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Sven Fahrenholz, ein schlanker, hochgewachsener nicht mehr ganz so junger Mann mit schwarzen nach hinten gekämmtem, vollem Haar, einem schmalen, länglichen Gesicht, dem die großen dunkelbraunen, fast runden Augen einen markanten Ausdruck gaben, kam an einem Nachmittag im Spätherbst von einem längeren Aufenthalt in Frankreich zurück nach Hamburg. Er arbeitete für eine Exportfirma und hatte in ihrem Auftrag die Inbetriebnahme einer neuen Werkzeugmaschine in Correze in der Auvergne beaufsichtigt. Sein Vater, der als kaufmännischer Angestellter seit vielen Jahren in derselben Firma beschäftigt war, fuhr direkt vom Büro in der Innenstadt zum Flughafen nach Fuhlsbüttel und wartete in der Abkunftshalle zwischen zahlreichen anderen Abholern auf die Ankunft seines Sohnes. Dieser blieb zunächst am Ausgang der Gepäckabfertigung stehen, bis er die hagere, untersetzte Gestalt seines Vaters im mausgrauen Geschäftsanzug mit der dazu passenden hellblauen Krawatte in der Menge erkannte und zielstrebig auf ihn zuging.

Der angestrengte Blick des älteren Herren mit den graublauen, oval runden Augen, eingerahmt von einem blassen, hageren Gesicht, verwandelte sich bei der Begrüßung in eine Mischung aus Stolz und prüfender Erwartung. „Hallo, mein Junge! Willkommen zu Hause! „Hallo Vater! Prima, dass du mich abholst. Die Fahrt von Correze nach Lyon über Clermont Férraud durch die Berge des Massif Central dauerte ziemlich lange. Zusätzlich musste ich in Paris den Flughafen und die Fluglinie wechseln, um endlich im Flieger nach Hamburg zu sitzen. Um so angenehmer empfinde ich, dass wir von hier direkt mit dem Auto zu uns nach Bergedorf fahren können. Die etwas bedrückende Antwort des Vaters lautete: „Machen wir! Im Büro läuft momentan sowieso alles mit langweiliger Routine und ich freue mich deshalb besonders auf das, was du mir auf dem Heimweg von dem hoffentlich erfolgreichen Resultat deiner Arbeit erzählst. Noch voll von den Eindrücken seiner Begegnungen und dem Umgang mit seinen französischen Kollegen und Helfern, folgte Sven gerne der Aufforderung des Vaters und verkürzte auf diese Weise die Zeit ihrer Fahrt. Er berichtete nicht nur von den Aktivitäten auf der Baustelle, sondern auch von den regelmäßigen Treffen danach, beim Pastis im Bistro, oft gefolgt von einem ausgezeichneten Abendessen in ausgesuchten Restaurants der Umgebung. Der Vater ließ sich von der Begeisterung seines Sohnes anstecken, vergaß dabei seine Sorgen und beide überraschten mit ihren unternehmungslustig wirkenden, geröteten Gesichtern die Mutter, die zu Hause bereits aufgeregt auf sie wartete.

Ihre Altbauwohnung im ersten Stock eines im klassizistischen Gründerstil gebauten, dreistöckigen Hauses kannte Sven bereits seit seiner Kindheit. Zielstrebig ging er deshalb den langgestreckten Flur entlang, öffnete seine Zimmertür, stellte dort zunächst sein Gepäck ab und zog bequeme Hauskleidung an. Seine Eltern erwarteten ihn auf ihren gewohnten Stammplätzen in den Sesseln des Wohnzimmers, eingerichtet mit dunklen Eichenmöbeln, die während des Tages von dem Licht des großen, hohen Fensters erhellt wurden, jetzt am Abend jedoch mit dem Leuchter in der Mitte des Raumes als dunkle, amorphe, geisterhafte Ausstattung wirkten, an die sich Sven erst wieder gewöhnen musste. Die neugierigen, auf ihn gerichteten Blicke seiner Eltern kompensierten momentan um so wirkungsvoller die Umgebung und verleiteten den Heimkehrer , sich erneut in die gerade erlebte, aufregende, andersartige Welt zurück zu versetzen. und darüber seinen Eltern voller Begeisterung zu berichten.

Dieselbe Szene wiederholte sich nach jeder Rückkehr von seinen häufigen Reisen als Außendienstmitarbeiter, blieb aber immer weniger wirksam, weil Sven seine Neuigkeiten zwar packend zu schildern wusste, beim anschließenden Nachdenken jedoch das wiederkehrende Althergebrachte nicht mehr mit der schillernden Vielfalt seiner neuen Erlebnisse in Einklang bringen konnte. Der regelmäßig aufkommende Zwiespalt seiner Empfindungen beschäftigte ihn seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn und verursachte ihm eine innere Unruhe, die sich in zunehmender Unsicherheit, gepaart mit aggressiver Verständnislosigkeit ausdrückte.

Svens Freundin, Monika Behnke, die er seit seiner Schulzeit kannte und die inzwischen als Lehrerin an einer Grundschule in Barmbek unterrichtete, hatte ihn zunächst mit ihrer natürlichen Fröhlichkeit und jugendlicher Frische an sich gezogen. Sie verlieh ihrer gedrungenen Gestalt mit ihren schnellen, reflexartigen Bewegungen und dem runden, stets freundlich und fröhlich wirkenden Gesicht eine unbekümmerte Lebendigkeit, die sich auf den zwar größeren, schlanken, dafür aber bedächtigeren Freund stimulierend auswirkte. Sie mieteten sich, nicht weit von ihrer Schule entfernt, eine Zweizimmerwohnung in einem der vielen dreistöckigen Backsteinhäuser von Uhlenhorst, die Monika im Laufe der Zeit liebevoll einrichtete. Erfolgreich und gefestigt in ihrer beruflichen Laufbahn sehnte sie sich mehr und mehr nach der Gründung einer Familie, mit der sie im Kreis von Freunden und Verwandten die endgültige Anerkennung zu erzielen hoffte. Jedes Mal, wenn Sven von einer Geschäftsreise zurückkam, hätte sie jedoch bemerken müssen, dass sie ihn mit ihren Wünschen und Absichten gedanklich immer weniger erreichte und er dieses mit übertriebenen Liebesbekundungen zu übertünchen und kompensieren suchte. Selbst als sie sich schließlich über sein Desinteresse beschwerte, wich er, getrieben von seinem inneren Wankelmut aus, kehrte dafür nach der nächsten Reise nicht zu ihr zurück, sondern verkroch sich in das Schneckenhaus bei seinen Eltern.

Seit einem Jahr lebte er wieder in Bergedorf. Nach Feierabend traf er dort bei Sport und anderen Freizeitaktivitäten erneut seine alten Freunde. Die meisten von ihnen waren allerdings, genau wie sein jüngerer Bruder Paul, inzwischen verheiratet. Sie überschütteten ihn mit ihren Ehen- und Kindergeschichten, vor denen er geflohen war, weil er einem ähnlichen Schicksal mit seinen Geschäftsreisen zu entgehen suchte. Selbst diese Flucht- versuche waren jetzt nach seiner Rückkehr aus Frankreich bedroht. Sein Vater sah ihn bei der Übergabe seines Reiseberichtes gedankenverloren und mit ungewohnt ernster Miene an und sagte: „Die Firma, für die du gerade erfolgreich die Maschine in Frankreich aufgebaut hast, kündigte in der vergangenen Woche die Auslandsvertretung mit uns. Sie folgt damit dem Trend namhafter Produzenten im Inland, die dazu übergehen, ihre Produkte nicht mehr über Hamburger Exportfirmen zu vertreiben, sondern direkt an ihre ausländischen Kunden zu liefern. Für mich bleiben bis zur Rente noch genügend Aufträge im Konsumgüterbereich, während deine Zukunft bei uns nicht dauerhaft gewährleistet ist.“ Sven schien von dieser Aussage nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Er blickte seinen Vater fast mitleidig an und antwortete ihm entschlossen: „Meine bisherige Tätigkeit zeigte mir bereits neue Wege, auf denen ich, noch frei und ungebunden, in eine bessere Zukunft nach meinem eigenen Vorstellungen gehen kann. Du ermutigst mich lediglich, vielleicht nicht ganz ungewollt und in alter Hamburger Tradition, zum Aufbruch, den ich mit jugendlichem Elan anpacken möchte.

Ohne lange zu überlegen, so als ob schon länger auf einen äußerlichen Anstoß gewartet hätte. bewarb sich Sven in den folgenden Tagen bei verschiedenen Maschinenherstellern, von denen er wusste, dass sie ihren Verkauf auf das Exportgeschäft ausdehnten. Der Vater half ihm mit seinen alten Kontakten zu entsprechenden Firmen, von denen er wusste, dass sie bei ihren Bemühungen noch geeignete Mitarbeiter mit Sprachkenntnissen und Auslandserfahrung suchten.

Schon bald ergab sich auf diese Weise eine Verbindung zur schwäbischen Firma Wegener in Esslingen am Neckar, nicht weit von Stuttgart entfernt. Sven wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und nach eingehender Prüfung durch Herrn Wegener, den Eigentümer der Firma, seinen Verkaufsleiter sowie den zukünftigen Kollegen eingestellt. Während er von seinen bisherigen Aufenthalten im Ausland stets nach Hamburg zurück-gekehrt war, bedeutete sein Umzug nach Esslingen daraufhin den endgültigen Abschied von einer altvertrauten Umgebung und stand somit am Anfang eines neuen Lebensabschnittes.

Die Einarbeitungszeit in der neuen Firma fiel im nicht sonderlich schwer. Im privaten Umfeld musste sich der Norddeutsche allerdings auf die schwäbischen Besonderheiten, vor Allem die andersartige Mentalität der Leute, verbunden mit ihrem spezifischen Dialekt, gewöhnen, eine Aufgabe, die ihm erst auf lange Sicht, wenn überhaupt, zu gelingen schien. Bereitwillig übernahm er aus diesem Grund den ihm angebotenen Außenposten in Toronto, Kanada, um den dortigen Vertreter zu unterstützen und mit technischer Beratung zu ergänzen. Sven feierte diese Versetzung als weiteren Etappensieg seines lang herbeigesehnten Absprungs.

Der Ruf aus Kanada

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