Читать книгу Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 19
6.
ОглавлениеDe Jonge schäumte über vor Wut und Haß. Der Feldscher der „Zwarte Leeuw“, hatte seine aufgeschrammten Knie verbinden und sein lädiertes Kinn einsalben müssen. Der Kapitän ruhte in seiner Koje und trank Genever – der war nur für ihn reserviert. Die Flaschen standen auch in der Kapitänslast. Die Offiziere tranken Dünnbier. Die Mannschaften erhielten brackiges Wasser, es sei denn, sie durften an Land gehen und sich in den Kneipen betrinken.
Stunden brütete de Jonge vor sich hin, ab und an von Wut und Haß geschüttelt.
Nach fünf Stunden, es ging bereits auf den Abend zu, befahl er den Profos zu sich. Die vier Galeonen draußen auf Reede waren wieder vor Anker gegangen.
Der Bulle wurde von den Wanten losgebunden und war mehr tot als lebendig. Drei Männer mußten ihn zu de Jonge schleppen, vor dem er kaum gerade stehen konnte.
„Reiß dich zusammen, Kerl!“ herrschte ihn de Jonge an und winkte die drei Männer hinaus.
Sie verschwanden.
Genüßlich trank der Kapitän, in der Koje ruhend, seinen Genever und betrachtete aus schmalen Augen den schwankenden Profos, dem das Hemd in Fetzen und blutverkrustet vom Leibe hing.
„Jan Swammerdam“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe beschlossen, dich zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Du bist ein Tier. Ungeziefer bist du. Wiederhole: ich bin Ungeziefer!“
Der Bulle blickte ihn stumpf an und bewegte die Lippen. Undeutlich sagte er: „Ich bin Ungeziefer.“
„Kapitän“, sagte de Jonge. „Oder hast du das vergessen?“
„Kapitän“, wiederholte der Bulle.
„Sage den ganzen Satz, Jan Swammerdam.“
„Ich bin Ungeziefer, Kapitän.“ Der Bulle schwankte.
„Setz dich, mein Guter“, sagte de Jonge und deutete auf einen Hocker. Wieder trank er einen Schluck Genever.
„Danke, Kapitän“, murmelte der Bulle und sackte auf den Hocker. Er stierte den Kapitän an und leckte sich über die Lippen.
„Magst du einen Genever, Jan Swammerdam?“ fragte de Jonge.
„Sehr gern, Kapitän. Sie sind sehr gut zu mir.“
Der Profos durfte sich einen Genever einschenken.
Der Kapitän hob sein Glas.
„Wir trinken auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er.
Sie tranken. Der Bulle goß den Genever wie Wasser in die Kehle. Dann schnappte er nach Luft. Etwas später verlor sich der stumpfe Ausdruck in seinen Augen.
„Du hast noch eine Chance, Jan Swammerdam“, sagte de Jonge. „Deine letzte, allerletzte Chance, um dich zu bewähren. Vielleicht rettet dich das vor dem Strang. Vielleicht habe ich auch die Güte, dich dann wieder als Profos einzusetzen und Gnade walten zu lassen. Du hast gesündigt, Jan Swammerdam. Wiederhole: ich habe gesündigt!“
„Ich habe gesündigt, Kapitän.“
„Schenke uns noch von dem Genever ein, Jan Swammerdam.“
Der Bulle stand von dem Hocker auf, nahm die Flasche von dem Bord neben der Kapitänskoje, schenkte dem Kapitän ein, dann sich und ging zurück zu dem Hocker. Mühsam setzte er sich.
„Hat sie sich gewehrt, Jan Swammerdam?“ fragte der Kapitän. In seinen Augen war ein Glitzern. „Du hast es mir schon einmal erzählt. Aber erzähle mir mehr. Wie war es?“
Der Bulle duckte sich etwas und stierte in eine Ecke.
„Sie ging an dir vorbei?“ fragte der Kapitän. Seine Stimme war plötzlich heiser.
„Ja, Kapitän. Sie ging an mir vorbei.“
„Wie ging sie vorbei? Zeig es mir!“
Der Bulle stand auf. Er atmete heftig. Auch seine Augen glitzerten jetzt.
„So, Kapitän.“ Er ging an dem Hokker vorbei, bewegte stöhnend die Schultern, dann die Hüften.
„Und dann?“ Der Kapitän keuchte.
„Ich riß sie zu Boden.“
„Und dann?“
„Wälzte ich mich über sie.“
„Und dann?“
Der Bulle stürzte den Genever hinunter. „Ich weiß nicht mehr. Sie schrie, sie schlug mir ihre Nägel ins Gesicht, sie kratzte und biß …“
„War das schön?“
„Ich wurde rasend.“
Jetzt trank der Kapitän. Seine Hand zitterte, als er das Glas zum Mund führte. Genever tropfte über sein Kinn und lief an seinem Hals entlang in den Hemdausschnitt.
„Du mußt mir mehr darüber erzählen, Jan Swammerdam“, sagte er. „Jede Einzelheit. Nur so kann ich entscheiden, in welchen Sumpf der Sünde du dich verirrt hast. Du bist tief gesunken, Jan Swammerdam, und ich habe dich zum Tode durch den Strang verurteilt. Du weißt, nur meine Gnade kann dich noch retten.“
„Was soll ich tun, Kapitän?“
„Du wirst heute nacht das Schiff dieser englischen Hunde überfallen und den Kapitän töten!“
„Ich allein?“
„Unsinn. Die vierzehn Dummköpfe, mit denen du in der letzten Nacht die sechs Engländer überwältigen und hier an Bord bringen solltest, werden dich begleiten. Es ist auch deren letzte Chance.“
„Fünfzehn Männer sind zu wenig, Kapitän“, sagte der Profos. „Die Engländer kämpfen wie die Teufel.“
„Hast du Angst, Jan Swammerdam? Als du das Weib überfielst, hattest du auch keine Angst. Du mußt wieder rasend sein – wie zu dem Zeitpunkt, als dich deine Lüste übermannten. Verstehst du das?“
Der Bulle grunzte und schien nicht sehr begeistert zu sein. Vieles begriff er auch nicht. Warum wollte der Kapitän so viele Einzelheiten wissen? Als die Untat bekannt geworden war, hatte der Kapitän bereits gierig nach den Details gefragt. Warum fragte er immer wieder?
Die Stimme des Kapitäns war scharf wie ein Messer. „Hast du verstanden, Jan Swammerdam? Warum antwortest du nicht? Soll ich dich wieder auspeitschen lassen?“
„Nein, Kapitän. Ich meinte nur, daß es schwer sein wird, mit nur vierzehn Männern das Schiff zu besetzen und den Kapitän zu töten. Sollen wir auch seine Leute töten?“
„So wenig wie möglich. Sie sollen die Peitsche spüren – deine Peitsche, Jan Swammerdam. Du peitschst doch gerne, nicht wahr?“
Der Bulle keuchte. „‚Jawohl, Kapitän.“
„Na also.“ Der Kapitän legte sich in die Kissen seiner Koje zurück. „Gut, ich werde dir noch fünf Männer zusätzlich mitgeben. Dann seid ihr zwanzig. Schenke uns noch einen Genever ein, Jan Swammerdam.“
Der Bulle gehorchte.
Wie zuvor hob der Kapitän sein Glas.
„Ich trinke auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er.
Der Profos trank mit verbissenem Gesicht.
„Es sei denn“, sagte der Kapitän, „du meldest mir den Tod des englischen Kapitäns. Dann, Jan Swammerdam, trinke ich auf dein Leben. Sage, daß ich gütig bin.“
„Sie sind gütig, Kapitän.“
„Wir wollen beten“, sagte Pieter de Jonge, „wie es sich für Christenmenschen geziemt. Knie nieder, Jan Swammerdam, und bete mir nach!“
Es wurde ein sehr schauriges Gebet, denn Kapitän Pieter de Jonge erging sich in endlosen Tiraden über die Sünden der Fleischeslust, deren verschiedene Einzelheiten von ihm mit donnernder Stimme angeprangert, aber von dem Profos kaum noch verstanden wurden.
Es war ihm auch völlig gleichgültig, ob ein Gebot bestand, er möge keine Hand anlegen an seines Bruders Weib. Er hatte keinen Bruder, soweit er sich erinnern konnte, und wenn er einen gehabt hätte und dessen Weib wäre begehrenswert gewesen, na dann …
Er murmelte nach, was der Kapitän salbaderte.
Und er dachte an die sechs harten Männer des englischen Schiffes. Teufel, dachte er, das kann nicht gutgehen.
„Landgang, Sir?“ fragte Ben Brighton an diesem Abend genauso, wie er es einen Tag zuvor getan hatte. Und in seinen grauen Augen blitzte es wieder unternehmungslustig – wie am Vorabend.
„Suleika“, sagte Hasard lächelnd.
„Suleika“, bestätigte Ben Brighton, „die Blume des Orients.“
Hasard strich sich über das glatte Kinn und starrte zu der „Zwarte Leeuw“ hinüber.
Ben Brighton folgte dem Blick. Er sagte: „Ich hatte geraten, daß wir den Kerl in die Vorpiek sperren. Dann hätten wir Ruhe gehabt.“
„Ich weiß, Ben.“ Hasard hob unbehaglich die Schultern. „Vielleicht hätten wir es tun sollen. Aber irgendwie war mir das nicht recht.“
Selten geschah das, fast nie, aber Ben Brighton sagte scharf und hart: „Irgendwann gehen wir einmal mit fliegenden Fahnen unter – wegen deiner Fairneß.“
„Besser so als mit dem Gedanken, unfair gewesen zu sein.“
Ben Brighton seufzte, und das war Antwort genug.
„Schieß ab an Land“, sagte Hasard, „aber Ed bleibt dieses Mal an Bord, vielleicht rappelt’s bei denen da drüben, und sie versuchen was. Da hätte ich Ed gern hier an Bord. Wie viele Männer nimmst du mit?“
Ben Brighton starrte auf seine Stiefel und sagte nichts.
„He, Ben, ich habe dich was gefragt!“ sagte Hasard.
Ben Brighton hob den Kopf.
„Ich bleibe“, sagte er knapp.
„Was ist mit dir los, Ben?“ fragte Hasard verblüfft. „Soll ich dich vielleicht an Land prügeln?“
„Ich habe eben nachgedacht“, erwiderte Ben. „Ich weiß, daß sie es heute nacht versuchen werden. Da brauchen wir jeden Mann.“
„Schwarzseher?“
„Es ist so, ich weiß es eben.“ Ben Brighton reckte die Schultern. „Frag mich nicht, warum ich das weiß. Sie werden vom Wasser und von der Landseite her angreifen. Danach sollten wir unsere Verteidigung aufbauen.“
„Ben“, sagte Hasard, „du bist an diesem Abend ziemlich verbissen. Vielleicht solltest du doch in Erwägung ziehen, daß Suleika auf dich wartet. Was meinst du?“
„In Ordnung, Sir.“ Ben Brighton richtete sich kerzengerade auf. „Dann möchte ich Matt Davies, Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Gary Andrews mit an Land nehmen.“
„In Ordnung, Ben. Wir verfahren wie gestern. Drei Böller mit den Drehbassen – und hier ist was los, klar?“
„Alles klar, Sir.“
Zehn Minuten später stieg Ben Brighton mit den Männern, die er genannt hatte, über die Leiter von Bord. Es war bereits dunkel. Hasard starrte ihnen nach. Irgend etwas irritierte ihn, aber er wußte nicht, was es war.
Er vergaß es wieder, weil er mit Big Old Shane und Smoky darüber beratschlagte, welche Posten an welchen Stellen aufgestellt werden sollten. Carberry gesellte sich hinzu. Ferris Tucker, der den ganzen Tag wie ein Berserker geschuftet hatte, war wachfrei. Er lag bereits in der Koje.
Lächelnd sagte Hasard: „Ben meinte, die Kerle könnten in dieser Nacht vom Wasser und von der Landseite her etwas gegen uns unternehmen. Er war sich sogar ziemlich sicher, hatte ich den Eindruck.“
„Der spielt wohl jetzt Old O’Flynn“, sagte Smoky und grinste.
„Ich weiß nicht so recht“, meinte Hasard, „Aber irgendwie hat er mich angesteckt. De Jonge hat von uns eine Abfuhr erhalten, wird also nicht mehr mit uns rechnen. Aber ich könnte mir vorstellen, daß er auf unsere ‚Isabella‘ scharf ist. Bisher hat er nicht gewagt, etwas gegen die Portugiesen zu unternehmen, weil die Kampfkraft mit fünf Schiffen gegen fünf Schiffe der Portugiesen gleich verteilt war. Mit der ‚Isabella‘ würde er diese Kampfkraft zu seinen Gunsten verändern. Bemannen könnte er die ‚Isabella‘, indem er Mannschaften von seinen fünf Schiffen abzieht.“
„Noch ist die ‚Isabella‘ manövrierunfähig“, sagte Big Old Shane nachdenklich. „Wäre es nicht logischer, daß er erst dann zupackt, wenn das Ruder wieder in Ordnung ist?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Mit Logik hapert’s bei de Jonge. Aber egal, ob er in dieser Nacht oder später angreift, wir müssen uns darauf einstellen. Das bedeutet verstärktes Postengehen, und zwar rund um die ‚Isabella‘. Ich will die Kerle gar nicht erst an unser Schiff heranlassen. Darum schlage ich vor, daß du, Shane, mit zehn Männern um die ‚Isabella‘ herum Posten beziehst. Der Rest bleibt mit mir hier oben an Bord. Die Leiter wird eingeholt. Suche dir die zehn Männer aus, nur möchte ich Al Conroy hierbehalten. Bewaffnet euch mit Musketen, Pistolen und den Hieb- und Stichwaffen. Losung und Alarmruf wie immer ‚Arwenack‘. Unter Umständen lassen wir von hier oben aus ein paar Raketen steigen, damit es heller wird, sobald der Zauber losgeht. Alles klar?“
„Keine Schonung?“ fragte Big Old Shane knapp.
„Kampfunfähig genügt“, erwiderte Hasard. „Ich will kein Gemetzel. Die Burschen da drüben können nichts dafür, daß sie einen übergeschnappten Kapitän haben. Im übrigen schätze ich, daß er nicht dabei sein wird. Der fühlt sich zu Höherem geboren.“
„Alles klar“, sagte Big Old Shane.
Wenig später verließ er mit zehn Männern schwerbewaffnet die „Isabella“. Carberry war bei ihm. Sie verteilten sich um die Galeone. Als Hasard einen Rundgang oben auf der „Isabella“ unternahm und nach allen Seiten hinunterspähte, konnte er niemanden mehr entdecken. Das Werftgelände lag still und verlassen da.
Stenmark, der an Bord geblieben war, und Al Conroy, den Stückmeister der „Isabella“, postierte Hasard auf der Back vor dem Fockmast, wo sie zwei der Gestelle aufbauten, mit denen sie die von Ferris Tucker und Al Conroy selbst gebastelten Höllenflaschen auf die Reise schicken konnten.
„Beobachtet scharf die Reede“, sagte Hasard. „Wenn sie mit Booten kommen, müßtet ihr sie bei dem Mondlicht sehen. Laßt sie soweit heran, bis ihr sicher seid, mit den Flaschen zu treffen. Das wird ihnen den Spaß verderben, noch landen zu wollen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Al Conroy.
Mittschiffs, auf der Kuhl, sicherten Old O’Flynn und der Kutscher nach beiden Seiten. Hasard selbst übernahm das Achterschiff – mit seinen beiden Söhnen.
Sir John saß auf der Großrah und hatte den Kopf im Gefieder versteckt. Arwenack strolchte über Deck und blieb schließlich achtern bei Hasard und seinen Söhnen.
Das Warten begann.
Von der Stadt her wurden die Geräusche von Stunde zu Stunde leiser. Aus dem Bambusdschungel weiter im Westen drangen die Laute streifender Tiere herüber. Hinter Palmen, beim Kampong der Fischer westlich der Werft, glühten Feuer. Zikaden zirpten. Weiße Gischt schäumte von der See her heran, brach zusammen und verebbte rauschend. Die vier Schiffe draußen auf der Reede wirkten mit dem Filigran der Masten und Rahen wie feine, hingetupfte Schwarzzeichnungen.
Mitternacht verging.
Eine Stunde später wurde Arwenack unruhig und fauchte leise. Gleichzeitig huschte der Kutscher heran und flüsterte: „Al und Sten haben ein Boot gesichtet, Sir, von Norden.“
„Danke, Kutscher.“ Hasard lächelte. „Scheint loszugehen. Ben hatte also doch recht. Sag Al, er soll die drei Böller abfeuern.“ Er lächelte noch breiter. „Ben wird betrübt sein, sich von Suleika trennen zu …“
Weiter gelangte er nicht.
Al Conroy brauchte keine drei Böller zu lösen, und Ben Brighton brauchte sich nicht von Suleika zu trennen – er war gar nicht bei ihr gewesen.
Denn es war seine Stimme, die draußen vor der Werft wie eine Fanfare den alten Schlachtruf der Seewölfe schmetterte.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack …“
Jetzt brüllten seine vier Männer mit. Schüsse krachten, dann klirrten Blankwaffen, Schreie gellten, da und dort huschten aus der Werft Schatten zum Werfttor – Seewölfe, bereit, ihren fünf Kameraden beizustehen, die sich als erste auf die anrückenden Niederländer gestürzt hatten.
Hasard biß die Zähne zusammen. Jetzt kämpften sie dort – und er stand auf der „Burg“ und schaute zu.
Dieser Ben Brighton!
Jäh fiel Hasard ein, was ihn irritiert hatte. Sie waren so merkwürdig steif auf der Leiter nach unten geklettert. Deswegen steif, weil sie unter ihrer Kleidung Waffen verborgen hatten.
Diese verdammte Bande!
Waren gar nicht an Land geschossen, sondern hatten vor der Werft Stellung bezogen, um die Kerle rechtzeitig abzufangen und die „Isabella“ zu warnen.
Carberrys donnernde Stimme schallte herüber. Er verteilte Hiebe und Flüche. Wo seine breite Gestalt auftauchte, purzelten die Figuren.
„Aufpassen hier achtern!“ rief Hasard seinen beiden Söhnen zu. „Ich schau auf der Back nach!“
„Aye, aye, Sir!“ riefen die Bürschchen.
Hasard eilte nach vorn. Aber auch dort konnte er nur Däumchen drehen und zusehen. Gerade zerplatzten am Himmel vier Raketen und beleuchteten Reede und Werftgelände mit magischem Licht. Und zwei Flaschen torkelten auf das Boot zu, das hastig in Richtung der „Isabella“ gepullt wurde. Die Männer auf den Duchten duckten sich, als es Sterne in allen Farben niederregnete.
Nur waren die harmlos.
Die beiden Flaschen waren es nicht. Eine explodierte am Bug und zerfetzte ihn wie morsches Holz. Die andere tauchte an der Backbordseite ins Wasser, es dauerte ein paar Sekunden, dann detonierte sie dumpf, eine Fontäne schoß hoch und kippte das Boot um.
Die Männer quirlten im Wasser durcheinander und brüllten, als würden sie geröstet.
„Der Bootsführer war der Profos der ‚Zwarte Leeuw‘“, sagte Stenmark zu Hasard. „Ich habe ihn deutlich genug erkannt.“
„Habt ihr die Kerle gezählt?“ fragte Hasard.
„Zehn mit dem Profos“, erwiderte Al Conroy.
Das Feuerwerk am Himmel erlosch. Für Momente waren ihre Augen wie blind. Dann sahen sie, wie Big Old Shane an der Spitze von vier Männern zum Strand stürmte. Sie warfen sich ins Wasser und schienen nicht lange zu fakkeln, wobei sie im Vorteil waren, weil die Niederländer die Übersicht verloren hatten. Für sie mußte die Welt untergegangen sein. Und jetzt fielen diese wilden Kerle von dem Teufelschiff noch im Wasser über sie her.
Wer es bis zum Ufer schaffte, ergriff die Flucht. Da und dort wurden sie noch im Werftgelände abgefangen und steckten weitere Prügel ein.
Nach fast zehn Minuten war alles vorbei – meinte Hasard, der wieder auf dem Achterdeck stand. Weil Arwenack so laut herumkeckerte und Sir John, inzwischen wach geworden, auf der Großrah lamentierte, hörte er nicht den pochenden Laut mittschiffs auf der Steuerbordseite.
Aber dort befand sich Old O’Flynn, und der hörte nicht nur den pochenden Laut, sondern sah auch, als er herumfuhr, was ihn verursacht hatte: ein krallenartiger Haken, an dem ein Seil hing.
Mit diesen Dingern wurde geentert, wenn man mit Booten ein größeres Schiff kapern wollte. Man warf sie von unten hoch, und ihr Haken verfing sich im Schanzkleid.
Old O’Flynn grinste und schlich zum Schanzkleid. Unten ruckte jemand am Seil, um festzustellen, ob der Haken festsaß.
Er saß fest.
Old O’Flynn wahrschaute niemanden. Kinkerlitzchen! Solche Sachen regelte er selbst. Offenbar hatte es einer von den Kerlen geschafft, sich ungesehen an die „Isabella“ heranzuarbeiten.
Na warte, mein Bürschchen, dachte Old O’Flynn, du wirst dein blaues Wunder erleben.
Er baute sich vor dem Haken auf, seine Krücke schwungbereit.
Plötzlich sagte hinter ihm der Kutscher: „Spielst du Denkmal, Old Donegal?“
„Schsch!“ zischte Old O’Flynn.
Jetzt entdeckte der Kutscher den Haken und sah, wie sich das Seil bewegte. Er riß die Augen auf, faßte sich aber schnell und nahm ebenfalls Aufstellung – mit einer Riesenbratpfanne in den Fäusten.
Jetzt spielten sie beide Denkmal, geduckt, lauernd, stumm, unbeweglich – der eine mit zur Seite geschwungener Krücke, als gelte es, mit einer Sense eine Wiese abzumähen, der andere mit erhobenen Armen und der Bratpfanne über sich, die aussah, als habe er einen Schirm aufgespannt.
In dieser Haltung wurden sie von den Zwillingen entdeckt, die gerade zur Kuhl abenterten. Prompt begannen die beiden Lümmel zu kichern.
„Schscht!“ zischte Old O’Flynn.
„Pssst!“ zischte der Kutscher.
Und da tauchte der Kopf am Schanzkleid auf, zwei Hände griffen um das Schanzkleid. Erst die rechte, dann die linke Hand.
Jan Swammerdam, der Profos der „Zwarte Leeuw“.
Daß er erwartet wurde, war das letzte, was er in seinem bösen Leben begriff.
Die Bratpfanne krachte auf seinen Schädel. Die Krücke wischte ihn vom Schanzkleid weg wie eine lästige Fliege.
Im Sturz brüllte er noch.
Das war sein letztes Lebenszeichen.
Batuti, der sich gerade genähert hatte, sah den Körper durch die Luft fliegen und unten aufschlagen. Als er den Mann umdrehte, erkannte er den Profos.
„Nix mehr schwarzen Mann beleidigen“, murmelte er, beugte sich hinunter und drückte dem Toten die Augen zu.
Die Schlacht war geschlagen.
Nur Blessierte kehrten zur „Zwarte Leeuw“ zurück – den Profos brachten Batuti, Carberry, Smoky und Matt Davies auf einer Bahre zu der niederländischen Galeone.
Sie stellten sie auf der Pier ab, und Carberry rief: „Hier ist euer Profos, Männer! Wenn er es auf unseren Kapitän abgesehen hatte, dann hat er es mit seinem Leben gebüßt. Wenn nicht, dann war er sowieso ein Sünder, aber das wird der Kapitän dort oben im Himmel entscheiden. Er möge seiner armen Seele gnädig sein.“
„Ha-ha-ha!“ gellte eine Stimme vom Achterdeck her. Es war die Stimme des Kapitäns.
Matt Davies sah einen Musketenlauf blitzen und brüllte: „Deckung!“ Er warf sich hin und riß Carberry mit um.
Batuti und Smoky warfen sich nach links und rechts.
Der Schuß krachte, und die Kugel fauchte über die vier Männer weg. Sie feuerten noch im Liegen aus ihren Pistolen zurück.
Aber de Jonge war bereits in Dekkung gegangen.
„Dieser Schweinehund!“ keuchte Carberry. „Los, weg hier, Männer, die schießen uns ab wie die Hasen!“
Sie sprangen auf und liefen im Zickzack über die Pier.
„Knallt sie ab!“ schrie de Jonge. „Sie haben euren Profos ermordet! Knallt sie ab! Vorwärts …“
Aber kein Schuß fiel.
„Meuterei!“ brüllte der Kapitän.
Einer auf der Kuhl sagte laut: „Wir schießen niemandem in den Rücken, Kapitän!“
„Wer war das? Wer hat das gesagt?“
Der Kapitän erfuhr es nicht.
Und die vier Seewölfe hörten den Wortwechsel nicht mehr. Sie hatten bereits das Werfttor erreicht und waren in Sicherheit.