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2. Bronzezeitliche Felszeichnungen als religiöse Urkunden

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Nach den Denkmälern der Megalithkultur sind die auffälligsten Hinterlassenschaften vorgermanischer Religion in Nord- und Westeuropa die bronzezeitlichen Grabhügel und die südskandinavischen Felszeichnungen derselben Periode, die in Nordeuropa mit etwa 1500 bis 400 v. Chr. angesetzt werden kann und damit deutlich später als in Südeuropa. Der Übergang zur ersten metallischen Kultur in Nordeuropa ging langsam vor sich, und mehrere hundert Jahre lang imitierten die an Kupfer und Zinn armen Skandinavier aus Feuerstein die eleganten Importartikel aus dem Süden, besonders Bronzedolche und -schwerter. In dieser ältesten Phase der Bronzezeit erlebte die Steinbearbeitungstechnik ihren Höhepunkt, und viele gerade der polierten dänischen Steinwaffen stehen in ihrer Eleganz den Bronzearbeiten nicht nach. Nach und nach begann man auch in Skandinavien aus importierten Rohstoffen Bronzeprodukte im Mischungsverhältnis 9:1 von Kupfer und Zinn herzustellen, und Nordeuropa konnte sich in der Qualität seiner Produkte am Höhepunkt der Bronzezeit mit der älteren südosteuropäischen Bronzekultur durchaus messen.27

Die Grabhügel markieren einen deutlichen Umschwung in der Religion und einen ökonomisch bedingten politischen Umschwung, der den Zusammenbruch alter neolithischer Machtstrukturen signalisieren dürfte. Im Grabbrauch manifestiert sich dies am deutlichsten am Wechsel von der Kollektivbestattung zum Einzelgrab, der Bestattung in schweren, individuellen Holzsärgen und in einer Aufgabe der massiven Großsteingrabmäler zugunsten von Erdhügeln. Dennoch sind auch deutliche Gemeinsamkeiten mit dem Neolithikum festzustellen: Bedeutende Personen wurden weiterhin in monumentalen Hügeln bestattet, und auch die Bronzezeit weist in Nordeuropa ein stark maritimes Gepräge auf, das sich allerdings weniger in der Lage seiner Grabhügel als vielmehr in seiner Bildsprache manifestiert. In der Megalithkultur des Neolithikums waren die bildlichen Dekorationen aber in erster Linie abstrakt (wenn wir von den Waffen und ganz vereinzelten Menschendarstellungen absehen) und an den Totenkult gebunden, aber in der Bronzezeit werden die Bilder konkret und sind, soweit wir wissen, wenigstens zu einem gewissen Grad losgelöst vom Grabbrauch.

Heute sind für uns die bronzezeitlichen südskandinavischen Felszeichnungen die prominentesten Zeugnisse der Vorgeschichte in Nordeuropa und, nachdem man seit Oskar Almgren 1927 die religiöse Relevanz der Felszeichnungen entdeckt hat, auch der nordeuropäischen Religionsgeschichte. Nicht alle skandinavischen Felszeichnungen (norweg., dän. helleristninger, schwed. hällristningar) stammen aus der Bronzezeit. Die meisten der in Nordskandinavien zu findenden Ritzungen sind deutlich älter, reichen wohl bis 6000 v. Chr. zurück und werden auf Grund der nördlichen Wohnsitze ihrer nomadisierenden und jagenden Trägerkultur üblicherweise als arktische Felszeichnungen oder Jagdritzungen (norweg. veideristninger, schwed. fångstristningar) bezeichnet.28 Dagegen werden die bronzezeitlichen, üblicherweise in Südskandinavien zu findenden Felszeichnungen als Ackerbauritzungen (norweg. jordbruksristniger, schwed. jordbruksristningar) bezeichnet, weil sie einer eindeutig schon agrarischen Kultur entstammen.29 Die südskandinavischen Felsbilder weisen gewisse Übereinstimmungen, aber noch mehr Unterschiede mit den ebenfalls umfangreichen südalpinen Felsritzungen aus der Schweiz und Südtirol auf, während die vereinzelten nordalpinen Felsritzungen aus Österreich und Bayern wesentlich einfacher und auch bislang nur unzureichend datiert sind.


Abb. 7: Relative Häufigkeit der Felszeichnungsmotive (nach Bertilsson: The Rock Carvings, 120).

Die Motivik der Felszeichnungen ist überaus reichhaltig. Eine Statistik der häufigsten Elemente (Abb. 7)30 zeigt, dass unter den etwa 10.000 bekannten Felszeichnungen Skandinaviens mit etwa 40.000 bis 50.000 Motiven die schalenförmigen Eintiefungen (sog. Schalengruben, engl. cup-marks) das häufigste Motiv sind, dessen Bedeutung aber nicht sicher ist. Schon das zweithäufigste Motiv ist jedoch das Schiff, und diese Häufigkeit unterstreicht sowohl die Bedeutung der Seefahrt im bronzezeitlichen Nordeuropa als auch die Rolle des Schiffs im Kult, während nichts im Neolithikum auf eine kultische Bedeutung des Schiffes hinweist. Dagegen ist auch in der Bronzezeit die Sonnenscheibe von großer Bedeutung, sowohl in Form von speichenradförmigen Darstellungen als auch Spiralen, ebenso wie die Doppelspirale, die nicht nur auf den Felszeichnungen, sondern noch häufiger auf Schilden und Waffen vorkommt. Eine Herleitung dieses Motivs aus älteren (bronzezeitlichen) griechischen Formen31 ist jedoch nicht wahrscheinlicher als die Verbindung zu den westeuropäischen Symbolen der Megalithzeit; noch in keltischer Zeit ist die Doppelspirale, abgewandelt zu einem ornamentalen „S“ oder den Doppelspiralen hallstattzeitlicher Brillenfibeln, in Westeuropa zu finden.32 Dass die Sonne auch in der Bronzezeit der Gegenstand eines Kultes war, geht aus dem berühmten Sonnenwagen von Trundholm (Seeland) hervor, dessen bronzene, einseitig vergoldete Sonnenscheibe auf einem sechsrädigen Modellwagen von einem bronzenen Pferdegespann gezogen wurde; das ganze aufwendig gearbeitete Modell war nur knapp 60 cm lang und diente wohl als Kultgegenstand im Sonnenkult (Abb. 8); dies gilt wohl auch für die neu gefundene Bronzescheibe von Nebra in Sachsen-Anhalt.


Abb. 8: Bronzezeitlicher Sonnenwagen von Trundholm.

Das dritthäufigste Motiv ist aber der Mensch, und diese Konzentration auf Menschen deutet auf einen gravierenden Unterschied zur neolithischen Religion, als die Darstellung des Menschen eine sehr geringe Rolle spielte. Wir sehen Menschen auf den Felszeichnungen in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Funktionen, mit Waffen wie Pfeil und Bogen, Speer, Hammer, Äxten33 und Schwertern, aber auch mit anderen Attributen wie Luren (s.u.), Sonnenscheiben und Zweigen, was alles auf einen kultischen Kontext hindeutet, ebenso wie die Tänzer, Voltigeure, Masken- und Helmträger. Daneben finden wir aber auch Wagenlenker, Pflüger oder Schiffsmannschaften, und hier können wir nur dem Kontext oder besonderen Merkmalen entnehmen, dass wir es mit rituellen und nicht alltäglichen Aktivitäten zu tun haben, etwa dem steilaufgerichteten Phallus eines Pflügers, der auf die Rolle des Pflügens in einem Fruchtbarkeitskult hinweisen könnte und nicht auf eine rein säkulare Szene.

Eine der prinzipiellen Fragen, die sich in der Ikonologie der Felszeichnungen stellt, ist die nach dem Status der dargestellten Personen: Sind es Götter, sind es Menschen, und falls Letzteres, sind es nur die Akteure öffentlicher Kulthandlungen? Wir müssen dabei einerseits ihre Größe, ihre Funktion, ihre Attribute und vielleicht auch die im Kontext zu findenden Schalengruben als Interpretationshilfen heranziehen, Letztere deswegen, weil man sie auch als Opfergrübchen neben besonders wichtigen Darstellungen interpretiert hat, was aber nicht ihre ausschließliche Bedeutung sein kann. Es stellt sich dabei auch die Frage, welche Aspekte einer Religion, ihrer Repräsentanten, Anhänger, aber auch der nur möglicherweise persönlich gedachten Gottheiten überhaupt ikonographisch darstellbar sind. Hier ist in erster Linie an die Darstellung von

a) Kulthandlungen

b) Kultobjekten

c) mythologischen Symbolen

d) mythologischen Figuren und Göttergestalten

zu denken, und wir können diese Möglichkeiten mit den Darstellungen der Felszeichnungen identifizieren, wobei es mir aber wichtig erscheint, den dargestellten Szenen, Figuren und Objekten möglichst keine Namen zu geben, sondern phänomenologisch vorzugehen.

Für die Bronzezeit können wir aus den Felszeichnungen allein weder persönliche Gottheiten im Allgemeinen noch bestimmte Gottheiten im Besonderen nachweisen, sodass der vierte genannte Punkt (d) eigentlich ausscheidet. Ein Sonnenkult dagegen tritt deutlich hervor, und selbst das Schiff dürfte nur eine Rolle als Kultobjekt in diesem Sonnenkult gespielt haben,34 denn wie einzelne Felszeichnungen zeigen (Abb. 9), waren es nicht tatsächliche Schiffe, die hier abgebildet wurden, sondern Modelle oder Imitationen, die getragen werden konnten und auf denen, wie auf Bühnen, Kulthandlungen vonstatten gehen konnten. Als mythologische Symbole kommen außer den schon erwähnten Scheiben, Spiralen, Doppelspiralen und Schalen nur noch Schlangenlinien vor, die aber besser als Schlangen selbst zu interpretieren sind, da sie teilweise deutlich als Tiere markiert sind. Bei Waffen dagegen ist nur schwer zu entscheiden, ob diese als Kultobjekte (b) oder als religiöse Symbole (c) zu deuten sind, selbst wenn sie von Personen zu Lande oder auf Schiffen demonstrativ getragen werden, da beide Möglichkeiten zusammenfallen können. Bei Pferden in Wagenoder Pfluggespannen scheint der Bezug zu Kulthandlungen klar, aber bei Elchen, Rentieren, Hirschen, Stieren, Ebern, Vögeln und Schlangen ist bislang völlig unklar, ob diese Tiere als Attribute irgendwelchen Gottheiten zuzuzählen sind, ob sie diese vielleicht überhaupt repräsentieren oder ob es sich um reale Darstellungen aus kultischem Kontext (Opfertiere) oder aus sekulärem (Jagd- und Haustiere) handelt.

Menschliche Akteure von Kulthandlungen dagegen finden sich als Adoranten (in deutlicher Anbetungshaltung), Voltigeure, Lurenbläser (s. Abb. 10), Kämpfer mit überdimensionalen Äxten, als Pflüger, als Träger von derartigen Äxten und Zweigen oder Bäumen, vor allem aber als Teilnehmer an Prozessionen, mit solchen oder anderen Attributen. Ob auch die vielfach dargestellten zwei- oder vierrädrigen zweispännigen Pferdewagen und ihre Wagenführer- oder -lenker als Teil dieses Kultszenarios zu sehen sind, ist zwar nicht ganz klar, aber aus dem Kontext heraus recht wahrscheinlich, auch wenn die Wagen simpel sind und in keiner Weise an den erwähnten Kultwagen von Trundholm erinnern.


Abb. 9: Felszeichnung mit Kultschiff aus Bohuslän, Westschweden.

Andere Objekte der Felszeichnungen hat man dagegen archäologisch nachweisen können, darunter die Luren, meist paarweise auftretende, über 2 m lange Bronzeblasinstrumente, die man fast ausschließlich in Dänemark gefunden hat und die außer durchdringenden tiefen Tönen auch durch angehängte Bronzeplättchen ein helles Klingeln von sich gaben (Abb. 10), oder die auffällig gehörnten bronzenen Kulthelme.

Auf Grund des reichen Bildmaterials lassen sich zwar Einzelaussagen über das Objekt des Kults, nämlich die Sonne, und über einzelne Elemente machen, aber über den eigentlichen Ablauf des Kults, sein Verhältnis zum Totenkult und das eigentliche Ziel wissen wir trotzdem wenig. Zwar hat man bestimmte menschenähnliche Figuren, die aber sehr stark stilisiert und in eine Art von Kapuze und Mantel mit Schleppe gehüllt sind, als die Seelen interpretiert, aber diese Interpretation ist nicht zu beweisen, auch wenn die in unmittelbarer Umgebung dazu realistisch dargestellten „lebenden“ Menschen darauf hindeuten.

Keine Aussagen wurden bislang über den Ort eines derartigen Kultes gemacht, und obwohl in Südschweden etwa zwei Drittel der Felszeichnungen in unmittelbarer Nähe der (bronzezeitlichen, bis zu 12 m höheren) Uferlinie lagen, ist diese Situation nicht völlig zu generalisieren. Inzwischen hat man aber wenigstens aus Dänemark (Sandagergård, Horns Herrad, auf Nord-Seeland)35 die Reste eines bronzezeitlichen Kulthauses aus der Zeit um 1000 v. Chr. entdeckt, das einzelne Monolithen enthielt; in diesem Fall trug jeder der vier Steine die Ritzung einer senkrechten Hand mit vier darüber quer eingeritzten Strichen, die auch aus dänischen Felszeichnungen bekannt ist, ohne dass wir aber die Bedeutung erschließen können. Eine Nähe von Felszeichnungen zu Gräbern ist in der Bronzezeit selbst nicht statistisch relevant, aber die erwähnten Kultplatzkontinuitäten scheinen sich dagegen in der auffälligen Korrelation zwischen bronzezeitlichen Felszeichnungen und eisenzeitlichen Friedhöfen oder Einzelgräbern zu manifestieren, sodass also nicht nur neolithische Grab- und Kultanlagen die bronzezeitlichen Felsbilder provozierten, sondern diese Stellen dann offenbar auch wieder eisenzeitlichen Grabbrauch nach sich zogen.36


Abb. 10: Bronzezeitliche Luren und Kulthelme aus Dänemark.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass trotz der auffälligen Unterschiede zwischen der Religion des skandinavischen Neolithikums mit seinen Megalithmonumenten, der der Bronzezeit mit ihren vielfältigen Felsbildern und bronzenen Kultgegenständen und derjenigen der Eisenzeit, die sich vorerst durch Brandgrab und eine bemerkenswerte Fundarmut auszeichnet, auch Kontinuitäten vom späten Neolithikum bis in die vorrömische Eisenzeit hinein nachzuweisen sind. Dies betrifft die Tendenz zur Bestattung bedeutender Toter in Grabhügeln, Kultplatzkontinuitäten und, wenigstens in der Volksreligion, auch kontinuierliche Praktiken wie die Quellenverehrung.

Religion und Mythologie der Germanen

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