Читать книгу Wir in unserer Welt - Rudolf Kutka - Страница 10

Technische Entwicklung

Оглавление

Die Industrialisierung wurde von einem sich unvorstellbar rasch entwickelnden technischen Fortschritt getragen.

Die Herstellungsformen in Handwerksbetrieben und Manufakturen wurden nach und nach durch industrielle Produktionsweisen ersetzt. Zunächst wurde die Wasserkraft als Energiequelle genutzt. Dann folgten die ersten Maschinen auf der Basis von thermischer Energie. Mit der Möglichkeit, Wärme in kinetische (mechanische) Energie umzuwandeln, begann der Siegeszug der Dampfmaschine. Damit bekam die Wasserkraft einen ernst zu nehmenden Konkurrenten: Die Dampfkraft. Mit der Umwandlung von Dampf in mechanische Energie wurde u. a. der Bau von Fabriken - weit entfernt von Wasserläufen - möglich und rentabel. Von der englischen Baumwollverarbeitung ausgehend, hielt die neue Produktionsweise in ständig neuen Industriezweigen Einzug. Durch den Einsatz der Dampfmaschine mit immer verbesserten Techniken konnte die Pro-Kopf-Erzeugung in der Industrie stetig ansteigen. In dem Maße, in dem technische Erfindungen vorangetrieben und auf verfahrenstechnischer Ebene genutzt wurden, nahmen Arbeitsteilung und Spezialisierung der Tätigkeiten zu. Die Tür zur Massenproduktion zahlreicher Gebrauchs- und Verbrauchsgüter wurde aufgestoßen. Die fortschrittliche Welt blickte nach England, dem Mutterland der Industrialisierung. Von dort verbreitete sich die Entwicklung sehr rasch über das gesamte britische Empire und dessen überseeische Besitztümer. England entwickelte eine beispiellose Weltmachtstellung. Englische Produkte beherrschten bis in das 19. Jahrhundert hinein den Weltmarkt.

Die ersten Eisenbahnen rollten durch das Land (1825). (Die „Stockton and Darlington Railway“ in Nordengland mit einer Länge von neun Meilen wurde am 27. September 1825 mit der Fahrt der von Stephenson gebauten Lokomotive „Nr. 1“ eröffnet und war die erste Bahn, die auf eisernen Schienenwegen und mit Dampfenergie betrieben wurde.) Das Schienennetz, die Wasserwege und Hafenanlagen wurden ausgebaut. Der nächste Aufschwung kam durch die Erfindung der Elektrizität (1844). (Erstmalige elektrische Beleuchtung eines öffentlichen Platzes, des Place de la Concord in Paris, mit Bogenlicht und die 1866 von Werner von Siemens entwickelte elektrische Maschine). Die Möglichkeit, Strom durch metallische Leiter transportierbar zu machen, eröffnete eine Innovationswelle ohne Beispiel. Jetzt konnte Strom über Fernleitungen von den Wasserkraftwerken in die Industriestandorte und Ballungsräume transportiert werden (1882). (1882 gelang die erste Fernübertragung von elektrischer Energie über 57 km mit der Gleichstromfernübertragung Miesbach-München). Die Straßen in den Städten und die Wohnungen erhielten elektrisches Licht. Ein Meilenstein in der weiteren Entwicklung war die Erfindung von Verbrennungsmotoren (ca. 1860). (Nikolaus August Otto baute um 1860 den ersten Verbrennungsmotor.) Damit konnten die Antriebstechniken verbessert und weiter optimiert werden. Dies eröffnete auch das Zeitalter der frühen Mobilität (zwischen 1860 und 1905) (Rudolf Diesel, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach, Adam Opel und Henry Ford gelten als die Pioniere der Mobilität). Personenkraftwagen und Lastwagen gingen in die Serienfertigung, Schiffe wurden mit Dieselaggregaten angetrieben. Die Windjammer kamen allmählich aus der Mode. Schließlich wurde elektrische Energie auch für Antriebstechniken verwendet (1860) (Philipp Reis erfand 1860 das Telefon und damit die elektrische Sprachübermittlung. Allerdings wurde seiner Erfindung keine große Beachtung geschenkt, so dass erst 1876 Alexander Graham Bell in den USA das erste wirtschaftlich verwendbare Telefon konstruierte und auch erfolgreich vermarktete). Auch der umgekehrte Weg wurde möglich: Eine mit fossilen Brennstoffen angetriebene Maschine (Generator) konnte Strom erzeugen (1866) (Werner von Siemens).

Die industrielle Produktionsweise verdrängte nach und nach auch in anderen höher entwickelten Ländern die manuellen Herstellungstechniken in Handwerksbetrieben und Manufakturen. Die menschliche Fertigkeit wurde allmählich durch eine präzise und unermüdlich funktionierende Arbeits-Maschine ersetzt. Strom konnte jetzt in Wärme und beides in Arbeit umgewandelt werden. Und an dieser Stelle begann sich der Finanz- und Kapitalmarkt zu entwickeln. Die Losungsworte, die auch in den folgenden Jahrhunderten gelten sollten waren: Finanzen, Kapital, Rendite und Marktbeherrschung und dann im Zuge der Amerikanisierung „shareholder value“, „profit-maximisation“, „Capital-growth“ usw. Die zunehmende Ausrichtung auf Kapital und Gewinne war in dieser Entwicklungsphase nicht zufällig, sie war Voraussetzung für die Entwicklung der Industrialisierung. Und diese Aussage gilt auch umgekehrt. Es hat sozusagen jemand „Butter bei de Fische gegeben“, wie der Norddeutsche so treffend sagt. Niemand hätte die Entwicklung aufhalten können. Über Ursache und Wirkung kann getritten werde.

Durch die Kapitalisierung der Wirtschaft konnten private Kapitalanlagen zusammengeführt werden, die Anlageinvestitionen mit einem Kostenaufwand von vielen Millionen Mark ermöglichten. Schwerpunkt war der Ausbau der Energieerzeugung. Innovationsprozesse wurden finanzierbar. Neue Rohmaterialen kamen auf. Pflanzliche und tierische Substanzen konnten durch anorganische und synthetisch hergestellte Materialien ersetzt werden. Die Entwicklung bekam Eigendynamik.

1913 entdeckte Alfred Einstein die Relativitätstheorie. Im August begann der 1. Weltkrieg. Es war der erste industrielle Krieg. Die Vernichtungswaffen hatten eine neue Dimension erreicht. Das Ergebnis war Millionen Tote und Verletzte. Die Folgen sind bis heute nicht überwunden. Die Firma Junkers brachte das erste Leichtmetallflugzeig heraus (1915). Der erste mit Kohlenstaub angetriebene Motor wurde 1916 erstmals erprobt (Pawlikowski, De Cholewa). Rutherford löste 1919 die erste Kernreaktion aus und schloss 1920 die Entwicklung der ersten Patronen ab, die eine neue Qualität der Kriegsführung ermöglichten. Das Atomzeitalter begann mit der Entdeckung der Quantenmechanik durch Alfred Heisenberg (1925). 1927 flog Lindbergh erstmals von New York nach Paris. Paul Schmidt setzte den Anfang für strahlengetriebene Flugzeuge und entwickelte 1930 das erste Strahltriebwerk (Paul Schmidt war der Erfinder des Pulsotriebwerkes, die Grundlage für die Entwicklung der V1 im zweiten Weltkrieg). Schwerer Wasserstoff wurde 1932 nachgewiesen (Urey, Brickwedde Murphy). 1932 fand die erste Fernsehübertragung in Deutschland statt. Die erste Kernspaltung gelang 1938 (Heisenberg). Dieses Jahr war auch der Beginn der Herstellung von synthetischen Fasern (Perlon, Nylon). Der erste Kernreaktor wurde noch vor Beendigung des 2. Weltkrieges in Betrieb gesetzt (1942) (Fermi). Und dann war auch die Uran-Atombombe (1945) nicht mehr aufzuhalten. 1947 flog das erste Raketenflugzeug mit Strahlenantrieb. Die erste Wasserstoffbombe war ebenfalls 1947 entwicklungsreif. 1956 begann das Atomzeitalter mit dem ersten Atomkraftwerk zur Produktion von Stromenergie. Die erste Raumschiff-Landung auf dem Mond datiert auf 1959. Zehn Jahre später setzte der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond. 1973 konnte in der UdSSR erstmals Plasma über mehrere Stunden stabilisiert werden, der Beginn der Kernfusion. Inzwischen haben wir einen Shuttle auf dem Mars, schauen uns dort über Kameras um und nehmen Gesteinsproben (2012).

Der technische Fortschritt veränderte die Gesellschaft in den Industrie- und weiterentwickelten Ländern fundamental. Berufe verloren an Bedeutung, neue kamen hinzu. Die Anforderungen an die berufliche Qualifikation stiegen. Das Bildungssystem war grundlegenden Veränderungen unterworfen. Der Prozess ist weiterhin offen. Und alle diese Abläufe sind immer schwieriger beherrschbar, weil die Entwicklung in unglaublich kurzer Zeit abgelaufen ist. Sie wirkte auch auf Prozesse außerhalb der technischen Abläufe:

Arbeit war für die Wirtschaft ein Produktionsfaktor, ebenso unersetzbar wie das Kapital. Doch während die Kapitalinvestoren von den Unternehmern „gepflegt“ wurden, waren ihnen die Erbringer der Arbeit, also die Werktätigen, schutzlos ausgeliefert. Die Arbeitgeber zahlten den Lohn, den sie für angemessen hielten und gestalteten die Arbeitsbedingungen nach ihrem Gutdünken. Die Lage verbesserte sich erst, als Gewerkschaften aufkamen und die Vertretung der Arbeitnehmer-Mitglieder bei Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern übernahmen. Die Bündelung der Kräfte ermöglichte eine verbesserte Durchsetzung der Arbeitnehmer-Belange. Verbindlich ausgehandelte Tarifverträge sorgten für menschenwürdige und gerechte Arbeitsbedingungen und sicherten Arbeitern und den Angestellten ein einigermaßen gesichertes Leben, solange sie in Arbeit waren.

Erst nach der Jahrtausendwende (2004) wurde dieses gut funktionierende System der Flächen-Tarifverträge in Deutschland durch eine neue Arbeitsmarktordnung und die Einführung der Zeitarbeit durchbrochen. Ein großer Teil der Arbeitnehmer wurde, um der Arbeitslosigkeit auszuweichen, in die Scheinselbständigkeit gelockt und viele haben mit ihren Arbeitgebern keinen direkten Arbeitsvertrag mehr. Die sogenannte Lebensstellung gibt es heute praktisch nicht mehr. Die betriebliche Altersvorsorge ist eher eine Ausnahme geworden. Ein großer Teil der von den Arbeitnehmern in einem Jahrhundert erkämpften Existenzsicherung und Lebensqualität ging wieder verloren. Viele Menschen sind heute in ihrer Existenz so stark gefährdet, dass ihnen eine individuell und volkswirtschaftlich notwendige Planung einer gesicherten Zukunft verwehrt ist. Die Arbeitslosen-Statistik weist seither positivere Zahlen aus, doch schieben wir eine beträchtliche Dunkelziffer an Berufstätigen vor uns her, die mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum liegen. Nutznießer der Entwicklung war die Wirtschaft.

Die in Deutschland besonders rigoros praktizierte Entlastung der Wirtschaft von einem Teil der Lohnkosten hat zu einer verbesserten Wettbewerbslage Deutschlands auf dem Weltmarkt geführt. Deutschland konnte mit seiner traditionell besseren Technik und Produktqualität (“Made in Germany”) auf den Märkten nunmehr auch in preislicher Hinsicht gut bestehen. Väter dieses Erfolges sind nicht nur die gefeierten überaus fähigen Wirtschaftsmanager, deren Erfolge durch hohe Bonuszahlungen „versilbert“ wurden, sondern die Einkommensverzicht leistenden Arbeitnehmer. Manager erhalten im Falle ihres „Versagens“ meistens den „goldenen Händedruck“, dagegen wird der Arbeitnehmer, der seine Beschäftigung unverschuldet verliert, noch bestraft. Bevor die AL-Versicherung greift, muss er erst sein möglicherweise in Jahrzehnten angesammeltes Sach- und Geldvermögen „verbrauchen“.

Andererseits hat aber gerade die Wirtschaftsstärke Deutschlands wiederum einen Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse geleistet, so dass auch hier wiederum über Ursache und Wirkung gestritten werden kann.

Die Industrialisierung hat vielen Menschen Lebensverbesserungen gebracht. Bürger aus allen Schichten konnten mit Fleiß, Tüchtigkeit und Glück zu Wohlstand kommen. Die von der Entwicklung Begünstigten sehen sich in einer verbesserten Lage. Die Folge ist soziales Ungleichgewicht: Zehn Prozent der Menschen besitzen 80 Prozent aller Vermögenswerte. Und diese Schere zwischen Armut und Reichtum öffnet sich immer weiter.

Angesichts einer im Zuge der Automatisierung ohnehin schwindenden Bedeutung des Produktionsfaktors Arbeit verlief die Gesamtbilanz für die Arbeitnehmer zu einem großen Teil eher negativ. Die Arbeitslosenzahlen sind nach wie vor hoch, die Altersarmut steigt, die Sicherheit der Existenz durch Dauerarbeitsplätze und auskömmliche Ruhestandsbezüge ist weitgehend verloren gegangen.

Der Mann als alleiniger Versorger der Familie kann seiner Aufgabe häufig nicht mehr gerecht werden, auch die Ehefrau muss ihren Beitrag zu einem einigermaßen auskömmlichen Familieneinkommen leisten. Teilweise sind zwei und mehr Arbeitsverhältnisse erforderlich. Dieser Zustand hat wiederum bedenkliche Auswirkungen auf den Bestand der Familie und die Entwicklung unserer Kinder, also tiefgreifende Eingriffe in unsere sozialen Strukturen.

Die grundlegende Veränderung unserer Lebensordnung wurde durch neue technische Hilfsmittel begünstigt. Beispielsweise konnte der Zeiteinsatz für die Erledigung der täglichen häuslichen Bedürfnisse reduziert werden. Dies, aber auch steigende Lebensansprüche, führten zu erheblichen Veränderungen der Lebensführung und der Familienordnung. Der Trend zu zwei und mehr Familieneinkommen entstand nicht nur aus existenziellen Problemen heraus. Frauen hatten zunehmend den Wunsch sich aufgrund eines neuen Verwirklichungsverständnisses beruflich und in eigenen Karrieren zu verpflichten. Die Erfindung der empfängnisverhütenden „Pille“ führte zu einer Verringerung der Fruchtbarkeitsrate und damit zu einer gewollten Entbindung von den Verpflichtungen der Mutterschaft. Der Anteil derjenigen, die gar nicht erst familiäre Verpflichtungen eingingen, stieg rasant an. Die seit archaischen Zeiten unveränderte Rollenverteilung in der Familie hat sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten fundamental verändert. Die Familie gilt nicht mehr als erstrebenswertes Ziel. Der Umschwung war schleichend und wurde in seinen Auswirkungen vielfach nur dadurch bemerkt, dass neue öffentliche Lasten entstanden.

Was hat die Industrialisierung der Menschheit gebracht? Ganz sicher sehr Positives in vielerlei Hinsicht. Die negativen Begleiterscheinungen können wir leider auch nicht ignorieren. Erst mit einem größeren zeitgeschichtlichen Abstand werden wir objektiver beurteilen können, wo uns der Fortschritt hilfreich und wo belastend war. Unabhängig von dieser Pauschalbetrachtung gibt es aber auch ein Phänomen, das wir „im Hier und Heute“ bewältigen müssen. Hier kämpfen wir um nicht weniger als um unsere Existenz:

Die Verbrennung von fossilen Ressourcen in Verbindung mit der zunehmenden Motorisierung und der Verwendung von Erdöl als Energieträger für das Heizen hat ein neues Kapitel in der Zerstörungsgeschichte unserer Erde eröffnet. Die in die Luft gelangenden Verbrennungsrückstände sind nur in sehr begrenztem Umfang abbaubar und lagern sich als Treibhausgase in unserer Atmosphäre ab. Sie beeinflussen dadurch das Erdklima und beschwören die Gefahr eines Klimawandels herauf.

Mit der verfahrenstechnischen Umsetzung der Atomenergie und dem Bau von Atomkraftwerken zur Stromerzeugung wurde erdgeschichtlich buchstäblich die „Büchse der Pandora“ geöffnet. Obwohl die Risiken der Technologie niemals auszuschließen waren, wurde die Entwicklung aus verfehltem Fortschrittseifer und aus Gier nach billiger Energie in wenigen Jahren bedenkenlos vorangetrieben. Viele Menschen wurden und werden durch den Betrieb der Anlagen einer lebensbedrohenden Verstrahlungsgefahr ausgesetzt. Zahlreiche Atomkraftwerke standen bereits unmittelbar vor einer Kraftwerkskatastrophe und in einigen Fällen ist diese auch schon eingetreten (Tschernobyl, Fukushima). Schon morgen kann ein neuer Störfall auftreten, wir hoffen nicht in unserer Nähe. Die endgültige Beseitigung des Atommülls auf unserer Erde ist nach derzeitigem Erkenntnisstand naturgerecht undurchführbar. Mit der Abschaltung der noch aktiven Kraftwerke wird das Problem noch nicht vorbei sein. Die Atomtechnologie wird uns noch viele Milliarden kosten, wenn die Kraftwerke schon vor langer Zeit ihre letzte Kilowattstunde Strom erzeugt haben.

Die negativen Folgen der Industrialisierung für Umwelt, Erdklima, Ressourcen und Entsorgung treten deutlich hervor.






















Wir in unserer Welt

Подняться наверх