Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 19
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ОглавлениеErst gegen zwei Uhr am Nachmittag wurden unten im Hafen von Falmouth die Leinen gelöst. Zwölf wüste Kerls gehörten zur Stammbesatzung der Karavelle, die Sir John sein eigen nennen konnte. Sie war gut bestückt, denn sie diente dem alten Schnapphahn ja dazu, bei den Scillys oder in der Irischen See herumzuwildern. Er konnte ja nie den Hals voll genug kriegen, und das ausschweifende Leben, das er zwischendurch führte, verschlang ganz hübsche Sümmchen.
Armiert war die Karavelle mit je sechs Culverinen an Backbord und an Steuerbord, ferner mit demontierbaren Relingsbüchsen – zehn an der Zahl –, die überall jederzeit in die dafür vorgesehenen Halterungen auf dem Schanzkleid eingesetzt werden konnten, sowie mit je vier Dreh@assen auf dem Achterdeck und der Back.
Zur Bedienung dieser Waffen hätte Sir John gern ein paar Kerle mehr gehabt, aber da wäre dann auch mehr Sold fällig gewesen, und er war nun mal ein notorischer Geizkragen, was die Bezahlung seines Gesindes oder seiner Mannschaft betraf. So war er auch stets unterbemannt, was er aber dahin ausglich, daß er von seinen Kerlen eben mehr als üblich an persönlichem Einsatz verlangte. Sie hatten statt zwei Händen eben vier Hände zu haben – basta. Daß er seine beiden Ferkelsöhne als zusätzliche Decksleute betrachtete, versteht sich am Rande.
Dieser verwilderten Crew stand ein Bootsmann vor, O’Leary mit Namen, ein rüder Klotz von einem Kerl mit Holzhackervisage, mächtigen Fäusten und einem breiten Kreuz. Wenn Sir John nicht an Bord war, dann hatte er die Funktion eines Kapitäns. Er war ein guter Seemann und verstand auch was von der Navigation.
Hier muß noch hinzugefügt werden, daß O’Leary den beiden Ferkelsöhnen übergeordnet war, was bedeutete, daß er mit ihnen nach Belieben verfahren konnte, ohne vom Alten deswegen gerüffelt zu werden, ja, er verlangte sogar, daß O’Leary den beiden „Lümmeln“ was an die Ohren gab oder sie in den Hintern trat, wenn sie Mist bauten oder meinten, faulenzen zu dürfen.
Das hatte überhaupt nichts mit Erziehung zu tun, die mit spätestens zwanzig Jahren hätte abgeschlossen sein müssen. Nein, von solchen Überlegungen war Sir John meilenweit entfernt. Er hatte nur eine perverse Freude daran, seine Söhne zu kujonieren und zu piesacken – und was ihm bei Philip Hasard Killigrew nicht gelungen war, das ließ er an seinen beiden Ferkelsöhnen aus, ungeachtet dessen, daß diese Söhne bei einer solchen „Erziehung“ weiß Gott nichts anderes als nichtsnutzig werden konnten.
Wahrscheinlich auch wußte der Alte nichts von der Redensart in seinem Land, die da lautet: like a cornered rat – wie eine in die Enge getriebene Ratte. Denn das konnte eines Tages passieren, daß sich seine Söhne wie cornered rats fühlten und so handelten, nämlich mit dem letzten wahnsinnigen Mut der Verzweiflung den Folterknecht anzuspringen und sich in ihn zu verbeißen.
Seltsamerweise war es der dümmliche Thomas Lionel, der an diesem Tage zur Ratte wurde.
Es ließ sich alles gut an, wenn man von der schlechten Laune und der Brüllerei des Alten einmal absah.
Ein paar von den zwölf Kerlen, die allesamt so rechte Galgenstricke waren, drückten mit langen Bootshaken die Karavelle von der Pier weg, bis sie im Wind lag, der von Westen wehte. Die Fock wurde backgesetzt, bis der Bug nach Lee zu drehen begann, dann herumgeholt, während gleichzeitig auch Großsegel und Besan vorgeheißt wurden. Der Alte stand selbst am Ruder, während O’Leary, der Bootsmann, das Segelsetzen und Durchholen der Schoten überwachte.
Burton und Bromley befanden sich natürlich an Bord. Sie standen reichlich überflüssig auf dem Achterdeck herum und damit jedem im Wege. Von der Seefahrt verstanden sie soviel wie die Kuh vom Bauerntanz. Da ihnen die See dazu noch fremd war, hatten sie Beklemmungen, Schweißausbrüche und das dumpfe Gefühl, demnächst von dem nassen Element verschlungen zu werden.
Dieses Gefühl verstärkte sich, als sich die Karavelle nach Lee neigte und mit halbem Wind die Bucht von Carrick Roads durchlief und an Pendennis Point vorbei Zone Point ansteuerte, die Spitze jener Halbinsel, die gerundet werden mußte, wenn man entlang der kornischen Küste Plymouth anlaufen wollte.
Noch war bei dem Wind aus Westen die Bucht von Carrick Roads gut geschützt und der Seegang beileibe nicht aufregend. Aber der dicke Burton und sein Kumpan Bromley standen seltsam verdreht auf den Planken des Achterdecks und klammerten sich am Schanzkleid an Steuerbord fest, als befürchteten sie, im nächsten Moment auf dem mäßig schiefgeneigten Deck abwärts nach Lee zu rutschen.
Ihre Haltung sah schon reichlich komisch aus. Sie wirkte, als hätten sie die Hosen voll. Und Ihre Mienen wiesen aus, daß sie von erbärmlicher Angst erfüllt waren. Die durchzechte Nacht war auch nicht dazu angetan, ihr Wohlbefinden zu stärken.
Als Zone Point gerundet und damit die Atlantikdünung wirksam wurde, passierte das, was für Landratten vom Schlage dieser beiden Spitzbuben obligatorisch ist.
Ihre Mägen stiegen ihnen durch die Kehlen, und sie opferten. Ungetrübt von den Gesetzen des Windes entleerten sie sich, über dem Schanzkleid hängend, nach Luv. Das Zeug – noch nicht verdaute Spiegeleier mit Speck und Roggenbrot – flog ihnen wieder entgegen und um die Ohren, verkleisterte ihnen die Augen, das Gesicht und die Halskrausen, und so stimmten sie unisono ein Jammergebrüll an, als befänden sie sich auf dem Wege zur Schlachtbank.
Das war so richtig was für den Alten, der die Ruderpinne einem der Kerle übergeben hatte. Er lachte sich halbtot über die beiden Gestalten am Steuerbordschanzkleid. Dann wurde ihm der Geruch zuwider, der ihn von dort anwehte, und er brüllte den Bootsmann an, dafür zu sorgen, daß die Schweinerei, mit der auch das Deck bekleckert war, beseitigt würde.
O’Leary stand auf der Kuhl, röhrte sein „Aye, aye, Sir!“ und scheuchte Thomas Lionel aufs Achterdeck, nachdem er ihn angebrüllt hatte, was er mitzunehmen hätte, nämlich eine Pütz samt Fangleine, eine Handbürste und einen Lappen.
Thomas Lionel gehorchte.
Inzwischen war gehalst worden, und die Karavelle lag nunmehr über Steuerbordbug auf Nordost-Kurs, um Dodman Point anzusteuern, die nächste Halbinselspitze auf dem Wege nach Plymouth. Der Wind aus Westen fiel raumschots ein, die Karavelle wiegte sich in der von achtern anlaufenden Atlantikdünung – für magenschwache Landratten eine sehr üble Bewegung, die beharrlich und stetig ein Schiff hochklettern und hinuntergleiten läßt. Beim Hochklettern schwenkte der Bug hoch, beim Hinuntergleiten das Heck. Mit dem Magen verhält sich das nahezu synchron. Feste Mägen vertragen das, schwache Mägen rebellieren.
Bei Burton und Bromley rebellierten sie also weiterhin.
Sie hatten inzwischen begriffen, daß es unzweckmäßig war, gegen den Wind zu opfern. So lehnten sie jetzt achtern am Schanzkleid, den Rücken fast zum Wind, und versauten die Planken. Sie hatten noch allerlei in ihren Mägen.
Der Alte, achtern drüben am Backbordschanzkleid, sah genüßlich und grinsend zu, als sein Sohn Thomas Lionel, bewaffnet mit Pütz, Handbürste und Lappen, den Niedergang hochenterte, auf dem Achterdeck jedoch stehenblieb und zögerte.
O’Leary tauchte hinter ihm auf, verpaßte ihm spornstreichs einen Tritt in den Hintern und beförderte ihn auf diese Weise in Richtung des verunreinigten Decks, also dorthin, wo es nicht sehr appetitlich aussah.
Thomas Lionel sauste bäuchling über die Ferkelei auf den Planken und nahm insofern bereits mit seinen Klamotten eine Art Vorreinigung vor. Seine Rutschfahrt endete kurz vor den beiden Gentlemen, denen so speiübel war. So passierte es, daß er deren Magenkram auch noch ins Genick kriegte, sozusagen frisch, denn die beiden Gentlemen scherte es nicht, wer da zu ihren Füßen lag. Er hätte ja woanders hinrutschen können.
Als Thomas Lionel noch ein Bübchen gewesen war, da hatte sich sein älterer Bruder Malcolm oft daran verlustiert, ihm kaltes Wasser hinten in den Kragen zu gießen oder bei Frost auch mal Eisstückchen dort hineinzustopfen. Wenn dann der kleine Thomas Lionel wie am Spieß gebrüllt hatte, war Malcolm ganz weg gewesen vor lauter Lust an diesem Spaß.
Seit jenen Jahren reagierte Thomas Lionel nahezu hysterisch, wenn ihm irgend etwas hinten ins Genick geriet, es brauchte gar nicht einmal kalt zu sein.
Einmal war ihm unter Deck, als er mit seinem Alten und Simon Llewellyn an der Back gesessen hatte, eine Kakerlake hinten in den Kragen gefallen. Die war ihm noch dazu den nackten Rücken hinuntergekrabbelt. Da hatte er sich gebärdet wie ein Tobsüchtiger, einen Veitstanz hatte er aufgeführt, Geschirr zerschlagen und die Kammer demoliert. Erst ein Kinnhaken des Alten hatte ihn außer Gefecht setzen können.
Da war nun dieses Mal etwas anderes im Genick des Thomas Lionel gelandet, etwas nicht sehr Schönes, denn es roch mächtig übel. Für etliche Sekunden lag der Ferkelsohn starr und stumm platt auf den Planken, stierte das Holz an und das, was sich dort schon angesammelt hatte. Gleichzeitig spürte er jenes andere bereits im Genick, und er wagte kaum, sich zu rühren, damit es nicht tiefer rutschte.
Schritte waren hinter ihm, gleich darauf klatschte ein Tauende auf seinen Hintern, und die Stimme O’Learys dröhnte in seine Ohren.
„Willst du da pennen, du Sack?“ brüllte der Bootsmann. „Hoch mit dir, verdammt noch mal! Hier wird nicht gefaulenzt!“ Und wieder kriegte er das Tau zu kosten, schon härter als zuvor.
Das genau war der Moment, der jene Situation heraufbeschwor, in der Thomas Lionel, der plumpe, dumme Kerl, zu einer in die Enge getriebenen Ratte wurde.
Er schoß mit einem schrillen, quiekenden Schrei von den Planken hoch, als sei er von dort abkatapultiert worden. Dann passierte etwas, was für O’Leary viel zu schnell ging, um noch reagieren zu können. Er hatte auch mit gar keiner Gegenwehr gerechnet.
Thomas Lionel kreiselte herum, schwang dabei die Pütz mit der Fangleine aus, die Leine prallte seitlich an das Kinn des Bootsmanns und hatte genug Drall drauf, um sich samt Pütz um dessen Hals zu wikkeln.
Dieses Mal brüllte Thomas Lionel wie ein wilder Stier, dann packte er blitzschnell mit der anderen Hand zu und riß die Fangleine mit einem wahnsinnigen Ruck zu sich heran, sprang aber gleichzeitig zurück.
Der Ruck genügte, um den Klotz von Bootsmann umzuwerfen. Mit der schweren Masse seines Körpers krachte er vierkant auf die Planken und begrub die Pütz unter sich. Die Fangleine lag wie eine Würgemanschette um seinen Hals.
Thomas Lionel geriet außer sich vor Triumph, den Kerl umgelegt zu haben. Mit einem Satz sprang er auf den Rücken des Bootsmanns und trampelte wie ein Irrer auf ihm herum, als wolle er ihn durch das Deck stampfen.
Der dicke Burton und der hagere, krummrückige Bromley flüchteten schreiend vor den Ruderstand. Die anderen Kerls an Bord standen wie erstarrt. Das hatte noch keiner geschafft, den Bootsmann O’Leary von den Füßen zu holen.
Simon Llewellyn wieherte über den Spaß wie ein liebeshungriger Hengst, und dann nahm er die seltene Gelegenheit wahr, sich ebenfalls an dem Bootsmann für die bisher empfangenen Prügel, Fußtritte und Beschimpfungen zu rächen. Er tobte aufs Achterdeck, stieß seinen Bruder weg und bearbeitete den Bootsmann mit Fußtritten.
Thomas Lionels Tätigkeitsdrang war noch längst nicht erloschen. Grölend packte er den Haarschopf des Bootsmanns und donnerte dessen Kopf auf die Planken.
„Aufhören!“ brüllte der Alte, hochrot im Gesicht vor Wut. „Seid ihr verrückt geworden?“
Seine Söhne waren taub. Wer Rache nimmt, hört nichts mehr. Sie warfen sich über den Bootsmann und prügelten mit den Fäusten auf ihn ein. Sie rissen ihm Haare aus, kniffen und zwackten ihn, und wenn sie Wölfe gewesen wären, hätten sie ihn auch aufgefressen. Kurz, sie tobten wie die Wilden auf ihm herum.
Der Alte beging den Fehler, seine tobsüchtig gewordenen Söhne in der alten Manier bändigen zu wollen, das heißt, zu versuchen, ihnen Maulschellen zu verpassen. Das mißlang gründlich.
Entweder waren sie allmählich immun geworden, oder sie empfanden zur Zeit nichts mehr, weil sie außer sich vor Lust waren, es dem gefürchteten und gehaßten Bootsmann endlich einmal heimzahlen zu können – letzteres traf wohl zu. Das heißt, die Bestien waren los und total entfesselt.
Der Alte wurde von einem wilden Schwinger Simon Llewellyns erwischt und geriet gleichzeitig mit dem Kinn unter den hochruckenden Kopf Thomas Lionels. Dem machte das überhaupt nichts aus, weil er sowieso nur Stroh im Kopf hatte. Aber das Kinn des Alten war empfindlich, ganz abgesehen von dem Schwinger, der auf sein rechtes Ohr krachte.
Die Nacht war für Sir John schon mies genug gewesen, die Prügel von Lady Anne gegen Mittag hatte er auch noch nicht verdaut, also nippelte er ab wie eine verlöschende Kerze. Er rollte – dieses Mal jenseits von Gut und Böse – über die Planken nach Lee, und da war zum Glück das Steuerbordschanzkleid, das ihn davor bewahrte, außenbords ein kühlendes Bad zu nehmen.
Genau das wäre der Moment für seine beiden Ferkelsöhne gewesen, das Kommando über die Karavelle an sich zu reißen – nicht nur über die Karavelle, sondern im weiteren Sinne auch über die Feste Arwenack. Eine bessere Gelegenheit würden sie aller Wahrscheinlichkeit nie mehr erhalten – der Alte total aus dem Gefecht und der Bootsmann ebenso.
Aber sie waren zu bescheuert, um die Gunst der Stunde zu begreifen. Der dämliche Thomas Lionel nämlich verließ seinen Standort auf dem Rücken des Bootsmanns und stolperte zum Steuerbordschanzkleid, um seinen Alten weiter in die Mangel zu nehmen.
Da war also plötzlich einer weniger auf dem Rücken des Bootsmanns, der gerade in diesem Augenblick mit dem Ersticken kämpfte und sich in einem letzten Reflex aufbäumte. Das geschah so jäh, daß Simon Llewellyn von seinem Rücken geschleudert wurde. Fast automatisch griff O’Leary nach der Fangleine um seinen Hals und löste sich aus der Erdrosselung. Die Pütz flog sonstwohin.
Mit einem mächtigen Atemzug holte der Bootsmann Luft in seine Lungen, mit dem nächsten Atemzug war er auf den Beinen, wirbelte herum, griff sich Simon Llewellyn, der sich noch nicht aufgerappelt hatte, und damit war die Schlacht auf dem Achterdeck der Karavelle auch schon entschieden.
Simon Llewellyn sank mit glaisgen Augen nach einer Explosion an seinem Kinn auf die Planken, und Thomas Lionel landete Sekunden später neben ihm, gleichfalls im Zustand totaler Passivität. Da war nichts mehr drin. Die alte Ordnung war wiederhergestellt, alles blieb so, wie es gewesen war.
Der Zorn des Alten, als er ins Bewußtsein zurückkehrte, war fürchterlich. Seine beiden Söhne, die ein einziges Mal über ihn triumphiert hatten, fanden sich in der Vorpiek wieder, gefesselt an Händen und Füßen, grün und blau geschlagen.
Aber irgendwann würden sie wieder den Zustand von „cornered rats“ erreicht haben und die Bestie in sich loslassen. Ob der Alte das überleben würde, war jetzt schon fraglich.
Es ging auf eine Stunde vor Mitternacht zu, als die Karavelle Rame Head passierte, dann Penlee Point rundete und mit nunmehr halbem Wind in die Cawsand Bay steuerte. Das Feuer von Breakwater, dem schmalen langen Wellenbrecher im Plymouth Sound, blieb an Steuerbord.
Der Wind aus Westen wehte nicht mehr so stark, eher mäßig. Und die Sicht war alles andere als klar. Nebelschwaden hatten sich gebildet und waberten über dem Wasser. Ab und zu rissen sie auf und gaben die Sicht frei.
Wären der dicke Burton und sein hagerer Kumpan beim Passieren von Rame Head in den Großmars geentert, dann hätten sie an dem Kai zur Werft des Hesekiel Ramsgate die Zweimast-Sambuke und die irische Galeone gesehen.
Aber keine hundert Pferde hätten sie auf den Mars gebracht – Gott bewahre! Und das auch noch bei Dunkelheit! Und dann in ihrem leidenden Zustand! Ihre Mägen waren zwar so leer wie die Geldkatze eines bankrotten Kaufmanns, aber ihnen war nach wie vor hundsmiserabel zumute. Das Würgen hatten sie immer noch in den Kehlen. Sie fühlten sich schlapp und wie ausgewrungen.
Die Karavelle war gefechtsklar.
Natürlich brauchte Sir John jetzt jede Hand. Und darum hatte er auch seine Ferkelsöhne aus der Vorpiek holen lassen. Ihr einmalig aufgeflammter Widerstand war gebrochen. Sie standen ziemlich lahm und krumm auf der Kuhl, Thomas Lionel an einer Backbord-Culverine, Simon Llewellyn an einer auf der Steuerbordseite. O’Leary, der Bootsmann, belauerte sie mit einem Auge. Er traute dem Frieden noch nicht, obwohl er diese beiden Killigrews verachtete und für miese Schlappschwänze hielt. Beim geringsten Aufmucken würde er ihnen den Marsch blasen, handfest mit den Fäusten, versteht sich.
Wie ein Geisterschiff glitt die Karavelle durch die Nebelfetzen. Graue Schwaden in den bizarrsten Formen tanzten wie Gespenster über die Decks, mal da, mal dort. Schemenhaft flatterten sie vorbei, lautlos, kalt und feucht. Nässe schlug sich überall nieder.
Natürlich waren alle Lichter gelöscht. Nur in den Kohlebecken brannte die Glut zum Zünden der Lunten – dunkelrote Höllenaugen längs der beiden Schanzkleider.
Sie lauschten und spähten alle in die diesig-neblige Nacht. Andere Schiffe waren noch nicht gesehen worden, und darauf spekulierte Sir John auch. Er wollte unbemerkt bleiben. In einer Nacht wie dieser hatte er dafür auch die besten Voraussetzungen. Was ihm allerdings passieren konnte, das war das mögliche Pech, einen Ankerlieger zu rammen.
Das war eben das Unwägbare. Auf der weiten See konnte es ein Kapitän riskieren, in Fahrt zu bleiben. Das mußte schon mit dem Teufel zugehen, in der Weite des Atlantik ein anderes Schiff im Nebel über den Haufen zu rennen.
Eins war sicher: bei dieser verhangenen Sicht lief kein Kapitän mit seinem Schiff aus Plymouth aus. Von daher war also nichts zu befürchten. Aber Schiffe, die den Hafen von Plymouth anlaufen wollten und in den Nebel geraten waren, die würden vor Anker gegangen sein, um bessere Sicht abzuwarten. Und mit diesen Schiffen mußte Sie John rechnen, ganz abgesehen von diesen oder jenen Seglern, die vor dem Hafen aus irgendwelchen Gründen auf Reede lagen.
Es war also keineswegs ungefährlich, sich bei diesen Sichtverhältnissen in den Hafen zu wagen. Allerdings war der alte Schnapphahn kaltschnäuzig genug, es eben doch zu riskieren. Er gehörte ja auch zu der rauhbeinigen Sorte. Wenn er zu seinen Raubfahrten auslief, mußte er ganz andere Risiken auf sich nehmen. Vom Nebel hatte sich der Alte noch nie ins Bockshorn jagen lassen. Die Witterungsverhältnisse an den Küsten von Cornwall waren ihm viel zu vertraut. Der Nebel gehörte dazu.
Der Alte war oft in Plymouth gewesen. Er kannte sich mit den Gegebenheiten aus und war sich selbst der beste Lotse. In etwa einer halben Stunde mußte Steuerbord voraus die Felseninsel St. Nicholas gesichtet werden – wenn der Nebel nicht noch dicker wurde. Dann allerdings würde auch Sir John gezwungen sein, den Anker zu werfen und darauf zu warten, daß die Sicht besser wurde.
Die St.-Nicholas-Insel, von der man sich an der kornischen Küste erzählte, daß sie in Drake-Insel umgetauft werden sollte, zu Ehren des Admirals, lag direkt vor der Mill Bay, etwa eine Meile von ihr getrennt. Und auf der Ostseite der Mill Bay, so hatten Burton und Bromley jedenfalls behauptet und darüber auch eine Zeichnung angefertigt, sollten an der Pier die „Pride of Galway“ und der fremdländische Zweimaster vertäut sein.
Bei dem Wind aus Westen war das alles sehr günstig. Sir John würde sich an dem Fort Eastern King, vorbeimogeln, in die Mill Bay vorstoßen, dicht an der Ost-Pier vorbeisegeln und die volle Steuerbordbreitseite in die irische Galeone feuern. Vor der Mill Bay Road würde er anluven, durch den Wind gehen und auf Gegenkurs nun die Backbordbreitseite zum Einsatz bringen.
Bei einer Distanz von etwa fünfzig Yards mußte jede Kugel voll treffen. Da konnte selbst ein schielender Schwachsinniger nicht danebenballern. Wenn doch, würde er dem Kerl etwas zu kosten geben, nämlich die Neunschwänzige. Schließlich ging es nicht an, daß Sir Johns Pulver und Kugeln sinnlos vergeudet wurden, nur um schöne Fontänen aus dem Wasser zu zaubern. Das Schießzeug war eh teuer genug, damit konnte man nicht herumaasen.
O’Leary erschien auf dem Achterdeck und näherte sich dem Alten, der beim Rudergänger stand.
„Sir“, sagte er, „gestatten Sie, daß ein Mann als Ausguck am Bug geht? Wir finden dann die Einfahrt in die Mill Bay leichter.“
Der Alte winkte ab. „Nicht nötig, O’Leary. Die finde ich im Schlaf.“
„Ich meine nur wegen des Nebels, Sir. Der wird dicker.“
Da hatte der Bootsmann allerdings recht. Sir John spähte voraus. Da war im Moment noch nicht einmal der Bug der Karavelle zu sehen, sondern nur eine grau-weiße Wand, die Sekunden später auch den Großmast erreichte und im Nu einhüllte, als würde er in Watte verpackt. Kurz darauf legten sich die milchigen Schleier auch über das Achterdeck.
Sir John fluchte verbittert. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
„Raus mit dem Anker!“ knurrte er seinen Bootsmann an. „Fiert weg die Segel! Beeilung, sonst brummen wir auf die verdammte St.-Nicholas-Insel!“
„Aye, aye, Sir.“ Der Bootsmann verschwand wie ein Geist in der Nebelsuppe.
„Anluven!“ blaffte der Alte dem Rudergänger zu.
Der wiederholte den Befehl und @egte Ruder. Jetzt war nur zu ahnen, wie der Bug der Karavelle in den Wind schwenkte. Undeutliche Stimmen drangen durch die Watte. Tauwerk knarrte, irgendwo quietschte ein verdammter Block. Dann klatschte etwas ins Wasser – der Buganker. Wenn er nicht faßte, würden Wind und die Versetzung durch den Strom, der ostwärts driftete, die Karavelle drüben zwischen der Batten Bay und Stadden Point an Land setzen, oder sie würden sich dort irgendwo in den Modder wühlen.
Mahlzeit!
Und der Alte fluchte wieder. Zu allem Überfluß tauchte eine Gestalt in der Milchsuppe vor ihm auf und befummelte ihn tastend.
„Pfoten weg!“ knurrte Sir John.
„Ah, Sie sind es, Sir, Verzeihung …“ Der dicke Burton war es. Er schnaufte erregt und roch sauer. „Ist – ist was passiert, Sir?“
Sir John stöhnte. Was für eine dämliche Frage!
„Ja, es ist was passiert!“ fauchte er.
„Oh! Was denn?“
„Nichts!“ brüllte Sir John. „Wir sind nur ein bißchen eingenebelt, Sie Holzkopf!“
Plötzlich ruckte die Karavelle, und der dicke Burton fiel dem Alten um den Hals.
„Hilfe!“ röchelte er. „Ich – ich ertrinke …“
„Quatsch! Der Anker ist eingeruckt!“ Der Alte stieß den Dicken von sich. „Mann, bleiben Sie mir bloß vom Leib! Sie stinken wie eine vergammelte Wildsau!“
Der Bootsmann tauchte auf.
„Anker hat gefaßt, Sir“, meldete er.
Sir John nickte. Dann sagte er barsch: „Bringen Sie Mister Burton unter Deck, O’Leary. Den anderen auch, falls Sie ihn finden.“
„Ich will aber nicht unter Deck!“ jammerte der Dicke. „Mir ist so schlecht …“
O’Leary packte ihn einfach am Genick und schob mit ihm ab.
Sir John tastete sich hinüber zum Backbordschanzkleid und lehnte sich dagegen.
„Saunebel“, murmelte er.