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b) Steinkreise, Alleen und Menhire

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Mehr als alle anderen Monumente haben die zum Teil enormen Steinkreise der Megalithkultur die Phantasie der Nachkommen bis zum heutigen Tag beschäftigt. Das hervorstechendste Beispiel ist zweifellos Stonehenge, aber diese Steinsetzung ist zwar von auffälliger Größe und eigenwilliger Konstruktion, aber weder typisch für die spätsteinzeitlichen Anlagen noch annähernd die größte; zudem fand die eigenwillige Konstruktion keine Nachfolger.

Um es vorauszuschicken: Endgültig geklärt ist weder der Zweck der Steinkreise noch der enormen Steinsetzungen in parallelen Reihen in Carnac in der Bretagne noch der der Menhire, also der allein stehenden Felsblöcke und Felsnadeln.

Am ehesten ist es noch möglich, etwas darüber auszusagen, was die Steinkreise wohl alles nicht sind: So sind sie sicher nicht in erster Linie Sammelpunkte für fiktive Erdstrahlen oder Zentren für Kraftlinien (leylines), die angeblich die ganzen Britischen Inseln durchziehen und an deren Kreuzungspunkte Steinkreise und andere „Heiligtümer“ liegen sollen. Auch sind die Steinkreise nicht in erster Linie vorgeschichtliche Observatorien, wenn sich auch für bestimmte solare und lunare Konstellationen durchaus Hinweise finden lassen. Aber die überzogenen astronomischen Interpretationen, die daraus hinauslaufen, dass die Linien zwischen den einzelnen Steinen eines Kreises alle ganz bestimmte Sterne markieren sollten, gehen viel zu weit. Diese Art der Paläoastronomie basiert in erster Linie darauf, dass sich etwa in einem Steinkreis mit 12 Steinen 36 Linien zwischen den Steinen ziehen lassen, wodurch sich 72 mögliche Punkte für astronomische Visierlinien, also für alle 2,7 Grad des Horizonts finden lassen.19 Wenn man noch dazu nicht nur die Zentren der Steine annimmt, sondern auch ihre Außenkanten, verdreifacht sich die Zahl solcher Visierlinien, und wenn man dann noch mögliche Visierpunkte auf Hügeln und Bergen der Umgebung heranzieht, ist faktisch jeder Sternenaufgangs- und Untergangspunkt durch Peilungen in einem einzigen Steinkreis als bereits vorgeschichtlich zu „beweisen“. Mit dieser Kritik an der Paläoastronomie in Bezug auf Megalithmonumente möchte ich keineswegs aussagen, dass die neolithischen Baumeister keine Ahnung von Astronomie hatten, ganz im Gegenteil. Aber man sollte weder in den Fehler verfallen, mit Peilungen aus Steinkreisen alle möglichen und unmöglichen astronomischen Punkte abdecken zu wollen, noch in den Steinkreisen reine Observatorien sehen zu wollen. (Siehe dazu auch Schlosser u. Cierny 1996.)

Einige der Steinkreise in Südengland und in Frankreich weisen einen derartigen Reichtum an Feuersteinwerkzeugen diversester Herkunft auf, dass man angenommen hat, es müsse sich hier um zentrale Handelsorte oder überregionale Treffpunkte gehandelt haben, andere Funde in England weisen auf irgendeine Art von Kult. Beide Fundgruppen und damit wohl auch Funktionen finden sich in den Erdkreisen (so genannten Henges), flache Erdanlagen aus Graben und Begrenzung, wieder, welche wohl, mit oder ohne hölzerne Pfostensetzungen, die Vorgänger der Steinkreise gewesen sein dürften.20

Die Größe der Steinkreise kann ein Hinweis auf ihre Funktion sein: Steinkreise bestehen aus 4 bis 60 Steinen und haben Durchmesser zwischen 3 und 103 Metern, wobei die kleinsten als Sammelplätze für Stammes- oder Handelstreffen ganz zweifellos ungeeignet sind. Nicht alle Steinkreise sind Begräbnisstätten: Während sie in Spanien und Skandinavien meist um ein Grab oder einen Grabhügel zu finden sind, ist auf den Britischen Inseln nur in 215 der 963 bekannten Steinkreisen ein Grab zu finden, und in der Bretagne enthalten sie ebenfalls kaum Gräber. Der Ursprung der Steinkreise, etwa um die Mitte des 4. vorchristlichen Jahrtausends, kann also weder in Grabanlagen überhaupt noch in den Fassadensteinen der großen Ganggräber gesehen werden, sondern es dürfte sich ganz besonders auf den Britischen Inseln diese Form von Kultplätzen entwickelt haben und erst später die Verbindung mit den Ganggräbern erfolgt sein – entweder durch Inkorporation von Gräbern in Steinkreise als sekundärer und vor allem auf dem Kontinent übernommener Brauch oder etwa durch die Errichtung der Fassaden der Ganggräber nach Vorbildern.

Wir müssen also annehmen, dass Steinkreise wohl schon ursprünglich einer ganzen Reihe von Zwecken gedient haben: als Versammlungsplatz, als Grabstätte, in erster Linie wohl aber als Kultplatz, dessen Platzwahl durch astronomische Beobachtungen durchaus mitbestimmt sein konnte. Dass der Ort keineswegs zufällig gewählt wurde, zeigen die vielen Steinkreise, die wie die Ganggräber in Sichtweite von Küsten angelegt wurden, oder auch die Tatsache, dass die Kreise keineswegs immer in unmittelbarer und somit ökonomischer Nähe der entsprechenden Steinbrüche angelegt wurden. Stonehenge ist wenigstens diesbezüglich kein Sonderfall, da die bis zu 7 m hohen und bis zu 45 t schweren Steine über eine Distanz von über 30 km herbeigeschafft werden mussten21 und die kleineren, nur 4 t schweren Steine sogar aus den über 300 km entfernten walisischen Bergen kamen.


Abb. 6: Stonehenge, Wiltshire, Südengland.

Wie schon erwähnt, weist die immense Arbeit, die mit dem Aufschütten von Wällen und Plattformen aus Erde sowie dem Transport und der Aufrichtung der Steine zehntausende, im Falle von Stonehenge und Avebury oder dem Ring von Brodgar auf den Orkneys wohl hunderttausende von Arbeitsstunden verschlungen haben muss, nicht nur auf eine relativ straffe soziale Organisation hin, sondern unterstreicht wohl auch die Bedeutung der größeren Anlagen als Zentren eines gemeinschaftlichen, öffentlichen Kults. Höchstwahrscheinlich waren derartige Kultzusammenkünfte mit Tänzen verbunden, denn im Volksglauben des Mittelalters und der Frühen Neuzeit tragen Steinkreise in England noch immer Namen wie Haltadans („lahmer Tanz“ auf den Shetland-Inseln) oder Riesentanz (Chorea Gigantum bei Geoffrey of Monmouth in Verbindung mit Stonehenge). Im Zentrum solcher Kulte stand wohl irgendeine Art von Fruchtbarkeitskult, ob nun im Kontext von Erntedankopfern oder im Rahmen der Voraussage der kommenden Saison. Einer der besten Kenner der Steinkreise in Europa, A. Burl, konnte im Zusammenhang mit Stonehenge, aber weiter über alle Steinkreise, die lapidare Aussage treffen: “There was always the axe, the sun and moon, and there was always death.”22 Mit der Bedeutung der Axt bezieht er sich auf das bedeutendste Symbol der spätneolithischen Religion der Megalithkultur, nämlich die Steinaxt, wie sie uns aus Funden in Stonehenge und anderen Steinkreisen sowie aus Felsritzungen in einer Reihe von bretonischen Ganggräbern immer wieder entgegentritt. Andere im unmittelbaren Zusammenhang damit zu findende Symbole sind Gesichter, Brüste, Spiralen und Doppelspiralen und das labyrinthähnliche Symbol in Hufeisenform, das man verschiedentlich als Labyrinth, als symbolische Darstellung des menschlichen Körpers oder aber als Aufzeichnung des jährlichen Wegs von Sonne oder Mond gedeutet hat, das aber durchaus auch für den Prozessionsweg innerhalb der hufeisenförmigen Henges gestanden haben mag. Andere megalithische Darstellungen umfassen noch Waffen (wie die Dolche in Stonehenge), bewaffnete Krieger mit Pfeil und Bogen (Le Trepied bei Le Catioroc, Guernsey) und symbolische oder realistische Darstellungen von Menschen, wobei wohl auch irdische Menschen dargestellt wurden. Eine gemeinsame Interpretation von allen möglichen Symbolen (konzentrische Kreise, Doppelspiralen, anthropomorphe Darstellung) als Darstellungen der „Großen Göttin“ halte ich bei dem weiten zur Verfügung stehenden Inventar für unwahrscheinlich.

Einige der Steinkreise enthalten Steine mit Löchern (wie in Avebury), und diese haben im Volksglauben vor allem eine Bedeutung für Fruchtbarkeit und Geburt sowie für Ehe (vgl. die symbolische Heiratsszene auf dem mit einem Loch versehenen Steindeckel einer Graburne von Maltgard).23 Die Verwendung solcher Steine in Ganggräbern und Dolmen24dürfte sie wohl aber auch als symbolischen Eingang in die andere Welt ausweisen; auch dies kann ein Hinweis auf die Beziehungen zwischen öffentlichem (Fruchtbarkeits-?) Kult und Totenkult sein.

In der religiösen Welt der späten Steinzeit waren Leben und Tod nicht getrennt, sondern die Toten waren ein notwendiger Teil des Lebens, die wohl auch im Glauben für die Sicherung der Fruchtbarkeit (mit-)verantwortlich waren.

Wenn wir auch die Konstruktion der Kultplätze, ihre Entstehungszeit und einige der materiellen Überreste der Kulthandlungen eruieren können, so sind die Riten selbst natürlich nicht rekonstruierbar. Wir wissen nicht einmal, ob die Beisetzung der tierischen und menschlichen Schädel, der Skelette und Leichenbrandreste als Teil der Opferhandlungen oder erst in ihrer Folge stattfanden. Etwas mehr können wir allerdings über Festzeiten sagen, da die astronomische Ausrichtung der megalithischen Anlagen – oder das Wenige, was wir mit großer Sicherheit darüber sagen können – den solaren Mittwinter und Mittsommer zu bevorzugen scheint, wie auch die oben erwähnten aus dem Ganggrab von Newgrange gewonnenen Erkenntnisse bestätigen. Somit stehen diese – aus dem solaren Jahreszyklus entnommenen – Festzeiten den bekannten germanischen Jahresfesten (Mittwinter, Mittsommer, Herbstbeginn) näher als den keltischen (Oimelg im Februar, wenn die Schafe begannen, Milch zu geben, Beltane im Mai beim Viehaustrieb, Lugnasad im August als Erntefest und Ende Oktober, wenn die Geister der Toten erwachten). Dazu treten allerdings wohl noch Festzeiten, die durch den lunaren Kalender bestimmt waren, da man den Mond offenbar auch über lange Zeiträume hinweg beobachtete und daher zu Erkenntnissen über die längeren Zyklen kam, wie den metonischen von 62 Mondmonaten (18,61 Jahre). Was den lunaren Kalender betrifft, so hat man ein gewisses Interesse besonders an den maximalen Mondaufgangszeiten feststellen wollen,25 was für mögliche Festzeiten jedoch wenig aufschlussreich ist. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Totenkult, Fruchtbarkeitskult und astronomischen Beobachtungen für das späte Neolithikum und die frühe Bronzezeit trotz aller Interpretationsversuche der „Paläoastronomie“ immer noch weitgehend ungeklärt. Festhalten sollte man vorerst, dass jedenfalls der lunare und solare Kalender zweifellos wichtig waren, während alle Überlegungen zu stellaren astronomischen Zusammenhängen reichlich spekulativer Natur sind.

Komplexer als die Deutung der Steinkreise gestaltet sich die der Steinreihen, der sog. Alignements, wie wir sie in erster Linie aus der Bretagne, aber auch aus Schottland kennen. In der Bretagne finden sich fünf derartige Anlagen, wobei die beiden in unmittelbarer Nachbarschaft voneinander, nämlich Le Menec und Kermario mit 957 m/1099 Steinen bzw. 1128 m/1029 Steinen die größten sind. Auf den Britischen Inseln und auf Irland gibt es eine ganze Reihe von Steinreihen, aber nur die im nordöstlichsten Schottland (Caithness) reichen im Umfang an die bretonischen Anlagen heran, wobei die umfangreichste die von Mid Clyth in Caithness mit 23 Reihen und 44 m Länge ist; sie liegt wie einige andere schottische Steinreihen genau in Nord-Süd-Richtung, während die Mehrzahl zwischen NNO-SSW und OSO-WNW variiert.26 Während sich die Vielzahl von parallelen Zweierreihen von Steinen am besten als Prozessionswege interpretieren lassen und häufig (wie in Callanish) auch in Verbindung zu Steinkreisen stehen, wird diese Deutung für die Alignements meist als unzureichend angesehen, wenn auch die Funktion als Orte der kultischen (und sekularen?) Machtdemonstration nicht ausgeschlossen werden sollten. Die Deutung schwankt daher zwischen Kultversammlungsplätzen und – weniger wahrscheinlich – neolithischen Observatorien, wobei astronomische Beobachtungen im religiösen Kontext mehr Sinn machen als eine rein säkulare Anlage zum Zwecke astronomischer Beobachtung. Für Letztere gäbe es auch keine ethnologischen Parallelen, während Beispiele astronomischkalendarisch dominierter Kulte (wie die der Inkas, Mayas und Azteken) sehr wohl beizubringen sind.

Eher gar nicht astronomisch zu erklären sind die zahlreichen einzelnen Menhire. Zwar hat man auch einzelne dieser ursprünglich bis zu 20 m hohen und 350 t schweren allein stehenden Steinstelen (der größte bekannte ist El Grah, auch Le Grand Menhir brise genannt: Locmariaquer, Bretagne) als Fokuspunkte oder Vexierhilfen (gegen einen Hintergrund von markanten Hügeln oder Bergen) als Denkmäler astronomischer Beobachtungspraxen sehen wollen, aber die vielen Unsicherheiten bei nur einem Stein machen dies noch unwahrscheinlicher als bei den Steinkreisen. Viel eher sind sie markante Monumente eines Grabkults oder noch eher als territoriale Markierungen bestimmter Machtbereiche zu sehen (wozu ja auch die Ganggräber in einzelnen Gegenden fungieren) denn als Basen astronomischer Beobachtungen.

Bei der Interpretation individueller Steinsetzungen ist immer zu berücksichtigen, dass Steinkreise nicht nur in der Zeit der Megalithkultur und ihrer Ausläufer in der Bronzezeit, also grob gesprochen zwischen 3000 und 1500 v. Chr., errichtet wurden. Auch noch in späterer Zeit, und aus ganz unterschiedlichen Gründen, entstanden von der Eisenzeit bis zur Wikingerzeit weitere Steinkreise, wobei aber der wikingerzeitliche domahringr, „Gerichtskreis“, einen Zentralstein als Achse der Anlage aufweist. Von den oft elliptischen Steinkreisen sind vor allem die skandinavischen Schiffssetzungen zu unterscheiden – auch sie reichen von der Bronzezeit bis zur Wikingerzeit –, welche in den meisten Fällen als sehr solide und sichtbare Form der Bootsbestattung (siehe Kap. VII) dienten. Einzelne Großsteine – und zwar nicht nur Runensteine – wurden ebenfalls in der Wikingerzeit gesetzt, und diese Bautasteine fungierten sowohl als Grabsteine als auch als Gedenksteine ohne dazugehöriges Grab.

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