Читать книгу Der Ruf aus Kanada - Rudolf Obrea - Страница 14

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Selbst sein geplanter, ruhiger Urlaub bei seiner Familie in Hamburgs altgewohnter Umgebung geriet bei Sven durch die unvorhergesehenen Ereignisse der letzten Tage ins Wanken. Als ob der Wechsel zu seinem neuen Arbeitgeber in Süddeutschland und sein auf längere Dauer angelegter Arbeitsplatz in Kanada ihm nicht bereits hinreichend physische Abwechslung verschafften, versetzte ihm die Begegnung mit Sabine zusätzlich in einen bisher unbekannten Gefühlstaumel. Sein mit Vernunft begründetes, logisches Denken hatte Mühe die auf ihn einstürmenden Begebenheiten noch richtig zu verarbeiten. Stattdessen musste er sich eingestehen, dass er viel zu früh am Bahnsteig auf Sabine wartete und sich erst beruhigen konnte, als sie ihn, wie bei Frauen üblich, etwas später als vereinbart, dafür aber mit strahlendem Lächeln begrüßte. Dem Anlass angepasst trug sie eine sportliche Bekleidung, die mit eng geschnittener, blauer Hose und dazu passender, hellgrauer Jacke ihren schlanken Körperbau voll zur Geltung kommen ließ. Ihre braune, faltige, etwas abgetragene, lederne Reisetasche, die von ihrer Schulter herabhing, betonte die lässig elegante Art einer Frau, die sich selbstbewusst den gebührenden Respekt verschaffte. Dadurch wirkte ihre momentane, durch das Funkeln der dunklen Augen zum Ausdruck gebrachte Wiedersehensfreude umso ehrlicher und für Sven noch anziehender, weil er sich als gleichberechtigter Partner verstanden und anerkannt fühlte.

Der Zug war nur mäßig besetzt und so fanden sie einen bequemen Platz, um sich während der Fahrt ungestört zu unterhalten. Beide beglückwünschten sich zunächst dazu, dass sie ihre Überrumpelungsmanöver zu Hause erfolgreich überstanden hatten. Anschließend fragte Sabine mit etwas besorgter Miene. „Warst du schon öfter bei deinen Freunden in Plön?“ Er musste ihr gestehen: „Ich kenne Michael als Studienfreund. Bei seiner Hochzeit mit Angela war ich Trauzeuge und wurde von ihm noch einmal zum Wochenendsegeln mit seinem neuen Boot eingeladen. Er arbeitet in der Werkzeugfirma seines Vaters und besteht darauf, dass wir uns bei seinen gelegentlichen Besuchen in Hamburg treffen und ich ihm meine Geschichten von den verschiedenen Reisen erzähle. Wir bedeuten deshalb keine Belästigung für ihn, sondern eine willkommene Abwechslung.“ Sie beruhigte sich, weil sie mit dieser Auskunft bestätigt bekam, dass ihr neuer Freund sie nicht zu einer wilden Partie entführen wollte, stattdessen wohl eher plante, sie im Kreis von ihm vertrauten Bekannten näher kennen zu lernen. Zum Beweis ihres gestärkten Vertrauens rückte sie näher zu ihm und ließ sich von ihm liebevoll in die Arme nehmen.

In Plön angekommen, wurden sie von Michael, einer hageren Gestalt, von etwa gleicher Größe wie Sven, am Bahnhof erwartet. Nachdem dieser seinen Freund erkannt hatte, verharrte sein suchender Blick mit seinen auffällig großen, dunklen Augen noch einen Moment lang auf dessen Begleitung. Er schien zufrieden zu sein, weil jetzt eine freudige Überraschung an seinem Gesichtsausdruck erkennbar wurde und er seine Gäste mit: „Hallo ihr beiden Großstädter“ begrüßen konnte. Sven stellte seine Begleiterin vor und fügte hinzu: „Sabine ist mitgekommen, um meine Segelkünste, die ich ihr auf der Alster vorführte, auf dem See hier besser prüfen zu können.“ Alle lachten etwas verwundert, gaben sich dann aber mit dieser

reellen, wenn auch etwas vorgeschobenen Begründung zufrieden. „Ich bringe euch schnell nach Hause zu meiner Frau und muss anschließend zurück in die Firma. Heute Abend erwarte ich dafür eure spannenden Geschichten aus der großen Welt.“

Während sie in sein Auto stiegen, fügte er noch hinzu: „Ich wähle einen kleinen Umweg und fahre am Seeufer entlang, damit ihr euch orientieren könnt und später vom Wasser aus an der weithin sichtbaren Schlossfassade erkennt, wo ihr am Abend eure Ausflüge beenden müsst.“ Das auf einer Anhöhe rechts von ihnen gelegene ehemalige Sommerschloss der dänischen Könige bot baulich nichts besonderes, eignete sich aber, wie Michael richtig erwähnt hatte, mit seiner langgezogenen, zum See ausgerichteten Seitenfront ausgezeichnet als Kennzeichen der Stadt. Auf einer bewaldeten Anhöhe der Straße nach Ascheberg bogen sie rechts in einen Seitenweg und kamen zum Haus ihres Gastgebers.

Angela, die ihre Ankunft gesehen hatte, kam ihnen entgegen. Im Gegensatz zu asketisch wirkenden Gestalt ihres Mannes war sie klein und untersetzt, glich dieses aber durch ihren temperamentvoll wirkenden Ausdruck ihres runden Gesichtes aus. Zur Begrüßung umarmte sie Sven und ließ dadurch sofort erkennen, dass er und seine Begleiterin willkommene Gäste waren. Zufrieden fuhr Michael wieder weg und überließ seiner Frau die Betreuung der Besucher. „Kommt mit mir zur Werkstatt, damit ich euch den Gästebereich zeige und Gelegenheit zum Auspacken und Erfrischen gebe.“ Mit dieser Bemerkung ging sie voran zu einem Nebengebäude, bei dem eine Seitentreppe zur Mansarde führte, die zu einer kleinen Gästewohnung ausgebaut war. Sie blieb unten stehen und sagte: „Wenn ihr mich sucht, klopft an das Werkstattfenster.“

Sie stiegen die etwas wackelige, enge Holztreppe hoch. Sven öffnete die Tür zu einem kleinen Vorplatz, erkannte im Hintergrund ein geräumiges, mit modernen Möbeln ausgestattetes Wohn-Schlafzimmer und ließ Sabine den Vortritt für die erste Besichtigung. Sie rief: „Komm rein! Das musst du auch sehen. Ein ideales Domizil für uns.“ Er folgte ihr und konnte ihr nur zustimmen. „Hast du bei deinem letzten Besuch auch schon hier gewohnt?“ „Nein, ich wohnte in einem kleinen Nebenzimmer bei ihnen im Haus. Der Vater von Michael nutzte dieses Gebäude für seine Schlosserei.“ Demnach bist du schon länger nicht mehr hier gewesen.“ „Stimmt, gab er zu, dafür gefällt mir diese neue Behausung um so besser.“ Nachdem sie ihr Gepäck abgelegt hatten, gingen sie zum Fenster und sahen direkt unterhalb von ihnen auf die Wasserfläche eines Sees, von dessen Ufer aus sich das Grundstück an einem Abhang hinaufzog. Stolz erklärte Sven: „ Dieser Blick auf den „Kleinen Plöner See“ mit seinen vielen versteckten Buchten und der dahinter sich ausbreitenden, bewaldeten Hügellandschaft fasziniert mich immer wieder und ist die Überraschung, die ich dir bieten wollte.“ Sie sah ihn bewundernd an, gab ihm einen ihrer kurzen, aufmunternden Küsse und sagte: „Deine Überraschungen gefallen mir. Ich wünsche mir noch mehr davon!“ Unwillkürlich erinnerte er sich an die fast gleichen Bilder in der Nähe seines Arbeitsplatzes in Kanada, die vielleicht in Zukunft eine dieser Überraschungen werden könnten, momentan aber besser noch als Wunschtraum aufge-hoben blieben.

Ähnlich einem Hotelzimmer fanden sie vom Flur ausgehend ein Duschbad, konnten sich dort erfrischen und klopften anschließend, für neue Erkundungen gerüstet, an Angelas Werkstattfenster. Sie erschien in einem weißen Arbeitsmantel gehüllt und genoss sichtlich das Staunen ihrer Gäste beim Anblick ihrer Töpferei. „Kommt herein! Nachdem die Männer, mit Verachtung im Blick für diese alte Bude, ausgezogen waren, eroberte ich mir hier mein eigenes Reich, um mich ungestört mit meinem eigenen Hobby zu beschäftigen.“ Neugierig und zugleich etwas neidisch fragte Sabine: „Wie hast du deinen Mann überredet?“ „Er kannte meine Vorliebe für die Töpferei. Ich appellierte einfach an seine männliche Logik, mir das nutzlose Gebäude zu überlassen, ihm die Neugestaltung zu ersparen und gleichzeitig meine Eigeninitiative zu beweisen.“ Sabine verbarg das Eingeständnis ihrer eigenen Versäumnisse, nämlich ihre lediglich von der Stellung ihres Mannes abhängige, passive Rolle während ihres Partylebens in Teheran, und interessierte sich für weitere Einzelheiten des offensichtlichen Erfolges dieser Frau.

Sven erkannte, dass er bei der Unterhaltung der beiden nicht unbedingt erwünscht war, und fragte Angela: „Kannst du mir Michaels Fahrrad leihen? Ich möchte zum Strand fahren und uns für morgen ein geeignetes Boot mieten.“ Ihre knappe Antwort lautete: „Das Fahrrad steht oben unabgeschlossen im Geräteschuppen neben dem Haus. Hier auf dem Land leben nur ehrliche Leute.“ Er verstand den kleinen Seitenhieb, bedankte sich aber trotzdem und verschwand, bevor sie ihn zu zweit weiter in die Zange nehmen konnten. Nach einer gemütlichen Fahrt durch die Altstadt von Plön kam er zur Uferpromenade, die in einem leicht geschwungenen Bogen das nördliche Ende des Großen Plöner Sees markiert. Er erinnerte sich an seine Bootstour mit Michael und erkannte die rechts in den See hinein ragende Prinzeninsel, deren Windschatten ihnen die Rückkehr zum Hafen erschwert hatte. Die Bootsvermietung, die ihm sein Freund empfohlen hatte, entdeckte er links vor ihm zwischen den Masten der dort vor Anker liegenden Boote. Er begrüßte den Besitzer, der sich als Erich Lüders vorstellte, und durfte sich mit Bezug auf Michaels Empfehlung ein für zwei Personen geeignetes, offenes, aber trotzdem zahmes Kielboot aussuchen. Sie vereinbarten, sich am anderen Morgen wieder zu treffen, damit Sven und Sabine, gutes Wetter vorausgesetzt, zu ihren Erkundungsfahrten starten konnten. Auf der Rückfahrt beglückwünschte sich der Urlauber zu seinem bisherigen, ungetrübten Erfolg und trat als Zeichen seiner guten Laune kräftig in die Pedalen.

Angela erklärte in der Zwischenzeit ihrer Besucherin enthusiastisch ihre Tätigkeit und zeigte ihr die verschiedenen, von ihr produzierten Vasen und Krüge. Sabine bezeugte durch wiederholtes Fragen ihr ungeteiltes Interesse und erreichte damit, dass beide im vertrauten Gespräch zueinander fanden. In ihrer Plauderei vertieft, ließen sie sich deshalb auch kaum stören, als Sven durch das Klopfen am Fenster seine Rückkehr anzeigte. Er deutete dieses als gutes Zeichen der Akzeptanz seiner Freundin und beschloss die beiden nicht zu stören, sondern mit einem Spaziergang Erich von der Arbeit abzuholen. Alle trafen sich anschließend im Haus der Gastgeber wieder und verbrachten, durch einen süffigen Rotwein unterstützt, mit ihren Erzählungen und den dazugehörigen Reaktionen einen kurzweiligen Abend.

Als sie sich schließlich auf ihre Gästemansarde zurückgezogen hatten, blieb Sabine in der Mitte ihres Zimmers stehen, betrachtete Sven staunend, gleichzeitig aber auch anerkennend wohlgefällig und sagte: „Du, deine Freunde und die Umgebung hier versetzen mich in eine Traumwelt, die ich mir zwar immer herbeisehnte, an deren wirkliche Existenz ich aber nicht mehr zu glauben wagte. Komm zu mir und lass dich umarmen!“ Sven, der die begehrenswerte Gestalt seiner Geliebten vor sich sah, ging rasch auf sie zu. Beide ließen sich nur noch von ihren Gefühlen leiten, mit denen sie sich innig umarmten, küssten und anschließend, von zärtlichen Liebkosungen begleitet, gegenseitig auszogen, um durch das Ineinander ihrer Körper ihre Vereinigung in völliger, ausschließlicher Hingabe zu genießen.

Das Liebespaar sah sich verwundert an, als am anderen Morgen die Sonne bereits eine Ecke ihres Zimmers hell ausleuchtete und Sven sich verschwommen daran erinnerte, wo er sich befand und daß im Hafen von Plön ein Segelboot nach seiner aktiven Betätigung verlangte. Sabine hob ihren Kopf, beugte sich über ihn und holte ihn mit einem sanften Kuss auf die Nasenspitze in die Gegenwart zurück. Dazu grinste sie und sagte: „Der schlafende Vulkan scheint noch aktiv zu sein. Ich traue ihm einen neuen Ausbruch zu und bringe mich erst einmal in Sicherheit.“ Daraufhin stand sie auf und beflügelte Svens Tatendrang endgültig, indem sie sich nackt und unbeschwert durch das Zimmer bewegte und im Duschbad verschwand. Angela wartete mit einem reichhaltigen Frühstück auf ihre Gäste, ließ sich von deren guter Laune anstecken und zeigte ihre Verbundenheit, indem sie die beiden mit ihrem Auto zur Bootsvermietung fuhr. Dort trafen sie Sven Lüders, der an diesem Morgen wenig zu tun hatte und gemütlich seine Pfeife rauchend vor seinem Bootsschuppen saß. Er stand auf, begrüßte sie und deutete, Angela zugewandt, augenzwingernd auf die Bank, damit sie zu einem Klönschnack (kleine Ratscherei ) auf ihn wartete, während er Sven und Sabine zu ihrem Boot führte und ihnen beim Setzen der Segelhalf.

Der aus nordwestlicher Richtung achterlich daherkommende Wind trieb sie schnell aus der Bucht und kränkte das Boot auf die Backbordseite. Sven konterte geschickt und erreichte damit, daß Sabines zunächst etwas ängstlicher Blick verschwand und sie sich wieder vorbehaltlos von der unternehmungslustigen Aufbruchstimmung ihres Begleiters anstecken ließ. Noch in Sichtweite des Hafens beschäftigte er sie zusätzlich mit dem Üben der notwendigen Handgriffe und Verhaltensweisen, sodass sie zu einem Team wurden, das imstande war, sich auf der hier weiten und offenen Wasserfläche sicher zu bewegen. Sie kamen überein, den Nachbarort Ascheberg als Ziel ihres Ausfluges anzusteuern. Die Entfernung schien nicht besonders weit zu sein. Allerdings mussten sie sich die Strecke mit häufigen Wenden gegen den ihnen entgegen kommenden Wind erkämpfen, eine Aufgabe, die ihnen eine weitere Probe ihres Könnens abverlangte, bevor sie , von der abwechslungsreichen Fahrt erschöpft, ihr Boot am Landesteg von Ascheberg festmachten.

In der nahe am Ufer gelegenen Gastwirtschaft gönnten sie sich ein ausgiebiges Mittag essen. Sabines kastanienbraunes Haar glänzte in der Sonne mit einem rötlichen Schimmer, den die intensive Beleuchtung hervorrief. Vielleicht sah Sven auch nur ihre veränderte rötliche Gesichtsfarbe, mit der bei ihr die vorangegangene körperliche Anstrengung, verbunden mit der großen Menge sauerstoffhaltiger Seeluft, zum Ausdruck kam. Ihr Kopf glich einem Feuerball, dessen Schein ihn völlig blendete und ihn mit den Funken ihrer guten Laune ansteckten. Er gestand ihr: „Du bist unwiderstehlich. Ich hoffe, dass dir nicht nur das Segeln neue Lebensgeister einhaucht.“ Sie lachte und antwortete: Du kennst doch bereits meine Präferenzen. Den Ausflug mit dem Boot genieße ich deshalb, weil er uns gemeinsam herausfordert und nur wir beide an Bord uns gegen den Wind bewähren müssen. Mit dir als Lehrer lerne ich bei diesem Intensivkurs schnell wieder, eine gute Schülerin zu werden, die auch bei der Meisterprüfung nicht mehr verzagt.“ Sven freute sich über dieses Eingeständnis ihrer Zuneigung, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie damit ihr neues Selbstbewusstsein ausdrückte, eine Eigenschaft, die sie von der Erinnerung an alte, schlechte Erfahrungen befreite und ihre neuerwachte Liebe zu einem aufrichtigen und ehrlichen Bekenntnis machte.

„Bei der Rückfahrt werden wir die angenehmen Eigenschaften des Segelns genießen, nämlich ein ungestörtes, geräuschloses Dahingleiten, vorbei an dem Panorama einer Landschaft, die von den Ausbuchtungen und Vorsprüngen des Seeufers abwechslungsreich markiert ist, aber trotzdem mit den dahinter aufragenden Hängen und den meist bewaldeten, sanften Hügeln dieser Gegend eine Ruhe vermittelt, die zum bedächtigen Nachdenken anregt.“ Seine Aussage bewahrheitete sich, indem ein steter achterlicher Wind sie bei ausgestellten Segeln vor sich her blies und die quer zum Boot verlaufenden Wellen sie auf ihren Kämmen sanft weitertrugen.

Sie erreichten den Plöner Hafen schneller als sie dachten und machten deshalb einen ausgedehnten Spaziergang zurück zu ihrer Unterkunft. Unterwegs unterhielten sie sich lebhaft über die besonderen Eindrücke, die sie von dem bisherigen Verlauf ihres Urlaubes hatten. Sabine gestand ihm: „Dein Plan, nach Plön zu fahren, hat mich zunächst überrascht. Der Zeitpunkt deiner Einladung war nach unserem Törn auf der Alster allerdings gut gewählt und die Beschreibung deiner Freunde hier machte mich neugierig, dich über deine Umgebung näher kennen zu lernen. Ich habe keine falsche Entscheidung getroffen und kann nur sagen, dass ich mich trotz der kurzen Zeit, die wir uns kennen, restlos in dich verliebt habe.“ Sie sah ihn mit geöffneten, erwartungsvollen Augen an, blieb stehen und begehrte, lang und innig von ihm geküsst zu werden. Sven, der sich Frauen gegenüber bisher komplexartig eher schüchtern verhalten hatte, sah sich jetzt ebenfalls von der Vergangenheit befreit und entgegnete ihr: „Ich liebe und begehre dich. Lass uns die verbleibende Zeit dazu nutzen, unsere Empfindungen füreinander zu vertiefen und genau so harmonisch wie bisher gestalten.“ Er hielt sein Versprechen bei weiteren Ausflügen über den See nach Bosau und Dersau und erreichte damit, dass sie als festverbundenes Liebespaar nach Hamburg zurückkehrten.

Zu Hause bei seinen Eltern in Bergedorf fand Sven einen dicken Brief von seiner Firma. Er enthielt neben verschiedenen Unterlagen auch ein Flugticket für seine neue Reise nach Kanada, ausgestellt mit einem Datum, das ihm den reservierten Abflug in knapp einer Woche ankündigte. Vor nicht zu langer Zeit wäre ihm dieses Ende seines Urlaubes noch als zwingende Fortsetzung eines ungebundenen Neuanfanges vorgekommen. Jetzt aber musste er die unverhoffte Begegnung mit Sabine in seine Überlegungen zusätzlich mit einbeziehen.

Er hatte seine neue Freundin besonders dadurch beeindruckt, indem er ihr, nahezu unbeab-sichtigt, mit seiner lokalen Verbundenheit eine Rückbesinnung auf die hiesigen Vorteile bei Land und Leuten vermittelte. Im Laufe ihres Aufenthaltes in Persien hatte sie die aktuell gültigen Bezugspunkte zu ihrer alten Heimat verloren, war deshalb enttäuscht bzw. orientierungslos und benötigte einen Helfer, der ihr diese Gesichtspunkte wieder sichtbar machte und für sie glaubwürdig und positiv darstellte. Sven eignete sich für diese Aufgabe, weil er, ihr darin ähnlich werdend, durch seine angestrebte Distanzierung eine objektive Beurteilung gewährleistete. Der schnelle Verlust ihres Helfers bedeutete ein Nachteil, den sie vorläufig mit der geheimen Hoffnung kompensierte, ihm nach Kanada zu folgen. Sven blieb die Einsicht, dass er sich seine Persönlichkeit und die damit verbundene Selbst sicherheit nur dann auf Dauer als wertvolle Eigenschaft erhielt, wenn er die Erinnerungen und Erlebnisse der Vergangenheit nicht einfach, wie bisher angestrebt, als lästigen Ballast abwarf, sondern sie als identitätsstiftenden Rückhalt und innerliche Kraftreserve beibehielt.

Sabine und er fanden zueinander, weil sie, geprägt von ihrem Auslandsaufenthalt, ihn mit ihrer aufgeschlossenen, offenen Art auf seinem neuen Weg anspornte und er mit seinen einheimischen, soliden Beziehungen ihr Vertrauen gewonnen hatte, ein Kriterium, mit dem sie sich unbewusst auf die Werte ihrer ursprünglichen Herkunft bezog und diese für sie dadurch wieder zu einem bedeutenden Merkmal wurden. Sie hatten sich nicht nur verliebt, sondern in der kurzen Zeit ihres Zusammensein auch gegenseitig einen neuen Halt vermittelt, der ihnen als gegenseitiges Geschenk im Bewusstsein blieb und damit das Gefühl einer dauerhaften Bindung und Zuneigung erzeugte, die selbst der schnell auf sie zukommende Abschied am Flughafen nicht auflöste.

Der Ruf aus Kanada

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