Читать книгу Der Ruf aus Kanada - Rudolf Obrea - Страница 16

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Am Nachmittag vor der Ankunft von Peter Baumann erzählte Sven noch einmal ausführlich über seine Begegnung mit ihm während seines Aufenthaltes in Esslingen. Jim hörte aufmerk-sam zu und sagte schließlich: „Wir müssen uns anstrengen und versuchen, das feurige, mexikanische Klima durch die Vorzüge unserer langweiligen Zuverlässigkeit zu kompensieren. Ich begleite dich zum Flugplatz, damit wir beide zusammen einen ersten, hoffentlich attraktiven Eindruck bewirken.“ Sven aber blieb skeptisch und antwortete: Vielen Dank für deine Unterstützung! Ein mexikanischer Schwabe, der in die kanadische Einsamkeit gebracht wird, benötigt sicherlich besondere Pflege.“

Zunächst aber schien Jim recht zu behalten. Als Peter Baumann aus der Zollabfertigung kam und von dem Empfangskomitee der beiden anderen mit: „Hallo Peter!“ begrüßt wurde, verfehlte diese Geste nicht ihre Wirkung. Sein auffälliger, schwarzer Schnurrbart ließ die beiden etwas nach oben gezogenen Mundwinkel verschwinden und damit die angenehme Überraschung erkennen, die sie bei ihm hervorriefen. Nach der Begrüßung gestand er ihnen: „Kaum zu glauben, dass ich hier von Bekannten empfangen werde. Als der Pilot unseres Flugzeuges uns ankündigte, dass er den Atlantik überquert und Kanada bei der Küste von Labrador erreicht habe, glaubte ich schon bald am Ziel zu sein. Der Flug dauerte jedoch noch einmal drei Stunden und der Blick aus dem Fenster zeigte mir eine riesige verlassene Landschaft, die von endlos vielen Seen durchsetzt war.“ Jim versuchte ihn zu beruhigen: „Hier in Toronto machen wir eine Ausnahme, damit du dich an uns gewöhnst, bevor dich Sven nach Bancroft bringt und ihr hoffentlich die Vorzüge der Abgeschiedenheit kennen und schätzen lernt.“ Peters Mundwinkel zeigten sich jetzt zu beiden Seiten seines Schnurrbartes und den ernsthaften Blick auf Jim gerichtet, erwiderte er: „Ich werde mir bald ein Auto kaufen, um damit der von dir gepriesenen Abgeschiedenheit möglichst oft zu entkommen.“ Jim und Sven sahen sich an, hatten aber keine passende Antwort und beschlossen deshalb, ihren Gast möglichst schnell zu seinem Hotel zu bringen.

Auf ihrer Rückfahrt zum Büro erklärte Sven seinem Partner: „ Unser Montageleiter, Klaus Weinlein, erzählte mir bei Wegener in Esslingen bereits, dass Peter zwar ein ausgezeichneter Monteur ist, aber eine Mexikanerin geheiratet hat, die aus begütertem Hause stammt und deshalb besondere soziale Ansprüche geltend macht. Wir müssen ihn vor Allem privat unterstützen, wenn seine Frau nach hier kommt.“ Jim zog sein Gesicht nachdenklich in die Länge und erwiderte: „Keine leichte Aufgabe, dieser „anspruchsvollen Dame“ die andersgearteten Vorzüge von Bancroft schmackhaft zu machen.“ Jim wollte und durfte aber noch nicht aufgeben und beendete das Thema optimistisch mit dem Satz: „Wir haben doch auch etwas zu bieten. Mal sehen, wer gewinnt.“

Nachdem Sven sich für einen längeren Aufenthalt im Norden gerüstet hatte, holte er am anderen Morgen seinen neuen Begleiter pünktlich am Hotel ab. Jims Rat befolgend, wählte er nicht die direkte Route über den Highway 401, der sie nördlich an Toronto vorbeigeleitet hätte. Stattdessen fuhr er über den Gardiner Expressway zur Innenstadt, direkt vorbei am Fernsehturm mit dem imposanten Kuppelbau des Skydoms ( Torontos neuem Footballstadium) und entlang an dem von Hochhäusern gesäumten Ufer des Ontario Sees. Peter staunte und war sichtlich zufrieden, dass ihn der Flug des Vortages nicht in Kanadas Arktis abgesetzt hatte.

Der anschließende, langsame Übergang auf das sanfte Hügelland östlich von Toronto, bot, durch die milde Herbstsonne beschienen, zusätzlich eine Aussicht, die die zunehmende Einsamkeit zum andersartigen, aber trotzdem noch beeindruckenden Erlebnis machte. Weitere Unterstützung durch die Landschaft erhielt Sven, als sie nach dem Mittagessen in Peterborough auf dem Highway 28 nördlich von Lakefield an den zahlreichen Seen vorbeifuhren und die angrenzenden Wälder sich mit ihrer bunten Laubpracht des „Indian Summers“ von ihrer schönsten Seite zeigten. Peter vergaß seine Vorbehalte und ließ seinen Fahrer einige Male anhalten, um den Blick auf diesen besonderen Festschmuck der Natur zu genießen. Voller Bewunderung sagte er: „Du hast dir einen mächtigen Verbündeten ausgesucht, um mir deine Baustelle schmackhaft zu machen.“ Ehrlicherweise musste Sven darauf antworten: „Die Gegend verbreitet den Zauber des Ursprünglichen, verursacht mir aber auch eine gewisse Unsicherheit, weil ich einerseits genau wie du über diese Pracht staune, andererseits mich zu wenig auskenne, um die gegenteiligen , menschenfeindlichen Seiten dieser Wildnis zu meistern.“ Jetzt zeigte sich bei Peters Erwiderung der alterprobte Fahrensmann: „Wenn wir einen guten Anfang wie diesen uns möglichst lange erhalten wollen, müssten wir uns auch weiterhin gegenseitig Mut machen, damit wir uns bei schwierigen Situationen , die auf uns zukommen, stets zum Durchhalten anspornen.“ Sven erkannte, dass er mit Hilfe der abwechslungs- reichen Ausblicke auf die sich momentan in großer Vielfalt und Schönheit präsentierende, schier endlose Weite dieser Landschaft Peter wieder zu dem verführen konnte, wie er ihn zusammen mit Klaus Weinlein in der schwäbischen Wirtschaft in Esslingen erlebt hatte. Die mexikanische Frau von Peter durfte er momentan zu den schwierigen Situationen der Zukunft zählen.

Die Wirtin des Swordhotels, die Sven bereits von seinem ersten Besuch in Bancroft her kannte, dämpfte auch dieses Mal wieder ihre gute Laune, indem sie ihre Gäste mit demselben unpersönlichen, herben Gesichtsausdruck einer verkümmerten alten Jungfrau begrüßte. Ihre unbeeindruckte Zuversicht wurde erneut durch zwei geräumige Zimmer im Neubau mit Kochnischen und Bad belohnt. Außerdem schmeckte das Steak beim Abendessen so gut dass selbst die ungewohnte Qualität des kanadischen Bieres mehr als kompensiert wurde. Bei ihrer anschließenden Unterhaltung über die Baustelle und die einheimischen Mitarbeiter musste Sven eingestehen, dass er selbst noch nichts Genaues wusste, weil er bis auf seinen ersten Kurzbesuch nur auf die telefonischen und schriftlichen Mitteilungen von Ron Harrington, dem Baustellenleiter des Kunden, angewiesen war. Beide betraten Neuland, welches sie sich, basierend auf ihren früheren Erfahrungen und der dabei entwickelten Vorgehensweise, mit einer Mischung von selbstsicherem Auftreten und verständnisvoller Anpassung, neu erschließen mussten. Die Ausgestaltung der Einzelheiten blieb ihrer individuellen Entscheidung überlassen, da eine Rückfrage bei ihren Vorgesetzten in Deutschland ihnen kaum geholfen hätte.

Gespannt fuhren sie am anderen Morgen zu ihrem neuen Arbeitsplatz und wurden dort von Ron erwartet. Bei ihrem Eintritt in sein Büro stand er hinter seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch auf, ging auf sie zu und begrüßte sie mit einem kräftigen Händedruck.. An Sven gewandt, sagte er anschließend voller Stolz: „Willkommen in Bancroft! Dieses Mal bin ich gerüstet. Ihr könnt sofort anfangen. Nebenan habe ich zwei Container für euch vorbereiten lassen, einen als Umkleide- und Aufenthaltsraum, der andere für Werkzeug und Kleinteile. Ich zeige sie euch. Ihr könnt euch darin ein-richten und mir anschließend Bescheid geben, damit ich euch zu den bereitgestellten Maschinenkisten führe und wir die benötigte Montagekolonne zusammenstellen.“ Sven und Jim bedankten sich, gingen mit ihm und richteten sich in ihrer zugewiesenen Behausung ein. Ihr gewohntes Montageleben hatte begonnen und wie bei jeder Baustelle bestand die besondere Herausforderung erneut darin, den Umgang und die Zusammenarbeit mit den einheimischen Helfern und Kollegen möglichst einvernehmlich zu gestalten und für sich selbst ein erträgliches Auskommen zu sichern.

Nach Feierabend tauschten Sven und Peter beim Abendessen ihre ersten Erfahrungen aus. Voller Neugier und gleichzeitig im Bewusstsein, dass er für die menschlichen Belange zuständig war, wollte Sven wissen: „Wie ist es dir mit deinen Leuten ergangen?“ Peter lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück, richtete nachdenklich seinen Blick in den Raum , überdachte dabei sichtlich zufrieden die Erlebnisse des Tage und antwortete gelockert: „Ich kann mich nicht beklagen. Alle meine Mitarbeiter sind sehr praktisch veranlagt, packen kräftig zu und arbeiten weitgehend selbstständig, sodass ich mich auf das zielgerechte Verteilen und Beschreiben der einzelnen Aufgaben konzentrieren kann.

Thomas Elliot, der Schlossermeister, den sie Tom nennen, führte mich in seine Schlosserei, die mit Rücksicht auf die Abgeschiedenheit dieser Gegend so eingerichtet ist, dass in ihr schadhafte Teile autark repariert, ja sogar teilweise in Eigenfertigung nachbaut werden können. Er selbst wird allseits respektiert und beeindruckt mich mit seinen qualifizierten Fachkenntnissen.“ Sven überraschte und erfreute diese positive Aussage. Beim Überlegen seines eigenen Beitrages musste er etwas kleinlaut erwidern: „Ich bin Bürohengst geblieben und habe mir mit Hilfe von Rons lokalem Stellvertreter,Dave Pannebaker, bei den hiesigen Firmen eine Büroeinrichtung und die notwendige Telefon- sowie Computerausrüstung bestellt, ein Beitrag, damit uns die Außenwelt nicht völlig vergisst. Dave, ein etwas korpulenter, untersetzter , älterer Herr mit grauem Vollbart, gab sich zurückhaltend, hat aber Verbindung zu Allem und Jedem hier und verschaffte mir bereitwillig die notwendigen Kontakte. Ich überlege, ob wir ihn auf einen Abend einladen, damit wir mit seiner Unterstützung uns hier eine Verbindung zu den Bewohnern aufbauen. Sie sind schließlich die Einzigen, die uns nach der Arbeit einen abwechslungsreichen und unterhaltsamen Ausgleich bescheren.“ Peter gefiel diese Idee. Er wendete lediglich ein,, dass die Aufgabe, Dave aus der Reserve zu locken, nicht einfach wäre. Sven konterte zuversichtlich: „Wir nutzen deine bereits positiven Erfahrungen auf der Baustelle und probieren unsere bewährte Überredungskunst.“

Die Gelegenheit ergab sich am nächsten Morgen, während Sven und Peter den Einsatz zusätzlicher Helfer besprachen, die ihnen Dave zuteilen musste. Sie trafen ihn bei Tom in dessen Werkstatt, als dieser ihm gerade über den erfolgreichen Verlauf der Arbeiten berichtete. Sichtlich zufrieden, organisierte er ihnen nicht nur die zusätzlichen Helfer sondern versprach auch, sie am Freitagabend im Hotel zu besuchen.

Bei ihrer Begegnung an der Hotelbar erkannten Sven und Peter ihren Gast sofort an dessen Aussehen. Wie bei den Einheimischen üblich, trug er noch seine tägliche Arbeitskleidung, bestehend aus einer abgetragenen, grünbraunen Tweetjacke, einer unförmigen grauen Hose und einen bis zum Hals geschlossenen, braunen Pullover Er kam auf sie zu und begrüßte sie offen und aufgeschlossen, indem er beide einzeln nacheinander mit seinen gleichförmigen, grauen Augen ansah. Sein Geschichtsausdruck zeigte eine neugierige Erwartungshaltung und war geprägt von dem schon erwähnten, grauen Vollbart und zwei Längsfalten, die zu beiden Seiten die Mundpartie ergänzten. Er deutete auf die Biergläser der beiden und sagte: „Wie ich sehe, habt ihr euch schon in Bancroft eingelebt“ Erstaunt fragte Peter: „Wieso ist Bier hier etwas Besonderes?“ „Nein, antwortete Dave, aber am Freitagabend eine allgemein verbreitete Unsitte bei den Männern, wenn sie ihren Lohn bekommen haben und sich noch den Mut des Nordens antrinken, bevor sie fürs Wochenende zu ihren Familien in den oft weit abgelegenen Häusern fahren. Besonders im Winter bietet sich ihnen dort außer den Fernsehberichten über die Eishockeyspiele und der Besuch der örtlichen Eis-Arena wenig Abwechslung. Wie gesagt, eine Unsitte, weil dadurch viele dem Alkohol völlig verfallen.“

Sven gab aber trotz dieser nicht gerade ermutigend wirkenden Aussage nicht auf und fragte: „Was können wir dir bestellen?“ Dave lachte und antwortete selbstbewusst: „Ich vertrage schon auch ein Bier nach der Arbeit, trinke aber nicht, um dem Wochenendsyndrom zu entkommen.“ Peter nahm diese Bemerkung auf und erwiderte: „Wie Du weißt, sind wir hier Neulinge. Mit meinen ersten Erfahrungen auf der Baustelle bin ich sehr zufrieden, weil mich meine hiesigen Mitarbeiter mit ihrer praxisbezogenen Einstellung aufgeschlossen und tatkräftig unterstützen. Ich glaube deshalb, dass wir uns auch privat gut einleben werden, wenn wir uns in Bancroft besser auskennen und nicht nur beim Bier versacken.“

Dave fühlte sich zum lokalen Berichterstatter bestimmt, lehnte sich mit einem Arm gemütlich an die Theke und erzählte ihnen die folgende Ortsgeschichte: „Wie die meisten Orte hier, entwickelte sich Bancroft aus einer anfänglichen Holzfällersiedlung. Zum Abtransport des Holzes wurde um 1898 eine Bahnstrecke nach hier gebaut. Sie sorgte dafür, dass der Ort eine geregelte Verbindung zur Außenwelt bekam. Die Anzahl der Einwohner wuchs, nicht zuletzt auch deshalb, weil der anschließende Straßenbau zusätzliche Arbeitskräfte benötigte. Die meisten von ihnen hatten geringe Ansprüche und bauten sich einfache Holzhäuser, die bis heute das Ortsbild prägen. Die erste Entwicklungsperiode endete, als die Wälder hier kein brauchbares Holz mehr lieferten und der Transport aus dem Norden mit Lastwagen erfolgte. Die Bahnstrecke wurde 1975 stillgelegt und der hiesige Bahnhof in ein Museum verwandelt. Armut und Arbeitslosigkeit reduzierten alle Aktivitäten auf ein Minimum, bis erlebnishungrige Touristen die Schönheit der Landschaft mit ihren vielen Seen neu entdeckten. Bancroft bekam eine zweite Chance und entwickelte sich zum Einkaufs- und Servicezentrum für die Sommergäste, die sich hauptsächlich an den Ufern der umliegenden Seen Wochenendhäuser, sogenannte Cottages, bauten, sich bei Fischfang und anderen Wassersportarten erholten und damit auch dem einheimischen Baugewerbe neuen Auftrieb verschafften. Einige dieser Sommergäste, ich gehöre auch dazu, gefiel das Landleben und sie entschlossen sich, beim Erreichen des Rentenalters ihr Cottage zum ständigen Wohnsitz auszubauen. Gleichzeitig versuchten wir mit unseren Beziehungen zu den Provinzbehörden staatliche Gelder zum Bau öffentlicher Einrichtungen zu bekommen. Durch die Organisation von Veranstaltungen, Ausstellungen und anderen Gemeinschaftsprojekten passten wir das auf die einfachen Bedürfnisse ausgerichtete hiesige Dasein unseren von früher her gewohnten Ansprüchen an und verschafften uns auf diese Weise eine unterhaltsame Abwechslung. Die entstandene eigenartige Mischung aus Naturerlebnissen und anregender Geselligkeit bietet uns jetzt eine vielfältige Gestaltungsmöglichkeit, die ich auch deshalb besonders schätze. weil ich mich nicht mehr nach den gesellschaftlichen Zwängen des Großstadtlebens richten muss, sondern mir weitgehend frei und unabhängig meine eigene , von mir bevorzugte Lebensweise aussuchen kann.“

Sven, dem vor Allem Daves abschließende Lagebeschreibung gefiel, antwortete spontan: „Wir Montageleute bevorzugen unsere Tätigkeit auf den Baustellen auch deshalb, weil wir fern von den hierarchischen Strukturen in unseren Firmen selbstständig, ähnlich der von dir erwähnten, freien Gestaltungsmöglichkeit, agieren und den Wert unserer Freiheit dadurch genießen, indem wir am Ende unseres jeweiligen Aufenthaltes ein selbsterarbeitetes, stets klar erkennbares Ergebnis aufweisen müssen. Deine Reaktion auf die Verhältnisse hier in Bancroft entspricht in der Art, wie du sie uns schilderst, weitgehend unserer Lebensauffassung. Ich bin deshalb überzeugt, dass wir, obwohl als Eindringlinge vorläufig noch argwöhnisch beobachtet, trotzdem bald die gemeinsame Grundhaltung erkennen lassen, die unsere Andersartigkeit nicht nur erträglich macht, sondern die bei den jeweiligen Begegnungen auch als eine zusätzliche, unterhaltsamen Bereicherung empfunden wird. Dave überraschte sie, als er sein Glas erhob und ihnen wohlgelaunt zurief: „ Prost auf eine gute Zusammenarbeit! Wie ich euch bereits sagte, verbringe ich Freitagabend nicht an der Bar und ihr müsst mich entschuldigen, wenn ich bereits gehe, weil meine Frau mit dem Abendessen auf mich wartet. Als Entschädigung offeriere ich morgen einen Spaziergang durch Bancroft, um euch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu zeigen.“ Der Vorschlag wurde gern angenommen. Nach dem Abschied von Dave beglückwünschten sich Peter und Sven zu ihrer offensichtlich gelungenen ersten Annäherung und zwar an eine im Ort bekannte und geschätzte Persönlichkeit, eine Tatsache, die für ihren weiteren Aufenthalt nur nützlich sein konnte.

Das Sword Hotel , in dem Sven und Peter wohnten, befindet sich in der Ortsmitte von Bancroft an der Hastings Street, der langgezogenen, breiten Haupt- und Geschäftsstraße, die die Ansammlung von meist zwei- bis maximal dreistöckigen , kastenartigen Gebäude in zwei Hälften teilt. Zum Süden hin endet die Ansammlung mit einer kleinen Anhöhe, auf der eine aus Granitsteinen gebaute, pseudogotische Kirche samt Rathaus das Wahrzeichen des Ortes sind. Nach Norden hin verlieren sich die Häuser im breiten Tal des York Rivers. Der nahtlose Übergang der Hastings Street in den Highway 62 zeigt an, daß die Zivilisation wieder der endlosen Weite der Naturlandschaft Platz zu machen hat.

Für Dave bot sich die zentrale Lage des Hotels an, dort seine Begleiter am nächsten Vormittag zur versprochenen Ortsbesichtigung abzuholen. Um ihnen zunächst einen Überblick zu bieten, führte er sie auf einen kleinen, nordöstlich gelegenen Hügel zur Aussichtsplattform des „Eagles Nest“. Von dort sahen sie Bancroft in seiner vollen Ausdehnung und vor Allem auch die Vielzahl der sanften, meist langgestreckten, bewaldeten Hügel, die die Laubverfärbung des Herbstes vom dunkelgrün der Nadelwälder bis zur rotgelben Verfärbung der Laubbäume in einen nahezu unnatürlichen Zaubergarten verwandelte. Die in der Sonne glitzernden hier und da eingestreuten Wasserflächen der Seen machten deutlich, warum die Gegend sich zu einem bevorzugten Urlaubsgebiet entwickelt hatte. Dave erwähnte besonders die Region um den Babtiste Lake und den Paudash Lake, beide ca. 15 km von Bancroft entfernt, und empfahl ihnen, sich dort zum nächsten Frühjahr ein Cottage zu mieten. „Wie ihr von hier aus erkennen könnt, ist nicht Bancroft der Hauptanziehungspunkt, sondern der Aufenthalt in der Abgeschiedenheit dieser Naturlandschaft, der auch mich immer wieder begeistert.“ Peter sah ihn mit skeptisch ernstem Blick an und fragte: „Wie kommen wir über den bevorstehenden Winter?“ „Eine berechtigte Frage, wenn viele Attraktionen des Hauptanziehungspunktes Natur sich vor der Kälte in eine Art Winterschlaf zurückziehen. Ich empfehle euch längere Arbeitszeiten zum Ansparen von mehr Freizeit im Sommer, einen ausgedehnten Weihnachtsurlaub, Wochenendausflüge nach Toronto und nicht zu vergessen, die Teilnahme an unserem hiesigen Gesellschaftsleben beim Eishockeyspielen in unserer Arena sowie diversen anderen Veranstaltungen, die sich durch die aktive Mitwirkung der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuen. Neue Interessenten sind bei den schon fest eingebundenen Einheimischen kaum zu gewinnen und deshalb Zuwanderer stets willkommen, somit für die Fremden die beste Möglichkeit, sich in die vorhandene Gemeinschaft zu integrieren. Die von hier aus gut erkennbare Übermacht der natürlichen Gegebenheiten verlangt von den meist zerstreut lebenden Bewohnern eine uneingeschränkte Nachbarschaftshilfe, die nur über Freunde und Bekannte gewährleistet ist. Nutzt deshalb die Winterzeit, damit ihr anschließend mit der Unterstützung der Einheimischen das Leben in einem schön aber einsam gelegenen Cottage voll genießen könnt.“

Sven, der aufmerksam zugehört hatte, erwiderte: „Selbst wenn uns der bevorstehende Winter auf eine harte Probe stellen wird, bleibt uns die Hoffnung auf einen verdienten Ausgleich im nächsten Sommer. Zunächst aber werden wir deine Ratschläge befolgen und mit eigenen Ideen ergänzen, damit wir nächstes Jahr gemeinsam unseren Besuchern aus Deutschland die Vorzüge demonstrieren, die das von der Natur geprägte Eigenleben auszeichnen.“ „Ich möchte euch trotzdem nicht nur mit Vorschlägen locken, sondern auch noch die anderen Sehenswürdigkeiten von Bancroft zeigen. Fangen wir am besten beim alten Bahnhof an.“

Sie gingen in den Ort zurück, überquerten den York River und kamen auf der anderen Seite zu einem nicht besonders auffälligen, lagerhausartigen, eingeschossigen Gebäude, das lediglich mit der Aufschrift „The Old Station“ den alten Bahnhof erkennen ließ. Sie betraten das Gebäude über einen seitlichen Eingang und befanden sich vor dem Ladentisch des durch eine Vielzahl von Prospekten gekennzeichneten Touristen Zentrums. Eine Dame, mittleren Alters, nicht sehr groß und vollschlank erkannte Dave und kam freundlich lächelnd auf sie zu. Er begrüßte sie und stellte Sven und Peter als seine Neuzugänge aus Esslingen in Deutschland vor. Sie grinste über ihr ganzes, breites, hellrosa gefärbtes Gesicht, sah sie mit ihren kleinen, blauen Augen schelmisch an und sagte: „Grüß Gott, ihr Büble, kommt nur rein und verzählet mir etwas übers Schwabeländle. Ich bin die Maria Pröll, die euch im Gegenzug alles über Bancroft berichtet.“ Obwohl er kein deutsch verstand, zeigte sich Dave zufrieden, dass ihm die Überraschung mit der Präsentation der Landsmännin seiner Begleiter gelungen war. Zusammen mit Sven überließen beide Peter die erste Reaktion, die dieser im schwäbischen Dialekt auch sofort parat hatte und so Maria zu ihrer neuen Bundesgenossin machte. Sie wohnte in Baptiste und lud Peter und Sven zum Sonntagskaffee ein, um mit ihnen in deutsch gemütlich weiter zu plaudern.

Im angeschlossenen Mineralmuseum übernahm Dave wieder die Führung. Er berichtete ihnen: „Die Gegend zählt bereits zur nördlichen Breitenregion, die ganz Kanada von Ost nach West durchquert und dem Land seinen Reichtum an Bodenschätzen der verschiedensten Art beschert. In der Nachbarschaft von Bancroft befinden sich Fundstellen für Edelsteine, zum Beispiel Rubine und Aquamarine, Quarze und andere Halbedelsteine, die sich zwar nicht für eine industrielle Ausbeutung eignen, aber bei geführten Touren für die Touristen über- raschende Funde bereithalten. Einen zusätzlichen Anreiz bieten ausgewählte und bearbeitete Steine, die den Besuchern hier im Mineralmuseum gezeigt werden.“ Sein krönender Vorschlag zum Abschluss ihres Spazierganges lautete: „Besucht zusammen mit euren Frauen die jährlichen Mineralienaustellungen. Dabei kauft ihr günstig Edelsteine und Schmuck, den ihr ihnen wirkungsvoll als Zeichen eurer Zuneigung überreicht.“ Peter, der sparsame Schwabe, erwiderte lachend: „Ich glaube, wir kommen günstiger davon, wenn wir die Frauen auf die Suche nach den Edelsteinen schicken. Dieses gibt ihnen Beschäftigung und ein Erfolgserlebnis, das uns weniger kostet.“ Dave verabschiedete sich daraufhin mit der Bemerkung: „Ich erkenne eure realistische Einstellung und bin überzeugt, dass ihr euch damit bald kaum noch von den Ansichten der hiesigen Bevölkerung unterscheiden werdet.“

Der Ruf aus Kanada

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