Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 13

9.

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In der Dämmerstunde des nächsten Abends war es dann soweit.

Burton hatte siebzehn Schnapphähne aufgetrieben, insgesamt waren sie jetzt neunzehn Männer.

Einer seiner Spitzel jedoch, der Schiff und Leute beobachten sollte, war nicht mehr zurückgekehrt, er war spurlos verschwunden, und das beunruhigte ihn ein wenig.

In einem knapp zweistündigen Marsch erreichten sie außerhalb von Plymouth die Stelle, wo die Galeone des alten Patrick lag und immer noch auf die Ausrüstung wartete. Der alte Patrick hatte nur zwei Leute an Bord. Die anderen wurden erst dann wieder angemustert, wenn das Schiff klar zum Auslaufen war. Und der Alte selbst hockte natürlich wie immer irgendwo in einer Kneipe und war zu dieser frühen Stunde vermutlich stockbetrunken.

Das Schiff war an Land vertäut und hatte außerdem noch einen Anker gesetzt. Rechts waren ein paar kleine Felsen im Wasser, zur linken Seite dehnte sich ein schmaler, steinübersäter und mit Tang bedeckter Strand. Gleich dahinter wuchsen verkrüppelte Büsche und kleine Bäumchen.

Burton und Bromley schlichen sich bis dicht ans Ufer, während die anderen Kerle unsichtbar im Hintergrund lauerten.

„Siehst du jemanden an Bord?“ fragte der Exhauptmann.

Burton starrte sich schon seit einer ganzen Weile die Augen aus.

„Nein“, sagte er nach einer Weile. „Aber ich weiß, daß immer zwei Kerle an Bord sind.“

„Vielleicht liegen sie besoffen an Deck.“

„Darauf will ich mich lieber nicht verlassen. Wir warten noch eine Weile, bis wir Geräusche hören.“

Inzwischen war der Mond aufgegangen und schickte ein paar silbrige Strahlen über das Wasser. Dann verschwand er wieder hinter einer langsam dahinziehenden Wolkenbank. Der Wind hatte auch ein wenig zugenommen. Zum Segeln war die Nacht jedenfalls ideal.

Immer noch rührte sich an Bord nichts. Die kleine Galeone lag wie ein Geisterschiff am Strand. Manchmal sahen sie nur den ungefügen Schatten, dann wieder zeichnete sie sich deutlich ab, wenn der Mond zwischen den Wolken hervorlugte.

„Geh leise zurück und beruhige die Kerle, Mark“, sagte Burton mit Flüsterstimme. „Sie sollen noch ein wenig warten, ich möchte keine weitere Pleite erleben.“

„In Ordnung.“

Es raschelte leise, dann war Bromley verschwunden, während Burton die Augen zusammenkniff und das Schiff weiter beobachtete.

Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, aber dann sah er doch erleichtert einen kleinen Lichtschein an Bord. Also hatten die Kerle doch gepennt, waren jetzt erwacht und zündeten eine Lampe an.

Verdammt, dachte Burton, sie im Schlaf zu überfallen wäre viel einfacher gewesen, aber wer konnte das wissen? Ebensogut hätten sie hinter dem Schanzkleid auf den Planken hocken können.

Er drehte sich um und eilte zurück, bis er die anderen erreichte.

„Ganz leise jetzt“, mahnte er im Flüsterton. „Lautlos ins Wasser steigen und an der Bordwand hochziehen. Die Kerle halten sich noch im Vorschiff auf. Ihr braucht nur bis zu den Hüften ins Wasser, das Schiff liegt nur wegen den Gezeiten nicht ganz dicht dran. An Deck wartet ihr, bis die Kerle oben erscheinen. Aber bewegt euch um Himmels willen ganz leise, sonst gibt es Geschrei.“

Er warf noch einen kurzen Blick auf die Gestalten. Sie sahen wirklich wie Piraten übelster Sorte aus, Abschaum aus den Hafenkneipen, Kerle, die man nicht gegen Geld und gute Worte an Bord nahm, jedenfalls nicht auf ehrlichen Handelsschiffen.

Der Trupp schlich vorwärts, aber als Burton sie mit Handzeichen aufforderte, ins Wasser zu steigen, tippten sich zwei der Kerle ebenso wortlos mit dem Finger an die Stirn und grinsten. Als Burton in der Annahme blaß wurde, die Kerle würden jetzt kneifen, grinste der eine noch breiter und zeigte auf die Trossen, mit denen die Galeone vertäut war.

Burton nickte zähneknirschend und sah das ein. Er war schließlich kein Seemann. Klar, die Trossen boten sich geradezu an, und wenn man an ihnen hinüberhangelte, verursachte das gar kein Geräusch.

Der eine hing schon wie eine Ratte am Tampen und bewegte sich lautlos, schnell und geschmeidig zur Galeone hinüber.

Durch sein Gewicht hing das Tau etwas durch, und das Schiffchen gierte zum Land hin, aber die Ankertrosse kam steif, und so hing das Tau auch nicht weiter durch.

Der zweite und dritte folgten. Der vierte flitzte wie ein Klammeraffe an dem Tau entlang. Schattenhaft verschwanden sie an Bord, Schnapphähne, die ihr Handwerk verstanden.

Schließlich waren ein Dutzend Männer an Bord, und die beiden Wachen hatten immer noch nichts gemerkt.

Burton trat von einem Fuß auf den anderen. Natürlich wollte er auch hinüber, genau wie sein Spießgeselle Bromley. Er traute sich nur nicht, an dem Tampen entlangzuhangeln, und das Wasser war ihm zu kalt. Bromley erging es nicht viel anders, und so traten sie nervös von einem Bein auf das andere und warteten.

Weitere Kerle zogen sich hinüber. Da wollte Bromley auch nicht länger nachstehen und sprang mit einem heldenhaften Satz ins Wasser. Es gab ein klatschendes, lautes Geräusch. Als er dann verzweifelt zur Bordwand griff, hörte es sich an, als würde jemand mit dem Hammer auf das Schiff einschlagen.

Burton knirschte mit den Zähnen. Im Nu war drüben der Teufel los, doch die Knechte, die er angeheuert hatte, bügelten Bromleys Fehler sofort wieder aus. Die beiden Wachen hatten keine Chance.

Ein leiser Schrei war zu hören, ein unterdrücktes Keuchen. Gestalten bewegten sich hin und her, und dann schlug etwas auf die Planken.

Ein neuer Schrei, ein paar Schläge. Ein Kerl segelte durch die Luft und landete in hohem Bogen im Wasser. Das war der eine Wächter, der zweite folgte blitzschnell hinterher.

„Seid ihr verrückt?“ rief Burton voller Zorn. „Fischt die Kerle gefälligst wieder auf, sonst sind sie noch vor uns im Hafen!“

„Sollen wir sie vielleicht spazierenfahren?“ fragte eine brummige Stimme vom Schiff her.

„Gebt ihnen eins über den Schädel und sperrt sie irgendwo ein.“

„Weshalb soll man Toten denn eins über den Schädel hauen?“ fragte die Stimme eines Mannes höhnisch zurück.

Burton zuckte mit den Achseln. Daß er sich da keine sanften Lämmer eingehandelt hatte, wußte er. Aber die Kerle hätten auch anders vorgehen können.

Trotzdem mußten die Toten aus dem Bach, damit man sie nicht vorzeitig fand, falls sich etwas verzögerte. Zwei Mann stiegen ins Wasser, packten erst den einen der Wächter, hoben ihn hoch und reichten ihn ihrem Kumpanen. Dann folgte der andere.

Jetzt erst entschloß sich auch Burton, in das kalte Wasser zu steigen, doch in diesem Augenblick wurde eine Planke zum Ufer geschoben, und er konnte wie ein Admiral an Bord gehen. Man war ja schließlich wer!

Bromley hatte es in der Zwischenzeit ebenfalls geschafft und wie ein nasser Sack das Schiff erklommen. Jetzt fror ihn ein wenig. Er verspürte schon wieder diesen entsetzlichen Hunger und schnatterte wie vor ein paar Jahren im Tower.

„Steckt die Wachen in einen Verschlag oder sonstwohin!“ befahl Burton. „Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.“

„Tote an Bord bringen Unglück“, erklärte eine Stimme.

„Wir wollen mit ihnen ja nicht die Welt umsegeln“, erwiderte Burton scharf. „Also bringt sie weg!“

Über diese abgetakelten Kerle ein Kommando zu führen ist gar nicht mal so einfach, dachte er. Er bezahlte sie zwar für ihre Arbeit, aber sie wußten alles besser und kannten sich im Gegensatz zu ihm in der Seemannschaft eben besser aus.

Als die beiden Wachen verschwunden waren, besichtigte Burton erst einmal das Schiff. Patricks alte Galeone hatte auf jeder Seite vier mittelgroße Stücke, aber die Rohre sahen nicht gerade vertrauenerwekkend aus. Vermutlich war schon lange nicht mehr aus ihnen gefeuert worden.

„Wie steht’s mit den Kanonen?“ fragte er einen baumlangen Kerl.

„Für jeweils einen Schuß wird es schon reichen. Kann auch sein, daß uns die Rohre nach dem Abfeuern um die Ohren fliegen, Mister.“

„Habt ihr Pulver und Kugeln gefunden?“ wollte er dann wissen.

„Ja, eine ganze Menge. Aber wie geht es nun weiter?“

„So, wie es besprochen wurde. Wir segeln an der Werft vorbei, feuern, drehen wieder um und feuern noch mal, bis die Kanonen leer sind. Dann fahren wir mit dem Kahn irgendwo aufs Land und verschwinden. Das Ziel gebe ich euch noch an.“

Fahren, drehen wieder um, Kanonen leer, dachte der Kerl. Das waren ja nette Ausdrücke, aber das konnte ihm egal sein, wenn dieser feiste Mister davon nichts verstand. Dafür waren sie schließlich da.

Der Lange nickte.

„In Ordnung, Mister. Wir haben ein paar Mann dabei, die sich darauf ganz gut verstehen, die können auch Segel setzen und diesen alten Zossen hier gut steuern.“

„Dann ist ja alles in bester Ordnung“, sagte Burton. „Bloß die Strikke müssen wir nachher an Bord nehmen. Das wird nicht so einfach sein. Dann muß ja einer an Land bleiben.“

Himmel, hat der gute Mann eine Vorstellung von der Seefahrt, dachte der Lange schaudernd. Wenn beim Loswerfen jedesmal ein Kerl an Land zurückbleiben würde, dann gäbe es auf der ganzen Welt bald keinen einzigen Seemann mehr.

„Die kappen wir, auch die Ankertrosse, das Zeug brauchen wir ohnehin nicht mehr. Ich meine, wir schneiden sie mit dem Messer ab, Mister, und lassen sie sausen.“

„Ach so, ja, natürlich. Die Stricke schneiden wir durch, klar“, sagte Burton, dem das Schiff ein Buch mit sieben Siegeln war.

Burton und Bromley inspizierten den alten Kahn. Sie sahen sich die Räume an, tauchten auch in der winzigen Pulverkammer auf und benahmen sich so, als wären sie ihr ganzes Leben lang zur See gefahren. Daß sie den anderen dabei ständig im Weg herumstanden, fiel ihnen nicht auf.

Die angeheuerten Knechte, Fischer und Beutelschneider entwickelten eine emsige Aktivität.

„Ich staune nur, wie diese Kerle sich bei Nacht überall zurechtfinden“, meinte Bromley. „Die benehmen sich so, als kennen sie jede Planke von diesem Schiff. Ich wüßte nicht, wo ich zuerst anfangen sollte.“

„Ich auch nicht“, gab Burton ehrlich zu. „Du solltest jedoch in Zukunft nicht so voreilig sein, Mark. Dein Sprung ins Wasser hätte unter ungünstigen Umständen alles vermasseln können.“

„Ich will eben auch meinen Teil dazu beitragen. Sag mal, wo sind eigentlich die Schlafräume von diesen Kerlen? Ich meine, die müßten doch auch eine Küche haben, eine kleine wenigstens.“

„Was willst du denn dort?“

„Ich habe Hunger, und mit leerem Magen kann ich keinen klaren Gedanken fassen.“

„Jaja, ich verstehe“, sagte Burton seufzend. Er blickte Mark Bromley an, aus dessen Klamotten immer noch das Wasser troff. Der dilettantische Exhauptmann stand da und schnatterte wie eine Ente.

Den Weg zum Quartier mußten sie sich zeigen lassen, weder Burton noch Bromley fand ihn. Als sie dann endlich unten in der muffigen Kammer standen, wo noch immer schwach eine Lampe brannte, riß Bromley die Schapps auf und wühlte darin herum.

Er fand ein paar runzelige Mohrrüben, zwei Äpfel, ein Stück Hartbrot sowie einen kleinen Tiegel mit leicht ranzig riechendem Schmalz.

Ausgehungert, als hätte er tagelang nichts gegessen, fiel er darüber her, stopfte sich die Äpfel in den Mund, zerbrach das Hartbrot, stippte es in das ranzige Schmalz und schlang alles gierig hinunter.

Burton stand daneben und sah angewidert zu. Von dem Zeug hätte er keinen Bissen runtergekriegt, selbst nach drei Hungertagen nicht. Bromley kratzte auch noch den Rest des Schmalzes mit dem Finger aus dem Holztöpfchen, aber satt war er immer noch nicht, und so stöberte er weiter.

„Und wo ist die Küche?“ fragte er gierig.

„Die werden wir auch noch finden, keine Angst.“

Bromley wrang ein bißchen an seinen nassen Klamotten herum und hinterließ überall eine feuchte Spur, wo er ging und stand.

Die Kombüse war so klein, daß sich zwei Männer gerade darin aufhalten konnten. Ein entsetzlicher Geruch drang aus dem Raum. Als Bromley mit der Lampe hineinleuchtete, wunderte er sich über die Decke in der Kombüse, denn sie sah aus, als hätte man sie dick paniert. Dann kam aber ziemlich schnell Leben in sie, denn die Panierung war nichts anderes als eine Armee von Kakerlaken, die jetzt verstört nach allen Richtungen davonflitzten.

Burton ging mit einem Gefühl des Ekels hinaus. Er hörte Bromley rumoren, wühlen und Fußtritte austeilen, mit denen er gegen die Schapps donnerte. Offenbar hatte er wieder was zu essen gefunden, denn Burton hörte ihn mampfen.

Pfui Deibel, dachte er, der frißt sogar das von Kakerlaken und Kleister durchsetzte Mehl aus den Säcken. Dem mußten sie ja damals im Tower ganz gehörig zugesetzt haben. Diesen Hungertick würde er bis an sein Lebensende nie wieder loswerden.

Oben an Deck wurde geflucht. Schritte und Getrappel waren zu hören, Kugeln polterten an Deck. Die kleine Galeone wurde in Gefechtszustand versetzt und aufgeklart, und Bromley hockte hier unten und stopfte alles in sich hinein, was er an Eßbarem fand.

Endlich erschien er wieder, grinsend und erleichtert, wie Burton sah. Aus seiner rechten Hosentasche lugten noch ein paar der verrunzelten Karotten heraus. Notproviant für alle Fälle. Den hatte er eingesackt, damit ihm keiner etwas wegnahm.

Zusammen gingen sie wieder an Deck. Dort hatte sich einiges verändert. Die Stückpforten waren hochgezogen worden, die Kanonen ausgerannt, und an Deck sah es wüst aus.

Der Lange, dessen Namen Burton nicht wußte, der aber hier das Kommando über die anderen führte, wandte sich um.

„Wir sind fertig“, sagte er. „Hat eine verdammte Menge Schweiß gekostet, Mister.“

„Und mich eine verdammte Menge Geld“, sagte Burton kühl, denn er hörte genau den geldheischenden, lauernden Ton heraus.

„Dann können wir jetzt segeln?“

Burton sah prüfend zum Himmel. Es mußte schon weit nach Mitternacht sein, knapp drei Uhr, wie er schätzte. Der Wind war gerade richtig und die halbdunkle Nacht wie für einen Überfall geschaffen. Der Mond lugte nur hin und wieder zwischen den Wolken hervor und gab gerade so viel Licht, daß man Dinge unterscheiden und auseinanderhalten konnte.

„Ja, wir fahren los“, sagte er. „Ihr wißt ja, wie wir vorgehen werden. Dann aber nichts wie raus und den Kahn auf Land gesetzt.“

„Und wo genau?“

„Das überlasse ich euch. Die Stelle muß so gewählt sein, daß wir gute Fluchtmöglichkeiten haben. Ich glaube zwar nicht, daß man uns verfolgen wird, dazu wird alles zu schnell gehen, aber wir müssen ungesehen verschwinden können.“

Er beschrieb dem Langen noch die Stelle, wo die „Pride of Galway“ lag, und sagte ihm, daß sie möglichst außer Sichtweite des Kahns fahren sollten, doch das wußte der Lange selbst. Schließlich wollte auch er seine Haut nicht unnötig riskieren.

Dann übernahm der Lange selbst den Kolderstock, den Burton als „Knüppel“ bezeichnete, und gab mit leiser Stimme Kommandos. Burton und Bromley, der schon wieder eine dieser entsetzlich verschrumpelten Mohrrüben kaute, erklommen das Achterdeck und stellten sich breitbeinig hin wie Admiral und Kapitän, denn sie gehörten ja zur „Schiffsführung“.

Zwei Segel wurden gesetzt, anschließend kappten sie das Ankertau, und sofort begann die Galeone zu zerren. Noch aber hielten sie die Leinen.

„Le goooh!“ brüllte der Lange und stemmte sich mit aller Kraft gegen den „Knüppel“.

Dann ein feines Singen, und zwei Leinen schlängelten sich pfeifend zum Land hin und knallten ins Wasser.

Die alte Galeone legte ab und nahm Fahrt auf. Burton und Bromley rieben sich die Hände und grinsten in der Vorfreude auf das, was die Seewölfe erwartete. Bald würde ihr aufgelegter Neubau nur noch ein Trümmerhaufen sein.

Dicht unter Land rauschte Patricks alte Galeone an der Werft vorbei. Dort wirkte alles düster und drohend. Schiffsgerippe stachen wie schwarze Leichenfinger in den Nachthimmel. Wolken jagten am Himmel entlang, und das bißchen Mondlicht ließ alles noch gespenstischer erscheinen.

Burton hatte Mühe, Einzelheiten zu unterscheiden. Er wunderte sich nur über den dicken Rumpf auf der Werft und staunte, daß das Schiff schon so weit gediehen war.

„Ist es das?“ fragte Bromley heiser vor Aufregung. Burton biß sich auf die Lippen und nickte heftig.

„Ja, das muß es sein. Aber die können doch noch nicht die Masten aufgestellt haben.“

„Davon hat keiner was berichtet“, sagte Bromley nervös. „Da scheint noch ein anderes Schiff zu liegen. Man kann es verdammt schlecht unterscheiden.“

Das Mondlicht spielte ihnen ebenfalls einen Streich, denn der narbige Bursche versteckte sich schamhaft hinter einer finsteren Wolkenbank. Jetzt sah man nur noch Silhouetten, einen Rumpf, ein paar Bäume, die in den Himmel wuchsen, und zwei hingeduckte Schatten.

„Ich warte“, sagte der Lange ungeduldig. „Sie müssen sich schon entscheiden, Mister, denn ich kann bei diesem Wind nicht vor der Werft kreuzen. Welches ist es nun?“

„Das da drüben“, sagte Burton heiser. „Da, direkt, wo die beiden Schuppen sind.“

Der Lange kreuzte noch ein wenig auf. Die Galeone bewegte sich nur noch mühsam vorwärts. Später, wenn sie die eine Breitseite abgefeuert hatten, würde sich das ändern, dann hatten sie den Wind fast von achtern und konnten wie die Teufel hinaussegeln und die andere Breitseite abfeuern.

Noch einmal vergewisserte sich der Lange über das Ziel, dann gab er die Meldung weiter an einen Kerl, der lauernd am Niedergang des Achterdecks stand.

„Ohne Kommando feuern, wenn das Ziel erfaßt ist“, sagte er, woraufhin der andere wie ein Schatten verschwand.

Burton, eben noch voll hämischer Freude, fühlte sich jetzt gar nicht mehr so wohl in seiner Haut. Es war doch etwas anderes, einen Überfall zu planen, als ihn später auszuführen. Er hatte die Werft ganz anders in Erinnerung. Jetzt lag da ein Gewirr aus Schiffskörpern, Gerippen, Masten, ein Durcheinander ohne jeden scheinbaren Sinn.

Einen leichten Zweifel gab es noch, doch den räumte er skrupellos aus. Das mußte einfach der Neubau sein, nein, es gab keinen Zweifel daran. So hatten es ihm seine Spitzel berichtet, und so hatte er aus der Ferne selbst gesehen. Das waren auch keine Masten, das waren die hochgezogenen Seitenbalken von dem Neubau oder wie man diese gerippeähnlichen Hölzer nannte.

Er zuckte heftig zusammen. Bromley neben ihm erschrak so, daß er zu zittern begann, denn nun war der Teufel los.

Nacheinander zuckten vier gewaltige grelle Blitze aus dem Schiff. Sie erhellten die Nacht wie ein Gewitter. Ein urweltliches Brüllen brach los. Vier Rauchwolken hüllten das Deck ein, das sich so heftig bewegte, als löse es sich in seine Bestandteile auf.

Auf der Werft schlug es berstend und krachend ein, Trümmer flogen durch die Luft.

Die Kerle verstehen ihr Handwerk, dachte Burton beklommen, die schießen alles in Fetzen.

Noch immer regnete es Trümmer, dann zuckte dort drüben ein kleines Feuerchen auf. Weiß der Teufel, was die Kerle dort getroffen hatten oder was sich da entzündete.

„Helden zur See sind wir“, begann Bromley heroisch zu singen, aber Burton hörte das gar nicht. Noch immer versuchte er, in dem Gewimmel genauere Einzelheiten zu erkennen.

Die Galeone segelte noch ein Stück weiter, dann ging sie über Stag, die Segel wurden nachlässig getrimmt, sie killten und knatterten dann wie Musketenschüsse. Der Wind ließ das Schiff leicht krängen, dann fiel es fast von achtern ein, und jetzt nahm es rasch Fahrt auf.

Burton hielt sich krampfhaft am Schanzkleid fest und bewunderte insgeheim diese lausige Piratenbande, die sich an dem Brüllen, Grollen, Blitzen und Donnern gar nicht störte. Gestalten rannten über Deck, hantierten jetzt auf der anderen Seite an den Kanonen und lauerten, bis die Galeone wieder an ihrem Ziel vorbeilief.

Burton fühlte, daß er das Heft nicht mehr in der Hand hielt. Er sah auch mit einem Schauer des Entsetzens, daß sie zwar getroffen hatten, aber doch wohl leider das falsche Schiff erwischt hatten, denn es brannte auf der dickbäuchigen Galeone, aber nicht daneben. Da lag nämlich das Gerippe des anderen Schiffes immer noch unversehrt da.

Um Himmels willen, dachte er angstvoll. Hoffentlich hatten sie da keinen Mist gebaut.

Seine Augen tränten vom Starren, und er knetete aufgeregt seine fleischigen Finger.

Dann sprang er auf den Langen zu und rüttelte ihn an der Schulter.

„Verdammt! Ihr Arschlöcher habt das falsche Schiff getroffen!“ brüllte er enttäuscht. „Ich sagte doch …“

Was er noch sagen wollte, verstand niemand mehr. Auch Mark Bromleys Gesang von den Helden, die zur See fuhren, brach jäh ab, denn nun nahm der Feuerzauber seine Fortsetzung.

Egal, was Burton auch immer gerufen oder gebrüllt oder welche Befehle er gegeben hatte, die Kerle hörten nichts mehr. Sie tobten sich an den vier Kanonen mit einer wahren Begeisterung aus.

Abschuß, Feuer, Blitze, Rauch. Ein Einschlag, der alles erbeben ließ. Die zweite Kanone hämmerte ihre Kugel hinüber, gleich darauf die dritte, dann die letzte.

Mark Bromley sang laut und falsch und angstvoll, um sein Zittern zu kaschieren.

„Helden wie wir treffen immer, wir schießen alles in Trümmer, wenn auch die Welt untergeht, unser Kämpferherz stets überlebt.“

„Scheiße“, sagte der Lange fluchend. „Wir haben doch getroffen, das sehen Sie doch selbst.“

Drüben wurde der Brand größer. Ein Lichtschein zuckte auf, und vor dem Fockmast der Galeone brannte es. Die war jetzt auch als Galeone deutlich im Widerschein zu erkennen, auch das schwarze Gerippe dahinter sah man deutlich.

Burton hustete und schluckte, denn noch immer kriegte er diesen widerlich stinkenden Rauch ins Gesicht. Seine Augen tränten, er zitterte und war nahe daran, sich zu übergeben.

„Ihr blöden Säcke!“ schrie er den Langen greinend an. „Das – das ist die Galeone von Sir Lawrence, die ihr getroffen habt. Wenn das rauskommt, daß wir dahinterstecken, dann baumeln wir übermorgen alle am Galgen.“

Mark Bromley hatte die Worte vernommen, und ihm wurde ebenfalls speiübel vor Angst. Das ist ja wieder mal voll in die Hosen gegangen, dachte er entsetzt.

Sogar der Lange am Kolderstock wurde jetzt unruhig.

„Sir Lawrence?“ fragte er gepreßt.

„Ja, Sir Lawrence!“ brüllte Burton. „Jetzt, im Feuerschein, habe ich deutlich das Wappen gesehen. Und der versteht verdammt keinen Spaß in solchen Dingen, der segelt im Auftrag der Regierung.“

Ogottogott“, sagte der Lange.

Die anderen murrten laut und stiegen aufs Achterdeck. Weit hinter ihnen qualmte und brannte es, und als sie den Namen „Sir Lawrence“ vernahmen, da verging ihnen die Schadenfreude.

„Segel doch schneller, Kerl!“ fauchte Burton den Langen an, der nun immer biestiger wurde.

„Leck mich doch am Arsch!“ schrie er Burton an. „Mit solchen lausigen Kerlen wie euch soll man eben nichts anfangen. Ihr verdammten Hosenscheißer habt ja von nichts ’ne Ahnung.“

„Aber ich habe doch gesagt, ihr …“

„Halt die Schnauze, du Fettsack“, sagte ein anderer Mann. „Wir sind für jeden Spaß zu haben, aber damit wollen wir nichts zu tun haben. Du hast diesen Mist gebaut, du fetter Hund.“

„Jawoll!“ schrie ein anderer. „Man sollte den Kerl über Bord werfen oder noch besser gleich erledigen und den anderen Hungerleider dazu. Jetzt geht der Ärger los.“

Burton und Bromley sahen sich umringt. Was eben noch scheinbar so wunderbar geklappt hatte, änderte sich jetzt zum Schlechten.

An Land wurden Lampen entzündet. Leute erschienen, verschlafen und entnervt von dem plötzlichen Gedonner.

Das alles hatte der Lange einkalkuliert. Klar, daß dieser Feuerzauber nicht unbemerkt blieb, aber den ehrenwerten Sir Lawrence, den hatte er nicht auf der Rechnung gehabt. Und dieser wilde Fuchs würde natürlich alles daransetzen, um die Kerle zu kriegen die da sein stolzes Schiff mitten in der Nacht heimtükkisch und hinterhältig zusammenschossen und zu Trümmern verarbeiteten. Sir Lawrence hatte Verbindungen bis zum Hofe. Solch einem Mann schoß man nicht ungestraft die Galeone zusammen.

Daher war es nur verständlich, daß sich die Wut und der Ärger jetzt auf Burton und Bromley konzentrierten. Dem Exhauptmann war das Absingen von Heldenliedern gründlich vergangen, und Burton fühlte sich schlicht und einfach von Leuten bedroht, die in seinen Diensten standen und ihm jetzt ans Leder wollten.

Daher lenkte er rasch ein.

„Ich kann mich ja auch irren“, sagte er hastig. „Vielleicht war es doch ein anderes Schiff. Aber wir müssen jetzt eisern zusammenhalten, Leute, und keiner darf auch nur andeuten, daß er etwas von heute nacht weiß.“

Der Lange lachte verächtlich. Er segelte wie der Teufel persönlich.

„Ja, glaubst du Blödmann denn, wir werden das an die Kirchenglokken von Plymouth hängen! Wir setzen den Kahn jetzt auf, gleich da vorn, unter vollem Preß, und dann verschwinden wir ganz zackig in der Nacht. Wo ihr hingeht, ist mir scheißegal, aber folgt uns ja nicht. Verkriecht euch lieber in eine andere Gegend.“

Burton verstand die drastische Sprache nur allzu gut. Sie konnten wirklich noch froh sein, von den Kerlen nicht umgebracht zu werden.

Das war nun der Dank für eine große Sache!

„Klar, das tun wir“, versicherte er schnell. „Es soll auch euer Schaden nicht sein. Ich werde mich erkenntlich zeigen.“

„Mit dir wollen wir nichts mehr zu tun haben, du Fettkloß“, rief ein Mann mit kantigem Gesicht. „Halt besser die Schnauze und sieh zu, daß du nachher ganz schnell deine Gräten in die Hand nimmst.“

Die Nacht war jetzt rabenschwarz. Weit hinten an der Werft aber zuckte immer noch der Lichtschein durch die Nacht, und vom Hafen her war Gebrüll zu hören. Sie segelten unter vollem Preß ins Nichts hinein. Burton sah voraus nicht einmal mehr die Hand vor Augen. Zitternd und weiß vor grenzenloser Wut und Enttäuschung stand er an Deck und dachte über sein Pech nach. Bromley sagte auch nichts mehr, der hatte die Hosen gestrichen voll vor Angst.

Der Kerl am Kolderstock aber schien Augen wie ein Luchs zu haben. Er segelte so hart, als befinde er sich mitten in einem Ozean. Dann ließ er ganz plötzlich den Kolderstock los und warf sich auf die Planken. Burton und Bromley standen noch wie versteinert herum. Dann wurde die Galeone plötzlich von einer mächtigen Faust gestoppt. Von einer Sekunde zur anderen stand sie still, als sei sie in eine Mauer gerannt.

Burton sauste wie eine Kanonenkugel über das Deck und schlug schwer auf. Er schlug sich die Nase an den Planken blutig und spürte, wie eine zweite Gestalt aufschreiend in seinem Kreuz landete. Das war der Exhauptmann Mark Bromley, der ebenfalls nichts von der Seefahrt wußte. Vor allem nicht, daß man sich in einem solchen Fall vorsorglich einen festen Halt verschafft.

Zum Glück war Burton fleischig und massig, und so passierte Bromley nicht viel. Burton selbst hatte da wesentlich mehr abgekriegt.

Etwas brach mit berstendem Knall, Kerle schrien und fluchten in der übelsten Weise, und dann knallte etwas an Deck, was sich so anhörte, als würde ein Wald gerodet. Ein dumpfes Rauschen, dann deckte ein schweres, feuchtes Segel die beiden Kerle zu, die darunter zappelten und angstvoll schrien.

Burton konnte sich schließlich befreien und zog den zähneklappernden Exhauptmann unter dem Segel hervor.

„Hallo!“ schrie er dann. „Wo seid ihr?“

Damit meinte er die anderen. Aber die hatten nicht auf ihn gewartet, sondern die Zeit genutzt. Sie waren über Bord gesprungen, hatten die Beine in die Hand genommen und waren losgelaufen. Burton und Bromley befanden sich allein auf einem verlassenen Schiff.

Bromley fluchte wild, rannte umher, stieß sich den Schädel und fluchte weiter.

„Schrei nicht so!“ fuhr Burton ihn an. „Die hören dich ja bis zur Werft. Wo sind wir hier überhaupt?“

„Keine Ahnung“, jammerte Bromley. „Ich glaube, wir sind mitten auf einer Wiese gelandet. Wie – wie steigen wir denn hier aus?“

„Rutschen“, sagte Burton lakonisch. „Der Kahn liegt ja ganz schief. Vielleicht können wir vorn hinunterrutschen.“

Sie konnten aber nicht rutschen, und so hangelten sie sich über das Schanzkleid, ruderten und zappelten mit den Beinen, fanden aber keinen Grund.

Da ließ Burton sich einfach fallen. Mit einem Aufschrei landete er der Länge nach im Wasser. Bromley schlug wie ein nasser Sack direkt neben ihm ein. Er erhob sich torkelnd, tastete nach Burtons fleischiger Hand und zog ihn mit sich.

Das Wasser wurde immer tiefer. Erst ging es ihnen nur bis zu den Knien, jetzt reichte es schon fast bis zur Brust.

„In die andere Richtung, du Hammel!“ fluchte Burton. „Und laß mich endlich los, mir reicht es.“

„Wo sind denn nur die anderen?“ fragte Brommley immer wieder. „Die hätten doch noch warten können.“

Burton gab keine Antwort. Er fühlte sich hundeelend, ihm war übel, sein Körper schmerzte, und der Ärger fraß ihn fast auf.

„Wir hätten das anders anpacken sollen“, keuchte er, als er endlich an Land war. „Ich weiß nicht, wie die anderen das immer schaffen, aber bei mir geht alles schief. Los, da hinüber, über den Strand, Mark!“

„Bei mir geht auch immer alles schief“, jammerte Bromley. „In dem stinkigen London hat es angefangen, und kaum bin ich wieder frei, muß ich weitere Qualen erdulden. Ist das denn gerecht, Samuel?“

„Nein, gewiß nicht“, knurrte Burton.

Sie humpelten über den Strand und bemitleideten sich gegenseitig.

Hinter den Büschen begannen sie zu rennen.

„Wir hauen uns in den alten Schuppen auf der Wiese hinter meinem Haus“, sagte Burton. „Da sucht uns niemand, falls sie herauskriegen, wer das war.“

„Mir ist alles egal, Samuel.“

„Mir nicht. Weiter jetzt!“

Dann verschluckte sie die Dunkelheit.

Seewölfe Paket 15

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