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Traumsucher

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Alles wiederholte sich. Wieder und immer wieder.

Nacht für Nacht war Shakira in den Träumen ihres Adoptivvaters und öffnete lange verschlossene Wege und Verbindungen. In zunächst winzigen Schritten aktivierte sie die Erinnerungen des Ersten Kriegers an seine Vergangenheit. Sie führte ihn zurück auf seinen Wegen über die Meere, durch die Wüsten und Dschungel, die er auf seiner Wanderung hinter sich gebracht hatte und als sie den grünen Bergsee erreichten, in den Shaktar nach seiner rasenden Schussfahrt vom Dach der Welt gestürzt war, war Shaktar in der Lage aktiv mitzuarbeiten.

Danach ging es etwas schneller voran, denn Shakira brauchte nicht mehr darauf zu achten unentdeckt zu bleiben, Shaktar fand auch den Teil seiner eigenen, überragenden telepathischen Fähigkeiten immer rascher wieder, den Misata so rigoros unter Verschluss gehalten hatte. Er erwachte neu und war nun dadurch schon bald in der Lage, sie beide vor mentalen Angriffen während der Arbeitssitzungen zu schützen. Dennoch hätte er sich auch jetzt noch nicht wieder selbst befreien können, zu dicht hatte Misata ihre Blöcke mit einander verwoben. Sie hatte ja Zeit gehabt. Viel Zeit. Und sie hatte als Shaktars Lebensretterin dessen uneingeschränktes Vertrauen besessen und so auch noch die Möglichkeit, jede Lücke, jeden Schwachpunkt über die Jahre hinweg nachzubessern und auszumerzen.

Zwanzig Jahre hatte die Alte an Shaktars Vergessen gearbeitet. Diese Arbeit in kurzer Zeit rückgängig zu machen, war nicht möglich.

Für Shakira war diese Arbeit nicht immer ein reines Vergnügen, denn Misata hatte – weshalb auch immer – eine ganze Reihe von oftmals ziemlich bösartigen mentalen Fallen in die Blöcke eingebaut und einige Male entdeckte Shakira diese zu spät. Dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als ein paar Tage Pause einzulegen, bis Shakiras Geist sich von den Attacken der Fallen wieder erholt hatte.

An solchen Tagen gingen sie alle zusammen mit Jelena, Kerin und Erin auf die Jagd, wobei sie ihre Jagdgebiete immer weiter weg von Misatas Hütte legten.

Weder Shakira noch Shaktar hätte sagen können, ob Misata etwas von ihren heimlichen Aktivitäten bemerkte. Die Alte hatte weder auf die Tatsache reagiert, dass Jelena offenbar nichts von ihrer Vergangenheit vergessen hatte, noch auf die häufige Erschöpfung und die sichtlichen Orientierungsstörungen des zweiten Mannes der S’Andorin und seiner Adoptivtochter.

Mistral hingegen war sehr wohl aufgefallen, dass ihr Mann sich zu verändern begann. Sie hatte den Shaktar, der einstmals der mächtigste Mensch eines Paradoxons gewesen war, nicht gekannt. Seine Ecken und Kanten, seine gläserne Härte gegen sich und andere, sein ausgeprägtes Empfinden für die Macht und ihre Positionen, all das hatte Misata sicher unter Verschluss gehalten und Shakira holte es nach und nach wieder an die Oberfläche zurück.

Mistral reagierte, wie es von einer Frau zu erwarten war, die den Mann liebt, der sich verändert. Sie begann zu kämpfen. Doch Mistral war zu sehr durch Misata beeinflusst, deshalb führte sie den Kampf um Shaktar auf den falschen Schauplätzen. Sie wollte die Veränderungen nicht, sie wollte Shaktar so behalten, wie er in all den Jahren ihres Zusammenlebens gewesen war, ohne jemals darüber nachzudenken, welchen Shaktar sie um sich gehabt hatte. Sie stritt mit Shaktar, weil dieser die Veränderungen für gut empfand und sich täglich mehr an dem erfreute, was er zurück gewann. Sie gab Shakira die Schuld an der Entwicklung und als Shaktar ihr erklären wollte, was tatsächlich geschehen war und was Misata ihm angetan hatte, weigerte sich Mistral auch nur einen Augenblick zu zuhören. Sie nahm nicht eine der Botschaften auf, die sie von Shaktar erhielt und so war es unvermeidlich, dass sie ihren Kampf um den Mann, den sie einmal so sehr begehrt hatte und den sie immer noch liebte, verlor. Shaktar verließ das gemeinsame Haus und zog in ein anderes, seit geraumer Zeit leer stehendes Haus am Rand des Dorfs und natürlich zogen Shakira und Jelena mit ihm in das neue Heim. Das war nicht weiter schlimm, es war zu erwarten gewesen. Schlimm war, dass Kerin und Erin ebenfalls mit Shaktar gehen wollten und nur bei ihrer Mutter blieben, weil diese sich wie eine Irrsinnige gebärdete und man in ihrer ganzen Umgebung Angst bekam, sie würde sich umbringen.

Kaum war Shaktar aus dem Haus ausgezogen, in dem er all die Jahre in S’Andorin verlebt hatte, machte seine Entwicklung gewaltige Fortschritte. Schon bald reichte seine Erinnerung tatsächlich bis zu dem Tag zurück, da er vom Rat der Zwölf zu einem tödlichen Exil verurteilt worden war und damit war der entscheidende Punkt erreicht, Shaktar verfügte wieder über seine gesamten Erinnerungen und ein wesentlicher Teil dieser Erinnerungen bestand aus einem Namen:

Sombra.

Shaktar wusste wieder wer er gewesen war, er erinnerte sich daran, woher er gekommen war und wohin er gewollt hatte und vor allem, er erinnerte sich wieder an den Grund, weshalb er hier in diesem Land war.

Seine frühere Geliebte Sombra und der damals noch ungeborene Sohn. Sein hingegebenes Versprechen an die Geliebte und der Bruch dieses Versprechens durch Verletzung, Krankheit und mentale Manipulation einer alten Frau mit jadegrünen Augen. Noch am selben Abend klopfte Shaktar an Misatas Hütte an und die beiden führten ein langes Gespräch. Die ganze Nacht dauerte die Unterhaltung und Shaktar verließ Misata erst, als es schon kurz vor Sonnenaufgang war. Er ging zum Dorf zurück und kehrte schon bald darauf zusammen mit Shakira wieder. Dieses Mal dauerte die Unterredung nicht sehr lange. Nur so lange, wie Shakira Zeit benötigte um Misatas Gehirn neu zu organisieren.

Als Shaktar und Shakira die Hütte Misatas verließen, blieb die Heilerin Misata allein zurück. Die Mentalistin Misata aber war tot und nichts würde sie jemals wieder zum Leben erwecken können.

Zurück in seinem Heim wollte Shakira wissen, was ihr Adoptivvater nun plante und sie war eigentlich nicht erstaunt, als er nach längerem Nachdenken erklärte:

„Ich werde noch ein paar Tage benötigen, um hier in S’Andorin alles zu ordnen und in die richtigen Bahnen zu lenken, dann werde ich mich wieder auf den Weg machen und nach meiner Geliebten und – vor allem –meinem Sohn suchen. Ich habe es geschworen und ein Rat der Zwölf mag einen Schwur brechen. Ein Erster Krieger aber niemals. Nicht wenn sein Name Shaktar al S’Andorin lautet.“

„So willst du deinen Ehrentitel behalten? Wirst du auch hierher zurück kehren, wenn deine Suche beendet ist?“

„Das ist sicher. S’Andora bedeutet mit sehr viel. Ich habe hier eine Heimat gefunden und eine Art zu leben, die mir eine Menge neuer Gesichtspunkte verschafft hat. Ninive ist Geschichte und was mich erwartet, wenn ich Sombra tatsächlich finden sollte, wer will das sagen? Sieh, Sombra war zwar meine Geliebte, aber Sombra war auch Klon. Wenn sie überlebt hat, wird sie sich mit ihrem neuen Leben arrangiert haben. Sicherlich wird sie manchmal mit einer kleinen Wehmut an mich zurück denken, doch Klonen fehlen ein paar ganz entscheidende Synapsen im Gehirn. Sie sind wesentlich praktischer ausgerichtet, als wir Menschen und sie treffen niemals Entscheidungen aus einem Gefühl heraus. Ihre Entscheidungen werden immer von sachlichen Überlegungen getragen. Deshalb können Klone zwar sehr gute Menschen und Lebensgefährten sein, aber in Grenzfällen entscheiden sie eben nicht nach Sympathie. Hätte zum Beispiel Misata nach Gefühl entschieden, wäre ich wohl tot.“

„Du meinst also, deine Sombra hat weder um dich getrauert, noch auf dich gewartet, geschweige denn nah dir gesucht?“

So ist es. Sie ist entweder tot oder sie hat die Möglichkeit gefunden, sicher und in Frieden unseren Sohn zur Welt zu bringen und ihn groß werden zu sehen. In diesem Fall hat sie mich in der Zeit eines Lidschlages zur Seite geschoben und begonnen, mich zu vergessen.“

„Weshalb musst du dann dein Versprechen einhalten?“

„Weil ich der bin, der ich bin und weil ich wissen will, was vielleicht aus meinem Sohn geworden ist. Ich gehe, weil ich es tun muss.“

Damit war eigentlich alles gesagt, was es zu sagen gab. Doch Shaktar hatte noch ein Anliegen.

„Ich weiß nicht, was mit Mistral geschieht, wenn ich gehe. Ich bitte dich, meine Tochter, sei die Hüterin deiner Brüder. Beschütze sie und achte darauf, dass sie den ihnen vorgezeichneten Weg auch finden und gehen. Ich fürchte Mistral wird dazu nicht in der Lage sein.“

Nun war es Shakira, die sich ihre Antwort gründlich überlegen musste. Als sie soweit war, hob sie den Kopf, sah ihren Vater lange und liebevoll an, dann aber erklärte sie ihm:

„Leider kann ich diesen Auftrag nicht annehmen, denn ich muss ebenfalls S’Andora verlassen. Auch ich muss nach Südwesten reisen, denn auch ich werde erwartet. Ein junger Krieger erwartet mich und ich weiß, dass wir für einander bestimmt sind, wenn die Zeit reif ist. Noch ist sie nicht reif, doch lange wird es nicht mehr dauern, bis ich abreisen muss. Solange ich in S’Andorin bleibe, werde ich mich um meine Brüder kümmern, das schwöre ich. Doch wenn die Zeit reif ist und der Ruf kommt, werde ich gehen.“

„Was weißt du über den Mann?“

„Wenig und viel, alles und nichts. Er gleicht dir aufs Haar, sieht man davon ab, dass er glänzend grüne Augen hat und unter dem linken Auge eine hauchdünne, weiße Narbe, die sein Gesicht unverwechselbar macht. Da er dir gleicht, weiß ich alles über ihn und zugleich weiß ich nichts, denn ich vermute er wird ein eigenständiger Mensch mit einer eigenständigen Entwicklung sein.“

„Und woher weißt du das alles?“

„Er taucht seit vielen Jahren in meinen Träumen auf. Mal in kürzeren, dann wieder in längeren Abständen, aber kommt wieder und immer wieder. Seit etwa einem Jahr hat er ein Gesicht und ich sehe sein Gesicht so deutlich vor mir, dass ich jede seiner Bartstoppeln mit Vornamen benennen könnte.“

„Du suchst einen Traum?“

„Worin unterscheide ich mich da von meinem über alles verehrten Adoptivvater? Auch du suchst einen Traum und du weißt deutlich weniger über ihn als ich. Auch Jelena sucht einen Traum und es ist noch nicht einmal ihr eigener Traum. Was also ist falsch an meiner Traumsuche?“

Gegen diese Argumente gab es kein Mittel. Alles war besprochen und alles war entschieden. Shaktar blieb noch vier Tage in S’Andorin, dann aber schlüpfte er wieder in seine schwarze Reisekleidung und machte sich auf den Weg. Seine Söhne hatte er wie besprochen einstweilen Shakira anvertraut und danach wollte Malachit sich um die beiden jungen Jäger kümmern.

Shandra el Guerrero

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