

„Und wenn ihr erst frei seid, dann wär’s mir eine höllische Ehre, wenn ihr mich als nächsten von diesem elenden Pflock befreien würdet.“

„Jonny, mein Ehrenwort darauf“, raunte Morgan Young ihm zu.

Romero arbeitete mit verbissenem Eifer weiter, wußte aber, daß er den Schlegel und das Scharfeisen nicht mehr lange in seinen verkrümmten, schmerzenden Fingern halten konnte.

Der Wind briste auf, nahm immer mehr zu, wurde stürmisch und schien sich darüber zu erzürnen, daß die Segel der großen Galeone ihm Widerstand boten. Heftig blies er in das stark gelohte Zeug und pfiff und heulte in den Luvwanten und Pardunen.

Die „Isabella VIII.“ segelte durch die Nacht, mit nordwestlichem Kurs und halbem Wind, der aus Südsüdwest wehte. Mit Backbordhalsen und hart über Steuerbordbug krängend bahnte sie sich ihren Weg durch die aufgewühlten Fluten und lief die südliche Öffnung der Mentawai-Straße zwischen der Südwestküste von Sumatra und den Mentawai-Inseln an.

Im Südwesten, dort, wo sich schon am späten Nachmittag drohend die schwärzlichen Gewitterwolken zusammengeballt hatten, zuckten jetzt hin und wieder Blitze auf, die wie Irrwische vom Himmel in die See glitten und dort in den unergründlichen Tiefen verschwanden.

Ben Brighton, der Erste Offizier und Bootsmann der „Isabella“, stand neben seinem Kapitän Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck, hielt sich mit einer Hand an der Nagelbank fest und schickte immer wieder besorgte Blicke nach Süden.

„Da braut sich ganz schön was zusammen!“ rief er dem Seewolf zu. „Und wir alle können heilfroh sein, daß du heute nachmittag die Kursänderung angeordnet hast, schätze ich!“

„Ja, ich bin sicher, daß wir noch einen biestigen Sturm auf die Jacke kriegen“, sagte Hasard so laut, daß es durch das Pfeifen des Windes und das Rauschen des Wassers hindurch zu verstehen war. „Wenn es allzu hart wird und wir ihn nicht abwettern können, verholen wir in eine Bucht, entweder auf einer der Inseln oder auf Sumatra.“

Tatsächlich war die Galeone in der Mentawai-Straße ziemlich geschützt, und es war eigentlich kein großer Umweg, den sie beschrieb, wenn sie ganz hindurchsegelte und später, bei der Insel Simeulue, wieder auf den westlichen Kurs zurückging, den der Seewolf ursprünglich festgelegt hatte, nachdem sie die Sundastraße verlassen hatten.

Er wollte hinüber in den Indischen Ozean und ihn quer durchfahren, als Ziel galt irgendwann die Ostküste Afrikas. Ob diese Überquerung aber nun nördlich oder südlich des Äquators stattfand, hatte im Grunde keine große Bedeutung.

Welchen Sinn hatte es, wenn er sich in den Kern der Schlechtwetterzone hinauswagte und dabei das Risiko einging, daß die „Isabella“ schwer angeschlagen wurde? Sie war zwar ein gutes, robustes Schiff, das schon manchen Sturm hinter sich hatte, aber unsinkbar war sie auch nicht. Außerdem hatte Hasard nicht das Recht, die Crew leichtfertig einer derartigen Gefahr auszusetzen.

Man sollte den Teufel nicht zu sehr am Schwanz ziehen, das hatten auch die jüngsten Erfahrungen auf der Insel Seribu gezeigt.

Old Donegal Daniel O’Flynn, der an der Schmuckbalustrade des Achterdecks stand und auf die Kuhl blickte, war der gleichen Meinung. Immer wieder nickte er bedeutungsvoll vor sich hin und murmelte etwas von der „Vorsehung“, den „Mächten der Finsternis“ und dem „heimtückischen Bösen“, das man in dieser Situation ja nicht herausfordern sollte.

Die Situation wurde laut seinen neuesten Darlegungen durch die Konstellation der Himmelsgestirne maßgeblich beeinflußt, aber ob er nun wirklich genau über die Sterne Bescheid wußte, war keinem an Bord der „Isabella“, so richtig klar.

Der Alte drehte sich um, stapfte über das tanzende Deck zum Ruderhaus hinüber und trat zu Blacky, der bei Beginn der ersten Nachtwache um acht Uhr Pete Ballie als Rudergänger abgelöst hatte.

„Es ist gut, aber auch wieder schlecht, daß wir in diese gottverdammte Meerenge hineinlaufen“, sagte Old O’Flynn. „Wir könnten mit Spaniern und Portugiesen zusammentreffen, Blacky, mit einem starken Verband. Macht euch alle auf was gefaßt, heute nacht noch.“

Blacky prüfte unausgesetzt Kurs und die Segel. „Woher willst du das wissen?“ fragte er.

„Ganz einfach. Sirius steht in einem ungünstigen Winkel zur Venus, und das bedeutet für uns dicken Verdruß.“

„Pech für Sirius“, sagte Blacky lakonisch, ohne den Alten auch nur aus den Augenwinkeln heraus anzusehen. „Diese Venus soll ja ein scharfer Brocken sein, hab ich gehört, und da …“

„Nein!“ unterbrach Old Donegal ihn scharf. „Sie ist kein Brocken, sondern ein Stern!“

„Ah so.“

„Und es gibt eine Wissenschaft, du Lorbas, die nennt sich Astrologie. Man sieht sich die Sterne an und weiß, welches Schicksal einem beschert wird.“

„So?“ meinte Blacky. „Aber wie sollst du die Sterne sehen, wenn der Himmel wolkenverhangen ist? Kannst du mir das mal erklären?“

Old O’Flynn verzog das Gesicht zu einer Grimasse der Verachtung. „Dummbeutel“, sagte er – und verließ schleunigst das Ruderhaus. Eine Antwort auf Blackys berechtigte Frage wußte er nämlich selbst nicht.

Der Seewolf war mittlerweile an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks getreten, beugte sich leicht vor und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund.

„Ed!“ schrie er.

„Sir?“ tönte es von der Kuhl zurück, etwa aus der Richtung der Gräting und der Beiboote. Die Gestalt des Profos’ war dort mehr zu ahnen, als richtig zu erkennen, aber er war da, allgewaltig und lautstark wie immer.

„Laß die Zurrings der Beiboote und die Haltetaue der Kanonen noch mal überprüfen!“ rief Hasard ihm zu. „Und dann sollen die Männer vorsichtshalber schon mal die Luken und Schotten verschalken und die Manntaue spannen, verstanden?“

„Aye, Sir, verstanden!“ meldete Carberry. Er schwenkte herum und ließ die übliche Wortkanonade auf die Männer los: „Ihr Himmelhunde, habt ihr’s nicht gehört? Flitzt los und zeigt die Hacken, willig, oder braucht ihr eine Sondereinladung? An die Stücke, an die Boote, und her mit den Spanntauen, zur Hölle, ich hab das schon schneller gesehen, ihr blinden Kanalratten! Ich will die Taue so stramm wie eure gottverdammten Affenärsche sehen, oder es gibt Zunder, daß es raucht! Mister Davies, pennst du? Mister Stenmark, muß ich dir Feuer unterm Achtersteven machen? Oh, ihr Triefaugen und Rübenschweine, wer hat euch bloß gezeugt?“

Matt Davies rannte zum Kutscher hinüber, um mit diesem zusammen das Kombüsenschott zu verschalken.

„Teufel auch“, sagte er wütend. „Manchmal denke ich, es wäre doch besser gewesen, wenn sie unseren Profos auf Seribu in den Teich gekippt hätten, wie sie’s vorgehabt hatten!“

„Wie?“ Der Kutscher hob erstaunt den Blick. „Hättest du ihm das wirklich gewünscht – daß er mit Steinen beschwert jämmerlich ersoffen wäre?“

„Na“, meinte Matt mit einem schiefen Grinsen. „Das nun auch wieder nicht. Aber sie hätten ihn ja wenigstens mal kurz einstippen und dann wieder hochziehen können. Vielleicht hätte ihm das Salzwasser ein wenig seine große Klappe gestopft.“

„Das glaubst du wirklich?“

„Man wird doch wohl noch an was glauben dürfen“, sagte Matt Davies. „Stell dir mal vor, du dürftest ihm ein paar Gallonen Wasser aus dem Wanst pumpen. Wäre das nicht …“

Weiter gelangte er nicht, denn hinter seinem Rücken brüllte Carberry von neuem los: „Mister Davies, du Höhlenmolch, glaubst du, ich sitze auf meinen Ohren? Du sollst nicht dumm ’rumquatschen, du sollst arbeiten, daß die Schwarte kracht!“

„Jetzt wird einem schon das Maul verboten“, brummte Matt Davies.

„Leg dich bloß nicht mit ihm an, Matt“, sagte der Kutscher, der die riesige, ungeschlachte Gestalt des Profos’ aus dem Dunkeln anrücken sah, warnend.

„Tue ich ja auch nicht.“

„Matt Davies!“ dröhnte Carberrys mächtige Stimme. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Rede ich zu leise?“

„Herrgott, nein“, stöhnte Matt.

„Was, wie?“

„Ich sagte: Aye, Sir!“ rief Matt, und dann kramte er rasch die Persenning und die Schalklatten her, mit denen der Kutscher und er das Kombüsenschott abzudichten hatten.

Carberry blieb stehen. Durch Beinarbeit glich er die schwankenden Schiffsbewegungen aus. Er stemmte die Fäuste in die Körperseiten, schaute den Männern eine Weile zu und sagte dann: „Gut. So gefällt’s mir schon besser, ihr Stinte.“ Er gab noch einen grunzenden Laut der Zufriedenheit von sich, danach wandte er sich ab und marschierte von dannen, um auch den Rest der Crew zu kontrollieren.

Bill, der Moses, hatte sich zu diesem Zeitpunkt vorsichtshalber schon mit einem Tau am Großmast festgebunden, um nicht von seinem luftigen Posten, dem Großmars, zu fallen. Er hielt prüfend Ausschau nach Südwesten, wo es wetterleuchtete und heftig blitzte und von wo aus jetzt unterschwellig grollender Gewitterdonner zu vernehmen war.

Wie alle anderen wartete auch Bill darauf, daß der Seegang und der Wind zunahmen und es bald wie aus Eimern zu schütten begann. Doch in diesem Punkt wurden sie angenehm enttäuscht. Noch brach der Sturm nicht mit seiner vollen Macht los, ja, er schien zu zögern, irgendwie auf einem Wartepol angelangt zu sein, um Luft zu holen und dann so heftig wie nie loszubrüllen.

Die erste Nachtwache, die bis Mitternacht dauerte, verlief voll innerer Anspannung und Ungewißheit über das, was noch folgen mochte. Energisch stemmte sich die „Isabella“ mit ihrem Vorschiff gegen die aufgerührte See, teilte die Wogen mit ihrem Bug und lief näher und näher auf die Straße von Mentawai zu.

Würde es wirklich noch Verdruß geben, wie Old O’Flynn wieder mal prophezeit hatte – oder hatte der Alte dieses Mal die nahe Zukunft doch zu schwarz gemalt und sich getäuscht?

Seewölfe Paket 11

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