Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 10
Sechs Schwerter
ОглавлениеSie hatten darauf verzichtet, den Abend in Pablo Desaldos Haus zu verbringen. Sie alle waren den Aufenthalt an der frischen Luft gewohnt und mochten die dampfende, stickige Atmosphäre im Haus nicht. Auch die ihnen angebotene Unterhaltung war nicht nach ihrem Geschmack. Ihnen war es nicht wichtig zu sehen, wie sich andere Menschen mit einander oder auch Menschen mit den Haustieren Desaldos paarten.
Im hinteren Teil des großen Hofs beim Handelsposten, dort wo Minaros Wagen stand, hatten sie ein Feuer angezündet und dort saßen sie nun und taten sich an einem Schlauch Wein gütlich, den Shira dem Händler abgekauft hatte.
Ein guter, dunkler Rotwein, der die Stimmung sanft und die Emotionen glatt werden ließ. Und dann begann Minaro die Geschichte zu erzählen, die er Shandra versprochen hatte.
„Ihr alle habt schon von den heißen Kriegen gehört? Gut, dann wisst ihr, dass es sich bei dieser Epoche um die finsterste Zeit in der Geschichte der Menschheit handelt. Eine Zeit, die sich über etwa zweihundert Jahre erstreckte und beinahe sämtliches Leben auf der Erde vernichtet hätte.
Aber wisst ihr auch, wie unsere Erde beschaffen ist? Habt ihr schon von den sechs Erdteilen gehört? Nein? Dann lasst es mich berichten.
Die Erde teilt sich in die Erdteile – auch Kontinente genannt - Europa, Asia, Amerigo, Australia, Afrikaa und Antarktika auf. Es gab noch einen weiteren, einen siebten Erdteil, der sich Atlantis nannte, doch dieser Erdteil ist schon vor so vielen Jahrtausenden versunken, dass selbst von seinen Legenden nur Bruchstücke überleben konnten.
Iberia gehört zum Kontinent Europa, meine Heimat dagegen liegt auf dem Kontinent Asia am anderen Ende der Welt. Die heißen Kriege hatten drei Ursprungsorte und nur einen Grund. Sie wurden geführt um sich die Macht über die Menschen in allen anderen Länder um jeden Preis zu sichern und die treibenden Kräfte saßen in Europa, in Amerigo und in Asia. In Asia hauptsächlich in dem Teil, der an den Südosten Europas grenzt, aber auch in meiner Heimat Ama no Mori.
Die Menschen hatten sich im Laufe ihrer Geschichte bis zu jener Zeit unglaubliche Macht und geradezu monströse Fähigkeiten angeeignet und glaubten, mit der Erde und der Natur nach eigenem Gutdünken verfahren zu können. Doch anstatt zusammen zu halten und die Früchte ihrer Fähigkeiten zu genießen, bekämpften sie sich gegenseitig auf das Härteste. Dabei zeigten sich zwei treibende Kräfte, zwei Herrschaftsansprüche, die unerbittlich zu einander und untereinander waren, die Herrschaft über den Geist der Menschen und die Herrschaft über die Rohstoffe der Erde. Aus diesen Herrschaftsansprüchen ergab es sich, dass letztendlich jeder gegen jeden kämpfte und so die Menschheit und der größte Teil dessen, was sie einstmals gewesen waren, unterging, von den gewaltigen Kräften vernichtet, die sie in den heißen Kriegen einsetzten.
Das erste Mal, dass diese Kräfte zum Einsatz kamen, war in meiner Heimat in den Städten Hiroshima und Nagasaki. In kürzester Zeit starben mehr als zweihunderttausend Menschen und im Laufe der Jahre wurde mehr als eine Million daraus.
Für einen geschichtlichen Moment glaubte man, der Schock über diese tödliche Kraft sei groß genug, um die Menschen zur Besinnung zu bringen. Doch der Schockzustand hielt nur kurze Zeit an. Schon bald bastelten und erfanden und bauten die Menschen an solchen Waffen weiter, verbesserten und verfeinerten sie immer mehr und machten sie immer brutaler. Doch eingesetzt wurden diese Waffen nicht. Noch nicht.
Stattdessen erfanden sie andere Waffen, um sich gegenseitig umzubringen. Mit größerer Genauigkeit und weniger Streuwirkung und mit diesen Waffen wurden weltweit ununterbrochen größere und kleinere Kriege um Rohstoffe und Machtbereiche geführt.
Doch diese Kriege befriedigten die Machthaber der Menschheit nicht. Ihr Machthunger war viel zu groß, als dass er mit kleinen Kriegen in engen Bereichen gestillt werden konnte. Vor allem die Machthaber der Religionen wurden immer unruhiger und immer gieriger, denn fast ein Jahrtausend lang waren Kriege nur wegen wirtschaftlicher Macht und wegen Systemveränderungen geführt worden. Die Religionen, die wahren Herrscher über den Geist der Menschheit drohten ins Abseits zu geraten und das durfte nicht geschehen. So kam was kommen musste.
Die Führer der geistigen Macht des Islam erklärten die Wirtschaftsmächte in Amerigo und Ama no Mori zu Erzfeinden, die ausgelöscht werden mussten und griffen sie mit den großen Vernichtungswaffen an. Sie vernichteten innerhalb eines Mondes elf Städte mit insgesamt mehr als einhundert Millionen Menschen. Die Wirtschaftsmächte schlugen mit allem zurück, was sie aufbieten konnten und innerhalb eines Jahres waren von der Welt des Islams nur noch Schutt und Asche und ein paar fragwürdige Relikte übrig. Nun aber griff das Reich Chin, ein Nachbar unserer Inseln Ama no Mori in die Auseinandersetzung ein. Das Reich Chin war so groß wie kaum ein anderes und die Anzahl seiner Menschen übertraf die aller anderen Menschen zusammen, die auf der Erde lebten. Chins Macht richtete sich zuerst auf die Mächte Amerigos und in einem einzigen Überraschungsangriff wurde der gesamte Kontinent vernichtet.
Die Wurzeln des Kontinentes Amerigo aber lagen hier, in Europa und so war es nur logisch, dass Europa sich an Chin rächte und aus dem riesigen Reich eine verbrannte Wüste machte, in der die Skelette von vier Milliarden – das sind viertausend Millionen – Menschen verrotteten. Chin aber grenzt an das noch größere Reich Russia und was Chin schadete, konnte auch an Russia nicht spurlos vorüber gehen. Also griff auch dieses Reich in die Kriege ein und lieferte sich mit Europa erbitterte und über ein ganzes Jahrhundert gehende Schlachten, während derer beide Kontinente nahezu vollständig entvölkert wurden.
Jetzt erst begann es den Überlebenden so langsam zu dämmern, welchem Wahnsinn sie anheimgefallen waren. Um zu retten, was noch zu retten gewesen wäre, flüchteten sich einige wenige in den gewaltigen Flugmaschinen, den fliegenden Städten hinauf zu den Sternen. Man sagt es habe damals sieben solcher fliegender Städte gegeben, nur eine überlebte die folgenden Jahrtausende, die Stadt Ninive, deren Ursprung hauptsächlich in den Ländern an der Grenze zwischen Europa, Asia und Afrikaa liegt.
Der weitaus größere Teil der Überlebenden zog sich unter die Erdoberfläche zurück, in gewaltige Höhlensysteme, die aber auf Dauer nicht für menschliches Leben geeignet waren. Die Menschen in den Höhlen wurden unfruchtbar, die Fortpflanzung kam zum Erliegen und innerhalb weniger Jahrhunderte starben die Menschen unter der Erde vollständig aus. Während dieser Zeit geschah es, dass sechs der noch lebenden Magierwissenschaftler – sie nannten sich Philosophen - zusammen fanden und begannen, die Regeneration der Erde zu bereden. Sie waren sich darüber einig, dass sie sich in diese neue Ordnung nicht einmischen wollten, doch sie schufen sechs Waffen, sechs wundervolle Schwerter, von denen jedes ein Prinzip vertrat und mit einem eigenen Namen benannt wurde. Jede dieser Klingen stand für das Prinzip, welchem ihr Schöpfer anhing.
Das Schwert des Nordens repräsentiert die Freiheit der Entfaltung des menschlichen Geistes. Sein Symbol ist der weiße Wolf.
Das Schwert des Südens steht für Handel und Wandel als oberste Priorität. Sein Symbol ist der Greif.
Das Schwert des Ostens will die alten Traditionen bewahren und wieder aufleben lassen. Sein Symbol ist der Waran.
Das Schwert des Westens verlangt eine vollständige Neuschaffung allen Lebens auf der Erde auf der Basis vorhandener Genetik. Sein Symbol ist der der Herrscher der Meere, der weiße Hai, den man auch den Meerwolf nennt.
Das Schwert der Schlange steht für die Ausrottung der Magie in Verbindung mit den Wissenschaften, nur eine der beiden Strömungen darf überleben. Sein Symbol ist die grüne Mamba.
Das Schwert Pendragon aber steht für die Übernahme der Erde durch außerirdische Intelligenzen, also für die Auslöschung aller Menschen. Sein Symbol ist der Fünffache Drache.
Alle sechs Klingen wurden von wahren Meistern geschaffen und sie alle konnten und können nur von einem wahren Meister geführt werden. Treffen zwei Klingen auf einander, müssen sie sich bekämpfen und die siegende Klinge wird sich das Prinzip der unterliegenden Klinge einverleiben und ein neues Prinzip schaffen. Auf diese Weise wollten die Magierwissenschaftler sicher stellen, dass sich im Zuge der Entwicklung der verbliebenen Menschen etwas auf der Erde ausbreitet, was vielleicht Bestand hat und überleben kann.
Das ist die Geschichte der sechs Schwerter und ich bin stolz darauf zu erleben, dass sich eines dieser Schwerter in der Hand eines Freundes befindet. Dieser junge Mann hier besitzt das Schwert des Nordens und es hat ihn als seinen Meister akzeptiert.“
Eine lange Stille entstand am Feuer, dann stellte Shira die eigentlich naheliegendste Frage zu diesem Thema:
„Woher weißt du all das, Minaro?“
„Aus verschiedenen Quellen. In meiner Heimat ist das Schwert ein heiliges Symbol mit einer viel tieferen Bedeutung als der eines reinen Kriegs- und Tötungswerkzeuges. Ich stamme aus einer Familie, deren Mitglieder den Söhnen der roten Sonne – so nennen wir unsere Kaiser – seit unzähligen Generationen als Berater an höchster Stelle gedient haben. Ich selbst war der oberste Stratege unserer Armeen auf Ama no Mori, bis mich der Befehl meines Tenno und ein widriges Schicksal hierher nach Iberia brachte. Aber noch wichtiger ist, dass der Urgroßvater meines Vaters einer der sechs Schmiede gewesen ist. Er schuf das Schwert Asia, das die alten Traditionen erhalten und wieder Aufleben lassen soll, wenn es siegt.“
Wieder war es still am Feuer, dann meldete sich der offenbar vernünftigste unter ihnen allen. Rollo stand auf, gähnte und reckte sich, dass die Gelenke nur so knackten, dann meinte er:
„Es war ein langer und anstrengender Tag heute. Ich habe ein oder zwei Dutzend Banditen erschlagen und Geschichten erlebt und gehört, die meinen Schädel zum Schwirren gebracht haben Deshalb gehe ich jetzt schlafen und hoffe, dass der Schlaf meinen Kopf wieder ins Reine bringt. Wer kommt mit mir?“
Die Frage war eigentlich nur auf zwei der Anwesenden gemünzt. Teilte Celina oder Akitha seine Felle? Oder vielleicht auch beide…
Rollo hatte Glück, denn Shandra machte keine Anstalten einem der beiden Mädchen einen Wink zu geben, so gingen sie tatsächlich beide mit Rollo. Shandra aber starret Minaro an und wollte wissen:
„Du viel wissender Mann aus einem fernen Land, kannst du mir sagen, ob ich krank bin oder gar vergiftet wurde? Es gibt kaum einen Muskel an keinem Körper, der nicht fürchterlich schmerzt. Woran mag das liegen?“
Minaros Lächeln war gütig und mild und dennoch, ganz unten auch ein klein wenig boshaft.
„Mein Sohn – ich darf dich hoffentlich so nennen – das Schwert hat dir sein Wissen übermittelt und dich sehr vieles in unglaublich kurzer Zeit gelehrt. Es hat verborgene Erinnerungen in deinen Muskeln geweckt und dich so in rasendem Tempo zu einem der besten Schwertkämpfer gemacht, die es je gab. Das konnte dein Schwert bewerkstelligen. Was es nicht konnte war, deinen Muskeln die fehlende Übung zu geben. Du bist nicht krank, mein Junge, du hast den schlimmsten Muskelkater deines Lebens. Und mit dem wirst du nur fertig werden, wenn du schon morgen in aller Frühe mit den Übungen des Tai Chi beginnst und deine Muskeln an das Schwert gewöhnst.“
Shandra war beruhigt und beschloss nun ebenfalls schlafen zu gehen. Doch die Beruhigung änderte nichts daran, dass er ein schmerzvolles Stöhnen und ein jammerndes Ächzen beim Aufstehen und auch beim Gehen nicht unterdrücken konnte. Er kam sich vor, wie ein tausend Jahre alter Greis.
Kein schönes Gefühl, doch dann kam der Traum und alles änderte sich …
Shandra stand wieder an jenem Ufer. Mittlerweile wusste er, dass es das Ufer eines Meers war.
Es war ein sandiges Ufer und es lag nach Osten, denn die wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne trafen seine rechte Seite und die Sonne bewegte sich auf ihrem Weg nach Süden hinter seinen Rücken, Also schaute er selbst nach Norden. Zu seiner Linken lag ein dichter Wald aus dem er den Lärm unzähliger Vögel hören konnte. Shandra drehte sich nach links, weg vom Wald, hin zur Wasserlinie des Ufers. Ein stahlblau blinkendes Meer, dessen Wellen in der sanfter Dünung kleine Schaumkrönchen bildeten, ehe sie mit beruhigendem Rauschen an den Sand des Ufers schwappten und langsam herauf gerollt kamen. Shandra verspürte eine tiefe innere Ruhe beim Anblick dieses Meers und wusste zugleich, dass aus diesem Meer eines Tages sein Schicksal steigen würde.
Seine Augen waren auf einen ganz bestimmten Punkt im Wasser fixiert. Dicht unter der Wasseroberfläche gab es dort ein Felsenriff und genau aus diesem Riff würde eines Tages sein Schicksal auftauchen und das Ufer erklimmen. Wie er so stand und das Riff betrachtete, bewegte sich etwas in der Tiefe und Shandra sah genauer hin. Ein dunkler Fleck, der rasch größer wurde und jeden Moment auftauchen konnte.
In diesem Augenblick brach der Traum ab und Shandra lag hellwach auf seinen Fellen und starrte hinauf in den Nachthimmel, sah die Sterne und fragte sich einmal mehr, wohin sein Weg ihn am Ende führen würde…