Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 12
Meister der Klingen
ОглавлениеShandra lag leidend und leise vor sich hin stöhnend in seinen Fellen und versuchte trotz seiner Schmerzen einzuschlafen. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich heraus stellte, doch irgendwie gelang es ihm doch in einen kleinen Schlummer weg zu sacken und da hatte er einen Traum.
Ein junger Mann, mit eigenartigen Gesichtszügen, schmalen schwarzen Schlitzaugen unter schweren Lidern, eine runde, hohe Stirn, flache Wangenknochen und eine kleine, breite Nase, ein kräftiges Kinn und alles in allem ein Gesicht, dessen Ausdruck ein wenig an ein Tier erinnerte, von dem ihm seine Mutter Sombra einmal erzählt hatte und das ihm in Erinnerung geblieben war, an einen Seelöwen. Mag sein, dass dieser Eindruck auch mit dem schwarzen, links und rechts an den Lippen herunterhängenden Schnauzbart zusammen hing oder an der Tatsache, dass der junge Mann vollständig in eigenartig glatte Pelze gekleidet war.
Dann begann der Mann zu reden und er sprach mit einer Stimme, die Shandra sofort wieder erkannte, es war die Stimme seines neuen Schwertes, des weißen Wolfs.
„Junger Meister, du musst noch eine Menge von mir lernen. Vor allem musst du lernen, wie du dich entwickeln kannst, ohne dich deswegen halb umzubringen. Oder wie du möglichst schnell den Nachwirkungen einer neuen Belastung fertig wirst.“
„Da hast du sicherlich recht, doch ehe wir weiter über mich reden, sag mir wer du bist!“
„Oh, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Inaka und ich bin ein reinblütiger Nachkomme der wahren Menschen, der Inuit. Ich bin derjenige, welcher dein Schwert geschmiedet hat und ich bin zugleich die Seele des weißen Wolfes. Wir werden noch viele Jahre miteinander verbringen, du und ich und ich werde in so manchem Bereich dein Berater sein.“
„Nun, dann kann ja nicht mehr viel schief gehen, Was hast du für einen Rat bezüglich meiner Schmerzen? So einfach werde ich sie nicht los werden, oder? Muskelkater kann man nicht einfach abstellen, wenn man seiner überdrüssig ist.“
„Da hast du allerdings recht, aber es gibt für viele Probleme eine Lösung, wenn man nicht auf den Kopf gefallen ist. Frage, hast du zusammen mit deinem neuen Schwert – mit mir – noch andere Artefakte erhalten?“
„Ja, das habe ich. Ein kleines Horn, mit dem ich nicht recht etwas anzufangen weiß und eine etwa zwei Finger dicke Rolle, irgend ein weiches Material, auch mit der Rolle weiß ich nichts anzufangen.“
„Das Horn erkläre ich dir später, jetzt geh und hol die kleine Rolle, öffne sie und du wirst eine Membran bekommen, die groß genug ist, um dich von Kopf bis Fuß einzuwickeln. Das tust du und dann legst du dich wieder hin um zu schlafen. Weißt du wie ein Muskelkater entsteht?“
„Nein, weiß ich nicht, aber ….“
„Ja, ich erkläre es dir. Wenn du deine Muskeln zu sehr überdehnst, weil du sie zum Beispiel auf eine völlig neue Art beanspruchst, reißen viele winzig kleine Fasern in deinen Muskelsträngen ab und das ist es, was dir Schmerzen bereitet. Je mehr gerissene Fasern, desto größer die Schmerzen und umso länger die Zeit, bis diese Fasern sich wieder erholt haben. Die Membran wird deine Erholungsphasen auf einen Bruchteil der Zeit drücken, die du ansonsten brauchen würdest.“
Shandra hatte die Anweisungen Inakas befolgt, er lag auf seinen Schlaffellen und hatte sich in die zarte und dennoch feste Folie eingewickelt. Jetzt redete er in seinen Gedanken weiter mit dem Geist seines Schwertes.
„Das ist es ja, was ich sagen wollte, ich weiß was eine Haut ist und ich kenne ihre Wirkung. Ist das, was ich so zusammengerollt erhalten habe etwas wie eine Haut?“
„Besser, denn ich habe die Membran die du hast deutlich weiter entwickelt. Sie heilt schneller und sie sorgt vor allem dafür, dass dein Körper nicht abhängig wird von der Haut. Selbst wenn sie dir ein Glied abgehackt haben, kann deine Membran dir innerhalb weniger Tage helfen, die Haut deines Schamanen dagegen braucht die Zeit, die einem Krieger oftmals nicht zur Verfügung steht. Liegst du gut in deiner Membran?“
„Ja, sehr gut und ich spüre bereits, wie die Schmerzen nachlassen.“
„Siehst du? Gut jetzt machen wir aber noch etwas Wichtiges. Du kannst deine Membran personifizieren, das bedeutet, sie wird nur dann ihren Dienst tun, wenn du sie dazu aufforderst. Das macht es für andere uninteressant, sie zu stehlen. Schau hier, das ist eine Art kleines Gehirn. Lass zu dass dieses kleine Gehirn nun den Kontakt mit dir herstellt und deinen biologischen Code speichert. Ja, so ist es gut, nun kannst nur noch du die Heilkräfte der Membran abrufen. Jetzt würde ich vorschlagen, du schläfst dich erst mal aus und dann gehen wir die nächste Lektion an.“
„Warte noch, ich will dir noch etwas sagen. Ich habe einen Mann kennen gelernt, der von sehr weit her in unser Land gekommen ist.“
„Ja? Von wie weit her?“
„Er sagt, seine Heimat sei Ama no Mori…“
„Oh, das ist wirklich sehr weit weg. Was ist mit dem Mann?“
„Er hat sich angeboten, mein Lehrer im Schwertkampf zu sein.“
„Kann er denn mit einem Schwert umgehen?“
„Er nennt sich einen Samurai und sagt er war der oberste Stratege eines so genannten Tenno. Er sagt auch, der Urgroßvater seines Vaters hätte das Schwert Asia geschmiedet.“
„Ewiger blauer Himmel, wenn das stimmte! Bist du dir dessen sicher, was du eben gesagt hast?“
„Ganz sicher.“
„Dann hast du etwas gewonnen, das noch nie ein Krieger besaß. Übe mit dem Mann, lass dir alles zeigen, was er weiß und kann, denn dann wirst du unbesiegbar werden. Meine Lehren allein würden dich nach den Maßstäben Europas und der nördlichen Lande zum besten Schwertkämpfer machen. Wenn du die Techniken Asias ebenfalls beherrschst, wird dich kaum mehr jemand besiegen können. Dann werden vielleicht wir beide am Ende bestimmen können, welche Werte die Zukunft der Menschheit beherrschen werden.“
Mit einem Mal riss der Traum ab, Shandra schreckte hoch und saß aufrecht auf seinen Schlaffellen, ohne zu wissen, was ihn geweckt hatte. Als er sich dann wieder entspannte und zum weiterschlafen zurück legte, kam der Traum nicht wieder und er schlief entspannt bis zum nächsten Morgen durch. Am Morgen, als Minaro aus seinem Wagen kletterte, fand er einen erholt und entspannt wirkenden Shandra am gerade neu entfachten Feuer sitzend vor, einen Becher frisch aufgebrühten Tee in den Händen und ein unternehmungslustiges Blitzen in den Augen.
„Mir scheint, dir geht es schon wieder recht gut. Hast du deinen Muskelkater schon überstanden?“
„Er ist wie weg geblasen. Ich denke, wir können mit vollem Programm los legen.“
Volles Programm bedeutete zunächst einmal Lockerungs- und Dehnübungen. In den langsamen Bewegungen des Tai Chi wurden Muskeln, Bänder Sehnen und Gelenkflüssigkeit aufgewärmt und der Körper auf höchste Leistungsbereitschaft vorbereitet. Minaro war auch ein Wunder an Wissen, wenn es um den menschlichen Körper und um Bewegungsabläufe ging. Ein Körper – darin glich er in seiner Auffassung dem, was Shandra von Kindesbeinen an von Rollo zu hören bekommen hatte – war zu allem geeignet, was er mitmachte ohne zu zerbrechen. Die Grenzen der Leistungsfähigkeit lagen gemäß Minaros Auffassung so weit weg vom Alltag, dass ein Mensch sich bis an seien Lebensende weiter entwickeln konnte. Er musste allerdings wissen wie, auf welche Art und dieses Wissen vermittelte er nun seinen Schülern Shandra, Shira und Rollo. Die beiden hatten sich wie selbstverständlich zu der morgendlichen Übungseinheit eingefunden und Minaro sah keinen Grund, sie nicht teilnehmen zu lassen.
Atmung und Bewegung auf ein gemeinsames Niveau zu bringen, war der nächste Abschnitt der Übungen und dabei ging es zunächst immer noch extrem langsam zu. Doch je länger die Übungen andauerten, desto schneller wurden die Abläufe. Schnellere Bewegungen, abruptere Stopps und immer akrobatischere Sprünge, eine schweißtreibende Angelegenheit, die dazu diente, den Körper warm und geschmeidig zu machen, aber auch um Geist und Körper zu reinigen und auf einem neuen Niveau zur Einheit zu führen.
Die Hände und Füße begannen ein Eigenleben zu führen, die Linke wurde unabhängig von der Rechten, Hände und Füße hatten nicht mehr gemeinsam, als die Tatsache, dass sie zu ein und demselben Körper gehörten. Agieren mussten sie aber getrennt voneinander.
Die Übungsschwerter waren aus Holz. Schwere Waffen aus harter Schwarzeiche, im Gewicht und in der Länge gleich den echten Schwertern aus Stahl. Durch echte Schnitzkunst so ausgewogen wie die Klingen der Samurai, aber eben aus Holz. Minaro nannte sie Bokken und es gab ein langes und ein kurzes Bokken. So wie die Schwerter Katana genannt wurden und so wie es ein Katana und ein Dai-Katana gab. Das Katana war kürzer, nur etwa zwei Fuß lang, während das Dai-Katana nicht kürzer als drei Fuß war. Beide Klingen waren im vorderen Drittel leicht gebogen, beide waren – im Gegensatz zum weißen Wolf - nur einseitig geschliffen.
Die Katana – Schwerter waren wahre Kunstwerke und es dauerte sehr lange, ein solches Schwert herzustellen. Sie bestanden aus zwei unterschiedlich harten Stahlarten. Der harte Stahl bildete die Seele des Schwertes, der etwas weichere war zu beiden Seiten der Klinge für die Schärfe zuständig. Drei Lagen Stahl wurden im Feuer mit einander verschweißt, danach einmal gefaltet und erneut verschweißt. Dann wurde der Rohling auf die Länge des Katanas ausgeschmiedet und erneut gefaltet und verschweißt. Die meisten Schwerter waren hundertfach gefaltet, ein wertvolles Katana war fünfhundert Mal gefaltet, die Katanas, die Minaro und seine Töchter benutzten bestanden aus tausendfach gefaltetem Stahl.
Ein solches Katana war eine nahezu unzerstörbare Waffe und auch im härtesten Gefecht trug es niemals eine Scharte davon. Es rostete nicht und verlor niemals seine unglaubliche Schärfe. Wer durch ein Katana getötet wurde starb also einen sanften Tod.
Sie begannen mit den Bokken zu üben und Minaro unterwies sie zuerst in der Kunst des traditionellen Fechtkampfes und ließ sie die zweihundertvierundvierzig Schlagvarianten auswendig lernen und üben.
Auch in die geheimen Techniken der Ninja wurden sie eingeführt und Minaro erklärte ihnen, dass mit der Zwei – Schwerter - Technik dieser schwarz gekleideten und vermummten Krieger weit über tausend Schlagvarianten möglich waren. Techniken und Varianten die es im Laufe seines Lebens für einen Schwertkämpfer zu erlernen galt.
Minaro redete mit ihnen über die Perfektion und die Präzision von Bewegungsabläufen und sie begannen zu begreifen, weshalb Übungen und Techniken wieder und immer wieder absolviert werden mussten, bis sie ohne nachzudenken in einer Situation abgerufen wurden. Er begann auch schon in dieser ersten Übungseinheit ihnen die Denkweisen und Ideologie der Samurai zu vermitteln.
„Ihr lernt wahre Schwertkämpfer zu werden, denn ihr habt nicht vor, mit einem Stück Eisen auf einen Gegner einzuprügeln, um ihm seine nächste Mahlzeit wegzunehmen, ihr wollt mit der Kampfkunst etwas erreichen und an andere Menschen etwas weitergeben. Ihr wollt und ihr werdet zu Leitbildern werden, zu denen viele Menschen aufblicken und zu denen sie kommen werden, wenn sie Hilfe und Gerechtigkeit suchen.
Aber ihr werdet auf eurem Weg auch Kämpfern begegnen, die keinen anderen Idealen folgen, als ihrem eigenen Vorteil. Auch diese Kämpfer haben viel Zeit und Energie in die Kampfkunst gesteckt, denn ihr Erfolg hängt direkt an ihrem Können mit den Waffen.
Glaubt nicht, dass diese Kämpfer weniger weit auf dem Weg der Kampfkunst voran kommen, als ihr. Nicht das erklärte Ziel ist es, das den Suchenden stark macht, sondern der Wille ein erklärtes Ziel zu erreichen. Herrschsucht und Habgier sind mindestens genau so starke Antriebskräfte wie Ritterlichkeit, Ehrlichkeit und das Ziel eine bessere Welt errichten zu wollen.
Ihr müsst also stets damit rechnen, auf gleichwertige oder gar stärkere Gegner zu treffen, auf bessere Kämpfer als ihr selbst es seid. Doch selbst dann, wenn ihr auf einen überlegenen Gegner trefft, auf einen der stärker ist als ihr und schneller und zudem vielleicht auch noch bessere Waffen besitzt, habt ihr immer noch die Chance zu siegen. Doch um diese Chance zu wahren, müssen zunächst eure Grundfunktionen stark genug sein. Und dabei steht an aller erster Stelle der bedingungslose Willen, zu überleben.
Ihr dürft niemals und in keiner Lebenslage euer Überleben in Frage stellen, sonst werdet ihr vor Ablauf der euch zustehenden Zeit sterben. Um das Überleben zu sichern bedarf es verschiedener Stufen der Ausbildung. Eure Ausbildung besteht aus einer endlos langen Treppe, von der wir Menschen nur den Beginn aber nicht das Ende erkennen können. Ich kann euch also die Schritte zeigen und euch bei diesen Schritten auch helfen, die auf die untersten Stufen dieser Treppe führen und die allererste Stufe, die ihr überwinden müsst, ist das Erkennen und Verbessern der bedingten Reflexe, denn sie stellen die erste Stufe des Überlebens dar.
Was aber sind bedingte Reflexe?
Es handelt sich bei diesen Reflexen um angeborene oder angeeignete Reaktionen von Körper und Geist, die dazu dienen, euch in der von euch gewählten Lebenssituation besser zu Recht zu kommen.
Wenn ich eine Handvoll Sand nehme und sie einem von euch ins Gesicht werfe, wird mein Opfer ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken, die Augen schließen um sie vor den Sandkörnern zu schützen. Dabei handelt es sich um einen angeborenen Reflex, den man auch Instinkt nennen könnte. Es gibt eine ganze Reihe von Instinkten, denen wir Menschen blind gehorchen, denn sie helfen und – wie gesagt –gesund zu bleiben und damit zu überleben.
Wenn ein Anführer eurer Familie, eurer Sippe, eures Volkes befiehlt, dass ihr euch an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort einfinden sollt und ihr tut das ohne den Befehl zu hinterfragen, dann ist auch das ein bedingter Reflex, etwas also, das ihr ohne darüber nachzudenken tut. Allerdings handelt es sich nun um einen anerzogenen Reflex. Ihr oder eure Eltern oder wer immer für eure Erziehung zuständig war, hat euch immer wieder erklärt, dass genau dieser Mensch alles weiß, was für das Volk, den Stamm, die Sippe, die Familie das richtige ist und den Menschen des Verbandes am besten dient. Man hat euch beigebracht, so lange den Anordnungen dieses Menschen zu folgen, bis sich Fehler und Unsicherheiten zeigen. Dann erst beginnen die Menschen über anerzogene Reflexe nachzudenken.
Über einen Instinkt nachzudenken ist sinnlos, denn wer seine Instinkte in Frage stellt, schadet sich selbst. Instinkte können aber verbessert werden, Reaktionszeiten verkürzt, Sinne verfeinert werden. Je besser eure Nase funktioniert, umso leichter könnt ihr einer Duftspur folgen. Den Geruchssinn außer Kraft zu setzen wäre dumm und würde Instinkte außer Kraft setzen. Den Geruchssinn durch bewusstes Erkennen und immer wiederkehrende Übungen zu stärken ist klug, denn es verbessert die Überlebenschancen.
Wir bewegen uns nun also auf die erste Stufe des Überlebens und damit auch der Kampfkunst zu und verbessern eure Sinne und eure Reflexe. Eines der besten Mittel um diese zu verbessern, sind Schmerzen.“
Sie begannen der Reihe nach mit Minaro zu fechten und begriffen schnell, was der Mann damit gemeint hatte, als er Schmerzen zu den lehrreichen Mitteln gezählt hatte.
Er erklärte, wie man sein Schwert zur Deckung und zur Abwehr benutzt, dann griff er mit seinem Bokken an und deckte jede Lücke in der Abwehr gnadenlos auf. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er Rollo einen Finger gebrochen und ein paar Rippen geprellt, seine Nase war zu einem dicken, roten Klumpen angeschwollen und der Riese konnte nicht einmal richtig fluchen, weil er einen harten Schlag auf den Mund bekommen hatte und seine Lippen so dick und blau wie reife Feigen waren.
Mit Shira ging er nicht weniger hart um und auch sie war schon bald von Blutergüssen und Prellungen nur so übersät.
Nur bei Shandra gab es für Minaro eine kleine Überraschung.
Minaro bot all sein Können auf, doch es gelang ihm nicht, Shandra so zu treffen, dass er ihm echte Schmerzen hätte zufügen können und Shandra lernte in einer Geschwindigkeit, die Minaro noch niemals bei einem Schüler erlebt hatte. Niemals fiel der junge Mann auf ein und dieselbe Finte zweimal herein. Ebenso musste ihm keine Technik, kein Trick und keine Reaktion mehr als einmal erklärt werden. Danach beherrschte er sie. Noch ehe die erste Übungseinheit ganz zu Ende war, begann Shandra ohne Erklärungen und Erläuterungen erhalten zu haben, eigene Varianten im Abwehrverhalten zu entwickeln und dann, zu Minaros allergrößter Überraschung sogar eigene Angriffe aufzubauen. Es fehlte ihnen noch an Schnelligkeit, an Härte und Konsequenz, vor allem aber an Raffinesse um Minaro in Verlegenheit zu bringen, doch einem weniger guten Kämpfer als Minaro hätten Shandras Angriffe bereits zu schaffen gemacht.
Shandras Talent für den Schwertkampf war enorm groß.
Da er auch über die größte Geschmeidigkeit der drei Schüler verfügte und – durch das Reiten auf Shaitan - über eine extrem gut entwickelte Balance, begann er den Einstieg in die Treppe der Entwicklung mit riesigen Schritten und Minaro fragte sich, wie hoch wohl Shandras erreichbares Ziel liegen mochte. Wahrscheinlich höher, als es jemals bei einem Schwertkämpfer gelegen hatte…
Am Nachmittag, Minaro hatte sich so, wie es sich für einen Lehrer geziemt, zu einem Mittagsschlaf zurück gezogen, winkte Shandra seinen beiden Geschwistern ihm zu folgen. Er führte sie zu einem vor Blicken geschützten Platz zwischen den großen Hibiskushecken im Hof des Handelsposten, dann breitete er eine große Plane aus Rinderhaut - Rollo hatte sie vom Kampf am Fluss mitgebracht – auf dem Boden aus und bat die beiden sich darauf zu setzen. Dann entrollte er das kleine Päckchen, das an seinem Wehrgehenk befestigt war und legte die Membran um die Schultern seiner Geschwister. Erstaunt stellte er fest, dass die Membran, die in der Nacht zuvor genau so groß gewesen war, dass sie seinen Körper einhüllen konnte, nun ausreichte um sowohl Rollo als auch Shira zu umfassen.
Die beiden staunten und wollten wissen, was das nun werden sollte, doch Shandra legte den Zeigefinger über die gespitzten Lippen und meinte:
„Pst! Bleibt schön sitzen und bewegt euch nicht solange ihr noch Schmerzen verspürt. Erst wenn alle Schmerzen verschwunden sind, sagt ihr mir Bescheid und ich nehme euch die Membran dann wieder ab.“
Diese Aussage genügte, denn die Aussicht Schmerzen loszuwerden, war verführerisch genug für jedes unerklärte Experiment.
Am späten Nachmittag waren beide schmerzfrei und Rollo wickelte sie aus der hauchdünnen Folie, rollte diese wieder zu dem kleinen Päckchen zusammen und befestigte sie wieder an seinem Wehrgehenk, während Rollo und Shira vorsichtig heraus zu finden versuchten, wie gut es ihnen tatsächlich schon wieder ging. Sie waren begeistert, denn von all ihren vielen Blessuren war nichts mehr übrig geblieben, sie waren wie neu.
„Was ist das für eine wundervolle Sache, die du mit uns angestellt hast? Ich fühle mich so gut wie lange nicht mehr. Hat das alles diese dünne Plane bewirkt? Was ist das für ein Material, welches Geheimnis hast du da wieder entdeckt?“
Die Fragen sprudelten aus Rollo nur so heraus, doch Shandra hatte selbst Fragen und die schienen ihm im Moment wichtiger zu sein, als Rollos Neugierde zu befriedigen.
„Ja, die Membran hat eure Verletzungen in kürzester Zeit geheilt. Und sie wird das wieder und immer wieder tun. Deshalb will ich wissen, ob ihr bereit seid, schon heute Abend eine weitere und vollständige Übungseinheit zu absolvieren. Minaros Wissen ist unglaublich groß und je mehr wir von ihm lernen, desto besser können wir die Aufgaben erfüllen, die uns erwarten. Leider haben wir nur wenig Zeit, aber ich denke sie wird genügen, da wir ja alle drei sehr begabte Schüler sind. Oder?“
Shandras leichtes Grinsen während des letzten Satzes nahm seinen Worten ein klein wenig die düstere Ernsthaftigkeit, trotzdem erreichte er, dass auch in Rollos Kopf der eigentliche Grund ihrer Handelsreise wieder in den Vordergrund rückte.
Minaro staunte nicht schlecht, als er von seinen neuen Schülern die Forderung erhielt, bis auf weiteres zweimal täglich zu üben und zwar ab diesem Tag. Er studierte ihr Verhalten, er erkannte, dass keiner von ihnen mehr unter Nachwirkungen der ersten Übungen zu leiden schien und so stimmte er einer zweiten Einheit noch vor Sonnenuntergang zu.
Sein Staunen wurde noch weitaus größer, als er dann bemerkte, dass bei den drei jungen Menschen alles, was er ihnen am Morgen beigebracht hatte, bereits wie einzementiert fest saß und er sich nicht einen Augenblick mit Wiederholungen abgeben musste. Jede Lektion war begriffen und die Körper der drei reagierten innerhalb des erlernten, als hätten sie nie etwas anderes getan. Er schüttelte den Kopf und stellte fest:
„Ich habe sehr viele Jahre meines Lebens damit verbracht, Menschen den Einstieg in die Kampfkünste zu weisen und sie auf ihrem Weg bis hinauf zu den höchsten Weihen zu begleiten. Ich bin ein Lehrer und unter meinen Schülern waren einige, die es zu größter Meisterschaft in mehreren Disziplinen gebracht haben. Sie alle waren stolz darauf, bei mir lernen zu dürfen und sie waren mit Begeisterung dabei. Schüler wie euch hatte ich aber noch nie. Wie ist es möglich, dass ihr so schnell lernt und euch alles so leicht merken könnt?“
Die Geschwister blickten sich kurz an, dann ergriff Rollo das Wort.
„Das, mein Lehrer, wirst du verstehen, wenn du das Hochland erst einmal selbst gesehen hast. Die Grazalema ist unglaublich schön, doch ein großer Teil ihrer Schönheit zeigt sich auch in ihrer Wildheit. Die Grazalema liebt ihre Kinder, aber mit den Schwachen kennt sie wenig Mitleid. Um dort als Mensch für längere Zeit am Leben zu bleiben, darf man praktisch keinen Fehler machen. Vor allem aber darf man keinen Fehler zweimal machen. Das wird uns vom frühesten Kindesalter an beigebracht und so verhalten wir uns, solange wir leben.“
„Dann, meine Kinder, werdet ihr wahre Meister der Klingen werden und ich hoffe nur, dass ihr das von mir erlernte Wissen niemals gegen sondern immer für diese Welt und ihre Bewohner einsetzt.“
Der Abend am Feuer war noch lange und sie unterhielten sich über vielerlei Dinge. Wichtiges und Belangloses wechselte einander ab und als es Zeit war schlafen zu gehen, hatte sie alle das Gefühl einen erfüllten Abend verbracht, ohne etwas verpasst zu haben. Auch Shandra schlüpfte tief in sein Decken, entspannte sich und schlief rasch ein. Sowie er eingeschlafen war, kam ein Traum zurück, von dem er beim ersten Mal geglaubt hatte, er wäre einmalig gewesen…
Shandra stand wieder an jenem Ufer. Mittlerweile wusste er ganz sicher, dass es das Ufer eines Meers war.
Es war ein sandiges Ufer und es lag nach Osten, denn die wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne trafen seine rechte Seite und die Sonne bewegte sich auf ihrem Weg nach Süden hinter seinen Rücken, Also schaute er selbst nach Norden. Zu seiner Linken lag ein dichter Wald aus dem er den Lärm unzähliger Vögel hören konnte. Shandra drehte sich nach links, weg vom Wald, hin zur Wasserlinie des Ufers. Ein stahlblau blinkendes Meer, dessen Wellen in der sanfter Dünung kleine Schaumkrönchen bildeten, ehe sie mit beruhigendem Rauschen an den Sand des Ufers schwappten und langsam herauf gerollt kamen. Shandra verspürte eine tiefe innere Ruhe beim Anblick dieses Meers und wusste zugleich, dass aus diesem Meer eines Tages sein Schicksal steigen würde.
Seine Augen waren auf einen ganz bestimmten Punkt im Wasser fixiert. Dicht unter der Wasseroberfläche gab es dort ein Felsenriff und genau aus diesem Riff würde eines Tages sein Schicksal auftauchen und das Ufer erklimmen. Wie er so stand und das Riff betrachtete, bewegte sich etwas in der Tiefe und Shandra sah genauer hin. Ein dunkler Fleck, der rasch größer wurde und jeden Moment auftauchen konnte. Höher und höher stieg der dunkle Fleck und dann erkannte Shandra, dass es sich um das lange Haar eines Menschen, einer jungen Frau handelte. Das Wasser kräuselte, sich wallte wie zu einem kleinen Hügel auf, dann stieß ein Kopf durch die Wasseroberfläche, zwei Hände folgten, schoben die Haare zur Seite und Shandra blickte in zwei blaue Augen, die in einem Augenblicke seine Seele einfingen um nie wieder loszulassen.
In diesem Augenblick brach der Traum ab und Shandra lag hellwach auf seinen Fellen und starrte in die Dunkelheit seines Zeltes. Täuschte er sich oder leuchteten da über ihm zwei blaue Lichter?
Ehe er über dieses Trugbild weiter nachdenken konnte, holte ihn der Schlaf zurück in seine Arme.