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Das Durchblättern seiner Reiseunterlagen brachte Sven unverhofft eine Wende seiner traurigen Abschiedsstimmung. Er fand den Umschlag , den Max Weber ihm bei seinem Treffen in Toronto zum Überbringen an seine Frau mitgegeben hatte. Er rief die angegebene Telefonnummer an und hörte eine Frauenstimme, die sich mit Niehaus meldete. Er fragte nach Frau Weber, worauf sie antwortete: „Frau Weber ist meine Tochter, die gerade Besorgungen macht, aber bald zurück sein wird.“ Da er nicht wusste, wie sie bei der Erwähnung ihres Schwiegersohnes reagieren würde, versprach er ihr, sich später noch einmal zu melden.

Beim zweiten Versuch merkte er bereits an dem verbindlichen Ton, daß er dieses Mal mit Frau Weber sprach. Guten Tag! Hier spricht Frau Weber. Was kann ich für sie tun?“ „Mein Name ist Sven Fahrenholz. Ich komme aus Kanada und besuche momentan meine Eltern, die in Bergedorf wohnen. Ihr Mann , den ich in Toronto traf, gab mir einen an sie gerichteten Umschlag, den ich ihnen bringen möchte.“ An ihrer knappen Antwort erkannte er seine heikle Mission. „Passt ihnen morgen Nachmittag? Wir wohnen Elbgaustraße 18, nicht weit von der S-Bahnstation entfernt.“ „ Ich werde gegen halb vier dort sein.“ „Vielen Dank. Wir erwarten sie. Bis Morgen“ „Auf Wiedersehen“. Dieses abrupte Endedes Gespräches verhieß bestenfalls den neutralen Empfang eines Postboten, wenn nicht gar die Ablehnung eines Abgesandten des abtrünnigen Mannes. Sven nahm sich vor, die Fahrt mit anderen Erledigungen in der Innenstadt zu verbinden und sich am Abend vor der Heimfahrt mit den Kollegen aus seiner früheren Firma auf ein Bier zu verabreden.

Die S-Bahnstation Elbgaustraße erreichte er auf halber Strecke in Richtung Pinneberg. Der Fußweg von dort war, wie beschrieben, nur sehr kurz und führte auf dem Gehsteig der stark befahrenen Straße an unscheinbaren , grauen, vierstöckigen, älteren Mietshäusern vorbei, bis er zum Eingang mit der Nummer 18 kam. Nach seinem Läuten öffnete ihm eine große, schlank gewachsene Frau, musterte ihn zunächst mit einem kurzen, streng wirkenden Blick, der jedoch gleich darauf , während sie ihn ansprach von einer freundlichen Neugier abgelöst wurde.

„Guten Tag! Sie sind sicher Herr Fahrenholz, mit dem ich gestern telefoniert habe. Kommen sie herein!“ Eingedenk seines Auftraggebers blieb Sven zunächst ernst und antwortete zurückhaltend: „Entschuldigen sie bitte die Störung, dass ich sie überfalle.“ Sie lachte und entgegnete: „Ein Bergedorfer aus Kanada besucht uns nicht häufig und erzählt uns sicher Neuigkeiten, die wir noch nicht kennen.“ Dabei führte sie ihn ins Wohnzimmer und stellte ihn dort ihrer Mutter vor. Zusammen mit dem Mobiliar, der dunklen Polstergarnitur und dem Wandschrank, erinnerte ihn Frau Niehaus an das gewohnte Bild bei seinen Eltern, sodass er entspannt ihrer Aufforderung nachkam und sich in einen der Sessel setzte, während die beiden Frauen ihm gegenüber auf dem Sofa Platz nahmen. Abgesehen von dem Altersunterschied bemerkte Sven eine unterschiedliche Erwartungshaltung der beiden Damen. Frau Weber, die Jüngere, schien in ihm einen interessanten Mann entdeckt zu haben, dessen Aufmerksamkeit sie mit der geraden Haltung ihres schlanken, weiblich ausgeprägten Körpers auf sich zu ziehen suchte. Sie beobachtete ihn mit ihren durch das Lächeln in die Breite gezogenen, dunklen Augen, die sie zusammen mit ihrem wohlgeformten , oval-runden Gesicht und den zu einem Bubikopf frisierten, dunklen Haaren ebenfalls sehr attraktiv erscheinen ließen. Die Mutter dagegen wirkte skeptisch neutral, mehr darauf ausgerichtet, eine unangenehme Nachricht von ihrem ehemaligen Schwiegersohn zu bekommen. Ihre rundliche, kleine Statur zeigte Bodenständigkeit, betont von einem schwarzen Rock und einer weißer Bluse, überdeckt von einer dunkelblauen Stoffjacke. Das faltige, ovale Gesicht mit kurzer Nase ließ nur bei den großen grauen Augen, die wie bei der Tochter auseinandergezogen waren, eine Gutmütigkeit erkennen, die sie nicht ganz verbergen konnte.

Sven entschied sich, zunächst das Stichwort, dass ihm Frau Weber beim Eintreten gegeben hatte, aufzugreifen und erklärte: „Den Kanadier können sie noch vergessen. Ich binerst drei Monate dort gewesen und arbeite dort im Auftrag einer deutschen Firma, für die ich eine Baustelle im Norden der Provinz Ontario beaufsichtigen soll. Für die Vorbereitungen und die Besprechungen mit den einheimischen Unterlieferanten sowie unserem kanadischen Firmenvertreter wohne ich zunächst in Toronto und lernte in diesem Zusammenhang auch ihren Mann, Herrn Weber, kennen. Da ich bis vor einem halben Jahr noch bei einer Hamburger Exportfirma beschäftigt war und nur für Kurzaufenthalte ins Ausland geschickt wurde, kann ich nur die Definition als Bergedorfer für mich in Anspruch nehmen und besten- falls auf das Gelingen meines komplett neuen Anfangs in Kanada hoffen.“

Mit dieser kurzen Schilderung seiner augenblicklichen Situation gelang ihm, das Bild des Exoten von sich abzuschütteln und die anfänglichen Bedenken von Frau Niehaus weitgehend zu zerstreuen. Sie besann sich auf die Pflichten einer Gastgeberin, stand auf und sagte: „Ich mache uns jetzt einen Kaffee, bei dem wir besser plaudern können.“ Als sie gegangen war, sah ihn Frau Weber intensiv an und wollte wissen.: „Was sagt denn ihre Familie zu ihrer Veränderung?“ „Ich habe nur meine Eltern und einen jüngeren Bruder, der noch bei ihnen in Bergedorf wohnt. Selbst meine Mutter erkennt, dass ich langsam flügge werde und mein Bruder hält mich für einen Außenseiter, mit dem er nichts anfangen kann.“

Nachdenklich antwortete sie: „Auch ich bin ein Außenseiter, zwar nicht wie sie mit ihren Zukunftsplänen sondern mit meiner Vergangenheit. Mein Mann hat ihnen sicherlich von unserem Aufenthalt in Teheran erzählt. Wir hatten uns während der zehn Jahre, die wir dort wohnten, sehr gut eingelebt und uns einen festen Freundeskreis, besonders bei den Ausländern in unserer Umgebung, geschaffen. Nach der Revolution verlor mein Mann einen Großteil seiner Kunden. Wir mussten alles aufgeben und nach Deutschland zurückkehren. Hier glaubten wir als Deutsche an einen schnellen Neubeginn. Er misslang, weil wir die notwendige Neuanpassung, besonders bei den kleinen Dingen des Alltags, nicht beachteten und deshalb unser Benehmen nicht mehr den hiesigen Gepflogenheiten entsprach. Unsere neuen Nachbarn in Wedel beobachteten uns neugierig, entschuldigten sich aber bereits größtenteils mit verschiedenen Terminschwierigkeiten, als wir sie, wie in Teheran üblich, zum näheren Kennenlernen auf ein Bier einluden. Diejenigen, die kamen, interessierten sich anfangs für unsere ausländischen Erlebnisse, verglichen diese mit den Momentaufnahmen bei ihren Urlaubsreisen und verabschiedeten sich mit dem Eindruck, dass ihnen ihre Reiseführer ein besseres Bild von dem jeweilig besuchten Land vermittelten. Wir blieben ein fremder Störfaktor, den sie duldeten und mit der, uns verloren gegangenen norddeutschen Zurückhaltung, auf Distanz hielten. Mein Mann fand schnell neue Kontakte bei seinen Berufskollegen in seiner Bonner Firma und meine beiden Töchter bleiben im Internat, das zu ihrer zweiten Heimat geworden ist. Übrig bleibt der eingangs erwähnte Außenseiter, der hier vor ihnen sitzt.“

Sven, der nicht gleich mit seinem Stolz auf die gerade gewonnene Freiheit des Außenseiters eine passende Antwort auf diese andersartige negative Definition fand, wurde von der Mutter erlöst, die in diesem Moment mit dem Kaffee aus der Küche zurückkam und besorgt fragte: „Hat Sabine ihnen eine ihrer familiären Schauergeschichten erzählt?“ „Nein, das nicht! Wir stellten lediglich fest, dass wir beide Außenseiter sind und diese Rolle unterschiedlich definieren.“ Sie verstand nicht gleich, was er meinte, erkannte aber an seinem Blick auf ihre Tochter, dass die beiden sich auf geheime Weise attraktiv und anziehend empfanden. Sie schenkte den Kaffee ein, servierte dazu Butterkuchen und gewann damit Svens Zuneigung mit dessen Leibspeise. Er revanchierte sich, indem er von seinen neuen schwäbischen Freunden berichtete und mit bewusster Überzeichnung der bekannten schwäbischen Eigenschaften seine Zuhörerinnen zum Lachen brachte. Frau Weber kommentierte schließlich den Redeeifer ihres Besuchers und sagte treffend:

„Sie entwickeln sich zu einem bunten Falter, der ohne Argwohn überall herumflattert. Jeder schaut ihm gerne zu und bleibt bewundernd stehen. Der Falter beobachtet den Zuschauer scheinbar ungerührt, fliegt aber geschickt davon, sobald er den meist tödlichen Griff nach ihm bemerkt.“

„Sie bringen einen schönen Vergleich.“ entgegnete Sven anerkennend. Mir fehlt aber die Erwähnung der Leichtigkeit, mit der der Falter scheinbar ziellos durch die Luft schwebt. Ähnlich treibt mich die Neugier zu meinem Wanderleben, um dabei andere Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens kennen zu lernen und zwischen diesen diejenige auszuwählen, die mir am besten gefällt.“ Frau Weber ließ an ihrer auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit erkennen, dass sie der bunte Anblick des Falters besonders faszinierte, weil seine Suche nach Veränderung sicherlich imstande wäre, vielleicht auch sie wieder von ihrem momentanen Trübsinn zu befreien. Beide hätten sich jetzt ohne die Mutter noch mehr zu sagen gehabt. Sven aber blieb zurückhaltend, um die sich wider Erwarten auftuende Zuneigung bei der ersten Begegnung nicht gleich wieder zu gefährden. Er stand deshalb auf, entschuldigte sich für sein langes Bleiben und verabschiedete sich mit einem herzlichen Dankeschön für die unverhofft gewährte Gastfreundschaft. Beim Gang zur Wohnungstür legte er schnell noch den Umschlag von Herrn Weber heimlich auf den Garderobenschrank und lud seine neue Bekannte zu einen Segeltörn auf der Alster ein. Der Vorschlag wurde gern angenommen.

Der Besuch der beiden Frauen hatte einen unerwarteten Verlauf genommen. Bei der Heimfahrt dachte Sven nicht mehr daran, seine alten Freunde auf ein Bier einzuladen, sondern stieg am Dammtorbahnhof aus, um bei einem Spaziergang durch die Anlagen entlang der Außenalster seine von Frau Weber verursachte Erregung und seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Sie war eine stolze, ansehnliche Frau, die ihn nicht nur wegen ihrer äußerlichen Erscheinung anzog. Sie beeindruckte ihn auch mit ihrer Persönlichkeit, die von ihrem Leben im Ausland geprägt war. Sicherlich würde sie sich gegenüber seinen Zukunftsplänen aufgeschlossen zeigen, wenn es ihm gelänge, sie von ihrer momentanen Bedrückung zu befreien und ihre Vitalität mit seiner Begeisterung für neue, spontane Erlebnisse wieder zu beleben. Erfüllt von diesen Vorstellungen fuhr er nach Bergedorf zurück, überraschte seine Familie mit unerwartet guter Laune und freute sich auf die verabredete Segelpartie.

Sonne und Wind versprachen ein gutes Wochenende und blieben Sven wohlgesonnen, als er voller Erwartung auf das Wiedersehen mit Frau Weber in die Innenstadt von Hamburg fuhr, am Hauptbahnhof ausstieg und zum Bootsverleih von „Captain Prüsse“an der Außenalster gegenüber dem Hotel Atlantic ging. Von seiner Unruhe getrieben, kam er zu früh und fand noch genügend Zeit, den Helfer, der gerade am Steg ein paar Boote klarmachte, zu begrüßen. „Morgen Paul! Kennst du mich noch?“ Der so angesprochene hob den Kopf, ließ unter dem Schirm seiner Mütze einen prüfenden, staunenden Blick erkennen und antwortete trocken: „ Morgen Sven! Nett, dich auch mal wieder zu sehen. Kommen deine Kumpels auch noch? Hoffentlich hast du das Segeln, das wir dir beigebracht haben, noch nicht verlernt.“ Eingedenk seiner letzten Tour auf dem Ontariosee und gleichzeitig beruhigt, daß er auch hier noch erkannt wurde, entgegnete er: „Meine Kumpels kommen heute nicht. An ihrer Stelle erwarte ich eine Begleiterin für eine kleine Spazierfahrt.“ „Dafür empfehle ich dir die H-Jolle da drüben. Sie ist besser geeignet als die Piraten und unsere Rennziege, mit der ihr früher den Surfern den Wind weggenommen habt, damit sie kenterten.“ Sven musste lachen, wollte aber nicht an die alten Streiche erinnert werden und stimmte deshalb Pauls Bootswahl zu.

Als er die Leinen zurechtlegte, sah er, dass Frau Weber angekommen war und sich offensichtlich bei Paul nach ihm erkundigte. Dieser schüttelte gerade den Kopf, deutete aber beiläufig auf ihn, weil nur sie die erwähnte Begleiterin sein konnte. Der Erwartete stand rasch auf, ging auf die beiden zu und erlöste Frau Weber von ihrer Ungewissheit. „Hallo und Guten Tag! Prima, dass sie gekommen sind.“ „Guten Tag Herr Fahrenholz! Ich hatte schon die Befürchtung, bei der falschen Bootsvermietung zu sein.“ Während sie zum Boot gingen, klärte er sie auf. „Wie hier üblich, kennt mich Paul nur mit meinem Vornamen und sollte Gäste natürlich freundlicher begrüßen.“ Er erinnert mich an meine Nachbarn in Wedel“ gab sie unwirsch zurück. „Dafür kann ich sie entschädigen, weil ich mit Pauls Hilfe immer ein gutes Boot bekomme. Außerdem bin ich wirklich der Sven.“ Er lachte jetzt wieder . „Und ich bevorzuge Sabine, die die Frau Weber gerne vergessen würde.“ Von ihrer ungezwungenen, offenen Art erneut überrascht, verkündete er voller Stolz: „ Willkommen an Bord Sabine“, und half ihr beim Übersteigen auf das Boot.

Neugierig beobachtete sie, wie er gekonnt vom Steg ablegte, das Großsegel vom Wind erfasst wurde und das Boot langsam Fahrt aufnahm. Abgesehen von dem notwendigen Ausweichen anderer Boote wollte er die Außenalster in Längsrichtung mit einem Minimum an Manövern durchqueren. Dafür wählte er den Kurs „Halber Wind“ und konnte auf diese Weise die Großschot so belegen, dass der Baum des Großsegels seitlich ausschwenkte und ihnen einen ungehinderten Platz auf dem Boot freigab. Hinterm Heck sahen sie über der Wasserfläche zunächst nur die Kennedybrücke als Absperrung zur Binnenalster und später mit zunehmen- dem Abstand die sich mehr und mehr verbreiternde Fassade der Innenstadt, die, eingerahmt vom Grün der Parkanlagen an beiden Ufern, schließlich einen imposanten, unvergesslichen Anblick bot.

Sabine staunte und sagte anerkennend: „So schön habe ich Hamburg noch nie gesehen. Du kommst mir vor wie ein fremder Zauberer, der mit seinem Bootstrick meine angenehmen Erinnerungen an diese Stadt zur neuen Wirklichkeit werden lässt.“ Der nüchterne Techniker gestand ihr daraufhin:“ Den Zauberer kannst du vergessen. Ich habe lange im Kontor einer Exportfirma am Neuen Jungfernstieg neben dem Hotel „Vier Jahreszeiten“ gearbeitet. Zusammen mit meinen Kollegen nahmen wir uns oft nach Feierabend noch ein Boot für eine Segelrunde auf der Alster. Paul, der schon seit eh und je die Boote wartet, kennt und toleriert uns trotz unserer übermütigen Streiche, für die er uns immer wieder in Schutz nehmen musste“. Ihr gefiel dieses ehrliche Eingeständnis. Sie neigte sich zu ihm und gab ihm zur Ermunterung einen flüchtigen Kuss. „Jetzt können wir wirklich „Du“ zueinander sagen.“ Sven vergaß in seinem Glücksgefühl einen Moment das Boot, hörte aber gerade noch den auf der Alster allgegenwärtigen Ruf „Raum“, wich schnell noch aus und sagte ärgerlich: „Diese ewigen Störenfriede. Ich bevorzuge eine Gegend, die mir ohne Zuruf und Vorschriften genügend Platz bietet, um mich frei und unabhängig zu bewegen.“ Sie sah ihn fragend an. „Was meinst du damit?“ Er merkte, daß er sich in ihrer Gegenwart zweideutig ausgedrückt hatte, nutzte aber dennoch ihre erhöhte Aufmerksamkeit, um sie von ihren Zweifeln zu befreien und diese durch ein gestärktes gegenseitiges Vertrauen zu ersetzen. „Ich bin gern mit dir zusammen, weil ich spüre, dass du mit deiner verständnisvollen Zuwendung eine erfreuliche Veränderung meines ausgeprägten Eigenlebens bewirkst.“ „Verändern möchte ich dich eigentlich nicht, sondern dich kennenlernen, so wie du bist. Momentan gefällt mir unser Bootsausflug, eine unterhaltsame Demonstration deiner Vergangenheit, die mich neugierig darauf macht, noch weitere Farbtupfer meines Schmetterlings zu entdecken.“ Ohne Zeit für eine Antwort zu haben, musste sich Sven wieder auf eine Windbö vorbereiten, die sich mit einem gekräuselten Wellenteppich schräg vor dem Boot ankündigte. Er lockerte die Großschot und ließ dadurch den Wind am Großsegel vorbeigleiten, sodass sie ohne weitere Störungen ihre Spazierfahrt am Steg beendeten. Paul staunte über das langsam daher- kommende Boot, ließ sich aber nichts anmerken und verabschiedete seinen Kunden mit einem ungläubig fragenden Blick, den jedoch nur Sven erkennen und deuten konnte.

Er hatte sich tatsächlich verändert und fand sich in der Rolle eines Liebhabers wieder, der von seinen Gefühlen überwältigt diesen Zustand zwar erkennen lässt, aber bei dem er sich gleichzeitig in einem Schwebezustand befindet, der ihn in einer bisher unbekannten Weise berauscht und verunsichert. Sabine dagegen war einfach glücklich und begeistert, einen Freund gefunden zu haben, der sich Mühe gab, ihr zu gefallen. Sie nahm ihn bei der Hand und zeigte auf die Terrasse eines Cafés in der Nachbarschaft, wo sie sich von bequemen Stühlen aus ihre Bootsfahrt noch einmal in Erinnerung riefen. Sie gestand ihm: „Am Anfang hatte ich direkt etwas Angst, ob es dir gelingen würde, uns heil zwischen den vielen Booten hindurch zu lavieren, die, wie wir von hier aus sehen können, die Wasserfläche mit einer Vielzahl weißer Flecken bedecken. Trotzdem hast du immer eine freie Stelle gefunden, die uns ein gemütliches Dahinsegeln gewährte. Wie gelingt dir so ein Kunststück?“ „Ich möchte dir drei Gründe nennen. Zunächst hatten wir ein bequemes Boot, dass sich in diesem, mir vertrauten Revier leicht handhaben lässt. Hinzu kam das ideale Wetter und schließlich habe ich versucht, mich rechtzeitig auf die Fahrweise der anderen Boote einzustellen. Wie du gemerkt hast, gelingt mir das Letztere nicht immer und ich hoffe, dass du eine geduldige Begleiterin bist.“ Sie blickte ihn prüfend an und antwortete: „Du redest doch sicherlich nicht von schmeichlerischer Anpassung? Ich bevorzuge deine Ecken und Kanten, die mir Überraschungen bieten und verspreche dir ähnliche Reaktionen, damit wir unser Zusammensein nicht langweilig sondern aufregend und aktiv erleben. Ich habe nach der Rückkehr von Teheran alles probiert, um mich in Hamburg wieder einzuleben und versucht, mich, wie du mir gerade beim Segeln gezeigt hast, auf die Fahrweise meiner Landsleute einzustellen. Herausgekommen ist ein für mich langweiliger Alltag, der mir nicht viel Freiraum lässt. Ich besuche momentan einen Computerlehrgang, um wieder als Fremdsprachensekretärin zu arbeiten. Die Tätigkeit selbst verursacht mir keine Schwierig-keiten, bietet aber kaum die Abwechslung und Gestaltungsfreiheit, die ich in Teheran erleben durfte.“

Sven merkte, dass sie ihn mit dem Hinweis auf die fehlende Abwechslung dazu ermutigte,einen neuen Vorschlag für ein Zusammensein mit ihr zu machen. Er überlegte, wie er sie bei seiner begrenzten Urlaubszeit noch inniger an sich binden konnte und fragte sie schließlich: „Was hältst du davon, wenn wir für ein paar Tage an den Plöner See fahren, dort ein Boot mieten und das Segeln ungestört von „Raum“ rufen genießen? Ich kenne Freunde in Plön, die dort ein Haus mit Zugang zum See und ausreichend Platz haben, um bei ihnen zu wohnen.“ Sie zögerte mit ihrer Antwort und sah ihn mit weit geöffneten Augen an, bis sich schließlich ihre freudige Überraschung nicht mehr verbergen ließ und sie antwortete: „Passt mir gut! Die Ferien bei meinem Lehrgang dauern noch zwei Wochen, sodass ich nichts vermissen werde. Wann fahren wir?“ „Am besten gleich“ scherzte Sven, fügte dann aber hinzu: „Ich rufe morgen meine Freunde an, erkundige mich nach einer passenden Zugverbindung und sage dir morgen Abend Bescheid.“ Als sie sich am Bahnhof verabschiedeten, beglück-wünschten sie sich noch einmal zu ihrem gelungenen Nachmittag und vor Allem auch zu ihrer spontanen Entscheidung für den gemeinsamen Kurzurlaub, auf den sie sich voller Erwartung freuten.

Während ihrer Heimfahrt überlegte Sabine lange, wie sie ihrer Mutter, die ihren schnellen Entscheidungen meist mit Zurückhaltung und Skepsis begegnete, ihre plötzliche Zuneigung zu Sven erklären sollte. Diese merkte jedoch beim Anblick ihrer Tochter sofort, dass sie sich verändert hatte und eine lange vermisste neue Zuversicht ausstrahlte. Sie hielt sich nicht lange zurück, sondern sah sie nur staunend an und sagte anerkennend: „Herr Fahrenholz hat dir beim Segeln viel frischen Wind um die Ohren wehen lassen.“ Erleichtert gestand ihr Sabine: „Ich mag Sven und seine rücksichtsvolle sowie sichere Art, mit der er unseren Bootsausflug trotz der vielen anderen Segler und Surfer, die sich bei diesem Wetter auf der Alster drängelten, in eine erholsame Spazierfahrt verwandelt hat. Zusätzlich steckt mich seine Begeisterung an, mit der er uns schon bei seinem ersten Besuch von seinen Eindrücken und Begegnungen in Kanada und bei den Schwaben erzählt hat. Seine auf die Zukunft aus-gerichtete unvoreingenommene Einstellung gegenüber Erfahrungen mit anderen Sitten und Gebräuchen bläst mir tatsächlich frischen Wind um die Ohren, der meine verkümmerte Sehn-sucht auf die Abenteuer in der Fremde neu entfacht.“

Die Mutter erinnerte sich an die junge, ungestüme Frau, die einst voller Tatendrang ihrem Mann nach Teheran gefolgt war, und musste sich eingestehen, dass sie auch dieses Mal gegen das scheinbar angeborene Fernweh ihrer Tochter nichts ausrichten konnte und selbst berechtigte Einwände lediglich deren wiedererwachte Lebenslust beeinträchtigen würden.. Auch musste sie zugeben, dass dieser Sven Fahrenholz mit seinem unbekümmerten, unter- haltsamen Auftreten sehr anziehend wirkte. Neugierig fragte sie deshalb: „Wie sehen eure weiteren Pläne aus?“ „Wir wollen zu einem Kurzurlaub an den Plöner See fahren. Sven hat dort Freunde, bei denen wir wohnen können und der See bietet uns die Möglichkeit, die Gegend bei weiteren Bootsausflügen zu erkunden. Er ruft mich morgen an, wenn er die Einzelheiten geklärt hat.“ Obwohl die Neuigkeit die Mutter überraschte, ließ sie sich dieses im Bewusstsein der gerade angestellten Überlegungen nicht anmerken, sondern antwortete scheinbar unbeteiligt auf die Hamburger sachliche, etwas trockene Art: „Hoffentlich reichen die Bootskünste deines neuen Freundes aus, um dich immer wieder heil an Land zu bringen.“ Sabine wusste jetzt, dass sie gewonnen hatte und kommentierte die Bemerkung ihrer Mutter belustigt und ebenso sachbezogen. „Ich habe Sven heute geprüft und dabei festgestellt, daß er ein erfahrener Segler ist.“

Svens Eltern, die den eigenwilligen Entscheidungen ihres Sohnes in der letzten Zeit bereits ausgiebig ausgesetzt waren, reagierten bei dessen Ankündigung seines geplanten Ausfluges nach Plön zwar erstaunt, aber im Bewusstsein, dass ihre Einwände bei dem nicht mehr einbeziehbaren Gegenüber kaum noch Gehör finden würden. Die Mutter sagte schließlich: „Pass auf, dass diese erfahrene Frau mit ihren seidenen Fäden nicht ein zunächst kaum sichtbares Netz über dich wirft.“ Sven lachte und antwortete: „Ihr habt doch selbst erfahren, was mir meine neue Freiheit wert ist. Sabine gefällt mir nicht nur, weil sie attraktiv ist, sondern auch, weil ihr Leben in Persien sie so verändert hat, dass sie unvoreingenommen die Eindrücke einer andersartigen Umgebung als Teil ihres Wesens aufnehmen, verarbeiten und zu genießen scheint.“ Dem Vater, der an die unerfüllten Träume seiner Jugend in einem anderen Deutschland zurückdenken musste, blieb nur ein kurzer Kommentar. „Nun denn“

Am Sonntag rief Sven seine Freunde in Plön an. Sie freuten sich auf das Wiedersehen und versprachen alles vorzubereiten, um ihm einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Sabine , die gespannt auf die Nachricht von ihrem neuen Freund gewartet hatte, bestätigte begeistert ihre Zusage und sie verabredeten ihr Treffen am Bahnhof in Altona rechtzeitig vor der Abfahrt ihres Regionalzuges nach Plön.

Der Ruf aus Kanada

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