Читать книгу Religion und Mythologie der Germanen - Rudolf Simek - Страница 10
3. Wagner oder: Warum wanken Walküren nicht?
ОглавлениеDank des Leipziger Komponisten Richard Wagner (1813–1883) und ungezählter Inszenierungen seiner Ring-Tetralogie weiß auch heute jedermann, wie man sich eine Walküre vorzustellen hat – nur wozu sie gut sein soll, weiß keiner.
Wagners Beschäftigung mit der germanischen Mythologie reicht bis in in die 40er-Jahre des 19. Jh.s zurück, schon 1843 hatte er Jacob Grimms Deutsche Mythologie (1. Aufl. 1835) gelesen. Er selbst verfasste 1848 den Essay Wibelungen: Weltgeschichte aus der Sage, ein eher politisches Werk, in dem er die Nibelungensage mit zeitgenössischer Politik verbindet. Zwischen 1848, als er offenbar mit Vorarbeiten zu Siegfrieds Tod die ersten Ideen für eine Nibelungenoper sammelte, und 1851 erwarb er sich auch Kenntnisse des Altnordischen, las Freiherr Friedrich Heinrich von der Hagens Übersetzung der Völsunga saga12 und verwendete auch eine Originalausgabe der Edda. Schon 1852 war die Ringdichtung fertig, die er 1853 drucken ließ, die Musik dazu beschäftigte ihn weitere zwei Jahrzehnte. Erst 1874 lag sein Nibelungenzyklus fertig vor, der aus dem Vorspiel Das Rheingold und den Opern Die Walküre, Siegfried (ursprünglich: Der junge Siegfried) und Götterdämmerung besteht.
Trotz seiner Quellenstudien ging jedoch Wagner mit dem Nibelungenstoff und noch mehr mit der nordischen Mythologie recht freizügig um: Odin bekommt eine Rolle in der Nibelungensage, der Gott Loki wird mit dem Feuerriesen (?) Logi zu einer Figur verschmolzen, und nicht zuletzt werden die Walküren völlig vermenschlicht. Wagners Verzerrung der Mythologie und Sagenwelt, sein Nationalismus – den es natürlich in den Quellentexten nicht geben kann – und seine eigenwillige Übertragung der Stabreimtechnik ins Deutsche hat zu vielen populären, aber durchaus falschen Vorstellungen über die germanische Mythologie geführt, die heute allerdings das öffentliche Bewusstsein stärker prägen als wissenschaftliche Erkenntnisse.
Dennoch hat Wagner der germanischen Mythologie zu einem Durchbruch in der Öffentlichkeit verholfen, wie sie ihn ohne Wagner und seine Musik wohl niemals geschafft hätte. Dabei helfen nicht zuletzt zwei wesentliche Faktoren, die ausschließlich mit Wagner, nichts aber mit der Mythologie zu tun haben:
1. Wagner polarisiert wie nur selten andere Komponisten; kaum jemand ist in der Lage, seine Musik ausschließlich zu tolerieren, sie zwingt zur Stellungnahme. Der Querdenker Wagner hat auch schon zu seinen Lebzeiten provoziert und polarisiert, und er tat dies nicht nur in seiner Musik, sondern auch in seiner durchaus politischen Behandlung der germanischen Mythologie: Er nutzt sie nicht nur als Opernstoff, sondern er gebraucht sie – oder: missbraucht sie? – als Vehikel für seine politischen Ansichten.
2. Wagner sensualisiert durch seine Musik, „eine Musik, welche die Hörerschaft unmittelbar anzusprechen vermag und die tieferen Schichten des kollektiven Unbewussten über die ganze Welt hin erreicht. Die zentrale Idee, der Gehalt des Textes wird sogar durch seine Musik unmittelbarer erlebt. Mancher Zuhörer erliegt den Zauberkünsten dieses Magiers und übernimmt unbesehen, was ihm an Ideen geboten wird. Diese Musik ist, wie Nietzsche zeigte, die Alleinherrschaft des Gefühls, losgelöst von allem andern.“13 Damit macht sich Wagner – aus wissenschaftlicher Sicht – derselben Verfremdung schuldig wie die Neuheiden, indem er die ihm brauchbar erscheinenden Elemente der heidnischen Mythologie in eklektischer Manier herausnimmt, verformt, und für seine Zwecke verarbeitet.
Wagner hatte, um am Beispiel der in der Überschrift genannten Walküren zu bleiben, die wohl jeweils jüngsten, schon am meisten durch mittelalterliche Formen geprägten Quellen herangezogen, statt – wie üblicherweise der Wissenschaftler – die jeweils ältesten, noch die heidnische Zeit am ehesten reflektierenden Quellen zu verwenden. Das führt dazu, dass das Bild der germanischen Mythologie, mit dem Wagner in den letzten eineinviertel Jahrhunderten die Welt unterhalten und fasziniert hat, ein Bild ist, das mehr mit Wagners Ideologie und Phantasie als mit der alten heidnischen Religion zu tun hat.
In den von ihm benutzten Sigrdrífomál sind es schon vermenschlichte Mädchen, „Schildmaiden“ nach dem Vorbild des altnordischen Motivs des meykongr, also des männlich handelnden und kämpfenden Mädchenkönigs, welche die alten Seelenführerinnen der wikingerzeitlichen Dichtung abgelöst haben, wobei auch das christliche Engelsbild schon für die Ausgestaltung des Walkürenkonzepts wirksam geworden sein kann. Der Name weist ursprünglich auf Totendämonen hin, welche die Gefallenen vom Schlachtfeld ins Jenseits führen (altengl. wœlcyrge, altnord. valkyrja von valr „die auf dem Schlachtfeld liegenden Leichen“ und kjósa „wählen“, also „die die Gefallenen Auswählenden“). Schon in der Völkerwanderungszeit wurden daraus jedoch weibliche Gestalten, die den ruhmreich Gefallenen – und nur diesen – einen ehrenden Empfang in Walhall bereiteten. Sie taten dies wohl nicht in der Weise wie die Houris des islamischen Paradieses, sondern wurden seit der Wikingerzeit gedacht als Gesandte Odins, die den Kriegern bei ihrem Einzug in Walhall feierlich ein Horn mit einem Trunk reichten. An dieser zweifellos sehr feierlich gedachten religiösen Szene – immerhin erreicht der Tote gerade seinen zukünftigen Wohnort – ist nichts zu spüren von der wüsten Martialität der Wagner’schen Walküren, nichts vom dramatischlautstarken Walkürenritt, und nichts von den lauten, geharnischten, allzu kräftigen und „brunhildenhaften“ Walküren der Wagnerikonographie, sei es auf dem Theater oder in den vielfachen Abbildungen der Folgezeit. Den „Walkürenritt“ amerikanischer Kampfhubschrauber in Vietnam in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now hat jedenfalls Wagner ebenso auf dem Gewissen wie die spätbürgerlichen Walkürengemälde der Jahrhundertwende.
Dennoch, wie andere Mythen der Neuzeit werden Wagners Walküren weiterreiten, unabhängig von historisch korrekteren Interpretationen, und werden im öffentlichen Bewusstsein das bleiben, was sie sind, auch wenn sie es erst seit etwas mehr als 100 Jahren sind: groß gewachsene, übergewichtige, martialische, meist negativ konnotierte Frauen, und nicht die ersehnten eleganten Empfangsdamen der Paradiesesvorstellungen wikingerzeitlicher Krieger.