Читать книгу Religion und Mythologie der Germanen - Rudolf Simek - Страница 11
II. Vorspiel: Die Megalithkultur
in West- und Nordeuropa
und die skandinavische Bronzezeit 1. Das Geheimnis der Megalithen
ОглавлениеNiemand würde heute ernstlich von „Germanen“ vor der älteren Eisenzeit, also etwa vor 400 v. Chr., sprechen und dennoch kann man schwerlich über die heidnische Religion Nordeuropas sprechen, die wir als germanisch bezeichnen, ohne auch auf die Religionen vor diesem Zeitpunkt einzugehen, da sie die Grundlagen späterer Entwicklungen bilden. Es sind in erster Linie die Denkmäler der Megalithkultur, die großen Steinsetzungen, Ganggräber und Menhire, die uns in Nord- und Westeuropa überall ins Auge fallen und uns nur allzu deutlich die Bedeutung dieser massiven Monumente aus tonnenschweren Steinen für das Glaubensleben und den Totenkult einer prähistorischen Bevölkerung vor Augen führen. In zweiter Linie sind es die gerade für Südskandinavien typischen bronzezeitlichen Felszeichnungen, die man in der Vergangenheit gerne als Zeugen früher „germanischer Religion“ betrachtet hat und die zweifellos religiöse Relevanz besitzen, auch wenn sie einer älteren vorgermanischen Periode angehören. Diese zwei Perioden – die megalithische des Neolithikums und die Bronzezeit – seien daher, nicht ganz willkürlich, als Beispiele der vorgermanischen nordwesteuropäischen Kulturen herausgegriffen, da u.a. sie den Boden für die Glaubensvorstellungen der eisenzeitlichen und völkerwanderungszeitlichen Bevölkerung, und damit unserer nordwesteuropäischen Vorfahren im weitesten Sinn, bereiteten.
Der Begriff Megalith bedeutet nichts anderes als „Großer Stein“, und die Kulturen, die man mit diesem Namen belegt, haben als gemeinsamen Nenner in erster Linie tatsächlich Grabanlagen, die aus derartigen Großsteinen errichtet sind. Es sind aber nicht nur die monumentalen Grabanlagen, die das Interesse an der Megalithkultur hervorrufen, sondern auch die zum Teil riesigen Steinkreise, von denen Stonehenge der bekannteste ist, die zahlreichen allein stehenden Menhire oder auch die weitläufigen Steinsetzungen der Bretagne aus hunderten von tonnenschweren Felsen.
Man kann schwerlich von nur einer Trägerkultur der Megalithkultur sprechen, denn der Brauch der Großsteingräber erstreckt sich von Südschweden und Dänemark über die deutsche und niederländische Tiefebene zu den nordatlantischen Inseln, den Orkneys, Hebriden, Schottland, England und Irland, über Frankreich und die Iberische Halbinsel zu den Balearen, Sardinien, Sizilien und Malta. (Abb. 2; nur die west- und nordwesteuropäischen Denkmäler sind im Folgenden Gegenstand dieser Darstellung). Die regionalen Ausformungen von Großsteinanlagen weichen stark voneinander ab, aber die meisten dieser Bauten fallen in das 3. und 2. (seltener das 5., 4. und 1.) Jahrtausend v. Chr. und damit in die jüngere Steinzeit (Neolithikum) und die beginnende Bronzezeit.
In den letzten Jahrzehnten haben sich einige konstante Formen des spätsteinzeitlichen religiösen Kultlebens herauskristallisiert, Formen, die nicht leicht anders als im religiösen Kontext zu erklären sind. Es sind dies der Cursus – der durch parallele Gräben oder Steinreihen markierte gerade Prozessionsweg –, die Henges – durch Wälle und Gräben mit einem (selten einem zweiten) Zugang über einen Damm versehene kreisrunde Grabenwerke –, die Steinkreise, einzelstehende Menhire sowie die sog. Alignements, Anlagen aus (annähernd) parallelen Steinreihen. Dazu kommen an Grabanlagen noch die verschiedenen Formen der Großsteingräber, in erster Linie Dolmen, Ganggräber (engl. passage graves; frz. tombes à couloir) und Langhügel (engl. longbarrows, frz. allées couvertes).
Abb. 2: Verbreitung megalithischer Grabformen in Europa (nach McKie, 148f.).
Zwar hat man die Megalithkultur auf Grund der Artefakte immer schon in das späte Neolithikum gestellt, aber erst durch die C14-Datierungen (Radiocarbonmethode) seit den 50er-Jahren des 20. Jh.s hat man genauere Datierungen einzelner Anlagen erhalten, welche gegen Ende des 20. Jh.s durch die Fortschritte in der Dendrochronologie (der Datierung durch Vergleiche der Jahresringe von Bäumen) zusätzlich kalibriert werden konnten.1 Die Datierungen der für die Megalithzeit so typischen Ganggräber und Dolmen reichen fast überall über mehrere tausend Jahre, wobei man in der Bretagne Datierungen zwischen 5500 und 3100 v. Chr. geb., in Portugal zwischen 5000 und 4590, im spanischen Galicien 3490 und 2100, auf den Orkneys 3700 und 2100, in Schottland 3000 und 1500, in Irland etwa 3000 und 2000 und in Schweden zwischen 3000 und 2800 v. Chr. erhalten hat. Alle derartigen Angaben sind nur sehr ungefähr, nicht nur wegen den Unwägbarkeiten der C14-Methode, sondern auch wegen der statistisch nur recht geringen Auswahl. Sicher scheint dabei allerdings, dass die Ganggräber in der Bretagne und in Portugal zur ältesten Schicht der Megalithgräber gehören.
Die große Frage ist heute, ob sich die Ganggräber zwischen dem 5. und dem 3. Jahrtausend v. Chr. langsam, vielleicht vom Mittelmeerraum oder der Bretagne aus in den Küstengebieten Westeuropas verbreitet haben oder ob sich der Brauch der Großsteingräber unabhängig voneinander in mehreren Zentren, darunter wohl Portugal, die Bretagne, Dänemark und Irland entwickelt hat. Die Frage ist dabei auch, wie man sich die Diffusion eines so aufwendigen Grabstils über ganz West- und Nordwesteuropa vorzustellen hat.