Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 8

4.

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Der Profos Edwin Carberry stierte sich fast die Augen aus. Anfangs hatte es so ausgesehen, als hätten Hasard und Dan den alten Hesekiel Ramsgate gefunden und brächten ihn nun zurück. Aber Ramsgate unterschied sich von diesem Mann doch beträchtlich, und so stierte der Profos weiter. Dann zuckte er zusammen.

„O Großlord“, sagte er andächtig und grinsend, „wenn das nicht der alte Affenarsch und Sauertopf Mac Pellew ist, dann soll mich doch gleich ein Eisbär am Hintern kratzen.“

„Mac Pellew?“ fragte Smoky. „Der hat sich doch längst in Essig verwandelt, du mußt dich täuschen, Ed.“

„Und ich sage euch, er ist es, ihr trübäugigen Kanalratten.“

Gespannte Gesichter sahen den drei Männern entgegen. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr: Das frisch gewaschene Individuum war tatsächlich der gute alte Mac. Wo mochte Hasard den wohl aufgegabelt haben? Das war die Frage, die sich jeder neugierig stellte.

Sie alle hatten ihn viele Jahre lang nicht mehr gesehen, und keiner wußte, was aus ihm geworden war. Und jetzt war er da, frisch wie aus dem Ei gepellt, schicklich in helles Tuch gekleidet und mit gestutzten Haaren.

Er winkte schon von weitem, riß dann beide Arme hoch und brüllte schließlich vor Freude. Dabei schniefte er ständig und konnte nicht vermeiden, daß abermals Wasser in seine Augen trat.

„Ah, der Profos“, flennte er und umarmte Carberry. Die meisten von ihnen kannten sich noch von der „Marygold“ her, und Mac flitzte hin und her, flennte, umarmte, hockte sich dann an Deck und begrüßte die Männer, die er noch nicht kannte.

Dann erzählte er seine Geschichte, und als er damit fertig war, sagte der Profos: „Mac könnte doch an Bord bleiben, Sir. Wenn wir den Neubau fertig haben, brauchen wir noch einen guten Zweitkoch. Und kochen kann der alte Bursche, wirklich.“

„Deshalb haben wir ihn auch mitgenommen“, sagte Hasard. „Dasselbe schwebte nämlich Dan und mir ebenfalls vor.“

Damit war Mac Pellew in den Kreis alter und neuer Freunde aufgenommen. Anschließend lernte er die Zwillinge kennen und erfuhr auch die Geschichte dazu.

„Die sind dir wie aus dem Gesicht geschnitten, Sir“, sagte er, „das ist einfach unglaublich.“

Hasard beobachtete seine Söhne, ob sich auf deren Gesichtern Ablehnung abzeichnete, doch davon war nichts zu erkennen. Anders als bei dem alten Schlitzohr Ali Abdel Rasul, dem sie sofort mit allergrößtem Mißtrauen begegnet waren, benahmen sie sich. Sie waren freundlich, musterten Mac und fanden ihn in Ordnung. Auch Old Donegal hatte diesmal nichts auszusetzen, aber er glaubte, Mac Pellew schon einmal gesehen zu haben. Sicher war er sich seiner Sache allerdings nicht. Und wenn, dann war das schon verdammt lange her.

Nach und nach erfuhr Mac Pellew so alles, was in der Zwischenzeit passiert war, und er erfuhr auch, daß sie ein kleines Problem am Hals hatten, das ihnen Schwierigkeiten bereitete.

„Jetzt ist dieser Mann spurlos verschwunden“, beendete Ferris Tucker die lange Erklärung.

„Ramsgate kenne ich gut“, sagte Mac, „schon eine Ewigkeit, und Plymouth kenne ich bis in den letzten Winkel. Vielleicht hat man ihn aus irgendwelchen Gründen doch umgebracht und seine Leiche verschwinden lassen.“

Der Kutscher, Matt Davies, Smoky, Ben Brighton, Blacky, Bob Grey, Roskill, Bill, Roger Brighton, Finnegan, der alte Segelmacher Will Thorne, fast alle hockten sie herum und erzählten. Auf der „Pride of Galway“ herrschte eine beängstigende Enge, als alles an Deck versammelt war.

Dann erwies sich etwas später, welchen Goldfisch sie mit Mac Pellew an Bord gezogen hatten.

Nachdem die Begrüßungsfreude und das Erzählen wieder normales Maß angenommen hatten, wurde Pellews Gesicht zusehends faltiger und erinnerte sie wieder an den alten, ewig grämlichen Mac Pellew, auf dessen Schultern alle Last dieser Welt ruhte.

Er kratzte sich das sauber rasierte Kinn und sah mit Leichenbittermiene auf die Planken des Schiffes.

„Wenn sie den alten Hesekiel nicht umgebracht, sondern nur versteckt haben“, sagte er, „dann kenne ich eine Ecke, wo man jemanden unauffällig verbergen kann. Ich weiß ja nicht, wer dahintersteckt, ob es ein oder mehrere Kerle sind, aber das ist schließlich egal.“

„Dann sag schon, was du vermutest, Mac“, sagte Blacky, der früher ebenfalls auf der „Marygold“ gefahren war.

„Hm, ist nur ’ne Vermutung“, murmelte Mac und kratzte sich wieder das Kinn, weil er sich an die frische Rasur noch nicht gewöhnt hatte.

„Dann sag doch endlich deine Vermutung“, sagte Smoky.

Der ehemalige Koch sah die Männer der Reihe nach an. „Wie gesagt, es ist nur ’ne Vermutung.“

„Himmel“, sagte Carberry lachend, „jetzt brummelt er wieder genauso rum wie damals bei Drake. Verdammt, deine Vermutung ist vielleicht eine Menge Geld wert, Mac.“

„Also, da draußen, am Stadtrand, da gibt’s so ’ne uralte Windmühle. Die ist schon seit vielen Jahren außer Betrieb, und ich weiß auch nicht, wem sie gehört. Aber in dieser Mühle treibt sich manchmal Gesindel rum, Landstreicher übernachten da auch schon mal. Also, wenn ihr mich fragt und ich müßte jemanden verstecken, dann würde ich ihn zu der alten Mühle bringen.“

Hasard hatte sehr aufmerksam zugehört und Mac dabei ständig forschend angesehen.

„Eine alte Mühle“, sagte er nachdenklich, „eine alte Mühle ist immer gut, um sich dort zu verstecken. Wo liegt sie genau, Mac?“

„Eine halbe Stunde zu laufen, Sir. Aber, wie gesagt, das ist nur eine Vermutung, und ich sagte ja auch nur, wenn ich jemanden ver …“

„Schon gut, Mac. Kennst du den Weg?“

„Aye, aye, Sir, ich kenne ihn genau. Aber, wie gesagt …“

„… es ist nur eine Vermutung“, beruhigte ihn der Profos. „Das wissen wir jetzt.“

„Nichts wie hin!“ schrie Smoky. „Wir nehmen den ganzen alten Kasten auseinander, vielleicht finden wir Ramsgate dort wirklich.“

„Versucht haben wir jedenfalls eine ganze Menge“, meinte Hasard. „Doch wir werden nichts überstürzen, und deswegen geht auch nicht gleich eine ganze Horde dorthin, sondern höchstens zwei Mann. Zwei von uns sind immer doppelt so gut wie zwei andere.“

Schon flogen die Fäuste hoch, und jeder meldete sich freiwillig. Aber Hasard winkte noch einmal ab.

„Falls wir Ramsgate wirklich finden, dann interessieren mich natürlich auch die ganzen Hintergründe, deshalb werden wir so unauffällig wie nur möglich vorgehen.“

Auch Batuti wollte seinen Teil dazu beitragen, um Ramsgate zu finden, aber Hasard konnte den Mandingo aus Gambia schlecht losschikken, der fiel hier zu sehr auf.

„Dan und Mac werden gehen“, entschied er. „Mac kennt den Weg zur Mühle, und Dan kennt sich hier ebenfalls gut aus. Übrigens, Mac“, sagte er, „wer Ramsgate findet oder einen Tip hat, wie er zu finden ist, der verdient sich eine goldene Nase. In diesem Fall sind das fünfzig Golddublonen. Drück dir also selbst die Daumen.“

„Dafür nehme ich kein Geld, Sir“, sagte Mac, „das gilt nur für Außenstehende, wenn ich recht verstanden habe.“

„Es gilt für alle und natürlich auch für dich. Jeder, der Ramsgate wieder herbeischafft, erhält diese fünfzig Dublonen, ganz egal, wer es auch immer ist. Und im übrigen“, meinte Hasard lächelnd, „kannst du davon ja gleich deine Schulden zurückzahlen.“

Mac Pellew war es peinlich, dieses Geld überhaupt anzunehmen, denn Hasard hatte sehr, sehr viel für ihn getan, und das wollte er nicht strapazieren. Seinen Einwand ließ der Seewolf aber nicht gelten.

„Wann sollen wir gehen?“ fragte Dan O’Flynn sachlich.

„Wir wollen keine Zeit verlieren. Am besten, ihr geht jetzt gleich, auf der Stelle. Beobachtet die Mühle vorher aber gut, ich möchte nicht, daß ihr eine böse Überraschung erlebt.“

„Aber das mit dem Geld kann ich wirklich nicht annehmen“, sagte Mac nun schon zum dritten Male.

„Noch hast du es ja gar nicht“, meinte Ed. „Das kriegst du ja erst dann, wenn du Ramsgate hier anschleppst. Du kannst sein Fell also nicht eher verkaufen, als bis du es hast.“

„Da ist was Wahres dran“, meinte Mac mit sauertöpfischem Gesicht. „Dann gehen wir jetzt.“

Ein paar Augenblicke später gingen die beiden von Bord.

Während sie den halbstündigen Marsch unternahmen, der sie aus der Stadt hinausbrachte, erzählte Mac Pellew von früheren Zeiten, und er fand auch einen geduldigen Zuhörer in Dan, der sich ebenfalls nur allzu gern der zurückliegenden Zeit entsann.

Immer wieder drehte es sich um die „Marygold“, um Drake und all die anderen Männer, bis sie endlich auf einem staubigen Feldweg waren. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Sie wühlten sich durch dichtes Ginstergebüsch, hohes Gras und verwilderte Gegenden, bis die Mühle in ihrem Blickfeld erschien.

„Das ist sie“, sagte Mac überflüssigerweise.

Vor der Mühle wuchs yardhoch das Unkraut. Junge Weiden wuchsen dazwischen, alles sah alt und verkommen aus, als hätte hier jahrelang niemand mehr gelebt.

Ein ideales Versteck ist das schon, überlegte Dan, denn hier kamen bestenfalls die Besenbinder hin, um hin und wieder Ginsterbüsche abzuschneiden und zu verarbeiten. Die Stille lag wie eine Glocke über dem Land, lediglich ein paar Vögel zwitscherten, und kleine Eidechsen huschten durch Trümmerstücke und halbverwitterte, aufgetürmte Steine.

„Du hast doch immer so verdammt gute Augen gehabt“, sagte Mac. „Siehst du jemanden?“

„Ach, das weißt du auch noch?“

Dan hatte sich längst vorsichtig nach allen Seiten umgesehen, doch es gab keine verdächtigen Anzeichen für irgendwelche Besucher.

„Nichts zu sehen“, sagte er. „Schauen wir uns das Ding einmal von innen an, ich bin wirklich gespannt.“

Dicht vor der Mühle, wo vormals die Wagen und Fuhrwerke mit den schweren Säcken gehalten hatten, war das Gras niedergetreten, und wenn man genau hinsah, erkannte man, daß hier Leute gegangen waren. Es konnte noch gar nicht so lange her sein, denn die Spuren waren für einen Kundigen noch ganz gut zu erkennen.

Dan O’Flynn legte den Finger auf die Lippen und deutete mit der Hand auf das niedergetrampelte Gras.

Mac Pellew nickte nur, er hatte verstanden.

Waffen hatten die beiden keine außer dem Messer, das Dan im Gürtel trug. Aber er hatte seine Fäuste, und im Falle eines Falles verließ er sich auf die Mac Pellew war auch keiner von der Sorte, die unbedingt eine Waffe brauchte. Seit er aus dem Schuldturm heraus war, fühlte er sich stark genug, um Bäume auszureißen.

Als Dan lautlos vor die große Tür gehuscht war, legte er sein Ohr daran und lauschte. Mac Pellew trat näher und sah sich ebenfalls immer wieder nach allen Seiten um.

Nach einer Weile schüttelte Dan den Kopf. Sein Gesicht drückte Enttäuschung aus. Es war nichts zu hören gewesen. Aber das mußte nicht unbedingt bedeuten, daß sich niemand in der Mühle befand.

Die Tür gab schwerfällig und knarzig unter seinem Druck nach und schwang langsam auf. Es hörte sich an, als würde ein alter Sargdekkel geöffnet.

Mac Pellew zuckte leicht zusammen, und auf seinen Armen erschien sekundenlang eine Gänsehaut. Er hatte beileibe keine Angst, es war nur so, daß Mac sehr abergläubisch war, und das hatte ihm bis heute noch keiner ausgetrieben. In gewisser Weise stand er damit dem alten O’Flynn in nichts nach.

Dieses Knarren hatte ihn an alte Grüfte erinnert, an Totentruhen, die sich öffneten, und man wußte ja schließlich, was in alten Grüften so geschah.

Jetzt aber hatte er den kleinen Schreck überwunden und betrat hinter Dan den Absackboden, der aus gestampftem Lehm bestand und über dem nur noch lose ein paar morsche Bretter lagen.

Durch das Binsendach fiel ganz schwach und schräg das Tageslicht ein.

Dann zuckte Mac zum zweitenmal zusammen, als er ein leises Klirren vernahm. Ganz hinten, man sah nur eine schemenhafte Gestalt, hockte ein Mann am Boden, dicht vor einem Eichenbalken.

Dan stürmte mit riesigen Schritten vor.

„Hesekiel Ramsgate“, sagte er fassungslos.

Der alte Schiffbaumeister starrte die beiden Männer an, als wäre ihm soeben ein Wunder beschert worden. Seine Stimme klang brüchig, ein tagealter Bart bedeckte sein Gesicht, und in seinen Augen schimmerte es.

Dan war unendlich erleichtert. Mac Pellew schluckte nur.

„Mister O’Flynn“, sagte Ramsgate heiser. „Welch ein Glück, daß ihr mich gefunden habt.“

„Sie müssen ja halb verhungert und verdurstet sein“, sagte Dan. „Bleiben Sie ganz ruhig, Mister Ramsgate, ich werde erst die Kette losschlagen.“

Sie haben den alten Burschen wahrhaftig in Eisen gelegt, dachte er voller Wut, und ihn hier hilflos sich selbst überlassen.

Er stieß sein Entermesser in das Eichenholz, bis sich der gekrümmte Nagel löste, den irgendein Halunke voller Wucht in das Eichenholz geschlagen hatte.

Ramsgates Fesseln fielen klirrend zu Boden. Der alte Baumeister war frei.

Dan half ihm auf die Beine, aber Ramsgate war so schwach, daß er kaum stehen konnte. Auch das Sprechen fiel ihm schwer.

„Nichts sagen, Mister Ramsgate“, bat Dan. „Jetzt ist alles in Ordnung. Erzählen können Sie dann später. Ich trage Sie jetzt erst einmal zu dem kleinen Mühlbach, damit Sie ein paar Schluck Wasser trinken können.“

Ramsgate sank wieder in sich zusammen.

Dan nahm ihn auf die Arme und trug ihn hinaus. Weiter hinten, wo der kleine Bach war, legte er Ramsgate ins Gras, schöpfte dann mit den Händen Wasser und flößte es ihm ein.

Das kühle Wasser belebte den zähen Burschen fast augenblicklich. Sein Blick wurde klarer, und er stieß einen leisen Fluch aus. Dann rutschte er auf den Knien zum Bach und trank selbst.

„So eine Mistbande, so eine verfluchte!“ knurrte er. „Lassen Sie nur Mister O’Flynn, nach dem kühlen Trunk fühle ich mich schon viel besser. Das war es, was mir gefehlt hat. Der Hunger ist ja noch zu ertragen, aber dieser wahnsinnige Durst.“

Er wehrte ab, als Dan ihm anbot, daß er ihn tragen wolle.

„Ich sehe zwar dürr und schwächlich aus“, sagte er entschieden, „aber das täuscht. Wie geht’s, Mister Pellew?“

„So durchwachsen“, sagte Mac mit grämlich verzogenem Gesicht. „Mal oben, mal unten, jetzt wieder ganz oben.“

„Freut mich, das zu hören. Und vielen Dank auch. Und jetzt stiefeln wir los, haben schon viel zuviel Zeit versäumt, sonst wird das neue Schiff überhaupt nicht mehr fertig.“

Das ist anscheinend im Augenblick sein einziger Gedanke, dachte Dan, und es bewies, daß der alte Hesekiel Ramsgate noch lange nicht unterzukriegen war. Aber mächtig angeschlagen sah er doch aus. Die Kerle, die ihn in die Mühle verschleppt hatten, mußten ihm ganz schön zugesetzt haben.

Trotzdem ging er zügig los.

An Bord wurden sie begrüßt, als wären sie jahrelang fort gewesen. Bevor Ramsgate jedoch seine Geschichte erzählen konnte, ließ der Seewolf ihm durch den Kutscher erst etwas zu essen bringen.

Für sein Alter hatte Ramsgate wahrhaftig eine erstaunliche Kondition. Er aß wie ein Ausgehungerter, trank dazu eine Muck voll Rum und hustete, aß weiter, trank erneut. Danach fühlte er sich so, als sei überhaupt nichts vorgefallen.

„Die Kerle haben mir einen Bewacher geschickt“, sagte er, „meist haben die Burschen sich abgewechselt, aber sie werden bald merken, daß ich nicht mehr da bin.“

„Was wollten sie denn überhaupt?“ fragte Hasard.

Ramsgate, der nie ruhig oder lange auf dem Hintern sitzen konnte, ging zwischen den Männern auf und ab. Seine Stimme klang zornerfüllt, seine grauen Haare hatten sich durch den leichten Wind aufgerichtet, er fuchtelte mit den Fäusten durch die Luft.

„Sie faselten ständig von den Plänen des neuen Schiffes. Sie wollten alles darüber wissen. Aber das war nicht der einzige Grund. Der eine Kerl brüllte mich ständig an und fragte, wo der Hundesohn von einem Killigrew das Gold versteckt habe.“

Hasards Lippen wurden schmal.

„Das Gold?“ fragte er. „Von welchem Gold sprach der Kerl denn?“

„Allgemein nur von Gold. Vielleicht vermutet er reiche Schätze bei Ihnen, Sir, weiß der Teufel. Von Gold und den Plänen war jedoch ständig die Rede. Sie haben mich geprügelt und mir erzählt, was sie mir alles antun würden, wenn ich nicht rede.“

Hasard fiel bei dieser Eröffnung aus allen Wolken.

„Wir scheinen hier ja schon wieder eine Menge Feinde zu haben. Man entführt Mister Ramsgate, will die Pläne und die angeblichen Schätze. Wer, zum Teufel, mag nur dahinterstecken?“

„Ich kenne die Kerle leider nicht, habe sie nie vorher gesehen“, sagte Ramsgate bedauernd.

„Und was haben Sie ihnen gesagt, Mister Ramsgate?“

Ramsgate lächelte flüchtig. Er unterbrach seine Wanderung und blieb vor den verblüfften Seewölfen stehen.

„Ich habe überhaupt nichts verraten. Wer bin ich denn? Als sie mir eins über den Schädel schlugen, tat ich so, als sei ich geistig nicht mehr ganz da, und habe dummes Zeug vom Teufel erzählt. Sie hielten mich auch wirklich für verrückt, aber sie gaben mir nichts zu trinken und zu essen und wollten den Aufpasser wieder zur Mühle schicken. Der hat mir dann immer in den fürchterlichsten Farben ausgemalt, was mir alles passieren würde, wenn ich nicht rede.“

Hasard gab dem alten Burschen impulsiv die Hand.

„Das haben Sie prächtig gemacht, Mister Ramsgate. Ich danke Ihnen im Namen aller Männer. Und ohne Mac Pellew hätten wir Sie wahrscheinlich nie gefunden.“

Ramsgate sah sich um.

„Jetzt aber nichts wie zur Werft“, sagte er, „ich muß mich um das neue Schiff kümmern. Die Pläne habe ich übrigens so gut versteckt, daß sie kein Mensch findet. Ist auf der Werft alles in Ordnung?“ wollte er dann wissen.

Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker nickte beruhigend. „Ich bin meist dort, es ist alles in Ordnung. Bisher hat man keinen weiteren Versuch unternommen, die Werft in Trümmer zu legen.“

„Dann können wir jetzt gehen?“ fragte Ramsgate eifrig. Er hatte nur noch das neue Schiff im Kopf, dafür lebte er, alles andere interessierte ihn nicht sonderlich.

Dafür interessierte es die Seewölfe um so mehr.

„Langsam, Mister Ramsgate“, sagte Hasard. „Das neue Schiff läuft uns nicht weg, und wenn es eine Stunde später fertig wird, so ist das auch kein Beinbruch.“

„Aber es verzögert sich um etliche Tage, Sir, vielleicht sogar auch um einige Wochen.“

„Kein Problem, Mister Ramsgate. Lassen Sie sich ruhig noch etwas Zeit. Wir bringen Sie später zur Werft hinüber. Erst einmal müssen Sie neue Kräfte sammeln. Nein, keine Widerrede“, sagte er entschlossen, als der alte Schiffbauer wieder seine Wanderung aufnahm.

Dann wandte er sich an Ben Brighton, der der Erzählung mit offenem Mund gelauscht hatte.

„Was will ein Fremder mit den Plänen, Ben, kannst du dir das vorstellen? Was hat er davon?“

Ben fand das auch seltsam.

„Ich kenne die Hintergründe nicht, aber ich nehme an, diese Kerle, die da dahinterstecken, möchten das Schiff auskundschaften, möchten etwas über Verstecke, Geheimkammern und was der Dinge mehr sind, in Erfahrung bringen.“

„Du meinst, um bei einem späteren Hickhack keine unangenehmen Überraschungen zu erleben. Man kennt die Schwächen seines Gegners und kann ihn dadurch leichter bezwingen.“

„Ja, das meinte ich ungefähr.“

„Das ist auch meine Ansicht“, sagte Ramsgate. „Denn dieses Schiff wird ein gutes Schiff, das verspreche ich euch, es wird besser und noch wendiger als die alte ‚Isabella‘ werden, und jedem möglichen Gegner wäre mit genauen Einzelheiten gedient.“

„Und woher nehmen die Kerle an, wir hätten jede Menge Gold mitgebracht?“ fragte der Profos.

Das konnte Ramsgate zwar nicht beantworten, doch die Antwort lag auf der Hand. Hasard sagte sie ihm.

„Bisher sind wir immer mit reicher Beute nach England zurückgekehrt, und jetzt nimmt man an, daß es diesmal nicht anders sei. Ohne Gold oder Geld können wir ja schließlich keinen Neubau finanzieren.“

Ramsgate hatte jetzt doch mal ein paar Minuten Ruhe gefunden und nahm auf der kleinen Gräting Platz. Er blickte von einem zum anderen, und man sah ihm an, daß es ihm unter den Fingernägeln brannte. Am liebsten wäre er schnurstracks zu seiner Werft geeilt.

Aber Hasard hatte da noch ein paar Fragen, wenn er sich davon auch nicht allzuviel versprach.

Wer waren die Gegner? Wer, zum Teufel?

„Wie sahen die Kerle aus, die alles so genau wissen wollten, Mister Ramsgate?“

„Wie gesagt, ich glaube nicht, daß ich sie schon mal gesehen habe“, antwortete der Schiffbaumeister, „aber beschreiben kann ich sie. Der eine kam mir zwar irgendwie bekannt vor, möglich, daß ich ihn viel früher schon mal gesehen habe. Er ist ein fetter Kerl, nicht mehr der Jüngste und sieht aus, als hätte er eine lange Krankheit hinter sich. Er hat einen grauen Bart und leicht stechende Augen.“

Hasard entsann sich nicht. Nein, diese Beschreibung sagte ihm gar nichts.

„Und der andere?“ fragte er.

„Der war etwa im selben Alter, nur dürrer, mit schmalem Gesicht und unruhig flackernden Augen. Ich weiß nur, daß er Angst vor Verrückten hat, denn als ich so tat, als ob, begann er zu quieken. Der Mann war überhaupt recht zappelig, und ich glaube, er hat da oben nicht alle“, sagte Ramsgate mit einer bezeichnenden Geste an die Stirn.

„Haben sie sich untereinander mal mit Vornamen angeredet?“

„Nein, Namen nannten sie nicht. Der Dürre hatte nur immer so verrückte Vorschläge und Ideen. Der Kerl mit dem Bart war auf alle Fälle der Klügere von beiden.“

Nach diesem Bescheid sahen sich die Seewölfe ratlos an. Allgemeines Achselzucken, fragende Blicke.

„Haben wir jemanden in Plymouth, auf den die Beschreibung paßt?“ erkundigte sich Hasard.

„Unsere damaligen Gegner sind längst tot“, sagte Dan O’Flynn. „Und über Nacht sind bestimmt keine neuen nachgewachsen.“

„Wahrscheinlich doch“, widersprach Matt Davies, „sonst hätten sie Mister Ramsgate ja nicht entführt und den ganzen Zauber auf der Werft veranstaltet.“

„Ich wüßte jedenfalls keinen“, meinte Sam Roskill.

„Ich auch nicht.“

„Keine Ahnung.“

So ging es weiter. Sie zermarterten sich die Köpfe, doch ein brauchbares Ergebnis fanden sie nicht.

Der einzige, der gedankenverloren und so, als ginge ihn das alles gar nichts an, vor sich hin starrte, war Mac Pellew. Er kramte mühselig in seinen Erinnerungen, und damit bewies sich zum zweiten Male, daß sie in ihm einen unentbehrlichen Helfer an Bord hatten.

Mac richtete sich auf und blickte Ramsgate an.

„Der Kerl mit dem grauen Bart“, sagte er, hellhörig geworden, „was trug der für Kleidung?“

Ramsgate schabte sein Stoppelkinn und überlegte.

„Einen hohen Hut, Kniehosen, weiße Strümpfe und ganz weiche Schuhe. Dann eine Lederweste mit einem Wams darüber. Dadurch wirkte er noch fülliger.“

„Und sein Blick war stechend?“ vergewisserte sich Mac.

„Ein, scharfer, durchdringender Blick. Beim Sprechen verzog er leicht den Mund.“

Mac schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Der Beschreibung nach“, sagte er überlegend, „kann das eigentlich nur Burton sein, der Halunke, von dem ich das Geld geliehen habe, das mir seine Kerle später wieder abnahmen. Das ist der verdammte Drecksack, der mich in den Schuldturm brachte. Klar, alles paßt haargenau zusammen.“

„Und wer, bei allen guten Geistern, ist Burton?“ fragte Hasard.

„Ein Wucherer und Halsabschneider, ein übler Gauner“, sagte Mac mit griesgrämigem Gesicht.

„Das sagt mir auch nichts, verdammt noch mal. Burton, Burton“, wiederholte Hasard ungeduldig.

Mac Pellew schien ihn gar nicht zu hören, er murmelte weiter vor sich hin, bis Carberry ihn bat, etwas lauter zu sprechen und nicht ständig zu brummeln.

„Der andere müßte dann Bromley sein“, meinte Mac. „Die beiden Halunken stecken ja immer zusammen, wenn es etwas auszuhecken gibt. Bromley ist aber nicht aus Plymouth, der ist aus eurer Ecke, wo die Killigrews und die O’Flynns herstammen, aus Falmouth nämlich.“

„Kennst du einen Bromley aus Falmouth?“ fragte Hasard den alten O’Flynn, der in Cornwalls Zipfel Gott und die Welt kannte.

Old O’Flynn zog mindest ein ebenso grämliches Gesicht wie Mac Pellew.

„Nie gehört, Sir, bei meiner Seele nicht. Wenn dieser Bromley aus Falmouth stammt, dann laß ich mein Holzbein mit Rosenblättern garnieren und freß es als Nachtisch.“

„Ich habe ja nicht gesagt, daß er da herstammt“, meinte Mac grämlich, „ich habe nur gesagt, daß er von dort ist. Wie lange er da schon haust, weiß ich doch nicht. Vielleicht ist er irgendwann mal dahin gezogen.“

„Jetzt sind wir genauso schlau wie am Anfang“, sagte Smoky. „Das wird ja immer geheimnisvoller.“

In das allgemeine Schweigen platzte wiederum Mac.

„Von Burton habt ihr sicher schon mal irgendwann gehört“, versicherte er. „Der war doch ganz früher mal Friedensrichter von Plymouth. Samuel Taylor Burton heißt er mit vollem Namen.“

„Jetzt weiß ich, wo ich den Kerl schon mal gesehen habe!“ schrie Ramsgate. „Klar, der alte korrupte Burton! Jetzt fällt mir alles wieder ein, es ist aber schon lange her.“

Hasard stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen. Ben Brighton sah kopfschüttelnd in die Gegend und lachte stoßartig auf.

„Das gibt’s gar nicht“, sagte er, „wenn du denselben Burton meinst wie wir, nein, der ist schon verdammt lange tot. Seit mindestens zehn oder zwölf Jahren, wenn nicht noch länger.“

„Ich meine Samuel Taylor Burton, den ehemaligen Friedensrichter aus diesem lausigen Kaff“, beharrte Mac.

„Den meine ich auch“, sagte Ben.

„Na also, der ist es. Aber tot ist er nicht.“

Wieder sahen sich alle eine Weile schweigend an. Hier standen anscheinend die Toten wieder auf, oder hier gingen Geister um.

Doch auch das wußte Mac Pellew besser, und selbst Ramsgate bekräftigte ihn jetzt in seiner Aussage und nickte immer wieder, wenn Mac etwas sagte.

„Ich kenne die Geschichte“, sagte Mac, und als er jetzt sprach, erinnerte er die anderen nur allzu deutlich an das alte Essigfaß aus alten Zeiten.

„Burton sollte bestraft werden für das, was er damals getan hatte, ich weiß nicht genau, was das war, aber alle redeten davon. Doch er erlitt einen Schlaganfall und war jahrelang gelähmt. Er konnte nicht mehr laufen und nicht mehr sprechen. Dann genas er wieder und kehrte nach Plymouth zurück. Er wurde nicht weiter verfolgt, vielleicht konnte man ihm auch nichts beweisen, jedenfalls lebt er seither unbehelligt hier und geht irgendwelchen üblen Geschäften nach, unter anderem verleiht er Geld zu Wucherpreisen. Und der andere Kerl ist Mark Bromley; der war früher bei der Armee in London, wie man hörte. Der hat auch wegen irgendwelcher miesen Sachen im Tower gesessen, und zwar auf den Tag genau zehn Jahre lang. Dann wurde er entlassen und ging nach Falmouth. Aber seit knapp zwei Jahren sind die beiden Halunken wieder zusammen und besuchen sich gegenseitig.“

Hasard fiel es jetzt wie Schuppen von den Augen.

„Bromley“, sagte er leise, „Mark Bromley, der Tower-Hauptmann, der sich an unseren Schätzen bereichern wollte. Wir brachten damals den goldenen Anker nach London, und in der Nähe des Towers gab es eine fürchterliche Schlägerei. Entsinnt ihr euch nicht mehr?“

Und ob sie sich entsannen! Die Vergangenheit wurde schlagartig wieder lebendig und stand auf. Jedem fiel das wieder ein, was vor etlichen Jahren geschehen war. Man hatte sie, als sie mit einer Schiffsladung voller Gold, Silber und Perlen nach London segelten, gedemütigt, schmählich behandelt und sich an den Schätzen vergriffen, die der englischen Krone zugedacht waren. Es war eine entwürdigende Ankunft in London gewesen, und es hatte Radau gegeben, daß die ganze Stadt wakkelte.

„Jetzt werden mir die Zusammenhänge klarer“, sagte der Seewolf. „Bromley hat seine Strafe abgesessen und will sich rächen. Und dieser Burton will das ebenfalls und vermutet wieder riesige Schätze bei uns an Bord. So einfach ist das alles, man muß es nur wissen.“

Ja, man mußte es nur wissen.

Seewölfe Paket 15

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